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Fernsprecher Nr. 29. 88. Jahrgang. Fernsprecher Nr. 29.

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Echwäb. Landwirt.

Samstag, dm 17. Zurü

1911

K. Hbevarnt Aagotd.

An die Ortsbehörden.

Der in Berlin bestehendeVerein zur Förderung deutscher Spitzenkrunst" beabsichtigt, daselbst eine kaufmännisch organisierte Zentralstelle zur Verwertung handgearbeiteter deutscher Spitzen zu errichten, die in alle Gegenden Deutsch­lands Hinweise auf die jeweils herrschende Mode- und Ge­schmacksrichtung in der Spitzenkunst und ihre leicht verkäuf­lichen Muster geben soll. Es soll dadurch angestrebt werden, daß die großen Summen, welche zur Zeit für ausländische Spitzen ausgegeben werden, im Lande bleiben und insbe­sondere auch für manche Heimarbeiterin ein Erwerbszweig geschaffen wird.

Diejenigen Ortsbehörden, in deren Gemeinden hand­gearbeitete Spitzen hergestellt werden, wollen dies binnen acht Tagen hieher Mitteilen, worauf ihnen dann ein Frage­bogen zur Ausfüllung zugehen wird. Wo eine derartige Heimarbeit nicht vorhanden ist, wäre die Frage ihrer etwaigen Einführung der Prüfung der Ortsbehörde wert. Die Geschäftsstelle des obengenannten Vereins, ist ohne Zweifel bereit, die Gemeinden in dieser Hinsicht zu beraten. Ihre Adresse ist, Lharlottenburg, Berlinerstraße 149 II.

Nagold, 16. Juni 1911.

Kommerell.

Aus Grund der vom 8. bis 13. Mai ds. Is. abgehaltenen Prüfungen ist u. a. nachgenannte Kandidatin zur Erteilung des Unter­richts in weiblichen Handarbeiten (einschließlich des damit verbundenen Zeichenunterrichts) bezw. des Fachunterrichts im Sticken und Zeichnen an Frauenarbeitsschulcn für befähigt erklärt worden. Es hat erstanden: Die Fachprüfung im Sticken und Zeichnen: Seeger, Marie von (Abokoby, Westafrika) Nagold.

in Belgien und dem Alltagsgericht Marokko. Die Reichs­tagswahlen in Oesterreich, d. h. die Wahlen für die parlamentarische Vertretung für das ganze Land, bieten weniger Interesse wegen der Parteiverhältnisse im allge­meinen, als wegen der grenzenlosen Zerfahrenheit, die sich, wie bei der ganzen unfruchtbaren Innenpolitik, bei diesen Wahlen noch im besonderen heraushebt. 1600 und etliche Kandidaten waren als Bewerber für die 516 Mandate vor­handen und sie hatten kleinere oder größere Parteien hinter sich; fast ebensoviele aber waren es, die auf eigene Faust die Gunst der Wählerschaft heischten und einer hat sich gar in allen Wahlbezirken um das Mandat beworben! Das Wahlresultat selbst ist schon weil sehr viele Stichwahlen statt­finden, noch ganz unvollständig, aber soviel steht doch bereits fest, daß die sprichwörtliche Unfruchtbarkeit, hauptsächlich her­vorgerufen durch die Opposition von Tschechen, Slaven rc., auch dem neuen Parlament anhasten wird."

Oesterreich-Ungarns Eingreifen in die türkisch-alba- nesische Frage, heroorgerufen einerseits durch das ihm zu­stehende Protektorat über die katholischen Völkerschaften Albaniens, andererseits durch die Besorgnis der Störung des Friedens auf dem Balkan überhaupt, hat bei der Türkei mehr Wirkung gehabt als die russische Drohnote, denn die türkische Regierung geht jetzt ernstlich daran, sich mit dem Albanesenvolke durch friedliche Unterhandlungen auszugleichen, für die die Zusage verschiedener Reformen die Grundlage bilden soll.

Die Ministerkrisis in Belgien stellt in ihrem Wesen nur eine Etappe dar in dem großen Kulturkampf, der seit langem die belgischen Lande durchtobt. Es ist ein unge­wöhnlich heftiger Kampf um zwei Weltanschauungen, die man kurzerhand in Liberalismus und Klerikalismus scheiden kann. Die Oberhand hat bisher der letztere, und unter seiner Aegide sollte nun ein neues Schulgesetz geschaffen werden, durch das die Schulpflicht eingeführt werden sollte. Ein besonderer Punkt war die Bestimmung, die es den Eltern freistellte, ihre Kinder in kirchliche oder Staatsschulen zu schicken. Daran hauptsächlich scheiterte das Ganze, denn einer der beiden klerikalen Richtungen sie sind in eine alte" undjunge" Partei gespalten ging der Entwurf zu weit, da nach ihrer Auffassung die Schule ausschließlich Sache der Kirche ist, und so machte sie dem gleichfalls kleri­kalen Ministerium selber Schwierigkeiten. Dieses trat darauf­hin zurück mit der Folge, daß der ganze Schulgesetzent­wurf einstweilen, wahrscheinlich bis nach den im nächsten Jahr stattfindenden Wahlen, in der Versenkung begraben ist. Von den nächsten Wahlen aber erhofft der Liberalismus mitsamt der Sozialdemokratie die klerikale Uebermacht der Abgeordnetenkammer brechen zu können. Darin liegt die große Bedeutung des jetzigen Vorgangs.

In der marokkanischen Frage ist die alte Rivalität zwischen Frankreich und Spanien zutage getreten. Es ist ganz selbstverständlich, daß Frankreich aus seinerHilfs­aktion" für den Sultan Nutzen schöpfen will und wird; nur die Form der Entlohnung kennt noch niemand, und da Spanien ganz erhebliche Interessen in Marokko hat, wollte es eben nicht zuwarten, wie ohne sein Beisein der Kuchen ge­teilt werde, sondern es handelte, menschlich ganz begreiflich, nach dem Grundsatzsicher ist sicher" und richtete sich, wie die Franzosen in Fez, einstweilen in einer schönen Ecke ebenfalls häuslich ein. Wenn die Franzosen darüber gar so fürchterlich zetern, so folgert daraus einfach, daß es ihnen unbequem ist, noch einen mit von der Partie zu sehen und daß sie den Gewinn allein einzuheimsen gedachten. Nun sollen sie mit Spanien teilen, und wenn diese Teilung vor sich geht, dann heißt es für die anderen Mächte aufpassen. Einstweilen kann man dem Zank noch ruhig zusehen.

Württembergischer Landtag.

p Stuttgart, 16. Juni. In der heutigen Sitzung' der Zweiten Kammer wurde die Einzelberatung der Beamtengehallsoorlage fortgesetzt. Zu Beginn der Sitz­ung gab der Abg. Gröber im Namen des Zentrums die Erklärung ab, daß es seinen Antrag bezüglich der Gehalte der katholischen Geistlichen zurückziehe. Vizepräsident von Kiene, der an Stelle des verhinderten Präsidenten v. Payer die heutige Nachmittagssitzung leitete, teilte dann mit, daß der Seniorenkonvent beschlossen habe, je besondere Abstim­mungen über die Kategorien der Staatsdiener im engeren Sinne, der Geistlichen und der Lehrer vorzunehmen. Der Abg. Liesch ing berichtete dann wieder über die einzelnen Abteilungen der Anträge des Finanzausschusses. Die Vor­lage über die Gehaltsordnung der Staatsdiener im engeren Sinn wurde schließlich nach den Anträgen des Finanzaus-

Tages-Neuigketten.

Aus Stadt und Land.

Nagold, 17. Juni 1911.

sj Fronleichnamsfest. In der kathol. Stadtkirche, die prächtig geschmückt war, wurde das Fronleichnamsfest mit Hochamt, Prozession und Te Deum begangen. Der Rohrdorser Kirchenchor hatte den Gesang übemommen. Nach der Nachmittagsandacht fand sich die Gemeinde hier im Gasthof z. Rößle sehr zahlreich ein, wo Herr Stadtpsarr- verweser Stemmler einen interessanten Bortrag hielt über den Iohanniterorden und Rohrdorss Geschichte". Redner ließ einleitend die Geschichte des Ordens Revue passieren, erläuterte die Verfassung des Ordens, den man mit seinen 700 Kommenden (Beiträgen") als eine Adelsrepublik be­trachten kann. Die Ordensniederlassung in Rohrdorf datiert seit der Schlacht bei Altensteig 1287 zwischen dem Grafen Burkhardt v. Hohenberg und dem Markgrafen von Baden (?). Die großen Vermächtnisse an die Niederlassung in Rohrdorf, die an dieselbe zu entrichtenden Abgaben, die alten Straf­maßregeln, Wirtschaftsordnung und Leibeigenschaft boten viel Interessantes. Der Preßburger Frieden und die Gründung des Rheinischen Bundes machten der Ordensherrlichkeit ein Ende. Am 23. Juni 1363 kauften Graf Eberhardt und Ulrich von Württemberg von Graf Otto von Hohenberg besten Besitzungen in und um Nagold, damnter auch seinen Anteil an der Bogtei über Rohrdorf um die Summe von 25 000 Gulden. Redner fand am Schlüsse seiner mit Bei­fall aufgenommenen Ausführungen warme Worte Johanniter zu sein, zu Kämpfen für alles Gute, Edle und Schöne.

r Calw, 16. Juni. Seit einigen Tagen ist ein junges Mädchen abgängig. Man befürchtet, daß es einem Ver­führer in die Hände gefallen ist.

Schwarm OA. Neuenbürg, 17. Juni. Heute nacht ist hier das Wohnhaus und die Scheuer des Schreinermeisters Wilh. Bohlinger niedergebrannt. Das Anwesen befindet sich dicht beim Adler. Man vermutet Brandstiftung.

Frachtfreie Liebesgaben. Mit sofortiger Gültigkeit und bis 30. September ds. Is. werden auf den württem- bergischen und badischen Staatseisenbahnen freiwillige Gaben für die Unwellergeschädigten im Amtsbezirk Lauber- bischofsheim, sowie das Packmaterial, das zu solchen Sen­dungen verwendet war und zurückbefördert wird, unter den bei den Dienststellen und durch den Tarifanzeiger der Kgl. Württ. Staatseisenbahnen zu erfahrenden Bedingungen frachtfrei befördert.

p Stuttgart, 16. Juni. Herzog Albrecht von Württemberg wird sich am Sonntag in Vertretung des Königs zu den Krönungsfeierlichkeiten nach London begeben. Dom Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten nimmt bekanntlich Legationsrat Dr. Frhr. o. Gemmingen-Gutten- berg-Fürseld an den Feierlichkeiten teil.

Stuttgart, 15. Juni. Nach der gestrigen Einführung des neuen Stuttgarter Stadtoorstands fand eine nichtöffent­liche Sitzung der bürgerlichen Kollegien statt, in der Stadt­schultheiß Lautenschlager den Kollegien einen Borbericht über die Polizeifrage gab. Der Borbericht war so ein­gehend,'daß um 7 Uhr aus Wunsch der Kollegien die Sitzung abgebrochen wurde. Der Visitationsbericht selbst wird am nächsten Montag in einer nachmittags 5 Uhr stattfindenden außerordentlichen Sitzung der Kollegien zur Verlesung kommen und die bürgerlichen Kollegien werden dann darüber entscheiden, was aus dem Bericht veröffentlicht werden soll. Nach derSchwäb. Tagwacht" soll Stadt­schultheiß Lautenschlager mit rücksichtsloser Offenheit über die Polizeisrage gesprochen haben.

Der Schwarzwald-Findling, der in der anläßlich des 50jährigen Jubiläums des Stuttgarter Berschönerungs- vereins zwischen Hasenbergturm und Hasenbergbahnhof ge­schaffenen schönen Anlage als Gedenkstein auserlesen wurde, ist inzwischen in Stuttgart angekommen und im Laufe der letzten Tage zur Aufstellung gelangt. Der gewaltige Fels­block, der viel bewundert wurde, hat während der Beförderung von seinem Fundort, einem Bergabhang bei Dennach OA. Neuenbürg (gegen die Eyachmühle), viel zu schaffen gemacht. Auf dem Bahnhof wurde der Riese, der mit seinen 8 Kubikmetern Rauminhalt ca. 335 Zentner wiegt, auf einen starken Waggon mit 30 OM Tonnen Tragkraft ver­laden. Verhältnismäßig leicht und rasch ging die Verbringung auf den Stuttgarter Standort vor sich. Die vom Stuttgarter Berschönerungsverein zu tragenden Transportkosten dürsten die Summe von 1000 ziemlich übersteigen.

r Stuttgart, 16. Juni. (Tödlicher Unfall.) Gestern vormittag wurde im Schwabstraßentunnel ein dort

Der Wettenvarl.

U-Mifche Umschau.

p Die nunmehr vorliegenden Veröffentlichungen des Finanzausschusses der Zweiten Kammer zur neuen Gehalts­ordnung geben auch dem Laien einen Einblick in die große parlamentarische Arbeitsstätte: sie zeigen, welche Unsumme von Arbeit mit der Durchberatung der einzelnen Positionen geleistet werden mußte und wie es bei aller weitverzweigten Kleinarbeit immer wieder galt, den Blick auf das Ganze zu halten: damit dem Gesamtwerk der einheitliche Charakter gewahrt werde, bei den vielfachen Aenderungen und Ver­schiebungen immer wieder nach Möglichkeit Ausgleiche zu schaffen rc. Ganz besondere Anforderungen waren bei der Sache natürlich an den Berichterstatter gestellt, der das ganze gewaltige Material durchzuarbeiten, zur Borlage an das Plenum zu formen hatte. Die Aufgabe lag dem Abgeordneten Liesching ob, dem für Bewältigung der gewalt­igen Arbeitslast aufrichtige Anerkennung gebührt. Das Plenum dcr Zweiten Kammer hat nunmehr das große Gesetzgebungs­werk zur endgültigen Durchberatung vor sich: die Geschäfts­lage des Landtags bedingt von selber ein möglichst einheit­liches, sich nicht mehr ins einzelne verlierendes Zusammen- arviilcn, dem man nur ein gutes, durch keinerlei kleinliche Gesichtspunkte behindertes Forlschreiten wünschen kann. Und von d>r Beamtenschaft selber, die vielleicht da oder dort etwasmehr" gehofft hatte, darf man hoffen, daß sie sich not den, Erreichten und Gebotenen bescheiden möge, daß sie sich insgesamt vor Augen halten möge, was auf dem vor wenigen Tagen stattgefundenen Verbandstag der württ. Postunterbcamten von derem Vorsitzendem gesagt worden ist: sie, die Beamten haben damit zu rechnen, daß diese Ge­haltsaufbesserung das Land aufzubringen habe und daß sie dieselbe nicht bloß als Staatsbeamte, sondern auch als Staats­bürger zu beurteilen und als solche Rücksichten zu nehmen haben."

In der politischen Chronik des Reiches verzeichnen wir diesmal drei größere Ereignisse: den 50jährigen Gedenktag der Gründung der Deutschen Fortschrittspartei, der von den liberalen Blättern des Reichs ausnahmslos in einer für die Zusammenfassung des Gesamtliberalismus wertvollen Sympathie begrüßt wurde. Sodann das 25jährige Regenten­jubiläum des Prinzregenten Luitpold von Bayern, das allerdings zugleich das Gedächtnis an das traurige Ende des Königs Ludwigs II. auffrischte. Endlich die große Tag­ung des Hansabundes in Berlin, die in ihrem Verlauf gezeigt hat, daß unser öffentliches Leben mit einem neuen gewaltigen Faktor zu rechnen hat, dessen Tätigkeitsbereich, so umfassend er schon gestaltet ist, noch lange nicht umgrenzt ist.

In der auswärtigen Politik wartet der Chronist auf mtt den Wahlen in Oesterreich, Oesterreich-Ungarns Ein­greifen in die. türkisch-albanesische Frage, der Ministerkrisis

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