Literatur für gebildete Laien ausbauen. Das wäre ein besserer Damm gegen die Kurpfuscher als die strengsten Gesetzesbestimmungen. _
I> Stuttgart, 23. Febr. Mit Rücksicht auf die große Ausdehnung, welche die Maul- und Klauenseuche in den letzten Wochen erreicht hat. kann die Prämierung ausgezeichnetes Widder in Kirchheim u. T. am 6. März d. 3s. und die Landesschafschau in Göppingen am 23. März d. 3s. nicht abgehalten werden. Beide Schauen müssen bis auf weiteres verschoben werden.
r Carneval in Stuttgart. Wie alljährlich veranstaltet die 1. Stuttgarter Carnevalgesellschaft „Möbelwagen" e. V. auch dieses 3ahr am Fastnachtsdienstag einen großen Faschingsumzug. Der Umzug umfaßt 6 Gruppen mit ca. 50 Nummern und es werden mit Witz und Humor die Vorkommnisse des letzten Fahres in Stadt, Land und Reich in geeigneter Weise dargestellt. Außer einem rührigen Zugs- Komitee wirken bei der Ausführung des Zugs hervorragende Künstler mit. Der ganze Zug wird ein farbenprächtiges Bild geben, dem 6 kostümierte Musikkorps teils zu Fuß, teils zu Pferde beigegeben sind. Der Zug stellt sich auf dem Gewerbehalleplatz aus, beginnt nachmittags 2 Uhr 11 Minuten und endigt 5 Uhr 11 Minuten abends, sodaß auch den auswärtigen Besuchern Gelegenheit gegeben ist, wieder rechtzeitig nach Hause zu kommen. Wie üblich, veranstaltet die Carnevalgesellschaft „Möbelwagen" abends 8 Uhr 11 Minuten in sämtlichen Räumen der Liederhalle die große Möbler-Redoute mit Ausführungen, zu der jedermann Zutritt hat.
— Die Maul- und Klauenseuche ist weiter ausgebrochen in Württemberg: in Oberböhringen, Gemeinde Unterböhringen, OA. Geislingen; Ottmarsheim, OA. Marbach, und in der Stadt Ellwangen bei Händleroieh.
Tübingen, 23. Febr. Der Ferien wegen fand der Blumentag in Tübingen als der erste im ganzen Lande gestern statt. Ueber alles Erwarten günstig wird das Ergebnis sein, denn es wurden über 50000 Nelken und viele Karten hier verkauft. Bei einer Einwohnerzahl von 19000 bedeutet das einen sehr großen Umsatz. Der Reingewinn dürste also wohl 5000 Mark weit übersteigen. Zustatten kam dem Verkaufstag das trockene Wetter, das sich den ganzen Tag über hielt und Hauptabnehmer waren natürlich auch die Studenten, die noch vollzählig hier versammelt waren. Die Häuser hatten Flaggenschmuck angelegt, die Läden waren zum Teil sehr reich und geschmackvoll dekoriert. Die Regimentskapelle war von früh bis abends auf den Beinen und ließ ihre Weisen an vier verschiedenen Plätzen ertönen. Ueber 100 Damen aus allen Kreisen der Bevölkerung waren gut verteilt und lagen mit Eifer dem Verkaufe der Blumen ob. So lebhaft war der Verkauf, daß gegen mittag schon 40000 Nelken abgesetzt waren und man den Verkauf einstellen mußte, bis von Stuttgart eine neue Sendung ankam. Aber da war es schon etwas spät. Durch den Mangel an Blumen hat man sicher auch noch an Einnahmen verloren. So ist Tübingen den übrigen Städten mit gutem Beispiel vorangegangen, wenn es im ganzen Lande so geht, wird dem Königspaare am 8. April eine stattliche Summe überreicht werden können.
r Reutlingen, 23. Febr. Die bürgerlichen Kollegien haben gestern eine Neuregelung der Feuerwehrabgaben in der Weise beschlossen, daß bis zu einem Einkommen von 1500 ^ 2 bis zu 2500 5 bis zu 3500
10 bis zu 4500 ^ 15 ^ und von über 4500 ^ 20 erhoben werden.
r Reutlingen, 23. Febr. Die von einem Bank- Konsortium gepflogenen Unterhandlungen betr. Ankauf des Reutlinger Generalanzeigers und des Pfullinger Echatzboten
haben sich zerschlagen. Dafür wurde der Generalanzeiger von einer Anzahl hiesiger kapitalkräftiger Personen angekauft.
Der Protest gegen das Sportelgesetz. Der Crails- heimer Gewerbeverein hat gegen die im neuen Sportelgesetzentwurf vorgeschlagene Lehrlingssportel Stellung genommen und die Handwerkskammer Heilbronn aufgefordert, gegen diese neue Belastung des Handwerkerstandes an geeigneter Stelle vorstellig zu werden.
Deutsches Reich.
Das Ergebnis der Volkszählung.
Berlin, 22. Febr. Nach dem „Reichsanzeiger" betrug die Einwohnerzahl im Deutschen Reiche am 1. Dez. 1910 32029890 männliche und 32 866 991 weibliche Personen, davon entfallen auf Preußen 19 845811 bezw. 20 310980, Bayern 3 375 229 bezw. 3 501268, Sachsen 2 322185 bezw. 2 480300, Württemberg 1191383 bezw. 1244 228, Baden 1059137 bezw. 1082 695, Hessen 639 214 bezw. 643005, Oldenburg 243 825 bezw. 238 605, Braunschweig 242 739 bezw. 251648, Sachsen-Meiningen 136 687 bezw. 142105, Sachsen-Altenburg 106 385 bezw. 109928, Sachfen-Koburg-Gotha 125 353 bezw. 131855, Anhalt 161171 bezw. 169876, Schwarzburg-Sondershausen 44194 bezw. 45 790, Schwarzburg-Rudolstadt 49 450 bezw.
51 362, Waldeck 30541 bezw. 31182, Reuß ältere Linie 34695 bezw. 37 921, Reuß jüngere Linie 74 264 bezw. 78 501, Schaumburg-Lippe 23 396 bezw. 23 254, Lippe 73 230 bezw. 77 519, Lübeck 56888 bezw. 59 645, Bremen 148 419 bezw. 150 317, Hamburg 505 935 bezw. 509 772, Elsaß-Lothringen 964043 bezw. 907 659, Mecklenburg- Schwerin 317 884 bezw. 321 995, Sachsen-Weimar 204409 bezw. 212 757 und Mecklenburg-Strelitz 53 523 bezw.
52 824 Personen.
Ludwigshafen a. Rh., 22. Febr. Gestern früh wurde in einer hiesigen Herberge der 42 Jahre alte Ludwig Franz Grüning aus Naumburg a. S., der wegen Falschmünzerei von einer auswärtigen Staatsanwaltschaft schqn lange gesucht wird, verhaftet. Grüning hat sich stets als Hochstapler unter dem falschen Namen Ludwig von Düren in Deutschland Herumgetrieben. Er war im Besitz von noch acht falschen Dreimarkstücken und hat auch zugestanden, mehrere Stücke in den Verkehr gebracht zu haben. Mit der Verhaftung glaubt man auf die Spur weiterer Falschmünzereien gekommen zu sein.
Köln, 23. Febr. Die fürstliche Familie zu Wied beabsichtigt ihren großen Grundbesitz in Holland und zwar bei Wassenaer zu verkaufen. Es handelt sich um ein Areal von ca. 1000 Hektar. Der Kaufpreis beträgt 7 Millionen Mark. An dem Kauf sind mehrere holländ. Großfirmen der Gärtnerei beteiligt.
Halle a. S., 22. Febr. Dem berühmten Liederdichter Paul Gerhardt wurde in seiner Vaterstadt Gräfen- hainichen ein Denkmal errichtet. Die Enthüllung erfolgt am 12. März.
Gerichtssaal.
Der Strafprozeß der Frau Dr. Bergmann,
welcher seinerzeit alle drei Landgerichte Berlins beschäftigt hat und sich über einen Zeitraum von fast 3^ Jahren hinzog, lebt jetzt aufs neue auf durch eine umfangreiche Verteidigungsschrift, in welcher Dr. med. Bergmann an Hand eines umfangreichen Materials zu beweisen sucht, daß die Verurteilung seiner Gattin wegen Mißhandlung ihrer Stieftochter Marie einen schweren Justizirrtum bedeute.
Ausland.
Wien, 23. Febr. Die Wiener Zeitung veröffentlicht einen Erlaß des Ackerbauministeriums, wonach wegen der in Deutschland herrschenden Lungen-, Maul- und Klauenseuche die Einfuhr von Rindern und anderen Klauentieren zu Zucht- und Nutzzwecken verboten ist.
Paris, 24. Febr. Wie die „Agence Havas" meldet, ist der Kriegsminister General Brun plötzlich gestorben.
Kalkutta, 22. Febr. Als sich der Kronprinz am vorigen Samstag auf der Tigerjagd befand, wurde ein Kulitreiber von einem Tiger schwer verletzt. Der Kronprinz brachte den Verwundeten in seinem eigenen Boot nach dem Militärhospital, besuchte ihn jeden Tag und beschenkte ihn freigiebig. _
Landwirtschaft, Handel und Berkehr.
x Stuttgart, 22. Februar. Ueber den Obstverkehr auf den würltembergischen Staatseisenbahnen im Herbst 1910 gibt der Staatsanzeiger folgende Mitteilungen: In den Monaten September bis Dezember 1910 sind auf den wiirttembergischen Eisenbahnstationen von fremden Bahnen 49253 Tonnen Obst angekommen (1909 : 100 786 Tonnen) und zwar aus: der Schweiz 14055, Bayern mit Pfalz 10 685, Oesterreich, Ungarn und Hinterländern 6445, Frankreich 3817, Preußen 3657, Hessen 3632, Baden 3575, Italien 2489, Elsaß- Lothringen 536, Luxemburg 340 und Holland 22 Tonnen. Hievon gingen nach Stuttgart 28 952 (Hauptbahnhof 208, Nordbahnhof 28102, Westbahnhof 169, Cannstatt 292, Untertürkheim 181), Eßlingen 3332, Reutlingen 2841, Ulm 2115 und Göppingen 1017 Tonnen. Weitere 33 Stationen hatten einen Empfang zwischen 1000 und 100 Tonnen und 82 Stationen einen solchen unter IM Tonnen. Ausgesührt wurden nach Stationen außerhalb Württemberg im Herbst 1910 4518,5 Tonnen (1909: 4328 Tonnen) Obst.
r Stuttgart, 24. Febr. Schlachtoiehmarkt.
Großvieh, Kälber, Schweine,
Zugetrieben: 194 393 604
Ochsen
Bullen
Jungvieh u. Iungrinder
Erlös aus Vs iV Pfennig
von 92
bis 93
„
84
I 87
"
94
96
„
90
„ 93
Schlachtgewicht.
Kühe
Kälber
Schweine
Pfennig von 66 bis 78 .. 45 ., 56 .. 106 ., 111 .. IM 105 92 .. 98 63 .. 65 .. 61 63
,. 87 M Verlauf des Marktes: müßig belebt.
Die beste Aufklärung.
über Kathreiners Malzkaffee geben folgende Tatsachen:
Kathreiners Malzkaffee wird als gesundes, wohlschmeckendes und billiges Getränk von vielen Millionen Menschen täglich getrunken.
Kathreiners Malzkaffee wird aus dem nährkrästigen
Malze in der größten Malzkaffeefabrik der Welt hergestellt und hat sich durch seine Bekömmlichkeit und seinen Wohlgeschmack in allen Beoölkerungskreisen eingebürgert.
Kathreiners Malzkaffee hat sich seit über 20 Jahren
bewährt, sowohl für sich allein getrunken, wie auch als gehaltreicher und billiger Zusatz zum Bohnenkaffee.
Druck und Verlag der G. W. Zatser'schen Buchdruckerei (Emil Zaiser) Nagold.—Für die Redaktion verantwortlich: K. Paur.
Der Papierkorb.
(Nachdr. verb.)
Ein Papierkorb ist das unentbehrlichste Utensil, nicht nur für jeden Schriftsteller und Redaktor, sondern für jeden Menschen, der überhaupt etwas mit Papier zu schaffen hat. Wer aber hätte heutzutage nichts mit Papier zu schaffen!
Am wichtigsten freilich ist er für den Redaktor. Aus den Papierkorb kommt's an, ob eine Zeitung Gediegenes bietet oder Minderwertiges. Ausgezeichnetes oder Gewöhnliches, Feines oder Gemeines. Denn merke: Was der Papierkorb frißt, brauchen die Leser nicht zu essen. Es besteht ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen den Lesern des Blattes und dem Papierkorb des Redaktors. Je gefräßiger der Korb ist, desto besseren Appetit werden auch die Leser bekommen. Wo der Papierkorb sparsam bedacht wird, da werden auch die Leser sparsam mit dem Abonnementsbetrag. Verschlingt er das Schlechte, so haben sie das Rechte, und umgekehrt.
In jedem Haushalt fällt etwas für die Schweine ab. Je feiner und reicher der Haushalt, desto mehr wandert in den Schweinekober. Des Redaktors Schwein ist der Papierkorb. Wo er fehlt, da fürchte ich sehr für den guten Geschmack der Leser. Denn auch das ist wahr: Was die Schweine nicht bekommen, das essen gewöhnlich die Menschen selber. Nur schade, daß des Redaktors Schwein sich nicht ausschlachten läßt — sehr schade. Schmutz wäre genug dabei, aber kein Fett.
Aber bei weitem nicht allein der Redaktor bedarf eines Papierkorbes. Willst du dich nicht unnötig plagen, gute Ordnung handhaben, gesund bleiben und frische Augen behalten, so kannst auch du nicht ohne Papierkorb oder des etwas sein. Brauch' ihn fleißig, es wird dir frommen! Leicht ist das Papier, je länger je leichter, und Flügel hat's. In Scharen fliegen die Papiervögel in jedes Haus, wo nur eine Adresse aufzusinden ist. Und herrscht nicht
neben andern Glaubensspezialitäten auch an vielen Orten noch der Aberglaube, alles, was einem gedruckt ins Haus fliege, müsse man lesen? Fort mit diesem Aberglauben! Es ist höchste Zeit, daß du damit aufräumst-, ist er doch ganz und gar nicht mehr zeitgemäß. Sieh dir die Vögel flüchtig an, und du merkst bald, wes Geistes Kinder sie sind, merkst bald, ob das Liedlein, das sie dir vorpfeifen, dich erfreuen und erbauen kann, oder obs dir zum verführerischen Sirenengesang wird. Dann mach' nicht lange Federlesens: fahre ab mit dem unnützen Gelichter, bevor es seinen Gesang nur recht angestimmt hat,- es könnte dir leicht ein Ton im Ohr bleiben. Fort mit den grauen Nachtvögeln geheimnisvoller Anpreisungen; fort mit den grünen und roten Romanpapageien; fort mit den Lotterie-Eistern; fort auch mit all den Raben und Dohlen, den Sendlingen unchristlicher, schwärmerischer Sekten, die oft weit übers Meer herfliegen. Fort alles das miteinander in den Käfig mit den Weidenstäben! Kein Tierschutzoerein soll sich ihrer an- nehmey! Laß sie nicht mehr fliegen, — den Deckel darüber, ein Schlößchen daran, damit nicht deine Kinder sich erbarmend und neugierig ihrer annehmen! Bereite dem Gelichter vielmehr möglichst bald den Schlachttag!
Die Art, wie du deinen Papierkorb behandelst, womit du ihn fütterst, ist von außerordentlicher Bedeutung für dein Leben. Ja, ich behaupte kühnlich: je nachdem, was du deinem Papierkorb gibst, machst du dich glücklich oder unglücklich.
Mein Papierkorb ist zum Glück gut. Wie kann es anders sein: meine Frau hat ihn mir geschenkt. Er hat stets guten Appetit, ist nicht wählerisch, hat keinen eigenen Kops, ist allezeit dienstfertig. Nur etwas zu klein ist er im Lause der Zeit geworden. Er füllt sich in wenigen Tagen. Unsere Zeit aber rust je länger je dringender nach großen Papierkörben. Doch das Krematorium ist nahe. Und im Winter, wo seltsamerweise die Papiervögel am häufigsten fliegen, ist es stets geheizt.
Darum rücke recht nahe an mich heran, guter Freund, ich kann ohne dich nicht sein. Tue deinen Mund weit auf, ich will Ühn füllen. Du sollst genug bekommen. Umsonst habe ich's empfangen, umsonst gebe ich es dir: Prospekte, Anpreisungen. Helgen, Broschüren, Gedrucktes, Geschriebenes, Rotes, Weißes, Gelbes, alles, alles 'nein, hinunter in den gefräßigen Schlund. Friß es, vernicht' es! Es muß nichts Nahrhaftes, Währschaftes dabei sein; du bleibst wenigstens immer der gleiche, dürre, knöcherige, schmächtige Alte. Brauchst dich auch gar nicht zu bedanken; im Gegenteil — ich danke dir viel tausendmal für deine Dienste!
Da kommt mir gleich noch in den Sinn: Hat nicht unser Geist so eine Art Papierkorb nötig? Sicherlich! Vertritt er doch sozusagen, die Aufgabe der Nieren, die im leiblichen Organismus so unentbehrlich sind. Ja, unentbehrlich; denn die Nieren sind doch da, um das Blut zu reinigen, um alles, was nicht zu seiner normalen Zusammensetzung gehört, alle schädlichen Stoffe, abzusondern. Es ist aber einer, der prüft Herzen und Nieren. Ja, die Nieren des Geistes prüft er, ob sie auch gut funktionieren. Die tun aber ihre Arbeit nicht ohne unfern Befehl. Wir wollen sie doch ja in Tätigkeit versetzen. Prüfet alles! Sonst könnte geistliche Wassersucht entstehen. Wir wollen doch unfern Geist nicht beschäftigen mit Eitlem, mit Dingen, die niemand nützen, nur schaden, die Zeit stehlen, die Frische rauben und dumme, sturme Köpfe machen. Wir wollen ihn nicht füttern mit Fetzen, die nur gut genug sind sür's Feuer. Hinweg mit den Fetzen zur rechten Zeit ins Gefängnis. in den Papierkob, ins verzehrende Feuer!
Mensch, brauche deinen Papierkorb, damit dich Gott nicht einst in seinen Papierkorb werfen muß!
Aus Knüppel und Knorren. Aus den Papieren des Lhristoffel. Trüber. Ausgewählt und herausgegebcn von Gottfried Fanlchausert Basel. Kober L. F. Spittlers Nachf.. 1910. Pr. 1.60 .F. geb. 2.40