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Fsrnspreüjsr Nr. 29.

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83. Jahrgang.

Fernsprecher Nr. 29.

Irettag, den 17. Keöruar

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Beilagen. Plauderstübchen, Illustr. Sonntagsblatt und

Echwäb. Landwirt.

1911

Amtliches.

Bekanntmachung der K. Zentralstelle für die Land­wirtschaft, betreffend den landwirtschaftlichen Septemberpreis für das Jahr 1S11.

Zur Anregung eines sachgemäßen Fortschritts aus den verschiedenen Gebieten des landwirtschaftlichen Betriebs soll auch im Jahre 1911 der landw. Septemberpreis zur Ver­gebung kommen. Für denselben gelten folgende Bestimmungen:

Der in einem nach der Leistung zu bemessenden Geldbetrag nebst silberner Medaille bestehende Preis ist in erster Linie für musterhaft geführte, vorzugsweise bäuer­liche Wirtschaften bestimmt, deren Betrieb mit Berücksich­tigung aller cinschlagenden Verhältnisse den nachhaltigsten Reinertrag anstrebt und der daher für die ähnlichen Ver­hältnisse der Umgegend als Muster dienen kann. Die Be­werber müssen in der Lage sein, die Ergebnisse des Betriebs durch eine geordnete Buchführung oder wenigstens durch ausreichende und zuverlässige Aufschriebe uachzuweisen.

Gegebenenfalls kann der Preis auch für Einführung und Verbreitung neuer, nützlicher Kulturen, für erhebliche Leistungen in einzelnen Zweigen der Landwirtschaft oder für hervorragende persönliche Verdienste um die Hebung und Förderung der Landwirtschaft erteilt werden.

Die Bewerbungen um den Preis sind spätestens bis zum 1. Juli d. 3., von einem Beibericht des Oberamts und einer mit eingehender Begründung versehenen Aeußerung des Ausschusses des landwirtschaftlichen Bezirksvereins be­gleitet, bei der Unterzeichneten Stelle einzureichen. Die Zu­erkennung des Preises wird am 27. September erfolgen.

Stuttgart, den 10. Februar 1911.

Sting.

Die Mittelstandsfrage.

Es bedeutete eine Tat, als Staatssekretär Dr. Delbrück in seiner ersten großen Rede nach der Uebernahme seines neuen Amtes die Mittelstandsfrage mit in sein sozialpoliti­sches Programm aufnahm, deren Lösung von seinen Vor­gängern wegen der Schwierigkeiten, die in ihr vorhanden sind, immer wieder hinausgeschoben wurde. Denn im Gegen­sätze zu der Arbeiterschaft, mit deren Fürsorge sich unsere soziale Gesetzgebung bisher fast ausschließlich befaßt hatte, besteht der sogenannte Mittelstand nicht aus einer mehr oder weniger gleichartigen Masse, sondern ausI den verschiedensten Teilen, von denen einige nach ihrer wirt­schaftlichen Lage dem Proletariat, andere sogar den kapi­talistischen Betrieben zuzurechnen sind. Gewisse kleine, der H.nmarbeii nahestehende Handwerker stellen sich entschieden weit schlechter als der Durchschnitt der Arbeiter, während eine kleine Anzahl besonders bevorzugter Handwerker einen Umsatz und Gewinn haben, der den mancher Fabriken über­steigt. Noch größer sind jedoch die Unterschiede in dem inneren Bau des Mittelstandes, zu dem Erwerbsklassen gehören, deren Interessen sich vielfach gegenüberstehen.

Eine wirklichFinheitliche Mittelstandspolitik dürste schon aus diesem Grunde unmöglich sein. Vielmehr wird es sich bei einer staatlichen Förderung des Mittelstandes in erster Linie darum handeln, seine einzelnen Klassen zu schützen und zu unterstützen und dabei einen Zusammenstoß der verschiedenen Interessen nach Möglichkeit zu vermeiden. Eine Förderung der mannigfachen Klassen des Mittelstandes aber kann sehr wohl Staatsaufgabe sein, und zwar sowohl durch die gesetzliche Regelung einzelner Beschwerden und Mißstände, wie auch vor allem dadurch, daß die im Mittel­stände selbst liegenden Kräfte geweckt, gefördert und zu ge­eigneten Organisationen zusammengeschlosscn werden.

Nach dieser Seite dürfte der kürzlich bekannt gewordene Plan zu der vom Staatssekretär Dr. Delbrück für den Frühling einberufenen Mittelstandskonferenz manchen wert­vollen Fingerzeig enthalten. Doch darf man sich von An­fang an darüber nicht täuschen, daß die Lösung dieser Frage außerordentlichen Schwierigkeiten begegnet, da es sich um ein ganz neues Gebiet handelt und über die voraussichtlichen Wirkungen etwaiger gesetzgeberischer Maßnahmen keine Er­fahrungen und keine Anhaltspunkte vorliegen. Jedenfalls wird man sich hüten müssen, diese Frage von irgendeinem Parteistandpunkte aus zu betrachten oder das, was auf dieser Konferenz angestrebt wird, ohne weiteres mit früheren Formen, die im wirtschaftlichen Entwicklungsgänge unterge­gangen sind, zu vergleichen.

Möge diese Mittelstandskonferenz der weitesten Teil­nahme des deutschen Volkes begegnen. Es handelt sich dabei um eine Frage von größter Tragweite. Denn nach­dem durch eine fast 30 Jahre hindurch fortgesetzte Politik der Arbeitersürsorge diese Frage in Deutschland im allge­meinen als gelöst betrachtet werden kann, hat kein anderer

Stand einen ähnlichen Anspruch auf das Wohlwollen unserer Gesetzgeber und die staatliche Fürsorge als der Mittelstand, der seit Jahrzehnten unter den fortschreitenden Verhältnissen um sein Leben ringt.

Politische Aebersicht.

In Württemberg will man die notwendige

Gehaltsaufbesserung der Beamten durch eine Erhöhung der Gebührensätze für Titelverleihungen ermöglichen. Nach den Vorschlägen der württembergischen Regierung soll die Er­mächtigung zur Aenderung des Namens statt 5 bis 20 künftig 300 bis 3000 ^ kosten. Für nachgesuchteStau­deserhöhungen" wird folgender Tarif ausgestellt: Der Für­stentitel, bisher 20000 soll künftig 40000 ^ kosten, der Grafentitel statt 10 000 künftig 20000 der Frei­herrntitel statt 6000 künftig 10000 ^ und dergewöhn­liche" Adelstitel statt bisher 4000 künftig 6000 Titel­verleihungen an Privatpersonen werden mit 100 bis 3000 ^ Gebühren belegt, nichtwürttembergische Titel kosten 60 bis 500 ^ statt bisher 60 bis 120 Die Erlaubnis zur Anlegung nichtwürttembergischer Orden wird von 60 bis 120 auf 60 bis 500 ^ hinaufgesetzt. Württemberg wird mit dieser Steuer wahrscheinlich an der Spitze der Bundesstaaten marschieren, jedenfalls weit vor Preußen kommen, wo man gegenwärtig für die Verleihung der Herzogswürde 10000^, der Fürstenwürde 6000 ^6, der Grafenwürde 3600 der Freiherrnwürde 2400 ^ und und des einfachen Adelstitels 1200 ^ zahlt.

Bei der Beratung des Heeresetats in der

Budgetkommission des Reichstags gelangte man auch zum TitelMilitärmusiker". Die Zahl der Hoboisten, Hornisten, Trompeter und Hilfshoboisten soll namentlich bei der In­fanterie (von 42 auf 36 Mann), dann aber aber auch bei der Fußartillerie, den Pionieren und dem Train herabgesetzt werden.

Der italienische Senat hat in der Einzelbe­ratung über die Reform des Senats die Hauptänderung, den Ersatz eines Teils des Senats durch Wahlen, mit 179 gegen drei Stimmen abgelehnt. Damit dürfte die ganze Verhandlung akademisch bleiben. Der König von Serbien ist gestern in Rom cingetroffen und von König Viktor Emanuel feierlich empfangen worden.

In Parma fand ein Kongreß der im Syndikat vereinigten Arbeiterorganisationen Italiens statt. Es war eine Viertel Million Arbeiter vertreten. Man beschloß, im Fall eines Versuches der Regierung, den Eisenbahner-Aus- stand gewaltsam zu unterdrücken, in ganz Italien den all­gemeinen Ausstand zu erklären.

In den Kreisen der türkischen Regierung hält man die Lage im Pemen für gebessert. Ein Teil der Auf­ständischen, die Sana belagern, ist abgezogen. Die Belagerer von Ierim sind nach mehreren verlustreichen Zusammen­stößen zurückgeworfen worden. Bei Zemmar wird fort­während gekämpft.

Präsident Taft und der neue Sprecher des

Repräsentantenhauses Clark hielten auf der panamerikanischen Konferenz Reden, in denen sie Gegenseitigkeitsverträge nicht nur mit den amerikanischen Staaten, sondern mit der ganzen Welt befürworteten. _

Eine Kanzler-Rede.

Berlin, 16. Febr. Auf dem gestrigen Festmahl des deutschen Landwirtschaftsrats gab Graf Schwerin-Löwitz in seiner Tischrede seiner Genugtuung darüber Ausdruck, daß der Reichskanzler und der Landwirtschaftsminister sich auf eine Oeffming der Grenzen für den Import ausländischen Viehes nicht eingelassen hätten und rief zum Schluß zur Verteidigung der schutzzöllnerischen wirtschaftlichen Bestreb­ungen auf. Darauf hielt der Reichskanzler v. Bethmann- Hollweg eine Rede, in welcher er u. a. sagte:

Die Worte, mit denen Graf Schwerin der Vorgänge gedachte und in die Zukunft hinausblicktc, waren getragen von froher und mutiger Zuversicht. Solche Worte erfrischen doppelt in einer Zeit, wo der Markt des öffentlichen Lebens nur noch von Stimmen der Unzufriedenheit widerhallt. Ich bin dem Grafen Schwerin ganz besonders dankbar für das unumwundene Anerkenntnis, daß die Preise einiger Fleisch­sorten eine ungesunde Höhe erreicht haben, die weite Schichten des Volkes schwer belastet. Mit den üblichen Schlagworten von der agrarischen Profitgier und dem Fleischnotrummel wird die Sache nicht abgetan. Die Frage ist die, ob die deutsche Landwirtschaft ihre Viehhaltung vergrößern, ver­bessern und konstanter gestalten kann. Sie kann es nur, wenn sie einen kräftigen und nachhaltigen Seuchenschutz ge­nießt. Wer heute vorurteilsfrei die wirtschaftliche Entwick­lung Deutschlands überblickt, der muß vor allem anerkennen,

daß dabei kein Erwerbsstand, weder Landwirtschaft, noch Handel, noch Industrie, weder Arbeitgeber noch Arbeiter Stiefkinder gewesen sind.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 15. Febr.

Marine-Etat. Das Gehalt des Staatssekretärs wird gegen die Sozialdemokraten und Polen bewilligt. In namentlicher Abstimmung wird der Antrag der Bolkspartei und der Sozialdemokraten auf unverkürzte Wiederherstellung der Heizerzulagen mit 162 gegen 155 Stimmen bei 4 Ent­haltungen abgelehnt. Es verbleibt bei dem Kommissions­beschluß, wonach die Heizer die Zulagen an den Tagen erhalten, an denen sie als Heizer Dienst tun.

Es wird eine Resolution der Kommission angenommen, die bei den Reichsbehörden eine genügende einheitliche Ar­beitszeit der Beamten und durch anderweite Organisation eine Verbilligung der Kanzleiarbeit fordert.

Hue (S.) begründet einen Antrag der Sozialdemo­kraten, wonach Arbeiten und Lieferungen nur an solche Werke vergeben werden sollen, die in Bezug auf die Arbeits­bedingungen die gesetzlichen Vorschriften einhalten und sich verpflichten, auf den Abschluß von Tarifverträgen hinzuwirken. Ferner soll die Marine-Verwaltung die Arbeitsbedingungen unter Mitwirkung der Arbeitsausschüsse regeln. Redner verweist auf Zustände bei der Firma Krupp, die ja in erster Linie von Staatsaufträgen lebe. Die hochgestimmten Reden hier stünden in überwältigendem Gegensatz zu der trüb­sinnigen Stimmung draußen im Volk. Im Königreich Krupp sehe es übel aus. Die Industrie hat die ganze Gegend ausgepreßt wie eine Zitrone.

Staatssekretär Tirpitz: Der Marine-Verwaltung ist es weder quantitativ noch qualitativ möglich, in alle diese Einzelheiten hinein zu sehen. Wir können doch unmöglich alle Werke und einzelnen Werkstätten ständig kontrollieren. Auch würden wir da auf einen ungeheuren Widerstand der Industrie stoßen. Mein persönlicher Eindruck ist der, daß wohl kaum eine Firma so viel für die Verbesserung der Wohnungs-Verhältnisse und der sozialen Lage ihrer Arbeiter getan hat, wie die Firma Krupp. (Sehr richtig rechts.) Die Firma Krupp bezieht ihre großen Einnahmen zum allerwenigsten aus den Marine-Lieferungen. Die Wünsche der Arbeiterausschüsse werden berücksichtigt. Zum Abschluß von Tarifverträgen kann ein einzelnes Ressort nicht Stel­lung nehmen.

Giesberts (Z.): Der Antrag der Sozialdemokraten geht uns zu weit. Wesentliche Punkte des Antrages haben ja schon Erfüllung gefunden. (Während der Rede des Abg. Giesberts erleidet einer der amtlichen Reichstags-Steno­graphen einen Ohnmachtsanfall und muß aus dem Saale getragen werden. Die Abg. Dr. Mugdan und Dr. Struve gewähren: ihm ihre ärztliche Hilfe.) Die Sitzung wird auf kurze Zeit unterbrochen, lieber die Resolution der Sozial­demokraten wird am Donnerstag abgestimmt werden.

Werner (Rfp.) äußert Wünsche der Indantur-Sekre- täre bezüglich der Uniform.

Vizeadmiral Capelle: Die Bestimmungen über die Bekleidung sollen revidiert werden. Es ist noch nicht ge­lungen, einen allseitig befriedigenden Entwurf aufzustellen.

Staatssekretär Tirpitz bittet Struve, der eine interne Angelegenheit vorbringt, doch nicht in die Marine Unzu­friedenheit hineinzutragen.

Dr. Struve: Das kann mir niemand vorwerfen, aber Großadmiral von Tirpitz hat zugegeben, daß die Heizer­zulagen gestrichen sind.

Staatssekretär Tirpitz: Ich soll also wieder der Sün­denbock sein. Ich stand doch vor einem Beschluß des Hauses. Keiner meiner Vorgänger hat für die Zahlmeister und Ingenieure so viel getan wie ich.

Struve (f. Bp.) bemängelt die Erhöhung der Reise­zulagen für Offiziere.

Vizeadmiral Capelle erwidert, daß diese Erhöhungen nicht in den TitelReisezulagen" gehören, sondern aus einem Spezialtitel bestritten werden.

Dr. Leonhardt (f. Bp.): Im Kieler Werftprozeß hat der Staatssekretär eine Bestrafung der schuldigen Beamten zugesagt. Nun ist in der Hauptsache gegen die Praktikanten eingeschritten worden, die im Prozeß ungünstig ausgesagt haben. Die jungen Herren waren eben erst von der Schul­bank in den Werftdienst übergetreten. Sie konnten nicht ahnen, daß ihre Vorgesetzten keine reine Weste hatten. Ihre Beschwerden sind summarisch ohne Nachprüfung ver­worfen worden.

Dr. Weber (n.) kritisiert, daß bei den Rettungsarbeiten für das gesunkene UnterseebootU 3" die Hilfe zweier Privatwersten abgelehnt worden ist.

Staatssekretär Tirpitz will den Fall nachprüfen.