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Fernsprecher Nr. 28.

. U 29

Samstag, dm 4. Ieöruar

85. Jahrgang.

Fernsprecher Nr. 29.

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Schwab. Landwirt.

1911

Der WeLLerwarL.

Politische Amschau.

p Blicken wir auf den Verlauf der Etatsdebatte im württ. Landtag zurück, so registrieren wir nicht nur mit Genugtuung die Ruhe und Sachlichkeit, die hiebei fast durch­weg sich geltend gemacht hat, ohne daß es dabei auf irgend einer Seile des politischen Interesses ermangelt hätte, sondern wir vermerken auch mit Freude die offene und ehrliche Aus­sprache, die zwischen den Vertretern des Volkes und denen der Regierung in den allgemeinen Fragen sowohl wie in einigen speziellen Angelegenheiten, wie z. B. der politischen Betätigung der Beamten, gepflogen worden ist. Auch solche, die unserem in ihren Augen etwas allzusehr liberalen Schwaben nicht sonderlich hold sind, werden sich, wenn sie sich die Mühe genommen haben, der Etatsdebatte zu folgen, eines recht günstigen Eindrucks von den gedeihlichen Be­ziehungen zwischen Parlament und Regierung nicht wohl erwehren können, trotz des Wortes von derVerrohung und Verflachung der parlamentarischen Sitten."

Das Parlament des Reiches, unser deutscher Reichs­tag hat uns wiedereinmal etwas Besonderes beschert, etwas, das so recht dafür zeugt, wie weltfremd diese große Volks­vertretung eigentlich dem richtigen Volksempfinden gegen­übersteht: die geschlossene Mehrheit, die die Reichsfinanz­reform gemacht, hat den in zweiter Lesung gefaßten Be­schluß, die Landessürsten zur Steuer für unverdienten Wert­zuwachs heranzuziehen, wieder umgestoßen und das Privi­legium der landesfürstlichen Steuerfreiheit auch auf diesem verhältnismäßig sehr beschränkten Gebiet sanktioniert. Wir rekapitulieren, ohne uns in weitere Auseinandersetzungen ein­zulassen, nur kurz den Grundgedanken: Die Wertzuwachs­steuer wird erhoben, wenn jemand ein Grundstück veräußert und dafür eine wesentlich höhere Summe erhält, als er selbst dafür bezahlt oder als dessen eigentlicher reeller Wert be­trügt. Wenn also z. B. jemand gut spekuliert und kaust heute ein Grundstück für 20 000 ^8, das er morgen vielleicht schon um 30 000 absetzt, weil er einen besonderen Lieb­haber dafür hat oder weil es Gemeinde oder Staat be­nötigen, so muß er einen gewissen Prozentsatz von dem Wertzuwachs als sogen. Zuwachssteuer entrichten. Das ist billig und in aller Ordnung. Daß es aber nicht mindestens ebenso billig und in Ordnung wäre, wenn in einem solchen Falle auch die Landesfürsten, soweit es sich um ihren rein persönlichen, privaten Besitz handelt, das dem gewöhnlichen Mann, dem simplen Unterlanenverstande weiszumachen, das bleibt den Herren Volksvertretern Vorbehalten, die ohne Zaudern und Bedenken dein Volke die schwersten Lasten aufgebürdet haben und fortwährend noch aufbürden. Sie aber reden noch dreist von ihrer monarchischen Gesinnung und was dergleichen Phrasen sind. Wir fühlen uns wahr­haftig nicht antimonarchisch, aber wir denken, es könnte für die Landesfürsten nur eine Ehre sein, wenigstens auch etwas an den großen Lasten mitzutragen, zumal in einem Falle, wo es sich, wie bei der Iuwachssteuer, um nur ganz ver­einzelte glückliche Zufälle, oder, und dann noch mehr, um glückliche Spekulationen handelt. Die von der Regierung vorgebrachten staatsrechtlichen Bedenken hören sich für die, die sonst keine anderen Gründe für ihr Verhalten haben, ja ganz nett an, aber verfangen können sie bei denen, die endlich auch einmal Gerechtigkeit in der Steuerverteiiung sehen wollen, nicht. Das Ganze hat noch zu dem Bis­herigen gefehlt; die Abrechnung wird vielleicht manchen er­nüchtern.

Einen alten Veteranen hat der Tod wieder aus den Reihen der Politiker und Parlamentarier geholt: den Reichs­tagsabgeordneten Paul Singer. Ein unentwegter Kämpe , > ^/demokratischen Partei, hat dieser in seiner mehr als ein Vierteljahrhundert währenden Zugehörigkeitzum Reichs- ^9 st.ssich sein charakterfestes Wesen sich die Achtung aller politischen Kreise erworben. Seine Fähigkeiten, verbunden mit jener nie versagenden Ruhe und Besonnenheit, haben Kreisen seiner Parteigenossen seit Jahrzehnten eine Fuhrerrolle zugewiesen, deren Verwaisung besonders in Zeiten aufgeregter Kämpfe noch oft schmerzlich empfunden werden wird. " ^

In der auswärtigen Politik müssen wir uns dies­mal etwas näher der türkisch-arabischen Frage zu­wenden. Die Lage in Deinen, demglücklichen Arabien" Pl allmählich so brenzlich geworden, daß die Sache weit kRahmen der altgewohnten orientalischen Streitig- treiten hinausgreift. Zunächst steht fest, daß der Aufstand m seinen eine direkte Gefahr für die türkische Herrschaft oedeutet, denn heute handelt es sich nicht mehr um Kämpfe

mit irregulären Banden, sondern mit einer wohlorganisierten Kriegsmacht, der der englische Handel die nötigen Unter­lagen durch Lieferung moderner Waffen gegeben hat. Weit wesentlicher aber ist das rein politische Moment, das herein­spielt, und hier setzt der Hebel auch wieder bei England an. Dieses strebt schon lange eine Verbindung von Aegypten nach Indien an, nur ist schm zufälligerweise die türkische Herrschaft über Arabien hinderlich im Wege. Die türkische Regierung fühlt natürlich diesen Zusammenhang der Dinge wohl und daraus erklärt sich auch die für türkische Verhält­nisse lange nicht mehr gewohnte energische Rüstung gegen den Aufstand. Ein Fehlschlag wäre am Ende nichts anderes als die Festsetzung der englischen Herrschaft über Slldarabien. Daher darf die ganze Affäre besondere Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen.

Württenrbergischer Landtag.

p Stuttgart, 3. Febr. In der heute fortgesetzten Generaldebatte zum Etat sprach zunächst der Abg. Dr. Lindemann (S.). Er beschäftigte sich mit den Ausführ­ungen des Iustizministers Uber die Streiks in Neckarsulm und Pforzheim und kam dann auf die Verstaatlichung der Stuttgarter Polizei zu sprechen, wobei er der Ansicht Aus­druck gab, daß wenn man die Straßenpolizei dem Staat übertrage, man damit die A;t an die Wurzel der städtischen Selbstverwaltung lege. Er richtete an den Finanzminister die Frage, ob nicht ein mehr oder weniger großer Teil der Steuern von dem großen Einkommen dem Staat entginge. Der Abg. Dr.Mühlberger (ntl.) trat für eins gemeinsame Behandlung der Beamtenaufbesserung und der Vereinfach­ung der Staatsverwaltung ein und richtete an die Sozial­demokratie die Frage, ob sie auch bei diesem Etat wenig­stens insofern die Mitverantwortung mitzutragen bereit sei, als sie nicht einfach zum Schluß den Etat zu verweigern sich für gebunden erachte. Weiter trat dieser Redner für eine Vorlage der Wegordnung und für eine Förderung der Bestrebungen der Gemeinden um Hebung ihrer ökonomischen Verhältnisse durch die Staatsregierung ein. Nach kurzen Bemerkungen des Kultministers, der auf eine Anfrage des Vor­redners wegen der Verlegung der Maschinenbauschule antwortete, sprach der Abg. Dr. Nübling (BK.) der die volle Berechtigung der Gehaltsvorlage anerkannte und eine Regulierupg der Ge­halte für wichtiger als die Frage der Ausbesserung erachtete. Weiterhin machte der Redner den Vorschlag, daß jedem Beamten, der ein Kind nach auswärts schicke, um es dort erziehen zu lassen, dafür vom Staat einen Erziehungsbeitrag von ^ 300. jährlich bekomme. Der Redner erachtete es als eine Pflicht der verschiedenen Departements, ernstlich vor dem akademischen Studium zu warnen, da man nicht nur zu viel Akademiker sondern auch zu viel mittlere Be­amte habe. Eine Steuererhöhung solle diesmal möglichst umgangen werden und die Träger der Gemeindesteuern sollten nach dem wirklichen Grade ihrer Leistungsfähigkeit belastet werden. Der Ministerpräsident Dr. v. Weizsäcker teilte hierauf in Beantwortung der Anfragen verschiedener Redner mit, daß die Beziehungen der württembergischen Postoerwaltung zur Reichspost die denkbar angenehmsten seien, und daß weder in der Frage der Einführung des Bestellgelds noch in der zuwartenden Haltung Württembergs in der Frage der Fernsprechgebühren keinerlei Beeinflussung eingetreten sei. Mit Befriedigung konnte der Ministerprä­sident eine wesentliche Besserung der Lage unseres Eisen­bahnwesens angesichts der bevorstehenden großen Ausgaben konstatieren, wobei er die Hoffnung aussprach, daß wenn die Gehaltsordnung verabschiedet sei, auf lange Zeit hinaus das geschehen sei, was geschehen mußte. In der Frage der Vereinfachung der Staatsverwal­tung glaube er, daß mit allgemeinen Andeutungen nicht gedient sei, vielmehr könne man nur mit eingehenden Begründungen an die Oeffentlichkeit treten. Die Staats­regierung werde in dieser Frage mit Energie oorgehen, aber die Vereinfachungen könnten natürlich nicht über Nacht ein- treten. Zur Gehaltsordnung konstatierte der Ministerpräsident, daß sich nach den bisherigen Erklärungen der Abgeordneten das Haus einer Lösung dieser Ausgabe nicht entziehen werde. Von Beamten seien allerdings recht unerquickliche Aeußer- ungen vorliegend, aber er bitte diese Beamten, doch auch an die Stimmung der Zweiten Kammer in dieser Frage zu denken. Minister v. Pischek äußerte sich noch kurz zu verschiedenen sein Ressort betreffenden Fragen, wobei er die Bemerkungen verschiedener Redner über die Zustände bei der Stuttgarter Polizei als übertrieben bezeichnte und bezüglich der Vereinfachung der Staatsverwaltung einige Mitteilungen machte. Nächste Sitzung Samstag.

Tages-Nemgkeiten.

Aus Stadt und Land.

Nagold, den 4. Februar 1911.

:: Missionskonferenz. Eine ansehnliche Missions­gemeinde fand sich vorgestern im hiesigen Vereinshause zu­sammen, um der Missionskonferenz, welcher diesmal ganz besonderes Interesse entgegengebracht wurde, anzuwohnen. Besonders zahlreich war die Einwohnerschaft von Sulz ver­treten, die die Gelegenheit benützte, ihren früheren Geist­lichen, H. Pfarrer Knapp, nunmehrigen Religionslehrer am Baseler Missionshaus, wieder zu hören und zu begrüßen. Er, der Hauptredner des Tages, sprach über das Thema: Unser dringendstes Bedürfnis". Wohl brauche die Mis­sion Geldmittel, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden (die Basler Mission allein jährlich 2 Millionen Franken), aber das Geld sei nicht der wichtigste Faktor, ungleich wichtiger seien die Arbeiter im Dienste der Mission, die Qualität der Missionare: am wichtigsten jedoch sei das Feuer, die an­haltende heilige Glut vom himmlischen Altar. Manches ernste Wort wurde geredet, mancher Einblick in die Misstons­zentrale zu Basel gewonnen, im stillen auch wohl mancher Vorsatz gefaßt, der Reichsgottessache künftig mit mehr Hin­gebung zu dienen als bisher.

* Die Mitglieder der gewerbliche»» Berufs- genosfenschaften (Arbeiter-Unfallversicherung) haben in Gemäßheit des § 99 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 30. Juni 1900 den Vorständen ihrer Genossenschaften binnen 6 Wochen nach Ablauf des Rechnungsjahres (11. Febr. 1911) zum Zwecke der Verteilung der Gesamtumlage eine Nachweisung über die im verflossenen Jahre beschäftigten versicherungspflichtigen Personen und die von denselben ver­dienten Löhne und Gehälter einzureichen. Für Mitglieder, welche mit der Einsendung einer solchen Nachweisung im Rückstände bleiben, erfolgt die Feststellung der Löhne straf­weise durch die zuständigen Organe der Genossenschaft. Außerdem können derartig säumige Mitglieder gemäß tz 147 des obigen Gesetzes mit einer Geldstrafe bis zu 300 Mark belegt werden. Es sei deshalb hierdurch an die Einreich­ung der betreffenden Lohnnachweisungen erinnert und auf die Folgen der etwaigen Versäumnis hingewiesen.

* Zigarrenspitzen. Es dürfte von Wert sein, mit­zuteilen, daß die Sammelstelle für Zigarrenspitzen von Herrn Hausmeister Schüle im K. Seminar in dankens­werter Weise übernommen worden ist. Möge der wohltätige Gebrauch recht fleißig geübt werden.

r Stuttgart, 3. Febr. (Dank des Hauses Bis­marck an Adolf von Kröner). Aus der fürstlichen Gärtnerei in Friedrichsruh ist eine kostbare Kranzspende und ein in den herzlichsten Worten abgefaßtes Beileidsschreiben der Fürstin Herbert von Bismarck bei den Hinterbliebenen des Geh. Kommerzienrats Dr. Adolf von Kröner, des Ver­legers des Altreichskanzlers, eingetroffen.

p Stuttgart, '3. Febr. Zur Frage der Vereinfachung der Staatsverwaltung teilte der Minister des Innern Dr. v. Pischek in der heutigen Sitzung der Abgeordnetenkammer mit, daß er keineswegs die Absicht habe, die Aufhebung von zwei Kreisregierungen vorzuschlagen, vielmehr werde der Vorschlag dahin lauten, sämtliche vier Kreis­regierungen aufzucheben.

i- Ziehung. Bei der auf der Stadtdirektion vor­genommenen Ziehung der Geldlotterie zu Gunsten des Mu­seums für Länder- und Völkerkunde fiel der Hauptgewinn von 50000 ^ auf Nr. 74726, der zweite Gewinn von 15000 ^ auf Nr. 68506, der dritte Gewinn von 5000 ^ auf Nr 69 313, je 1000 ^ fielen auf die Nummern 12 933, 65942, 16182. je 500 ^ auf 63 676, 73811, 22036, 77356, 92625, 14778. (Ohne Gewähr.)

r Gmünd, 3. Febr. (Ein Jubilar.) Der lang­jährige Vorstand der hiesigen Präparandenanstalt, der seiner­zeit «ach seiner Pensionierung erst in Munderkingen, und seit 1900 hier lebt, Oberlehrer a. D. Ferdinand Straub, ist gestern 91 Jahre alt geworden. Er hat über 50 Jahre lang der Volksschule angehört und ist gegenwärtig der älteste Angehörige der katholischen Lehrerschaft des Landes.

i- Heilbronn, 3. Febr. (Betrüger.) Der Mechaniker Josef Schmid von Wurmlingen OA. Tuttlingen hat nach seiner vor einiger Zeit erfolgten Entlassung aus dem Zucht­haus Ludwigsburg zum Nachteil der Familie des früheren Schultheißen Bosch in Stockheim einen schweren Betrugs­versuch gemacht. Obgleich Schmid nach verschiedenen ärzt­lichen Gutachten die Geisteskrankheit nur simuliert, mußte infolge seines apathischen Verhaltens rc. seine Einweisung in eine Irrenanstalt erfolgen und das Verfahren gegen ihn einstweilen eingestellt werden. In letzter Zeit haben mehr-