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85. Jahrgang.

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Dienstag, den 3l. Januar

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Kgl. Oderamt Nagold.

Warnung

vor dem Geheimmittel: Winter s natürliche Ge­sundheitshersteller bezw. Nalther-Tabletten.

Die M. A. Winter Co. in Washington, D.C., Nordamerika versucht zur Zeit im Bezirke Vertreter für den Vertrieb des obengenannten wertlosen und vom freien Verkauf ausgeschlossenen Geheimmittels aufzustellen.

Da der Vertrieb dieses Mittels strafbar ist, werden die Bezirksangehörigen davor dringend gewarnt, sich mit dieser Schwindelsirma einzulasssu.

Die Ortspolizeibehörden wollen die Einwohnerschaft auf Vorstehendes Hinweisen und ihrerseits aufklärend wirken. (Zu vgl. auch die im Gesellschafter Nr. 21 im lokalen Teil erschienene Warnung.)

Nagold, 30. Jan. 1911. Kommerell.

Politische Übersicht.

Der von der spanischen Regierung vorbereitete

Entwurf des Vereinsgesetzes ist in dem die religiösen Kon­gregationen betreffenden Teil dem Waideck-Rousseauschen Gesetz nachgebildet. Er wird vornehmlich jede Gelübde fordernde Vereinigung, mag sie sich auf das Konkordat stützen oder nicht, untersagen, die, einer fremden Macht ge­horchend, einen religiösen oder lediglich materiellen Zweck ver­folgt. Dagegen soll die freie Vereinigung ohne Gelübde von solchen Personen, die sich einem religiösen Zweck, wie der Gedetsübung oder der Kranken- und Armenpflege, widmen wollen, gestattet sein. Minderjährige können religiösen Ge­nossenschaften nicht angehören. In Barcelona ist zur Ab­wechslung wieder einmal eine Bombe geplatzt, und zwar vor dem Volkshaus. Schaden hat sie nicht angerichtet.

Der portugiesische Minister des Neuster», er­klärte, daß die Lage Portugals sich in dm ersten Wochen des neuen Jahres in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht weiter gebessert habe. Binnen 30 Tagen werde ein Erlaß über die Trennung von Siaat und Kirche erscheinen.

Die persische Regierung leistete von Rußland geforderte hohe Entschädigungen für Angriffe und Ueberfälle persischer Räuber auf russische Untertanen. Gleichzeitig zahlte die persische Regierung der englischen Gesandtschaft 3000 Toman als Entschädigung für die Ermordung zweier indischen Sepoys, die sich in der Eskorte des englischen Konsuls befanden, als er im vergangenen Jahr von Buschir nach Schiras reiste.

Der Boreutwurs zur griechischen Berfassnngs- reoision enthält verschiedene grundlegende Abänderungen der Verfassung. Der Entwurf empfiehlt die Wiederherstellung des Staatsrates, die Schaffung des Postens eines Minister­präsidenten ohne Portefeuille, die Wahlprüfung der Parla- mentsmandate durch den Kassationshos, die Erhöhung der parlamentarischen Diäten, eine Geldstrafe in Höhe von 20 Drachmen für jede unentschuldigte Abwesenheit eines Abge­ordneten und eine Modifikation der Bestimmungen über etwaige Acnderungen der Verfassung.

Zweihundert peruanische Soldaten haben den Grenzort Chacras in Ecuador angegriffen. Drei Ekuado­rianer wurden getötet, acht verwundet.

Der frühere koreanische Gesandte in Peters­burg und Vetter des entthronten Kaisers von Korea, Prinz Pomtschiny, der nun als Privatmann in einem Petersburger Vorort in äußerst bescheidenen Verhältnissen lebte, hat sich

erhängt. In Briefen erklärte der Prinz, er könne den Verlust der Selbständigkeit Koreas nicht überleben. Der Prinz hatte vor einigen Tagen bei einem Bureau die Be­stattungskosten erlegt.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 28. Jan.

Elsaß-lothringische Versassnngsberatung.

Winkler (k.): mit dem Optimismus der Vorlage kommen wir nicht weit. Die Begründung der Vorlage ist sehr knapp gehalten. Solange der Diktaturparagraph noch bestand war er eine schlechte Anlage französischen Geldes, in elsaß-lothr. Zeitschriften gesteckt zu werden. (Wetterle ruft: Infame Insinuation, wofür er vom Präsidenten einen Ordnungsruf erhält). Die Zusammensetzung der Zweiten Kammer muß unbedingt in das Verfassungsgesetz hinein. Ueber das Wahlrecht äußere ich mich jetzt nicht. Wir können den Vorschlägen des Entwurfes nicht zusttmmen und am aller­wenigsten der elsaß-lothringischen Gesetzgebung die Befugnis geben, späterhin das Wahlrecht zu ändern. Vielleicht bringt die Kommissionsberatung Beruhigung. Einstweilen haben wir schwere Besorgnisse. (Beifall rechts).

Reichskanzler von Bethmann-Hollweg: Die über­wiegend günstige Stimmung vor einem Jahr hat einer skep­tischen, vielfach ablehnenden Auffassung Platz gemacht. Die pessimistische Auffassung denkt nur an eine Einverleibung. Hinter den Kulissen ist dies allen Ernstes vorgeschlagen. (Hört, hört!) Das wäre aber im stärksten Gegensatz zur ganzen bisherigen Politik, zur Bismarckischen Politik. Alle geschaffenen Werte geistiger und materieller Art würden wir dadurch vernichten. Der ganze bisherige Operationsplan würde über den Haufen geworfen werden. Man sagt, an­gesichts der schmerzlichen Erscheinung der letzten Zeit hätte auch Bismarck seinen Plan geändert. Er hat aber ange­sichts des Protestteriums an seiner Politik doch ohne Wan­ken festgehalten. Wir müssen mehr als bisher die politische, die kulturelle und vor allem auch wirtschaftliche Schwer­kraft Deutschlands zur Anziehungskraft für Elsaß-Lothringen werden lassen. Eine Politik der Nachgiebigkeit und des Entgegenkommens gegen die Elemente, die gegen den An­schluß an Deutschland schüren und Hetzen, hat uns nur rück­wärts gebracht (Beifall.) Diese Elemente müssen die Hand des Gesetzes fühlen. Solche Bestrebungen wie in Metz und Dörnach werden mit aller Energie unterdrückt. Man kann aber für solche Vorgänge nicht die ganze Bevölkerung ver­antwortlich machen. Eine partikularistische Wirkung der Vorlage darf man nicht schlechthin mit einer Stärkung des Protestlertums vergleichen. Das Reich soll die Stämme einigen, aber nicht unterwerfen. Es soll den Rahmen abgeben, in dem sich die Eigenart der Stämme unbeschadet des ganzen Entwickclungsganges erhält. Was die Bundes­ratsstimmen in inneren wirtschaftlichen Fragen anlangt, so ist das Rätsel noch nicht gelöst, wie man aus dem Ge­samtkomplex der vom Bundesrat zu erledigenden Geschäfte die inner-wirtschaftlichen Fragen herausnehmen soll. Wir können nicht nach Elsaß-Lothringen ein beliebiges fremdes Wahlrecht verpflanzen. Das Wahlrecht ist nicht Sache eines Dogmas, es muß nach den Verhältnissen geschaffen sein. Wollten wir in Preußen durch das Wahlrecht den Massen die Herrschaft über das Parlament und etwa auch über die Regierung geben, dann würde das, da die Reichsleitung doch auch die preußischen Stimmen im Bundesrat führt, einer Desorganisation des deutschen Reiches gleichkommen. Preußen wird sein Wahlrecht ohne Rücksicht auf die Muster anderer Staaten so gestalten, daß es seine konstante staats- erhaltende Reichspolitik fortsetzen kann. In der Stellung des Statthalters als Stütze der reichsländischen Regierung und in der Stellung des Reichskanzlers zum Statthalter wird durch unsere Vorschläge nichts geändert. Von der Forderung des Zw ei kam me »Systems, daserkläre ich mit aller 'Bestimmtheit, werden die verbündeten Regierungen nicht abgchen. Dieses System muß ein Bollwerk sein, das eine jedem Zweifel entrückte deutsche Politik in den Reichs­landen gewährleistet. Das sind nationale Forderungen.

Preiß (Els.Dem.): Unsere Forderung der Autonomie scheint unangenehm zu fein, weil man uns nicht als Mit­glied, sondern als Werkzeug für gewisse Bestrebungen be­trachtet. Die Vorgänge in Metz können die Aufrechterhal­tung des Ausnahme-Regimes nicht begründen. Die Vorlage ist ein Gelegenheits-Produkt. Niemand in Elsaß-Lothringen will von einer Monarchie etwas wissen. Das Land ist streng demokratisch. Wenigstens soll man uns den lebens­länglichen Statthalter geben, um die Landesverwaltung von Berlin unabhängig zu machen. Wir fordern das allgemeine gleiche Wahlrecht. Absolut unannehmbar ist das Ernen­nungsrecht zur ersten Kammer.

Liebermann v. Sonnenberg (w. Vg.): Diese Rede beweist, daß der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, Elsaß- Lothringen eine eigene Verfassung zu geben. Die Mehrheit der Bevölkerung ist noch nicht würdig dafür. (Widerspruch der Elsäßer.) Der Vorredner erklärt die erste Kammer für unannehmbar. Der Deutsche lebt im Reichslande wie im Feindesland. (Lachen und Widerspruch.) Unsere Soldaten werden bei jeder Gelegenheit übervorteilt. (Heftiger Wider­spruchs der Elsäßer.) Wir lehnen die Vorlage vollständig ab und halten die geplante Verfassungsänderung für eine Gefahr für die Sicherheit des Reiches. Das beste wäre die Zurückziehung der Vorlage. Der nächste Krieg wird durch die elsaß-lothringische Verfassung unter Umständen in größere Nähe gerückt. (Heiterkeit und Ohorufe.) Das sage ich, ob­wohl ein Appell an die Furcht keinen Widerhall im deut­schen Herzen findet. (Abg. Ledebour ruft: Sie Angstmeier!) Das ist eine Gemeinheit von Ihrer Seite. Dieses erneute Entgegenkommen an Elsaß-Lothringen muß direkt auf­reizend aus Frankreich wirken.

Staatssekr. Delbrück: Der Abg. Preiß hat mit seiner Rede die Sympathien für seine weitergehenden Forderungen sicherlich nicht verstärkt. Er hat offenbar einen Mißgriff getan. Das beweist schon der letzte Redner. Der Borwurf, daß unsere Truppen im Reichslande schlecht und unfreund­lich behandelt würden, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Nach Schluß der Uebungen haben die kommandierenden Generale sogar der Bevölkerung ihren Dank aussprochen lassen für die freundliche und gute Behandlung, deren sich die Mannschaften zu erfreuen hätten. (Lebh. hört, hört!) Die Verfügung des Polizei-Präsidenten von Mülhausen ist zweifellos ein Mißgriff, eine starke Entgleisung des Beamten, die vom Statthalter mit aller Entschiedenheit gerügt worden ist. Die Ausführungen des Abg. Preiß entsprechen nicht der Ansicht der Mehrheit der elsäßischen Bevölkerung. Es ist zweifellos unberechtigt, wenn er behauptet, wir behandelten die Elsaß-Lothringer wie eine Hottentotten-Bevölkerung, wie einen fremden Volksstamm. Der Staatssekretär äußert die Hoffnung, daß die Verhandlungen in der Kommission und im Plenum der optimistischen Auffassung der Regierung Recht geben würden und die Elsaß-Lothringer das nehmen würden, was erreichbar ist.

Frhr. v. Hertling (Z.): Die Ausführungen des Herrn von Liebermann entsprechen wenig dem Geist der Versöh­nung. Auch die Ausführungen des Abg. Preiß bedauern wir, umsomehr, als sie aus elsäßischem Munde kommen. (Beifall.) Im Gegensatz zum Abg. v. Liebermann erklären wir, eine elsäßische Frage gibt es nicht mehr, weder als deutsche noch als internationale Frage. (Lebhafter Beifall.) Auch wir reklamieren für unsere elsäßischen Freunde, Trä­ger des deutschen Gedankens zu sein. Tatsächlichen Auf­lehnungen gegen die Staatsgewalt muß nachdrücklich ent- gegcngetreten werden. Wir danken dem Fürsten Bismarck, daß er das Reich so gestaltet hat, wie er es getan hat. (Beifall und hört, hört!) Wir sind prinzipiell für die Ein­führung des Rcichstagswahlrechts auch in den Reichslanden. An den von der Regierung vorgeschlageneu Einschränkun­gen werden wir die Vorlage nicht scheitern lassen. (Beifall im Zentrum.)

Böhle (S.): Der Klerus war es, der die elsaß-lothr. Bevölkerung lange im Glauben gehalten hat, daß einst der Tag kommen werde, der Elsaß-Lothringen wieder mit Frank­reich vereinen werde. (Unruhe im Zentrum).

Gregoire (Hosp. d. Natl.): Wir beklagen aufs tiefste die Angriffe des Herrn v. Liebermann auf das elsäß. Volk und weisen sie scharf zurück. Der Entwurf bringt eine Enttäuschung, eine Teilreform, ein Stückwerk, aber immerhin einen Schritt vorwärts. Vor Allem das freiheit­liche Wahlrecht, die fehlende Vertretung im Bundesrat ist ein schweres Hindernis für die Neichsfreudigkeit.

Höffel (Rp.): Man darf die letzten Vorgänge nicht zu tragisch nehmen. Störenfriede gibt es überall. Unsere Regierung sucht den richtigen Weg zu finden. Das Land sehnt sich nach langen Jahren nach einer Berfassungs- erweiterung. Am Reichstag -ist es nun, aus der Vorlage etwas Brauchbares zu machen.

Hierauf hält der elsaß-lothr. Zentrumsabg. Wetterle eine scharfe Rede vom nationalistischen Standpunkte.

Ihm antwortet Staatssekretär Zorn von Bulach, in­dem er die Angriffe als Übertreibung zurückweist und sagt, die Mehrheit der elsaß-lothringischen Bevölkerung nehme die Vorlage mit Dankbarkeit an. Er selbst würde ja als El­säßer es gerne sehen, wenn die volle Autonomie gewährt werden würde, aber er hoffe, daß er dies noch erleben werde.

Hierauf schließt die Debatte. Die Vorlage wird an eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen. Es folgen noch eine lange Reihe von persönlichen Bemerkungen.