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Fernsprecher Nr. 29.

84. Jahrgang.

Fernsprecher Nr. 29.

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Beilagen. Plauderstübchen,

* Illustr. Sonntagsblatt und

Schwäb. Landwirt.

Politische Uebersicht.

Die ganze führende Presse Englands beschäftigt

sich eingehend mit dem Leipziger Spionageprozeß. Die Offenheit, mit der die beiden Angeklagten ihre Schuld ge­standen, ruft großes Erstaunen hervor. DieDaily News" und einige andere Blätter machen besonders daraus ausmerk- sam, daß dieser Spionagesall gegen alle deutsche Tradition öffentlich verhandelt wurde, weil die deutschen Behörden den Wunsch hatten, aller Welt zu zeigen, daß die Angeklagten so zuvorkommend und milde als möglich behandelt wurden. Bei aller Sympathie für die verurteilten Offiziere findet man im allgemeinen an dem Urteil nichts auszusetzen und erkennt das faire Verhalten des Gerichtshofs gegenüber den Angeklagten an. Man spricht dem Fall zugleich jede politische Bedeutung ab.Daily Chronicle" sagt, wenn ausländische Offiziere von unseren Gerichtshöfen wegen der­selben Vergehen verurteilt worden wären, so würden sie den schwersten Strafen verfallen sein, die das englische Gesetz kennt.Morning Post" sagt gegenüber den Ausführungen des Reichsanwalts: Die Versuche, Kenntnis von den Ver­teidigungsanlagen zu erhalten, schließen einen Angriffsplan ebensowenig ein, wie der Bau und die Armierung von Schiffen als ein Zeichen dafür genommen werden können, daß ein Angriff beabsichtigt wird; es wäre sehr zu beklagen, wenn der gegenwärtige Fall zu einer Vermehrung des Argwohns und der Mißstimmung in Deutschland gegen England führen sollte. In Anbetracht dieser Möglichkeit ist es zu bedauern, daß die deutschen Behörden dem Ver­fahren eine so große Oeffentlichkeit gegeben haben und daß Äußerungen gefallen sind, die geeignet sind, die öffentliche Meinung aufzuregen.Standard" will den Glauben er­wecken, daß die beiden Offiziere ohne Wissen ihrer Vorge­setzten gehandelt hätten. Auch dieTimes", denen wie den anderen Blättern die ganze Spionageaffäre große Verlegen­heit bereitet, bemühen sich, den Glauben an einen Zusammen­hang zwischen demDiensteifer der Offiziere" und den Zielen der englischen Regierung zu zerstören.

Die Stimmung in der russischen Studenten­schaft ist stark erregt; 'täglich finden größere und kleinere Versammlungen und Zusammenstöße mit der Polizei statt. Weiter besteht die Absicht, gemeinsam mit den Arbeitern größere Demonstrationen zu veranstalten. Wohl im Hinblick hieraus hat der Ministerrat angeordnet, diejenigen Studenten sofort aus den Hochschulen auszuschließen, die zu Versamm­lungen auffordern, diese leiten oder die durch ihr Auftreten hartnäckig gegen die Gesetze und gegen die Schulordnung verstoßen.

Die portugiesische Regierung Hut einen Ver­fassungsgesetz-Entwurf ausgearbeitet, den sie der Kammer vorlegen wird. Die Absicht, dem Präsidenten ein größeres

Der damische Teufel*).

Humoreske von Maximilian Krauß.

Ein Münchner Sportzug auf dem Tegernseer Bahnhof. Alles drängt schon auf die Plattform der Wagen hinaus. Man kann es kaum erwarten, bis der Zug hält. Denn nun hockt man schon anderthalb Stunden in den Coupes bei­sammen, ein Chaos von Männlein und Weiblein, Skiern und Rodelschlitten und Rucksäcken, und hat nichts als den würzigen Ausblick durchs Fenster auf die strahlende, funkelnde Winterlandschaft, auf die Berge, die immer näher kamen, immer herrlicher emportauchlen in den tiefblauen Himmel... Da hat jeder den Wunsch: Außi möcht' i!

Und nun stiebt das Volk auseinander, jeder einzelne seinen Wintersportabenteuern entgegen. Nur noch ein paar ganz langsame, ein paar Umstandskrämer an der Perron­sperre, die mit ihren Skiern, Rucksäcken und Rodeln nicht fertig werden.

Darunter ein Freund von mir. der Huber Nazzi. Ein ganz braver, etwas sehr dicker Mensch, der in einem Münch- ner Aemtlein ein nicht unbeschauliches Dasein führt und auch sonst sich noch nichts hat zuschulden kommen lassen; nur schlecht terteln tut er. Er verpatzt jedes Spiel. Und wie!

r er seine erste Rodelpartie. In Fürsten-

seldomljr, auf der Kinderrodelbahn, hat er am lehten

*) Wir entnehme» diese Skizze des bekannten Münchner Feuilletv- der letzten Nummer (3521) der Leipziger Illustrierten d>e. >n der Hauptsache der Schilderung der landschast-

Schönheiten des Winters und dessen sportlichen Reizen gewid­met ist. Bilder und Text, beide in bunter Fülle, ergänzen sich auss beste, und der Erwerb dieses Sonderheftes kann ebenso wie das auf die beliebte Wochenschrift, das eine Reihe besonderer Vorteile bietet, nur empfohlen werden.

Mittwoch, den 28. Jezemöer

Maß von Vollmachten zu verleihen, scheint aufgegeben zu sein. Die Republik wird parlamentarischen Charakter tragen und die Regierung wird das Gleichgewicht zwischen Legislative und Exekutive zur Grundlage haben. Der Prä­sident wird von der gesetzgebenden Körperschaft auf fünf Jahre gewählt, und seine Machtbefugnisse können nicht sofort wieder erneuert werden. Es wird nur eine gesetz­gebende Versammlung geben, die auf drei Jahre gewählt wird. Die Minister des Krieges, der Finanzen, und der Marine, sowie der Minister der öffentlichen Arbeiten werden als außerhalb der Politik stehend betrachtet und werden deshalb unabsetzbar sein.

Wie amtlich aus der Türkei gemeldet wird,

ist ein Bataillon in Tafileh, südlich von Kerak, eingezogen und hat 36 Aufständische, darunter zwei ihrer Führer, sest- genommen. Die Aufständischen hatten die Häuser der Be­amten und die Telegraphendrähte zerstört. Die italienische Regierung hat den Vorschlag der Pforte, den Zwischenfall von Hodeida durch ein Schiedsgericht zum Austrag zu bringen, angenommen.

Zur Reform der Rechtspflege.

Karlsruhe, 27. Dezbr. DieKarlsruher Ztg." gibt bemerkenswerter Weise folgenden Auslassungen, die sich in derKöln. Ztg." finden, Raum:

Mehrere Juristen und Nichtjuristen veröffentlichen einen Aufruf, in dem sie die Reformbedürftigkeit der heutigen Rechtspflege als eine allgemein anerkannte Tatsache bezeich­nen und u. a. verlangen, daß die Rechtswissenschaft mit der Praxis in engere Verbindung trete, indem einerseits Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte als Rechtslehrer herangezogen werden, andererseits die Universitätsprofessoren möglichst gleichzeitig in der praktischen Rechtspflege tätig sind. Der Praktiker wird durch die engere Fühlung mit der Theorie vor der Gefahr bewahrt sein, in routinenmäßiger Arbeit sich zu erschöpfen, während an die Stelle des noch nicht ganz ausgestorbenen Stubengelehrten von selbst der praktisch geschulte Lehrer und Forscher tritt, der seine Hörer zu juristischem Denken erzieht, der die Rechtsgedanken im Zusammenhänge mit der Kulturentwickiung verfolgt, und der dadurch, daß er ihre Richtungslinien aufdeckt, dem Ge­setzgeber und Richter die Wege weist.

Die Rechtssicherheit müsse vor allem in der unab­hängigen Persönlichkeit des Richters, seiner wissenschaftlichen Bildung und praktischen Erfahrung gesucht werden. Die Gesetzesauslegung soll keine philologische Tätigkeit und Pa- ragraphenentzifferung, sondern sie soll eine Anpassung an die Forderung des praktischen Lebens sein. Es kommt nicht allein darauf an, was sich aus den Gesetzesworten hcraus- lesen läßt, sondern vor allem darauf, daß die Ergebnisse, zu denen eine Auslegung führt, brauchbar sind. Die Juristen

Sonntag den Sport ausprobiert. Die Kinder haben eine Mordsgaudi dabei gehabt. Denn der Nazi mit seinen hundertachtzig Pfund hat beim Rodeln ganz merkwürdige Kapriolen ausgesührt. So etwa, wie wenn ein Elefant Menuett tanzt. Aber schließlich hat er sich mit feinem Rodel doch so ziemlich angefreundet, und das Resultat war, daß er in seinem stolz geschwellten Sportbewußtsein beschloß, alsbald einem Rodelberg eine Visite zu machen.

Und so kam er heute nach Tegernsee, vergnügt und aufgeräumt wie ein Spatz.

Wie er seine Körperfülle nebst dem Rodel, den er auf dem Rücken trug, durch die Perronsperre glücklich durch- gezwängt hatte, hört er hinter sich seinen Namen rufen.

Er schaut sich um, und der ganze Humor, der ihn bisher erfüllt Hatte, war flöten gegangen. Denn der, der ihn gerufen hatte, war sein größter Feind, der Weberwastl, auch Sportsmann und auch Kartenspieler. Aber einer, der das Terteln kann, ein richtigerChampignon der Tertel- karte", wie man ihn am Stammtisch getauft hatte.

Noch einmal ruft der Wastl. Aber Nazi brummt was in seinen Bart, das nicht gerade eine höfische Liebenswürdig­keit war, und geht seiner Wege. Man wird sich doch nicht mehr mit einem solchen Kerl einlassen, der einen eoram xublieo, vor der ganzen Tertelkorona nicht nur einen Patzer, einen elendigen Patzer, sondern auch noch einen damischen Teufel schimpfte? Damischer Teufel so eine Gemeinheit! Das ist gegen die persönliche Ehre. Und darum Schluß mit einer solchen Freundschaft.

In dieser Form setzte sich der Huber Nazi mit dem Wastl auseinander, den er einen Lackl nannte, worauf dieser noch einmal mit einem damischen Teufel quittierte. Und so kamen die zwei Männer, die jahrelange Freunde gewesen waren, auseinander. So weit auseinander, daß nicht ein-

1910

sollen keine abgeschlossene Kaste bilden. Die Forderung, daß sie mit dem Volke Fühlung nehmen und daß sie sich dem Volke verständlich machen, müsse daher nicht nur vom Standpunkt des Recht suchenden Publikums, sondern sie müsse vor allem auch vom Standpunkt der Handelsrichter, Geschworenen und Schöffen gestellt werden.

Daher sollte die Iustizresormfrage nicht als eine spezi­fisch-juristische Frage angesehen werden. Es sollten sich viel­mehr solche Juristen, die einen weiteren Gesichtskreis haben, mit führenden Persönlichkeiten anderer Berufsstände zusam­menschließen, um die Bewegung in ihrem Gange zu be­schleunigen und damit die Rechtsprechung dem Volke wieder näher zu bringen." _

Tages-Neuigkeiten.

Aus Stadt und Land.

Altensteig, 27. Dez. Wie man hört, soll im Kon­kurs des Fabrikanten Schmitz nach der Bekanntgabe des Konkursverwalters im Prüfungstermin der Schuldenstand sich auf ca. 225 OM ^ belaufen, dem ein Aktiostand von nur 30000 gegenllberstehen soll. Von diesem sollen zu­nächst bevorrechtigte und absonderungsberechtigte Gläubiger zu befriedigen sein und zwar in Höhe von 19 200-H, sodaß für die unbevorrechtigten Gläubiger, welche 206 OM ^ zu fordern haben sollen, ca. 11300 ^6 verbleiben und diese so­nach eine Befriedigung ^erwarten dürfen von m. 4-^" g.

m Schietingert, 26. Dezbr. Gestern abend veran­staltete Herr Lehrer Schllßler mit seinen Schülern in dem Schulhaus eine Weihnachtsfeier, welche zahlreich besucht war. Die Schüler leisteten in Deklamationen und historischen Aufführungen recht Gutes und jedermann war hochbefriedigt und dankbar.

Schneebericht: Frcndenstadt: Schneehöhe>1520 em, Ski-Gelände: gut fahrbar, 2 Grad Kälte. Es schneit noch immer leicht.

p Stuttgart, 27. Dez. Präsident a. D. Karl v. Doll, früher Regierungsdirektor beim Verwaltungsrat der Gebäudebrandversicherungsanstalt ist am Samstag in Cann­statt gestorben.

Stnttgart, 26. Dez. Die Stuttgarter Gemeinde­kollegien haben in den Bezirks rat für Groß-Stuttgart für die Periode 191113 als ordentliche Mitglieder gewählt: Oberbürgermeister v. Gauß, Bürgerausschußmitalied Dr. Erlanger, Oberregierungsrat a. D. o. Diefenbach, Redakteur Landtagsabg. Heymann, Redakteur Landtagsabg. Hilden­brand und Bankier Max Hartenstein-Cannstatt; als Stell­vertreter: Landtagsabg. Baumann, Landtagsabg. Fischer, Bürgermeister Dr. Rettich und Rechtsrat Dr. Dollinger.

mal die gemeinsame Liebe zum Rodelsport sie wieder zu- sammenzufügen vermochte.

Ein wenig verstimmt über die unvermutete Begegnung entschloß sich Nazi zu einem Schoppen Roten, obwohl er in München schon gehörig untergelegt hatte. Erstens konnte es nicht schaden, zweitens schwemmte es den aufquellenden Haß hinunter, und drittens ging man durch den kleinen Aufent­halt dem Wastl, diesem elenden Menschen, aus dem Weä . .

Der Schoppen Rote war gut. Er brachte meinen Nazi wieder ins Gleichgewicht, und aufgeräumt trat er nun den Weg zum Hirschberg an. Von dort wollte er herunterrodeln und damit sich gewissermaßen das Patent als fertiger Rodel­sportler holen.

Zuerst ging die Sache ganz gut. Allenthalben ermun­terte er sich durch öftere Umschau. Je höher er kam, um so prächtiger gestaltete sich das Landschaftsbild mit seinen großartigen Farbenkontrasten, dem blendenden Schnee, den tiefblauen Schatten und dem leuchtenden Blau des Himmels, eine Symphonie von Weiß und Blau, die sogar die patrio­tische Saite im Herzen meines Nazi erklingen machte, denn er fand diese Winterlandschaftecht bayrisch".

Allmählich aber verlor er das Interesse an den Farben­nuancen im besonderen wie an der Natur im allgemeinen und hatte nur den einen Wunsch, endlich das Unterkunfts­haus zu erreichen. Das stundenlange Steigen auf der zum Teil scharf gefrorenen, glatten Bahn ermüdete den schweren Mann ebensosehr, wie es seine Kehle austrocknete, und be­sonders dieses war ein Zustand, der seinen Sportenthusias­mus ganz erheblich herabstimmte.

Schimpfend, stöhnend, strauchelnd, rutschend und wieder schimpfend so ging's empor. Dutzende von Rodlern und Rodlerinnen sausten mit lautem Hallo in schneidiger Fahrt an ihm vorüber bergab, und mehr als einmal kam