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— Das „Berl. Tagebl." bringt folgende Mitteilung: „Es ist eine von den verschiedensten Seiten verbürgte Thatsache, daß die Umgebung des Zaren, deren Seele bekanntlich Pobedonoszeff, der Präses des Heiligen Synods und ehemaliger Lehrer des Kaisers, ist, sich die erdenklichste Mühe gab und gibt, den Besuch in Berlin und überhaupt in Deutschland zu hinter, treiben. Unter anderm — so wird uns von besonderer Seite au« der rufst« scheu Hauptstadt geschrieben — suchten sich diese Herren alle» aus den offiziösen deutschen Hetzartikeln zusammen, was den Kaiser erregen konnte, und spielten es ihm in die Hände. Bei seinem leicht erregbaren Temperament und bei seinen an und für sich sehr geringen Sympathien für Deutschland gelang es ihnen oft, den Zaren zornig zu stimmen und ihm klar zu machen, in Berlin verfolge man vor allem die Absicht, Rußland zu einem Angriffskriege zu prooocieren, damit sich die anderen Großstaaten gleichfalls gegen den Friedensbrecher erheben müßten. Als vor einiger Zeit jene Herren, wiederum an der Hand deutsch-offiziöser Hetzarttkel, diesen Beweis zu führen suchten — namentlich der Hofminister Graf Woronzoff-Daschkoff bemühte sich, das zu thun — brauste der Zar auf und rief in drastisch scharfen Ausdrücken mit Bezug auf den Artikel aus: „Ich werde den Teufel thun und gerade dann Krieg anfangen, wenn es denen da draußen beliebt!" So ungefähr würde der russischgesprochene Satz in deutscher Uebersetzung lauten. Uebrigens soll neuerdings der Brief Kaiser Wilhelms, welcher das Bild, „Die Ankunft in Petershos" begleitete, sehr warm gehalten gewesen sein und den Zaren wesentlich umgestimmt haben. Seitdem ist Pobedonoszeff die Wühlarbeit sehr erschwert und GierS findet etwas geneigteres Gehör."
— Während die gestern erwähnten Nachrichten aus Ostafrika von riüem bevorstehenden Angriff WißmannS gegen Busckiri sprechen, scheint dieser Letztere selber sich vom Innern au« mit neuen Angriffsplänen auf die Küste zu tragen. Wie dem New-Aork Herald aus Sansibar den 1. Aug. berichtet wird, sandte Buschili an die Einwohner von Bagamoyo und die Nachbarschaft eine Drohbotschaft, worin er ihnen verbietet, den Deutschen Lebensmittel zu liefern. Man glaubt, er sei mit einer schnellfeuernden Kanone, welche er mutmaßlich der deutschen Station Mpwapwa geraubt hat, im Anzug, um Bagamoyo anzugreifen. In Sansibar, sowie auf den Flotten der Mächte grassiert das Fieber. Die englische Flotte leidet augenscheinlich am meisten, auf dem Agamemnon allein sind von 400 Seeleuten 80 krank.
— Eine Depesche des Wolff'schen Telegrophenbureaus teilt mit, daß der zur Dienstleistung beim Auswärtigen Amte kommandierte Lieutenant Tappenbeck, öla suite de« Infanterie-Regiments Graf Barfuß, in Kamerun am Fieber gestorben ist. Die Nachricht wird überall schmerz, liche Teilnahme erwecken. Hauptmann Kund ist sofort auf die Nachricht vom Hinscheiden seines tapferen Regimentskameraden und treuen Reisegefährten nach Hamburg gereist, wo er sich auf dem heute abführenden Wörmann- dampfer eingeschifft hat, um so bald als möglich die Leitung der jetzt ver- waiften Station zu übernehmen.
Gcrges-WeurgkeiLen.
sAmtlichei.j Von der K. Regierung für den Schwarzwaldkreis wurde unterm 2. August d. I. der Revisionsassistent Wilhelm Schneider in Welzheim zum Stadtschullheißen in Liebenzell, OA. Calw, ernannt.
Wildbad, 2. Aug. Gestern hatten wir, wie im Vorjahre, den Kunstgenuß eines Konzertes von Teresina Tua, dessen zahlreicher Besuch einen erfreulichen Gegensatz zu dem der vorhergehenden Konzerte bildete. Die Leistungen der Künstlerin rissen die Zuhörerschaft zu wahren Beifallsstürmen hin. In der Ballade von Vieuxtemps beschwor sie die Helden der Vorzeit herauf, während besten unmittelbar folgende Polonaise einen anmutigen Gegensatz bildete. Das Adaaio und Finale au» dem 6 moll Konzert von Max Bruch war in den Schlußakkorden so bezaubernd, daß das
Publikum vorzeitig Beifall rief. Die frommen Weisen der Legende von Wieniawsky, das slavische Wiegenlied von Neruda, und zum Schluß die feurige andalusische Serenade von Sarasate, alles bot eine köstliche Blumenlese, für welche die Zuhörerschaft durch jedesmaligen Hervorruf dankte. Die Klavierbegleitung hatte Hr. Brüning übernommen. Die Sängerin Frau Wolfradt hatte sich krank gemeldet. Schw. M.
Tübingen, 1. Aug. Seine Majestät der König wurde glänzend empfangen und von zwei Abteilungen studentischer Reiter bis Lust« nau begleitet. Die Stadt zeigte reiche Beflaggung und Dekorierung der Häuser mit Girlanden u. s. w.; die städtischen Vereine, die Studentengesell» schäften und das Militär bildeten Spaliere. Am Bahnhof wurde Seins Majestät empfangen durch die Professoren der Universität, Rektor und Kanzler an der Spitze, alle im Talar, das Osfizierkorps und die Beamten. Die begleitende Kavalkade setzte sich zusammen aus 28 Mitgliedern der Korps und Verbindungen und 2 außerordentliche Professoren als Vorreitern. Die Stadtreiter hatten die Ehrenposten in Tübingen und vor dem Schloß in Beben. Hausen. In der Mühlstraße begrüßte Oberbürgermeister Gös Seine Majestät den König und sprach: „Mit Inschrift und einem Ver« von Uhland auf dieser Gedenktafel soll auch für kommende Geschlechter der Verehrung und Dankbarkeit gegen Eure Majestät Ausdruck gegeben werden. Wir bitten dieses Zeichen der Treue und Ergebenheit huldvollst entgeqenzu- nehmen." Darauf erwiederte Seine Majestät: „Ich danke Ihnen. Sie kennen ja Mein Wohlwollen für die Stadt Tübingen und Ich werde solches der Stadt auch für die Zukunft bewahren." Die Versammlung brach in begeisterte Hochrufe auf Seine Majestät aus.
Untertürkheim, 2. August. Diesen Vormittag wurde die Ernte durch ein heftiges Gewitter unterbrochen. Nach einigen starken Donnerschlägen schlug der Blitz in eine Telegraphenstange am Bahnübergang unmittelbar unter dem Ort, bevor man noch wußte, wo es eingeschlagen, erfolgte ein noch stärkerer Blitzschlag. Dieser tras ein in der Wilhelmsstraße gelegenes Doppelhaus, ohne zu zünden. Der Blitz fuhr durch das Kamin, und das Dach, beide beschädigend, in den Bühnenraum und von diesem in die Wohn, stube, an deren Wänden die vom Felde heimkommenden Bewohner ersehen konnten, welcher Gefahr sie entgangen waren.
Rohracker, 3. Aug. Die hiesigen Gemeinde, und Privathopfen, gärten stehen sehr schön, in frischem Grün, frei von allem Ungeziefer. Die Frühhopf-n, namentlich die der Drahtanlagen, zeigen völlig ausgewachsene, außerordentlich große und mehlreiche Dolden. Die Späthopfen stehen in schönster Blüte, viele tragen halbgewachsene Früchte; einzelne haben lange, weitgeyliederte Trogranken mit vielen Doldenansätzen. 8—14 Tage anhaltend gute Witterung wäre ein großer Gewinn für die Besitzer der Hopfenanlagen.
Winnenden, 1. Aug. Ein zwölfjähriger Knabe von Spechtshof, welcher sich durch auffallendes Geld-Ausgeben, Einkauf einer Cylinderuhr, Portemonnaie u. s. w. verdächtig gemacht hatte, wurde gestern festgenommen und fanden sich in den Taschen desselben außer obigen Gegenständen ca. 100 in Gold und Silber vor; auf Befragen gestand derselbe ein, seinem Kost« Herrn 130 ^ entwendet zu haben. Das saubere Bürschchen wurde heute an das Amtsgericht Waiblingen zur Bestrafung eingeliefert.
Göppingen, 2. Aug. Heute vormittag um 11 Uhr kam ein G e« wittersturm aus Südwesten, der die stärksten Bäume knickte oder mit« samt den Wurzeln ausriß. Hier hauste er am schlimmsten auf dem Fils« dämm bei der Turnhalle; auch bei der Stadtkirche wurde einer der schönen Kastanienbäume umgerissen. Thalaus« und abwärts soll der Schaden noch größer sein, ebenso in Jebenhausen, wo genze Dächer abgehoben wurden.
Nehren, 2. August. Am 30. Juli beendigte die zur Abschätzung des Hagelschadens hieher beorderte Kommission dieses Geschäft. Nach ihrer Feststellung ist die ganze Markung von Nehren total verhagelt und be. läuft sich der Schaden auf einem Areal von 700 Hektar auf 100,600 wozu noch ein Gebäudeschaden nach der Schätzung der Ortsbauschau von 4000 kommt — eine traurige Lage für eine so industriearme Gemeinde
Weder Edith selbst, noch ihre Eltern ahnten etwas von der Liebe des Jünglings. Die Letzteren sahen den Verkehr der jungm Leute für gänzlich harmlos an, denn Eddy galt ihnen noch für ein völliges Kind und auch der Freund ihres Sohnes war ja kaum zwanzig Jahre alt. Ueberdics war er ein Bürgerlicher und Ausländer und kam als solcher in ihren Augen bei der eventuellen Wahl eines Gatten für die Komtesse gar nicht in Betracht. So kam ihnen die Möglichkeit einer gegenseitigen, ernsten Neigung zwischen Edith und Richard nicht im entferntesten in den Sinn. Hätten sie die geringste Ahnung von seinen Gefühlen gehabt, so würden sie dem jungen Mann jedenfalls weniger freundlich begegnet sein und Eddy energischer vor seinem Verkehr behütet haben.
Richard aber träumte voll Entzücken den ersten, seligen Traum der Liebe und erwachte» erst zur nüchternen Wirklichkeit, als unerbittlich der Tag der Abreise herangerückt war. Aber auch jetzt wagte er es noch nicht, Edith's unbefangene Kindlichkeit durch das Geständnis seiner Liebe zu stören.
Graf Treuholv, der zu dem Stundenten eine warme Zuneigung gefaßt hatte, forderte ihn beim Abschied mit liebenswürdiger Herzlichkeit auf, in den Sommerferien mit Eberhard zu ihnen zurückzukehren, und mit innerlich jubelnder Freude nahm Richard diese Einladung an. Sein aufjauchzendes Herz sah im Geiste schon nach kurzer Trennung abermals glückliche, selige Tage vor sich liegen. Er ließ die Geliebte nicht zurück, er nahm mit sich fort in seinem Herzen ihr holdseliges Bild, umflossen von dem verklärenden Schimmer süßer Zukunfsträume.
12. Kapitel.
Am Morgen nach der Abreise der beiden Studenten saß die gräfliche Familie etwas länger am Frühstückstifch. Sie plauderten heiter von den Fortgezogenen und mit freudestrahlendem Antlitz überzählte Eddy die Wochen bis zu den nächsten Universitätsferien, welche die beiden Jünglinge dies Mal vom Anfang bis zu Ende in Wendhausen zuzubringen versprochen hatten.
„Ich freue mich herzlich, daß Eberhard sich so innig an den jungen Amerikaner
angeschlossen hat," sagte Graf Treuhold. „Warren ist ein hochgebildeter Jüngling mit unverdorbenem Charakter, der nur den wohlthuendsten Einfluß auf Eberhard üben kann."
„Ja, gewiß," stimmte die Gräfin bei, „auch ich habe ihn schätzen gelernt. Er ist in jeder Weise xentlemaniks und zeigt in seinem Wesen eine solche Distinktion, wie man sie bei einem deutschen Bürgerlichen selten findet. Ich bewundere, wie sicher und tadellos er die deutsche Sprache beherrscht, da er sich doch erst seit zwei Jahren in Deutschland aufhält. Man merkt ihm nicht im mindesten den Ausländer an."
„O, Mama, das ist durchaus nicht so zu verwundern, wie Du glaubst," rief Edith lebhaft. „Herrn Warren's Vater und Großvater waren ausgewanderte Deutsche und haben ihre Muttersprache in ihrer Familie stets hochgehalten."
„Ei, Eddy, wie bewandert Du in seiner Familienchronik bist!" lachte der Graf belustigt. „Jedenfalls," fuhr er dann heiter fort, „ist Fortuna den Ausgewanderten in ihrer neuen Heimat hold gesinnt gewesen. Wie ich von Eberhard erfahren, gehört Richard's Vater zu den reichsten Grundbesitzern Newyork's."
Edith war bei den Scherzesworten des Vaters feuerrot geworden, aber die Eltern beachteten ihre Verlegenheit gar nicht. Sie stand auf und trat an ein Fenster. Im selben Augenblick fast rief sie lebhaft: „Ach, dort kommt schon der Postbotel Da muß ich eilen und ihm sagen, ein wenig zu warten; mir fällt ein, daß ich meinen Brief an Marie noch konvertieren muß!"
Und wie eine Elfe schlüpfte sie aus dem Zimmer.. Nach wenigen Minuten trat ein Diener mit den angekommenen Postsachen ein.
„Gnädigster Herr, es ist ein Brief an Se. Erlaucht den Herrn Grafen Eberhard dabei," meldete er in dem gewohnten, halblauten, devoten Ton, das silberne Tablett mit den Briefen vor dem Grafen auf den Tisch stellend.
Graf Treuhold schaute verwundert auf.
(Fortsetzung folgt.)