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verschwindend kleinen Ausnahme das Treiben der Sozialrevolutionäre verurteilt. Wir wollen ja zugeben, daß man bezüglich der Duldung solcher Elemente in der Schweiz viel zu nachsichtig gewesen, aber keineswegs in böser Absicht gegen die Nachbarn, sondern lediglich aus einem gewissen Mitleide für diejenigen, die man als Flüchtlinge betrachtete, welche wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt würden, ferner aus Unkenntnis ihres geheimnisvollen Treibens und ihrer Bestrebungen. Es wurden auch Fehler begangen von seiten untergeordneter kantonaler Beamtin, die in ihrer Kurzsichtigkeit Dinge thaten oder Dinge geschehen ließen, deren Tragweite sie nicht erkannten und für deren Folgen dann der Bundesrat verantwortlich gemacht wurde. So trübte sich mehr und mehr das freundschaftliche Verhältnis beider Staaten, draußen wurden als eine fortgesetzte Reihe von Nadelstichen betrachtet, was
schließlich der lange angesammelte Groll sich in einer Weise Lust machte, die, weit übers Ziel hinausschoß und uns in unserm innersten Wesen angriff und verletzte.
Bern, 7. Juli. Bei der heutigen Volksabstimmung im Kanton St. Gallen wurve mit 18,673 gegen 8683 St. beschlossen, die kantonale Verfassung zu r evidieren.
Christiania, 4. Juli. Kaiser Wilhelm besichtigte heute vormittag in Begleitung seines Gefolges den Norheimsund — er hatte in Sandven übernachtet — und fuhr hierauf mittelst Stolkjärre (Stuhlkarre) nach dem 3 km entfernten Wasserfall im Steinsdal. Von Sandven wird die Reise nach Odde fortgesetzt, wo 16 Wagen zu einem Ausflugs durch das Oddethal nach dem prächtigen Wassersalle Lotesos bestellt sind. Dem Vernehmen nach wird sich der Kaiser zwei Tage in Odde aufhalten.
(Amtliches.) Bei der in der Zeit vom 12. Juni bis 3. Juli l. I. vorgenommenen zweiten höheren Finanzdienstprüfung find die Kandidaten August Dorn selb von Hof Lützenhardt, Gde. Hirsau, OA. Calw; Ott» Günzler von Liebenzell, OA. Calw, zur Bewerbung um die in 8 3 der K. Verordnung vom 10. Februar 1837 bezeichneten Stellen für befähigt erkannt worden und hiemit in das Verhältnis von Finanzreferendären I. Klaffe eingetreten.
(Amtliches.) Bei der in den Tagen vom 6.—15. Juni d. I. vorgenommenen höheren Lehrerinnen-Staatsprüfung ist unter den im K. höheren Lehrerinnen.Seminar ausgebildeten Kandidatinnen zum Unterricht an höheren Mädchenschulen für befähigt erklärt worden: Pent her, Bertha, MS Ecklw.
man hier bei uns als harmlose Vorgänge anzusehen gewohnt war, bisk'^.^ * Neubulach. Am Fest der Einweihung unsere» Wasserwerks
am Pfingstmontag ward beim Festessen von Mechaniker Lörcher dahier folgendes Gedicht vorgetragen, das gewiß allen Freunden einfacher Naturpoesie Freude macht und darum wohl auch nachträglich noch freundliche Aufnahme findet. Es ist gedichtet von der auch bei allen sonstigen festlichen Ge- legenheiten der Gemeinde mit poetischen Gaben uns erfreuenden Dichterin des Orts K. K. Sie hat verstanden, der Quelle, die die Leitung uns zugeführt, ihr Freud und Leid ob solcher gewaltsamen Entführung zu erlauschen und in folgenden Versen zum Ausdruck zu bringen:
Darf ich mir erlauben, im Festgewand Mit innigem, freudenreichem Dank Die werte Versammlung zu grüßen.
Ich kann nicht länger verbergen mich.
Obgleich ich sonst schweigsam gehe für mich Muß heut mein Mund überfließen.
Gcrges-Weuigkertsn.
Calw, 8. Juli. Bei der gestern vormittag nach dem Gottesdienst vorgenommenen Kirchengemeinderatswahl wurden folgende Herren gewählt: Rektor a. D. Dr. Müller (112 Stimmen); Oberlehrer Ansel (108); Bäckermeister Schnürte (108); Stadtpfleger Ha yd (106); Bozenhardt, Karl, Gemeinderat (105); Zahn, Emil, Fabrikant (105); Kraushaar, Kaufmann (103); Stältn, Eugen, Fabrikant (99); Gundert, Friedr., Buchhändler (98); Fe der ha ff, Wilhelm, Apotheker (97).
* Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft. Die Unfallversicherungsbeiträge für 788 Pflichtige der Markung Calw, (darunter 356 in 6 auswärtigen Gemeinden) betragen nach dem Umlageregister die Totalsumme von 69 11 H und über Abzug dessen, was es die Stadt
pflege selbst betrifft, nur noch 44 ^ 98 H. Wenn es auch möglich wäre, binnen der gegebenen Frist von 4 Wochen, diese meistens nur wenige Pfennige betragenden Beiträge von 788 Personen in 7 Orten einzuziehen, zu verrechnen und Einzelbescheinigungen auszustellen, so veranlaßt doch dies Alles ein so großes Geschäft, daß dasselbe mit der einzuziehenden Summe von 44 98 H außer allem Verhältnis steht, auch wird Niemand um die
hiesür ausgesetzte Belohnung von 2 -/-L 76 H diese Arbeiten übernehmen wollen. Aus Zweckmäßigkeitsgründen ist in Calw der Vorschlag gemacht worden, die Gefammtsumme von 69 -/tk 11 H auf die Stadtkasse zu übernehmen und ist an der Annahme dieses Vorschlags um so weniger zu zweifeln, als dadurch kein Steuerpflichtiger eine nennenswerte Benachteiligung erfährt.
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Calw, 8. Juli. Vom „Calwer Liederkranz" ist bis heute Abend 5>/e Uhr noch keine Nachricht eingetroffen. Mit der Ausgabe des Blattes konnte nicht mehr zugewartet werden.
Nicht stolz und hochmütig komm ich daher,
Nein, was mich bewegt und erhebet so sehr,
Das möcht ich treulich Euch sagen,
Von Anfang erzählen, wie mir geschah,
O banges, mir unvergeßliches Jahr,
Mein Schicksal war schwer zu ertragen.
Nie hält' ich's geglaubt und nie geahnt,
Daß mir noch würde der Weg gebahnt Herauf auf des Berges Höhe.
O banger Schrecken, noch glaubt ich's nicht Der leisen Stimme, die mir bericht',
Was künftig mit mir geschehe.
Nach langer, gemütlicher, ruhiger Zeit Nahte sich mir ein bedenklich Geräusch.
Was soll doch dieses bedeuten?
Man hat mich gemessen, durchforscht und geprüft. Auch fremde Besuche mich haben begrüßt,
Die niemals sonst bei mir verweilten.
Die Absicht derselben mir wurde klar,
Als bald darauf sich eine Männerschar Mir nahte mit lautem Ton,
Den Weg zu ziehen weiter hinab.
Zur Stelle, wo mir errichtet ward Die künftige Pumpstation.
Nicht leichtlich war es, den Berg herauf Zu brechen mir meinen steilen Lauf.
Doch ging es munter von statten,
um die Ohnmächtige wieder zu sich zu bringen, während Treuhokd und Irma in ratloser Verzweiflung daneben standen. Jetzt kam auch der Oberst mit verstörter Miene herbei und stellte die wirrsten Fragen an die Umstehenden.
„Wo ist mein Vater?" fragte Treuhold plötzlich, sich aufraffend, einen der be- stürzt dastehenden Diener.
„Der Herr Graf sind heute morgen ausgegangen und noch nicht wieder zurückgekehrt," meldete der Gefragte.
Jedoch schon im selben Augenblick fast trat die hohe Gestalt des Grasen m das Zimmer. Er hatte Alles im Schlosse in der größten Verwirrung gefunden und war, wie er ging und stand, sofort in das Zimmer seiner Gemahlin geeilt. Angstvoll'richteten seine Augen sich auf die Ohnmächtige. Dann machte er mit der Hand eine gebietende Bewegung nach der Thür; die Domestiken, die neugierig und bestürzt in der Nähe standen, schlichen scheu hinaus.
Die Gräfin war indes wieder zu sich gekommen. Sie schlug die Augen auf und sah mit großem, fragendem Blick in das Antlitz des besorgt über sie gebeugten Gatten. Doch als sie sich aufrichten wollte, sank sie kraftlos wieder zurück und von Neuem legten sich die Schalten der Bewußtlosigkeit über ihre Sinne.
Noch zwei lange Stunden schlichen hin, ehe der Arzt eintraf. Nachdem derselbe die Bewußtlose untersucht hatte, zuckte er mit ernster Miene die Achseln.
Die Frau Gräfin muß eine heftige Gemütserschütterung gehabt haben," sagt« er mit einem forschenden Blick auf alle Umstehenden. „Ich kann Ihnen meine Besorgnis nicht verhehlen, Herr Graf. Sie müssen sich auf das Schwerste gefaßt machen. Menschenkunst ist hier machtlos!"
7. Kapitel.
Die freien Reichsgrafen von Wendhausen gehörten zu dem reichsten und ältesten Adel des Landes. Außer der Grafschaft Wendhausen, dem uralten Stammsitz de» Geschlechts, besaßen sie noch fünf weitumfasiende Besitzungen, die ihrem Eigentümer ein nahezu fürstliches Einkommen gewährten, welches jedoch nur dem MSmaligen Majoratsherrn zu Nutzen kam, da die sämtlichen Herrschaften zum Fideckonnm« gehörten. Die» letztere war schon vor langen Jahren von einem Ahnen gestiftet worden
und enthielt in seinen Verfügungen namentlich eine Klausel, die schon mehrfach in der Familie einen harten Kampf gekostet hatte. Die Stiftungsurkunde hatte folgenden Wortlaut:
„Ich, der freie Reichsgraf Hans Kurt Wolfgang von Wendhausen, vereinige hiermit kraft meines unantastbaren Rechtes meine mir eigentümlich gehörenden Besitzungen, die Grafschaften: Wendhausen, Holthausen, Willnitz, Hehlenburg, Borkau und Wehlenhofen, mit ihren sämtlichen Gütern, Forsten und Ländereien zu einem Fideikommis und bestimmte den jedesmaligen, in ebenbürtiger Ehe erstgeborenen Sohn vom direkten Mannesstamm zum nächsten Anerben dieses Besitzes. Jedoch verfüge ich, daß derjenige Descendent, dem dieses Erbe zufällt, keine staatsdienstliche Karriere zu seinem Lebensberuf wählen darf, als letzteren vielmehr die tüchtige, Umsicht erfordernde Verwaltung seiner Güter ansieht. Hat er bei Lebzeiten seines Vaters aus Neigung die militärische oder diplomatische Laufbahn beschritten, so muß er dieselbe bei Antritt des Majorats ohne Ausnahme aufgeben. Im Uebrigen hat der Majoratsherr sich stets als reichsgetreuer Unter- than seines Landesherrn zu beweisen und sich jeder regierungsfeindlichen Politik zu enthalten. Außerdem bestimme ich, daß die Stammburg unserer Ahnen auch dem künftigen Geschlecht zum ständigen Wohnort dienen soll und der Majoratsherr die Grafschaft Wendhausen unter seiner persönlichen Uebersicht bewirtschaften läßt. Die übrigen Herrschaften aber soll er von erprobten Fachmännern verad- ministrieren lassen und sich wenigstens einmal im Jahr von dem fortdauernden Wohlstand derselben persönlich überzeugen. In allen diesen Verfügungen erwarte ich von meinen Nachkommen gewissenhafte Erfüllung, doch soll demjenigen Besitzer des Fideikommisses, dessen rechtlicher Ehe mehrere Söhne entsprossen sind, da» freie Verfügungsrecht zustehen, zu Gunsten derselben obige Bestimmungen aufzuheben, wenn der dadurch zunächst Geschädigte, der erbberechtigte, erstgeborene Sohn, sich aus freiem Willen damit einverstanden erklärt. Sollte jemals der Fall eintreten, daß der Majoratsherr keine Söhne hinlerläßt, so wird der älteste Repräsentant, der nächsten Nebenlinie Erbberechtigter mit allen unbeschränkten Rechten."
(Fortsetzung folgt.)