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AevnsprecHav Ar. SV. 8». Jahrgang. Jernsprather Ar. SV.
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Mit de« Plauderstübchen, Jllnstr. UonntagSblatt «»d
Echwäb. »«tdwirt.
Montag dm 28 . April
1S0S
Aie Keichsverstcherungsordnung.
Bereits seit langem war das Bedürfnis zutage getreten, die großen sozialen VerstcherongSgesetze, die bisher neben- einander bestanden hatten und mehrfach geändert waren, rnsammenzusassk», zu vereinheitlichen und miteinander in Einklang zu bringen. Diese Aufgabe hatte schon seit Jahren das Rrichsamt drs Innern beschäftigt, und wenn das große Werk erst jetzt als ein vom Reichstage noch zu genehmigender Entwurf der Oesfeutlichkeit vorliegt, so hat das seinen Grund darin, daß die Regierung bestrebt gewesen ist, das große Werk der Arbetterverfichrruugeu auch äußerlich durch Ergänzungen nach manchen Seiten zu einem wirklichen Abschluß M bringen.
Wie groß die Aufgabe war, ergiebt stch. daran«, daß die ReichSverstchernngSordunug nicht weniger als 1793 Paragraphen enthält, die in 7 Büchern geordnet find. Bon diesen 7 Büchern enthält das erste die gemeinsamen Vorschriften und Bestimmungen über die für alle Zweige des ReichSversichernngSwesenS tätigen Behörde«, das zweite dis vierte die besonderen Bestimmungen für die Krankender- ficherrmg, die Unfallversicherung und die Invaliden- sowie die ueuhiuzugetretese Hiuterbltebeseuverficheruug, während das fünfte und sechste die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen VerfichernugSzweige regeln und die Bestim- «nagen über das Verfahren in allen BerficheruugSaugelegeu» -eiten enthalten. Durch die neue Ordnung ist das ganze Gesetz trotz der zahlreichen Paragraphen weit übersichtlicher geworden, als es bisher war.
Neu hiuzngekommeu ist, wie gesagt, die Hinterbliebenen- Versicherung. Sie ist au die Invalidenversicherung augegliedert. Ihre Beträge sollen gleichzeitig mit den Beträgen brr Invalidenversicherung erhoben »erden, und zwar in der Weise, daß die bisherigen Beitragsmarken um durchschnittlich ein Viertel erhöht werden. Außerdem sieht das Gesetz für gewisse Kreise des Mittelstandes die Einführung einer freiwilligen Zusatzverficheruvg vor, die in einfacher Weise durch das monatliche Eiuklebeu einer freiwilligen Zusatzmarke iw Werte von einer Mark bewirkt wird. Wer beispielsweise vom 25. bis zum 55. Lebensalter monatlich 1 M. besonders eingezahlt hat, erhält im Alter von 65 Jahren eine Zusatzrente von jährlich 186 R.
Große« Aeuderungen ist die Krankenversicherung unterzöge« worden, insofern sie einmal auch auf die land- und forstwirtschaftliche« Arbeiter sowie aas die Dienstboten und Hausgewerbetreibenden ansgedehnt worden ist und zweitens «ine Anzahl kleiner Kraukeukasseu auSgemerzt worden find, die nicht in der Lage waren, de« Versicherten dieselben Lorteile wie die großen Krankenkassen zu gewähren. Außerdem werden die Arbeitgeber in Zukunft zur Tragung der Hälfte der BerficheruugSkosteu, statt der bisherige« Drittels heraugezogen, während gleichzeitig das von den Versicherten bisher zu zahlende Eintrittsgeld wegfällt. Selbstverständlich haben infolgedessen die Arbeitgeber tu der Verwaltung der Krankenkassen auch das gleiche Stimmrecht wie dir Arbeit-
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uehmer erhalten, was hoffentlich dazu beitragen wird, daß die Krankeukaffeu in Zukunft nicht wie bisher in mißbräuchlicher Weise sozialdemokratischen Zwecken dienstbar gemacht werden. Außerdem find zur Beilegung der zahlreichen Meinungsverschiedenheiten zwischen dev Kaffen einerseits und den Aerzteu und Apothekern andrrseits zwei besondere gleichmäßig zusammengesetzte Schiedsgerichte vorgesehen.
Bon dem ursprünglichen Gedanken dagegen, die drei großen VerstcherungSgebirte, die Kranken-, die Unfall- Md die Jlwalidkuverficheruug, miteinander z« verschmelzen, hat «an Abstand genommen, weil die eigenartige Entwicklung jedes der drei großen BerficherungSgebiete einer solchen Lerschmelzuug hinderlich gegeuüberstaud. Immerhin ist eine wesentliche Bereiufachnng herbeigeführt worden, insofern zahlreiche verschiedene BerwaltungSstell« und Behörden, die bisher neben dem ReichSverfichermgsamte bestanden, abgeschafft oud durch einheitliche BrrstchernugSbehördeu mit VerwaltuugS- und Entscheidungsbefugnissen ersetzt worden find, die stch als BrrfichernugSamt, ObervrrficheruugSamt Md RetchsverfichermrgSamt in drei Stufen übereinander aufbauen.
Gewiß werden die neuen Bestimmungen im Reichstage noch einer eingehenden Beurteilung begegnen und voraussichtlich ia einigen Pnnkteu auch geändert werden; alles in allem hat jedoch die ReichSregierung mit dem neuen Entwürfe zweifellos eine« wichtigen und bedeutenden Schritt vorwärts getan auf dem Gebiete der ArSeiterverstchernug, aus dem Deutschland für die ganz; Welt vorbildlich gewesen ist.
Deutscher Reichstag
Berli«, 23. April.
Präsident Graf Stolberg eröffnet die Sitzung um 2'/. Uhr. Ans der Tagesordnung steht zunächst die 1. Beratung eines Gesetzentwurfs zur
UbS«der«»s de- Strafgesetzbücher.
Der Eutwnrf steht gegenüber dem jetzigen RechtSstaud mildere Strafen vor für Hausfriedensbruch, Arrestbruch, Stegelbruch, Vereitelung der ZwaugSvollstreckaug und für geringfügige Diebstähle und Unterschlagungen, besonders soweit fie aus Not begangen find.
Härter bestraft sollen werden: Tierquälereien, Ehrverletzungen »ud Mißhandlung«! von Kindern und anderen wehrlosen Personen, die bisher unter Umständen völlig straflos blieben.
Staatssekretär v. Nieberdiug: SS handelt stch bei der Vorlage um eine partielle Arndernug des bestehenden Rechts. Dir Regierungen stehe» ans de« Standpsukt, daß die Revision des Rechts möglichst beschränkt werden mnh. Die Borlage beschränkt stch daher auf einzelne Bestimmungen aus den verschiedensten Gebieten des Strafrechts. Die in der Presse erhobenen Angriffe und Kritiken an dem Entwurf find unberechtigt. Sollte die Kritik hier i« Hause die gleiche fein, so würden die Regierungen mit Rücksicht daraus, daß mit der Novelle nur den Anregungen aus dem
Reichstag gefolgt wird, sicht austehev, aegedrnsallS die ganze Vorlage fallen zu laste«. Die Vorschriften msneS Strafgesetzbuches zu» Schutz der vermögenSrechtlicheu In- tereffeu, find weitgehende Md scharfe, die de» heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Demgemäß soll bet gewisse« EigrutumSvergehe» eine Geldstrafe riutreten. Die 2. Gruppe der Bestimmungen der Entwurfs umfaßt solche GesetzrSvorschrifteu, die den Rechtsschutz der ideellen Güter der BolkeS zum Gegenstand haben, die sogenannten Roh- heitSdelikte. Unsere Zeit denkt hierüber strenger als frühere Generationen. Deshalb schlage« wir hier eine schärfere Bestrafung der Roheitsdelikte vor. Wie kann man mS vor- werfen, wir hätten in dieser Vorlage die Tendenz, die Freiheit der Presse in unzulässiger Weise eiuzuschrä-kenbead- fichtigt. Mau hat sogar behauptet. der Entwurf solle für künftige Fälle Deckaus geben, wenn eS stch um hochgestellte Personen handelt. Nichts hat den Regierungen ferner g^ legen. Nur rein sachliche Gesichtspunkte haben «uS gelettft. Ich hoffe, daß Sie die Bsrschläge der Regierungen nicht verwerfen werden. Die verbündeten Regierungen werden allen Wünschen entg-geukomme«, um den Argwohn zu widerlegen, als ob der Vorlage irgend eine abwegige Tendenz zu Grande liege. Wir dürfe« also ms eine Verständigung tu diesen Fragen hoffen.
Engelen (Ztr.) überläßt eS der Oeffentllchkeit. ob ste nach den Darlegungen des Staatssekretärs auuehmeu könne, daß ausschließlich sachliche Gründe für die «tuderun« des § 186 des Str.-G.-B- (Schutz der pörgerlicheu Ehre) maßgebend waren oder der Fall Euleubvrg und vermißt die vom Reichstag entschieden geforderte Verschärfung des 8 175, sowie eine Novelle zum Rüttärstrasgesetzbuch. Er beantragt Lerwetsung au eine Kommission von 21 Mitgliedern.
Pernioek (kous.) hält die Novelle für gut Md für geeignet, viele Mtßftäude der Rechtspflege zu beseitigen. Die Fassung de« 8 186 würde zu einer schwankenden Rechtsgrundlage führe». Wir «erden uns damit tu der Kommission beschäftigen.
Barenhorst (Resp.): Mit den mildernden Strafbestimmungen find wir im großen und ganzen einverstanden. Die Ehre des Einzelnen muß besser geschützt werden, de« Wahrheitsbeweis eine enge Grenze gezogen werden. Bezüglich des Schutzes von Kranken, Wehrlose« und Kindern geht «uS die Borlage nicht weit genug. Wir werden in der Kommiffio« diesbezügliche Anträge stellen. Auch hinsichtlich der Tierquälereien muß dar Gesetz anSgebant und den Auswüchsen der Vivisektion eutgegengetretrn werden.
Osann (al.) hätte lieber eine Revision im Ganzen statt in einzeln« Teil« gesehen. Mit den strafmildernd« Bestimmungen ist Redner einverstanden; von den strafver- schärseud« müssen hauptsächlich die weg« Beleidigung und Erpressung« im Auge behalt« werden. Für die Einschränkung des Wahrheitsbeweises ist wohl der Prozeß Hau anregend gewesen. Wenn ia unsere Rechtsprechung »ehr Md »ehr der soziale Gedanke eindriugt, dam werde» die Klag« über Klaffevjastiz verstlM««.
Frshme (Soz.) btttet um vrrstärkteu Kinder- und Tierschutz Md mildere Behandlung der jünger« Delikte,
MalcoLrn Sinclair.
Historische Erzählung von A. K. Arachvogek
(Korts«tz»»g.) (Rachdr. verb.)
Ein Julimorgen in St. Petersburg und eine Kaiserparade ist füc die Bevölkerung et« ebeuso entzückender Genuß wie ein Aagustabeud, wenn ms der Newa die buate« Gondeln stieg«, die Lichter rings, droben die Sterne glühen, der laue Seewind die Hitze des Tages abkühlt, munter Ge- schwätz bei Sorbett und Scheih oder das Helle Lied ertönt, zwischendurch aber wehmütig seufzend der «lang des Tscheu- girr oder der sauft« Balalaika zittert und die Nacht voll Duft und Liebe heraafzieht, kaum Sbertroff« von venezianischen Nächten.
Heute zumal war aller, was nur Zeit und eis Fest- lleid auzuleg« hatte, auf d« Beinen, um stch nach der Lewa, dem Paradrplatze und zum «atserpalaste zu dräng«, denn Peter des Großen Enkel, Peter II., der neue Zar, wollte die erste Parade abhalt«, um im voll« Glanze kaiserlicher Majestät seinem Volke sich zu zeigen. Kopf au Kops standen die verschiedensten Nationalität« hier in einem weiten unabsehbar« Gürtel um das Kaiserschloß, selbst jwseitS der Newa lagerten noch die Raff«, um in der Ferne wenigstens drs Genuß des Schauspiels zu Hab«. Me Eingänge md d« Fuß der Palastes umgab« die hohen Offiziere, Beamte md Würdenträger. Die zahllos«
Fenster desselben füllt« stch mit dem blitzenden Hofstaate des Zar«, und von weite« erklang bereits die Regiments- mufft der aufgestellteu Truppen. Nur der große mittlere Pavillon und dessen vergoldeter Balkon war leer, jene Stelle, von der aller Glanz des Reichs auSströmru sollte, auf die aller Blicke sich richtet«.
Plötzlich sprengten Adjataut« heran, dann Generäle und Marschälle, ste stellten stch dem Balkon gegenüber ms. Nun öffnete stch die GlaSLSr des Pavillons, und heraustrat, entblößten Hauptes, in GeueralSsutform, Renschikoff, ein majestätischer Dreiuudfünfziger. Ihm folgten Marschälle mit silbernen Stäb«, welche die Tür rechts und links besetzten. Ein Offizier der Sntte sprengte hinweg, mit dem Taschentuch ein Zeichen gebend. .Der Kaiser kommt!" flüsterte eS durch das Volk md Totenstille trat ein.
Da erschien auf dem Balkon ein Knabe von fünfzehn Jahren, schmächtig, blaß, groß, mit langem, dunklem Haar md schwarze Augen; seine Züge erinnerte» frappant au Peter den «roßen. Er trug die russische Nationaltracht, den grünen laug« Sammetrock mit geschlitzten Aermeln und Beinkleidern von roter Seide. Sin kostbarer persischer Schal schlang sich malerisch von der Schulter hernieder zur Hüfte; gleichzeitig schimmerte« aus dem rot« Gürtel der von funkelnden Diamanten besetzte Säbrlgriff und die Läufe zweier Pistol«. Ein Mantel von Goldbrokat «ud Hermelin rauschte schwer herab mit langer, Wetter Schleppe, die Zobelmütze, von Reiherbüsch« umwallt, zierte sei« jugendliches Haupt, md die Edelsteine zittert« in der Sonne wie tausend Fmerfnvkeu um ihn her.
.Guten Morgen, Kinder!" rief er laut, an daS äußerste Ende der Balkouerhöhung tretend, wie sein großer Ahnherr mit der Mütze grüßend.
,Guten Morgen, Euer Majestät!" dröhnte aus all« Kehlen die donnernde Antwort; ihr folgte der jubelnde Rrff: .ES lebe der Kaiser, eS lebe Peter Alextil" — Alles entblößte die Häupter.
Der Zar nickte, Meuschtkoff gab einen Wink — drS Herrschers unmittelbares Gefolge betrat dm Balkon. Zuerst MeuschikoffS Tochter, Maria, de» Zaren al- Braat bestimmt, in Begleitung ihrer Mutter, Schwester und ihrer beid« Brüder. Ste nahmen ihres Platz »eben ihrem Fürste« ein. Rarta war bedeutend älter als der Zar md dürfte wohl einen unbedeutend es Eindruck gemacht Hab«, hätte nicht ein prachtvolles «leid von rosa Damast ihre Gestalt sehr gehoben. Mochte Renschikoff eine ähnliche Huldigung erwartet Hab« oder nicht, eine Sekunde der Erwartung trat ein, darauf nahte Anna von Kurland, Peters LiebltvgStochter, eine volle, imposante, große, dunkeläugige Schöne, ia blau« Sammet gekleidet, «tt ihren Hofdamen, neben sich Elisabeth, ihre jüngere Schwester, blond, wenn «ach voll, ater schlanker zierlicher, «tt blauem, »«schwimmende« Blick und einer unendlich« Zartheit der Hast. Sie war in weißen Atlas gehüllt Md trag einen Kranz von Smaragd« und Brillant«; endlich erschien Prinzessin Natalie in goldbrauner Moires. Sie »ahmen ihre Plätze ueb« de« Zaren zur Linken ein, an ste schloß sich der reiche, glänzende Hofstaat.
(Fortsetzung folgt.)