82 . Jahrgang.

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Auflage 2666 .

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Der deutsche Gewerkschaftskongreß iu Hamburg

behandelte am Dienstag das Thema: Agitation unter de« Dienstboten.

Frau Grünberg-Nürnberg legte folgende Resolution vor: In Anbetracht der hohen Zahl Erwerbstätiger, die als Dienende der Gefindeordnung unterstellt sind und sich ihren Lebensunterhalt bei unbegrenzter Arbeitszeit, schlechter Entlohnung und unter den mißlichste« Verhältnissen erwer­ben müssen, erachtet es der Koagreß als seine Pflicht, die Geueralkommission zu beauftragen, der jungen Dienstboten- bewegung auch fernerhin ihre volle Aufmerksamkeit zu wid­men. Die Gmeralkommission wird beauftragt, eine Dienst- boteukonferen; eiuzuberufev, «m über einheitliche Agitation zur Hebung der sozialen Lage dieser Arbeiterkategorie zu beraten. Sie wird ferner beauftragt, die einzelnen Kartelle auf die Notwendigkeit der Organisierung der Dienstmädchen aufmerksam zu machen und dort wo noch keine Dienstboten- vereiue bestehen, die Kartelle za veranlassen, solche zu grün­den. Der Kongreß erachtet es als eine dringende Notwen­digkeit, daß die Gefindeordnung und Dienstbücher beseitigt werden und volle Koalitionsfreiheit für dir Dienstboten und ländliche Arbeiter eingeführt wird. Auch sollen die Dienen­den der Gewerbeordnung unterstellt und die Verficherungs- gesetze auf sie ausgedehnt werden. Frau Luise Zietz- Hamburg erbittet die Mithilfe der Gtwerkschasten bei der Organisation der Dienstmädchen, da diese für die Arbeiter­bewegung außerordentlich wichtig seien, denn die Dienstmäd­chen würden später einmal Arbeiterfrauen. Nur wo eine starke Arbeiterbewegung sei, können Lie Dienstmädchen wirk­sam organisiert werden. Daß aber eine Dieustbotensrgani- sation möglich sei, beweise Hamburg, wo 2100 Dienstmäd- chen organisiert find. Die vorliegend? Resolution wurde angenommen.

Der Kongreß b?schästigte sich dann mit dem wichtigen Thema Heimarbeiterschntz. Dazu lag folgende Berliner Resolution vor: Die in den Gewerkschaftsorganisationen organisierten Mitglieder sind zu verpflichten, ihre Frauen «ud Töchter, welche in gewerblichen Betrieben oder Heim­arbeit beschäftigt find und durch ihre Nichtorganifation den Fortschritt in den in Frage komAeuden Gew rben (Kon­fektion, Tabakindnstrie usw.) hemmen, den in diesen Ge­werben existierenden Gewerkschasißorganisat-'onen zuzuführeu. Die Geueralkommission wird beauftragt, sämtliche Kartelle, Gewerlschaftsrommisstonen usw. aufzufordern dafür einzn- treten, baß dieser Beschluß auch voll und ganz zur Geltung gelange. Eine weitere Resolution Sabath-Berlin erklärt, daß ein wirksamer H.imrrbeiterschutz nur durch Reichsgesetz geschaffen werden könne. Ein solcher Heim- arbeiterschutz werde erreicht, wenn Reichstag und Bundesrat den von der sozialdemokratischen Rcichstagssraktion ausge- arbeiteten Entwurf avuehmen. Sabath-Berlin und Bör­ner-Berlin treten lebhaft für diese Resolution ein. Die Resolutionen wurden angenommen. 8. n. L.

Die weiße Nelke.

Kriminalroman von I. Kanlkach.

Gortfrtz««,.) (Nachdr. vrrb.)

Sechzehnte- Kapitel.

Auf de« Polizeibureau erfuhr der tief erschütterte Vater des tapferen Mädchens, daß seiue Tochter in einem Hause der Jnvalidenstraße untergebracht sei, nachdem man sie bewußtlos, aus einer Schulterwunde blutend, ansar- fuuden habe.

Ich stehe vor einem furchtbaren Rätsel," sagte Seydel bekümmert zu dem Beamten, der ihm den Hergang berichtete; sagen Sie mir nur um Gotteswillen, ob die Verwundung schwer ist?"

Ich hoffe nicht," erwiderte der Mann;wenn Sie wünschen, soll mau Sie sofort zu Ihrer Tochter führen, Herr Staatsanwalt."

Ich bitte darum; nur, wenn Sie können, erzählen Sie mir, was Sie noch über daS Unglück wissen; Sie sagen, ein Mädchen sei hterhergekommen, um Sie davon tu Kennt­nis zu setzen. Sprach das Mädchen davon, daß meine Tochter das Opfer eines Verbrechens geworden sei?"

Jawohl, Herr Staatsanwalt, «ie zitterte, wie Espenlaub, als sie Bericht erstattete. Wir haben sie nur mit Mühe vernehmen können; ihr Name ist Meta Henzen. Sie hat den Täter entfliehen sehen, jedoch nicht erkannt, leider in ihrer Aufregung auch nicht daran gedacht, ihn zu verfolgen, oder gleich um Hilfe zu rufen."

Aoimerslag dm LS. Juni

UocMfche K-S-rstcht.

Im englische» Unterhaus wurde an die Regierung folgende Frage gerichtet: Ist ein Abkommen zwischen der englischen und der russischen Regierung betreffend die ma­zedonische Frage getroffen worden? Kanu der Staatssek­retär erklären, welches die Hauptpunkte dieses Uebereinkom- mens sind? Hc>t daS Uebereinkommen die Zustimmung der anderen Siguatarmächte des Berliner Vertrags erhalten? Die Antwort lautete: Wir haben ein Abkommen mit der russischen Regierung getroffen, aber es war noch keine Zeit, uns mit den anderen Mächten zu beraten. Bis dies ge­schehen sein' wird, kann mau nicht sagen, welche Vorschläge in Koustantinope! gemacht werden würden.

Die türkischen Truppe« in Monaftir «enter«.

Etwa tausend Mann, die in die Reserve versetzt werden sollen, verlangen unter Gewalttätigkeiten ihre Beurlaubung. Bier Mann sind bei Zusammenstößen schwer verwundet worden. Infolge fortgesetzter Beschwerden aus der Bevölkerung ist der Walt von Kharput, Halil Bei. abgesetzt worden.

Au- Dentsch-Tüdwestasrika kommt die Meldung, daß der Ovambo-Häuptltng Nechale am 28. April gestorben ist. Dadurch wird die Aussicht, daß die Friedensmiffiou des Hauptmanns Franke in das Ovamboland mit einem vollen Erfolg gekrönt wird, außerordentlich bestärkt. Mt Nechale ist der unruhigste Häuptling der Ovambo dahingegangeu, und durch seinen Tod ist das größte Hindernis für die deutsche Herrschaft weggeräumt.

Znr Tchnlnovelle.

Der Gesamtvorstand des Württ. Volksschullehrer­vereins hat den neuen Schnlgesetzentwurf einer eingehenden Besprechung unterzogen. Dabei fallen zuerst einige freund­liche Worte für den Knltminister. Dann aber wird tief beklagt, daß der Entwurf an dem Prinzip starrer Kou- fesstonalität festhält und damit hinter der Schulgesetzgeb­ung fast aller deutschen Staaten, auch derjenigen Bayerns und Preußens zmückbleibt, daß nicht ein einheitlicher Oberschulrat gebildet, die geistliche Ortsschulaufstcht nicht vollständig aufgehoben und den Gemeinden nicht daS Recht zugestanden wurde, simultane Volks-, Mittel- und Hilfsschulen zu errichten. Großes Befremden erregte die abermalige Forderung der Leitung und Beaufsichtigung des Religionsunterrichts des Lehrers durch die evange­lische Kirche. Dieses AnffichtSrecht müsse das gedeihliche Zu­sammenarbeiten von Geistlichen und Lehrern stören und zu der Forderung führen, daß der gesamte Religionsunterricht von dem Geistlichen erteilt wird, wie dies an den katholi­schen Schulen jetzt schon der Fall ist. Bedauert wurde auch daß die Berechtigung zum Besuch der Hochschule von einer bestimmten Zeugnisuote und die Zulassung der Volksschul­lehrer zum Schulaufjtchtsamt von der Erstehung einer höheren pädagogischen Prüfung abhängig gemacht wird.

Seydel verließ das Polizeigebäude iu Begleitung eines Beamten.

Es war elf Uhr vorüber, als der Wagen vor dem Hanfe hielt, wo Seydel seine Tochter finden sollte. Als er mit dem Beamten aussttrg, bemerkte er, daß ein anderer Wagen vor der Tür wartete, und vermutete richtig, daß es der des Arztes sein mußte. Er verabschiedete den Beamten und befahl dem Kutscher, zu warten.

Daun zog er den Kliugelzug am Portale. Der Portier, der ihm öffnete, erriet sofort den Zweck seines Kommens.

Die Dame liegt im Parterregeschoß," meldete er und zeigte Seydel den Weg. Im Flur brannte noch Licht, und eS herrschte jene lautlose Geschäftigkeit, jenes gedämpfte Kommen und Gehen von einem Raum iu den anderen, das die Nähe Schwerkranker zu verraten pflegt.

Auf dem Korridor erschien Meta Henzen. Ihre Augen blickten voll unbeschreiblicher Besorgnis, Trauer und Teil­nahme ans den etutretendeu Staatsanwalt. Obwohl ihr Herz sie im ersten Augenblick heftig dazu drängte, seine Hände zu fassen und ihm zuzmusen:O, wie ich mit Ihnen fühle!" hielt ihre Bescheidenheit ihr starkes Empfinden zurück, und schüchtern, fast ängstlich sagte sie nur:Die Wunde ist nicht gefährlich, Herr Staatsanwalt."

Er schien jedoch die Aengstlichkeit iu ihren Zügen zu mißdeuten; er kannte Meta zu wenig, um zu wissen, daß ihre feine, vom Schicksal verschüchterte Seele sich furchtsam iu sich selbst zuröckzog. Sie erschrak bis iuS Innerste vor dem Blick, mit dem Seydel sie streifte; womit hatte sie diesen Vorwurf, diese Anklage, dieses Mißtraue« verdient,

1808

Der Gesamtvorstaud erhofft von den Laudständeu, daß sie die Bestimmungen des Entwurfs hinsichtlich der Ünter- richtsgegeustäude, der Schülerzahl, der Zahl der ständigen Lehrstellen, der Schulorgauisatiou, der Schulaufsicht und des Ortsschulrats den in der Eingabe des Vereins nieder- gelegten Wünschen entsprechend gestalten.

P«rl«»urt>rischt Nachrichten.

W»rtte«Bergifcher Landtag.

r. Stuttgart, 24. Juni. Die Zweite Kammer hat heute in der fortgesetzten Beratung der Bauordnung an Art. 85, der das künftig in jeder Gemeinde zu führende Baulastenbuch behandelt, iu das die Verpflichtungen zur Leistung von Kanal- und Straßeukosteubeiträge« eivzutrageu find, eine langwierige Juristendebatte geknüpft. Besonders erörtert wurde die Frage, ob die Zustimmung der Hypo­thekargläubiger zur Ueberuahme einer Baulast verlangt werden soll. Die Kommission hatte eine entsprechende Be­stimmung beschlossen und die Baugenehmigung von dieser Zustimmung abhängig gemacht, wenn durch die Ueberuahme einer Baulast die zulässige Ueberbaunug eines Grundstücks nach Fläche und Höhe zugunsten eines Nachbars verringert wird. Das Haus nahm dazu noch einen Antrag Rembold- Gmünd an, wonach die Zustimmung nicht erforderlich ist, wenn die SchätznugSbehörde sich dahin aussprtcht, daß die Ueberuahme der Baulast nach Lage der Dinge unschädlich ist. Zu Art. 87 wurde ein Antrag Häffuer angenommen, demzufolge die Bestimmungen betr. die Feststellung der Bau­linie mit dem Tage der BerkündiguugdeS Gesetzes in Kraft treten sollen. Damit war mau am Schluß der Bauordnung augekommen, doch mußte noch auf einige Artikel zurückge- griffen werden, bezüglich deren die Entscheidung früher zu­rückgestellt worden war. Zu Art. 6» war, soweit es stch um das ExproprtattonSrecht der Gemeinde zur Durchfüh­rung des Ortsbauplanes handelt, inzwischen unter mehreren Parteien eine Einigung erzielt worden, die das Haus zum Beschluß erhob.

Nach längerer Debatte wurde daun zu diesem Artikel noch folgender Antrag Kübel angenommen: Hat ein au die Straße Bauender die der Gemeinde durch die Erwer­bung des Straßeuplatzes entlang von fremden Grundstücken entstandenen Kosten übernommen, fo kann er von der Ge­meinde insoweit später Ersatz seiner Auslagen verlangen, als sie von den Eigentümern der angreudeuden Grundstücke Beiträge dafür erhalten kann.

Fünf Stunden hatte bis hieher die Sitzung gedauert und die Reihen der Abgeordneten hatten stch stark gelichtet. Als nun Präsident v. Payer einen wetteren zurückgestellteu Artikel auftief, um die Bauordnung vollends ganz zu er­ledigen, da gab es eine längere Geschästsordnnugsdebatte, in der ein Hinweis darauf, daß diese Abreise xvr nskas. zu Unrecht, erfolgt sei. da die Abgeordneten die Pflicht hätten, den Sitzungen bis zum Schluß auzuwohneu. Das war von dem Abg. Gröber wohl nicht so bös gemeint, wie denn auch Präsident v. Payer stch zu einer milderen Auf-

das wie eine zuckende Flamme aus den Augen de» Staats­anwalts ihr entgegeuschlug?

Mit kau« merklichem Gruß ging er au ihr vorüber, leise über den weichen Teppich schreitend. Die alte Dame, die Bewohnerin dieser Räume, kam Seydel hier entgegen. Ihr mildes, freundliches Gesicht, über dem es wie stiller Mondglanz lag, erschien ihm wie ein Friedensbild tu seiner Bedrängnis. Er nannte ihr seinen Namen, indem er stch tief vor ihr verneigte. Dann zog er ihre schmale, weiße Hand an seine Lippen und küßte sie ehrfurchtsvoll.

Wie danke ich Ihnen, gnädige Frau, für Ihre gütige Gastfreundschaft, die Sie meinem armen Kinde erweisen."

Die Greisin lächelte sanft; aus ihres Zügen sprach eine Güte, dir, wie stch Seydel eingestand, kaum von dieser Welt war.

Wenn man achtzig Jahre alt ist, wie ich, und ge­zwungen ist, Feierabend zu machen, daun muß mau eS als ein Geschenk des Himmels ansehen, wenn man noch einmal nützen darf, und sei es mit dem geringsten Beistände. Der Arzt untersucht ebeiz die Wunde. Ich glaube, Sie dürfen aufatmeu, Herr Staatsanwalt; Ihr Kind hat die Besinn­ung wiedererlaugt."

Seydel dankte der Greisin noch einmal warm, dam folgte er endlich seinem Verlangen und trat iu daS Zimmer ein, wo Elisabeth, lag. Au der Schwelle des schwach er­hellten Raumes blieb er einen Augenblick stehen; eine zitternde Bewegung ergriff ihn unbeschreiblicher Gewalt; seine selbstbewußte Sicherhett fiel ganz von ihm ab, als er dar