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gegen 7 Uhr im Frack zu einer befreundeten Dame in der Rue de Bern; er kam aus dem Hause gegen 8 Uhr, bis über die Ohren vermummt, in langem Kaisermantel, mit der Dame am Arme. Er rief eine Droschke an und fuhr ein Stück, stieg dann aus, rief eine andere Droschke und wechselte so viermal den Wagen, bi« er schließlich am Nordbahnhof ankam. Dort bestieg er mit der Dame den Schnellzug 9 Uhr 45 Minuten nach Brüssel. Boulangistische und monarchistische Deputierte demen- tieren die Nachricht und behaupten, Boulanger fei heute morgens noch in Paris gewesen. Thatsächlich aber ist er aus seinem Hause verschwunden. Am gleichen Tage sind etwa 3oO seiner Anhänger bei ihm gewesen, die ihm zur Flucht verhelfen wollten. Aber so klug war er wohl, dies freundliche Angebot nicht anzunehmcn, denn mit 300 Personen ist eine Flucht nicht gut möglich. Der tapfere, mutige General zog cs daher vor, allein durchzugehen — nein, nicht allein, sondern mit einer Dame. Das ist unter allen Umständen angenehmer. — Daß es mit der Absicht, Boulanger zu verhaften, Ernst ist, dürfte nicht mehr zu bezweifeln sein.
Brüssel, 3. April. BouIangerund Dillon sind im Hotel Mengelle abgestiegen; Rochefort und Fräulein Rochefort begaben sich ins Hotel de Flandre. Die Menge drängte sich am Bahnhofe mit dem Geschrei: „Es lebe Boulanger!" Auch ertönten einige Rufe: „Nieder mit Boulanger!" Auf eine bezügliche Anfrage erklärte Boulanger, er habe sich ein wenig nach Brüssel geflüchtet, denke aber nicht lange daselbst zu verweilen.
Gages-Weirigkeiten.
Herrenberg, 2. Apnl. Bei der Schlußpiüfung des Winterkurses der hiesigen Haushaltungsschule zeigten die Schülerinnen in der Haushaltungskunde, in Jndustriearbeiten und in den Fortbildungsfächern recht schöne Kenntnisse. Aus Anlaß der Gesundheitslehre und Krankenpflege wurden die neuangeschafften Modelle von der menschlichen Haut, den Zähnen, vom Auge, von Herz und Lunge und den Luftwegen vorgezeigt und erläutert, was allgemeines Interesse erregte. Die aufgelegten Hefte und die vielen Handarbeiten vom Flickstrumpf bis zum Herrenhemd und die feineren Strick- und Häckelarbeiten zeugten von Pünktlichkeit und großem Fleiß und fanden allseitigen Beifall. Am Mittwoch, den 24. April, vormittags 11 Uhr, findet die Eröffnung des Sommerkurses statt, wozu wir fröhliches Gedeihen wünschen.
Stuttgart. Der Wochenmarkt fängt an sich wieder zu beleben. Neben Salat aller Art finden wir Hopfenkeime, Spargel aus Frühbeeten, und saftige Monatrettige. Neben französischem Kopfsalat ist prächtiger Blumenkohl vertreten. Im Souterrain der Markthalle werden zahlreiche Kitzchen von 2 -4L an feilgehalten; von Fischen finden wir vor allem Hecht und Soles; von Geflügel junge Tauben 60—70 das Stück. Auf dem Wochenmarkt selbst sind noch Froschschenkel und Schnecken in Menge zu haben. Außerordentlich stark ist die Zufuhr von Eiern, darunter auch Gänseeiern, welche in der Osterzeit ein sehr beliebter Handelsartikel sind. Der Blumenmarkt zeigt sich in seiner ganzen Frühjahrspracht. Von Topfpflanzen finden wir Azaleen, Rosen, Hyacinthsn, Tulpen, Krokus, Cenerarien, Veilchen. Von Schnittblumen sind Veilchen, Seidelbast, Scylla, Schneeglöckchen, Maiblumen, Hyacinthen und Himmelsschlüssel vertreten.
Geislingen, 1. April. Am heutigen Tage, dem Geburtstag des Fürsten Bismarck, ist folgende Erklärung von hiesigen Arbeitern an denselben abgegangen: Euer Durchlaucht! Am heutigen Tage möge es auch Arbeitern gestattet sein, Euer Durchlaucht zu nahen und innigsten Dank für die von Euer Durchlaucht dem Arbeiter stand so reichlich gewidmete Fürsorge darzu- bringen. Das große von Kaiser Wilhelm l. und Euer Durchlaucht begonnene Werk der Alters- und Jnvalidenversorgung geht seinem Abschluß entgegen. Es wird reichen Segen bringen. Aber es läßt noch eine große Lücke offen: Die Sorge für die Witwen und Waisen, welche für die große Mehrzahl der Arbeiter noch eine viel größere und schmerzlichere ist, als diejenige, um das Alter und die Arbeitsunfähigkeit. Gerne erkennen alle maßvoll denkenden Arbeiter an, daß mit diesen Gesetzen schrittweise vorangsgangen werden muß; gleichwohl möge hier die ehrfurchtsvolle B-tle gestattet sein: Euer Durchlaucht möge dahin wirken, daß beim Abschluß des Alters- und Jnvalidengesetzes für den baldmöglichsten Anschluß der Witwen- und Waisenversicherung Vorsorge getroffen wird; denn, da alle Arbeiter zur Altersversicherung Beiträge zahlen müssen, ein sehr großer Teil aber nur eine geringe Aussicht hat, die Altersgrenze zu erleben, so würde es einer Härte und Ungerechtigkeit gleichkommen, wenn den Berufszweigen mit niederer Lebensdauer nicht in der Witwen« und Waisenversorgung ein Ersatz geboten würde, und wenn die Aermsten leer ausgehen müßten. Euer Durchlaucht möchten einer Heruntersetzung der Altersgrenze und allen Maßregeln zur Erweiterung der Altersversorgung vorerst nicht zustimmen, weil dadurch die Ausführung der viel dringenderen Witwen- und Waisenversorgung nur verzögert und — trotz dem guten Willen — den Bedürfnissen der Arbeiter nicht Rechnung getragen wird. — Die Herabsetzung der Altersgrenze kann erst dann den Arbeitern erwünscht sein, wenn für die Witwen und Waisen gesorgt ist. Endlich sei noch die Bitte gestattet, daß die Beiträge und Renten nach Lohnklasien bemessen werden — weil nur so den thatsächlichen Verhältnissen und Bedürfnissen der Arbeiter Rechnung getragen werden kann. Das warme Interesse, welches Euer Durchlaucht den Arbeiten entgegenbringen, ermutigt die ehrerbietigst Unterzeichneten, am heutigen Tage diese Bitten Euer Durchlaucht ehrerbietigst darzubringen. Wolle Gott Euer Durchlaucht ein langes Leben schenken, zum Wohl de» deutschen Volkes und Vaterlandes!
Murr, 1. April. Auf ganz ungeschickte Weise strafte eine, wie man hört, übelhörige Frauensperson, eine herumziehende Scherenschleiferin. heute einen sie mit Unarten verfolgenden 11jährigen Knaben von hier. Während sie von Haus zu Haus nach reparterbevürftigen Messern und Scheren suchte, setzten etliche unartige Knaben derselben sogar bi« in die Häuser nach, zerrten sie am Rocke u. s. w. Natürlich durch solche« Gebahren der Knaben wütend gemacht, schlug die Bedrängte im Unverstand mit ihrem Bündel Scheeren
nach dem Frechsten der Knaben und traf ihn so unglücklich in den Unterleib, daß die Wunde zugenäht werden mutzte, um das Hervortreten der Gedärme weiter zu verhindern. Das Leben des so gestraften Knaben ist gefährdet. Die Thäterin wurde verhaftet.
Mergelstetten, 1. April. Der „Grenzbote" berichtet: Im Dezember 1885 haben sich die hiesigen sieben 1815er zum Andenken an die zurückgelegten 70 Lebensjahre zusammengefuuden und damals an ihren Altersgenossen Fürsten Bismarck folgendes Telegramm gesandt: „7 hier versammelte Schwaben bringen auf ihren berühmtesten Altersgenossen ein Hoch!" Die im Besitz des Hofkunstfärbers Neunhöfer befindliche Antwort lautete: „Berlin, den 8. Dez. 1885. Indem ich mit herzlichem Danke den Gruß meiner 7 Siebziger Altersgenossen in Schwaben erwiedere, bitte ich dieselben, den Austausch der Begrüßung zu wiederholen, wenn wir 8 Achtziger sein werden, v. Bismarck." — Zur Feier des heutigen Geburtstags des Fürsten hatten sich gestern abend wieder die Altersgenossen in einem mit jenem Dankschreiben geschmückten Gastzimmer im Hirsch zu einem Nachtessen zusammengefunden, doch zeigte sich eine schmerzliche Lücke, denn einer der Sieben ist seither durch den Tod abberufen worden.
Btberach, 3. April. Im Kaufmännischen Verein sprach kürzlich Prof. Schneider im Gasthof z. Krone über die Verfälschung der Lebensmittel. Derselbe gab zunächst einen Ueberblick über die bei den wichtigsten Nährstoffen am häufigsten vorkommenden Verfälschungen, die, schon in den ältesten Zeiten vorkommend, mit den Fortschritten der technischen Chemie in neuerer Zeit viel größere Verhältnisse angenommen haben. Hierauf wurden die wichtigsten Nahrungs- und Genußmittel mit Rücksicht auf ihre Wirkungen für den menschlichen Körper der Reihe nach beschrieben und durch gelungene chemische Versuche einzelne Verfälschungen nachgewiesen. Der Redner verstand vortrefflich, seine Erklärungen und Erläuterungen durch humorvolle Darstellung zu würzen und so das Interesse der zahlreichen Zuhörer zu fesseln. Hr. Gustav Günther dankte als Vorstand des Vereins dem Redner für seinen umfassenden, lehrreichen Vortrag in warmen Worten, welche mit lebhaftem Beifall von der zahlreichen Versammlung ausgenommen wurden.
Bremerhaven, 30. März. Der nachstehende interessante Fall wird von hier mitgeteilt: Fern in Süoaustralien lebte seit sechzehn Jahren ein einsam wohnender Schafzüchter unter englischem Namen, der aber von Hause aus Stolpe hieß und in Hamburg das Licht der Welt erblickt hatte. Die Kunde von dem Ableben der Kaiser Wilhelm und Friedrich drang auch in jene Einöde, wie denn auch der Gnadenakt Kaiser Friedrichs, der Amnestieerlaß, seinen Weg in die englische Presse jenes Weltteils fand. Unser „Australier" erhielt auch Kunde hiervon, und, wie aus einem schweren Banne erlöst, gab er sein Nomadenleben plötzlich auf, versilberte in der nächsten Stadt alles, was irgendwie zu Geld zu machen war, und ergriff die nächste Gelegenheit, mit dinem deutschen Postschiff gen Europa zu dampfen. Vor einigen Tagen begrüßte er nun, nach 16jähriger Irrfahrt in der fernen Welt, wieder die heimatliche Erde in Bremerhafen und schickte sich an, zu seiner noch lebenden alten Mutter zu eilen; aber es kam anders, als er es sich vorgestellt hatte. Bei Durchsicht seiner Papiere Hierselbst fand man nämlich, daß er bis zum Jahre 1873 beim schleswig-holsteinischen Husaren- Regiment Nr. 16 in Schleswig gedient, fahnenflüchtig geworden war, und das Weite gesucht hatte. Alle Nachforschungen nach ihm waren bisher vergeblich gewesen, und selbst die alte Mutter hatte nie eine Zeile von seiner Hand erhalten, bis der Amnestreerlaß eS zuwege brachte, den so lange Gesuchten zwar nicht der Mutter, wohl aber der Militärbehörde in die Arme zu führen. Letztere erklärte ihm jedoch sogleich, daß der Erlaß auf ihn keine Anwendung fände und er sich zur Weiterreise nach Flensburg bequemen müsse, woselbst vor dortigem Division« gericht seine Verurteilung wegen Fahnenflucht in den nächsten Tagen vor sich gehen würde. Die alte Mutter erfuhr von dem merkwürdigen Schicksale ihres Sohnes und reiste ihm sofort nach. Dieselbe soll, wie man aus Flensburg schreibt, Gelegenheit gesunden haben, ihr Kind, jetzt einen bärtigen, gebräunten Mann, nach der jahrelangen Trennung im Arrestlokal daselbst wieder zu sehen, freilich nur auf Augenblicke, die für dis Mutter sowohl als auch für den Sohn gleich erschütternd gewesen sein müssen.
Wevrnischtes.
— Moderne Barbarei. Alle Freunde des Boulogner Wäldchens, einer der Hauptzierden der französischen Hauptstadt sind in höchster Erregung. Man will nämlich durch das Wäldchen, von Auteuil bis nach Boulogne, eine Eisenbahn anlegen, was eine vollständige Verstümmelung dieser berühmten Parkanlage bedeuten würde. Dem Gemeinderat von Parts liegt gegenwärtig der betreffende Antrag vor. Man hatte demselben schon einmal vor den Gemeinderat gebracht, aber er verwarf ihn. Ob er sich dieses Mal wieder gegen denselben aussprechen wird, ist ungewiß; es ist sogar zu befürchten, daß er schließlich Ja sagt, wie es auch die Pariser Gemeindekommission that, als ihr der berüchtigte Seinepräfekt Haußmann vorschlug, den prachtvollen Luxemburgischer Garten zu verstümmeln, und den Vorstellungen de« mit der Prüfung der Frage betrauten Ingenieurs kein Gehör schenken wird, welcher sich entschieden dagegen ausspricht.
Im Schirmladen. „Sie haben mich schändlich betrogen, mein Herr! Vor drei Tagen habe ich für 15 «k diesen Schirm bei Ihnen ge- kauft — da. sehen Sie ihn sich mal an!" Der Kaufmann besieht die Schirm- ruine von allen Seiten, schüttelt mit dem Kopf und meint schließlich: „Haben Sie ihn vielleicht zufällig naß werden lassen, gnädige Frau?" _
Gotte-Vienste am Sonntag, den 7. April 1889. Konfirmation.
Vom Tnrm: 245. Vormittagspredigt um 9 Uhr: Herr Dekan Braun. Konfirmationshandlung mit 41 Söhnen und 53 Töchtern. Nachm. '/,3 Uhr- Unterredung mit den Neukonfirmierten, Herr Helfer Eytel. _.
«»tt-äiwp« i» ä«r Metkoäisteaiapelle am Sonntag, den 7. April 1889, morgen« V,10 Uhr abend» 5 Uhr.