81. Jahrgang.

Auflage 2600.

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Magold, Donnerstag den 12. Dezemöer

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Flotteuvorlage und Reichssiuanzreform.

Unter den mannigfachen Aufgaben des Reichstages stehen, vom nationalen Gesichtspunkte aus betrachtet, an erster Stelle die Flottenvorlage und die Reichsfinanzreform, weil beide, wenn auch in verschiedener Art, die Aufgabe haben, unsere Stellung in der Welt zu befestigen und zu stärken. Die Flottenvorlage fordert bekanntlich vom Reichs­tage die Festsetzung des Höchstalters der Kriegsschiffe auf 20 Jahre, statt der bisherigen 25 Jahre, und wird dadurch, wenn auch nicht sofort, so doch in absehbarer Zeit sicher dazu beitragen, unsere Seestreitkräfte schlagfertiger und für die ihr in einem Kriege zufallenden Aufgaben geeigneter zu machen. Mag diese Vorlage auch nicht alle» Wünschen entsprechen, die in manchen nationalen Kreisen gehegt werden, so darf man doch das Vertrauen haben, daß das Reichs­marineamt wenigstens das von den Volksvertretern gefor­dert hat, was unumgänglich notwendig und mit unseren Finanzmitteln erreichbar ist.

Darüber darf heutigen Tages kein Vaterlandsfreund die Augen verschließen, daß unsere Reichsfinanzen einen wenig befriedigenden Eindruck machen und dringend der Besserung bedürfen. Die bereits im Vorjahre eingeleitete Finanzreform ist von dem damaligen Reichstage zu stark beschnitten worden, ganz abgesehen davon, daß auch die eine oder andere angenommene Steuer nicht die erwarteten Er­träge gebracht hat. Die Folge davon ist, daß der gegen­wärtige Fehlbetrag über 100 Millionen Mark beträgt, die dringend beschafft werden müssen, wenn das Reich nicht in seinem Ansehen in der Welt Schaden leiden soll. Auch unsere nationale Sicherheit wird durch einen ungünstigen Stand der Reichsfinanzen bedroht, da zum Kriegsühren nach einem alten Worte Geld und wiederum Geld und nochmals Geld gehört, ungünstige Reichsfinanzen aber die Kredit­fähigkeit eines Landes auf dem Geldmarkt herabsetzen. Wir hoffen, daß der gegenwärtige, ausdrücklich unter dem nationalen Zeichen gewählte Reichstag trotz der bisher über die Art der Aufbringung der Mittel sehr auseinandergehen­den Meinungen sich einigen und das Werk zu einem gedeih­lichen Ende führen werde. Es handelt sich dabei um eine nationale Tat, bet der es gelingen muß, die Parteiunter­schiede zu Überdrücken und zu überwinden zum Wohle des Vaterlandes.

Einen Vorteil von dem Weiterbestehen der gegen­wärtigen Verhältnisse hat nur die planmäßig aus die Auf­lösung des Reiches hinarbeitende Sozialdemokratie. Es wäre falsch, ihr gerade jetzt einen Beweis mangelnden Patriotismus als Waffe in die Hand zu geben, wo sie mit einer unerhörten, allen Verhältnissen ins Gesicht schlagenden Dreistigkeit daran geht, den Ruhm echter Nationalität für sich in Anspruch zu nehmen und den bürgerlichen Parteien den Vorwurf engherziger Partei- und Ktafsenselbstsucht zu machen. Dagegen muß aus nationalen Gründen mit aller Entschiedenheit Einspruch erhoben werden, und zwar nicht nur durch Worte, sondern in erster Linie durch die Tat, dadurch, daß die nationalen Parteien ihre Sovderir-tereffen hintanstellen und die zum Gedeihen des Reiches notwendigen Mittel opfermütig bewilligen.

AoMische Hleverficht.

Die letzte Stellungnahme des Reichskanzler zum Block ist vielfach als ein Etnlenken zur parlamentarische Regierung nach englischem Master gedeutet worden. Wäl rend man dies in ganz linksliberalen Kreisen dem Kanzb als Erfüllung einer fortschrittlichen Forderung anrechnet versuchte man in Antiblockkreisen, namentlich tu der Zentrum- presse, einen Gegensatz zwischen Kaiser und Kanzler z konstruieren. Hierzu bemerkt nun dieKöln. Ztg." j einem von halbamtlicher Seite inspirierten Artikel: Na unserer Kenntnis der Dinge beruht sowohl jene Beurteilunj als auch der Versuch, dem Reichskanzler beim Kaiser z schaden, auf falscher Grundlage. Wäre der Fall eingetretei baß die vom Reichskanzler früher gehegte Hoffnung, mit d< Blockmehrheit gedeihlich arbeiten zu können, hinfällig g worden, so wurde der Kanzler dem Kaiser darüber MeU ung erstattet haben, daß er nicht mehr tu der Lage sei, da verembarte Regierungsprogramrn durchzusühren. Er wirrt dann entsprechend den Kaiser um seine Verabschiedung gl beten haben.

Di- preußische General-Tynode ist i« Berli zu einer außerordentlichen Tagung zusammengetreten. De hauptsächlichsten Beratungsstoff bildet die wirtschaftliche B fferstellung der Geistlichen. Es liegen u. a. vor der En Wurf zum Pfarrbesoldungsgesetz für die evangelische Laude; kirche der älteren Provinze«, der Entwurf der Ruhegehaltsori

nung und der Entwurf eines Kirchengesetzes, betr. die Fürsorge

für die Witwen und Waisen der Geistlichen. Außerdem wird sich die Synode noch mit einem Gesetz betr. das Pfarr- besetzungsrecht befassen.

Im «ngarischen Abgeordnetenhaus ist es auch in der Sonntagssitzung wegen des schroffen Vorgehens gegen die Obstruktion zu heftigen Szenen gekommen. Wiedemm wurde ein Kroate von der Teilnhme an 15 Sitzungen aus­geschlossen. Den meisten kroatischen Rednern wurde das Wort entzogen.

Der italienische« Depntierteukammer wurde am Samstagabend vom Schatzminister das Finanzexpose vorgelegt, das folgende Ueberschüffe verzeichnet: für 1906/07 86 Millionen Lire, für 1907/08 29 Millionen und für 1908/09 26 Millionen. Der Minister kündigte dann eine Reihe von MaßnahmenaufsozialemGebiet und auf demGebietder inneren Verwaltung anu. teilte mit, daß der Sch atz einen Bestand von 478 Millionen ausweise. Die Finanzlage erfordert Sparsamkeit, da die Erhöhung der Beamtengehälter und andere Gesetze die Ueberschüffe verschlingen. Deshalb ist es noch nicht möglich, an die gewünschte Steuerreform heranzugehen. Die unantastbare Reserve der italienischen Staatsbank soll von 300 aas 400 Millionen erhöht werden. Gegen den Ex­minister Nast find strengere Maßnahmen ergriffen worden, weil er sich weigert, die Offizialverteidiger anzunehmen.

Als erste» Schritt zur Seligsprechung Pius IX. betrachtet man ein soeben ergangenes Edikt der Kongregation der Riten, das eine Nachforschung nach Schriften Pius IX. befiehlt. Allen Geistlichen und Laien, Männern wie Frauen, wird unter Androhung von Kirchenstrafen geboten, die in ihrem Besitz befindlichen Schriftstücke in den Archiven der Kongregation niederzulegen oder solche Personen, die derartige Schriftstücke besitzen, binnen zwei Monaten namhaft zu machen.

DiefranzöfischeDepntiertenkammer verabschiedete gestern das Finanzgesetz, das mit einem Defizit von 7 Mil­lionen Frank abschließt. Zur teilweisen Deckung dieses Defizits wurde ein Beschluß gefaßt, der sämtliche Börsen­operationen mit einer Steuer von zehn Centimes pro tausend Frank belegt, ausgenommen bleiben die französische Rente, sowie diejenigen französischen und ausländischen Werte, die bereits einer besonderen Steuer unterworfen sind.

Die Lage in Portugal scheint nach neuen Meldungen nicht gar so ernst zu sein, wie anscheinend übertriebene Meldungen aus den letzten Wochen befürchten ließen. Gegen­wärtig herrscht jedenfalls vollständige Ruhe, und das Nach­lassen der politischen Spannung wird jedenfalls gestatten, alle konstitutionellen Maßregeln zu ergreifen, die darauf abzielen, die Ruhe dauernd zu sichern. Voraussichtlich werden die Wahlverbände noch im laufenden Monat einberufen werden, um gegen Ende des Monats März oder im Anfang April des kommenden Jahres zusammenzutreten.

Ans Marokko wird gemeldet, daß Abgesandte der Beni Snassen dem General Lyautey ihre Unterwerfung angeboten haben. Die Operationen gegen die Beni Snassen wurden augenblicklich eingestellt, um den Stämmen Zeit zu lasten, die Bedingungen ihrer Unterwerfung kennen zu lernen. ImEcho de Paris" veröffentlicht ein franzö­sischer Forschungsreisender eine Unterredung mit Mulay Haftd, in der dieser erklärte: Ich verlange, daß ich meinen Streit mit Abdul Afis austragen kann, ohne daß Frank­reich meine Feinde begünstigt. Man beschuldigt mich, der Sultan des heiligen Kriegs zu sein. Meine Soldaten wissen, daß man sie gegen Abdul Asis führt. Allerdings ist es möglich, daß schließlich der heilige Krieg daraus entsteht. Es hängt nur von Frankreich ab, daß dies nicht geschieht. Mit den vereinzelten Leuten, welche den General Drude bei Casablanca angegriffen haben, habe ich nichts zu tun. Ich bemühe mich im Gegenteil, die Schauja-Leute zurück­zuhalten. Was mich jedoch aufs höchste befremdet hat, ist die Tatsache, daß die Soldaten Abdul Asis' mittelst fran­zösischer Schiffe nach Mazagan gebracht wurden. Mulay Hafid sagte sodann, daß er gegen Mazagan marschieren werde und damit um jeden Preis vermeiden wolle, die Europäer zu schädigen.

Die Vorgänge in Marokko. Eine Automobil- mitrailleuse mit vier Sitzen für den Geschützführer, Chauf­feur und zwei Artilleristen ist von Vincennes unterwegs nach Marokko. Abdul Aziz befahl, um einen der unzu­verlässigen Stämme in der Umgebung von Fez. die Ulad Djanah, zu gewinnen, den diesem Stamme entsprossenen, seit 1894 in Tetuan internierten Si Muhamed Aßguir, ehedem Kriegsminister und erster Günstling Muley Hassans, in Freiheit zu setzen und ihm die Oberleitung der scherifischen Truppen anzubieten. Aßguir war das Opfer einer Palast- iutrigne.

Förderung der Zeppelinfche» Probefahrten durch das Reich.

Berlin, 10.Dez. DerNachtragSetatzumReichs- haushaltungsetatfür 1907, der, wie gemeldet, dem Reichstag zugegangen ist und 400000 ^ zur Förderung der Versuche auf dem Gebiete der Motorlustschiffahrt fordert, hatte eine Begründung, worin es heißt:

Nach der Erläuterung zum Kapitel 3 Titel 33 der einmaligen Ausgaben im Etat deS Reichsamts des In««« für das Rechnungsjahr 1907 sollten die damals daselbst vorgesehenen Mittel zur Errichtung einer schwimmende» eisernern Halle auf dem Bodensee zur Vornahme von Ver­suchen im Sommer und Herbst 1907 dienen. Die Halle konnte jedoch nicht vor Ende September in Benutzung ge­nommen werden, so daß die vorgesehenen Probefahrten erst im Herbste zur Ausführung gelangten. Wenn diese Fahrten auch befriedigende Ergebnisse gezeitigt, insbesondere die Stabilität und Steuerbarkeit und die Fähigkeit des Luft­schiffes sich durch lange Zeit manöveriersähig zu halten, erwiesen haben, so empfiehlt es sich doch, Tag und Nacht umfassende Dauerfahrten zu dem Nachweis der sicheren Landung ans festem Boden bis zu günstigerer Jahreszeit zu verschieben, sowie die gewonnenen Erfahrungen schon jetzt für den Bau eines zweiten Luftschiffes zu verwerten. Dieser Bau wird voraussichtlich Anfang Februar 1908 fertiggestellt sein. Mit dem zweiten und mit dem vorhandenen Luftschiffe sollen alsdann bis Ende Mai die Fahrt-:» aus­geführt werden, die zur vollständigen Erprobung des starren Systems, zu Verkehrs- und BeobachtuugSzwecken sich als erwünscht herausgestellt haben. Da die für 1907 bewilligten 500000 ^ durch den «au der Halle und die bisherige« Versuche vollständig verbraucht find, wird für das laufende Rechnungsjahr zur Fertigstellung des zweiten Luftschiffs und zur Fortführung des Betriebes bis Ende Mai dem Grafen Zeppelin ein Betrag in der angesorderten Höhe von 400000 ^ zur Verfügung gestellt werden. (Mpst.)

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

«er«», 10. Dez

Vereinsgesetz. Gngoire (lib. Lothringer): Das Reich wolle den Elsaß-Lothringern jetzt hier ein Verbot aufdrängen, das bisher bei ihnen unbekannt war, indem es, von Ansnahmen abgesehen, die deutsche Sprache als Ver- sammlungsfprache vorschreiben wolle. Redner bekämpt leb­haft den 8 7, dabei betonend, daß auch die Strafen, die der Entwurf vorfehe, bei Weitem strenger seien, als zur Zeit in Elsaß-Lothringen. Seine Freunde würden solche Ausnahmebestimmungen entschieden ablehneu.

Müller-Meiningen (frs. Vp.) legt dar, welche grund­sätzlichen Vorzüge der vorliegende Entwurf habe. Der äußersten Linken gebe er zu, daß der Entwurf viel zu viel Mängel enthalte, viel zu viel Polizeibefugniffe. Redner rechnet bestimmt darauf, daß die Regierung stch mit dem begnügen werde, was in Württemberg Gebrauch ist: öffent­liche Bekanntmachung der Versammlung. Redner betont, er und seine Freunde hätten die allerschwersten Bedenken gegen den 8 7 und wegen der Anwendung, die er finden könnte. Seine Freunde hätte« ein dreifaches Bedenken gegen den 8 7- So wie der Paragraph jetzt lautet, werde er wohl keine Mehrheit in diesem Hause finden. Seine Parteifreunde würden alles tun, um die berechtigten Inte­ressen beider Teile, des Staates einerseits und andererseits der Staatsbürger mit einander in Einklang zu bringen. Redner schließt, es möge gelingen, ein Gesetz zu schaffen, das dem deutsche« Volke zum Segen gereiche.

Fürst Radz!iwill(Pole) weist die Angriffe gegen seine Landsleute zurück. Wie durste der Staatssekretär achtungs­werte Volkskretse ohne weiteres als illoyal und daherrecht­los hinstellen. Feierliche» Protest erhebe er gegen diese Worte des Staatssekretärs und deS Abg. Hieber. Der Vorwurf der Absonderungsgelüste der Polen sei eine un­bewiesene Verdächtigung. Er verlange Beweise, sonst er­kläre er sie als Verleumdung. (Vizepräsident ruft dm Redner zur jOrdnung.) Bismarck habe den Kulturkampf begonnm und hinterher revidiert und Fürst Bülow würde nicht eine Einbuße an Größe erleiden, wenn auch er diese Polenpolttik, die auch nur eine partielle Seite des Kultur­kampfes sei, revidieren wollte. (Lebhafte Ruse im Zentrum: Sehr wahr.) Der preußische Justizminister habe sich im Abgeorduetenhause für das dortige Antipolengesetz aus Gründe des öffentlichen Wohles berufen. Aber aus Grün­den deS öffentlichen Wohles habe man auch Ludwig XVI. und Marie Antouiette enthauptet. (Lebhafter Beifall bei den Palm und im Zentrum.)