81 . Jahrgang.

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Mit de« Planderstübchs» und

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UoMifche HleSerficht.

Polenvorlage und Vereinsgesetz find den Polen arg auf die Nerven gefallen. Sogar denen in Oesterreich, die doch wahrlich bester täten, sich um ihre eigenen Ange­legenheiten zu kümmern. Schon am Tag vor der Ein­bringung der Polenvorlage im preußischen Landtag erklärte der Obmann des Polenklubs des österreichischen Landtags, Professor Glombinski. in einer gemeinsamen Sitzung des Klubs und der polnischen Volkspartet, daß er an geeigneter Stelle in Preußen Protest gegen die Ostmarkenvorlage er­hoben habe, und am Donnerstag richtete er, entsprechend einem Beschluß jener Sitzung im österreichischen Abgeord­netenhaus schwere Anklagen gegen die Regierungen Preußens und des Reichs. U. a. nannte er den Sprachparagraphen im Vereinsgesetz und die beantragte Verleihung des Ent­eignungsrechts an die preußische Anfiedlungskommisston Be­stimmungen, die in der Geschichte eines Kulturvolkes uner­hört seien, und der gesamten Zivilisation ins Gesicht schlügen. Zum Schluß gab er der Uederzeugung Ausdruck, daß ein solches Vorgehen im Reich und in Preußen die Grundlagen des Bündnisses zwischen Deutschland und Oesterreich er­schüttern müsse, und er richtete die Anfrage an den Präsi­denten, ob er gewillt sei, diesen Anfichten der Polen an ge­eigneter Stelle Ausdruck zu verleihen. Nicht sehr taktvoll antwortete der Präsident des Abgeordnetenhauses auf diese Ausfälle, die Stelle, von welcher er spreche, verbiete ihm, sein persönliches Urteil über die fraglichen Maßnahmen zum Ausdruck zu bringen. Er halte aber dafür, daß der öster­reichische Ministerpräsident verpflichtet sei, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen, und empfehle eine Interpellation. Anderer Ansicht war der Redner der Deutschen, der gegen die Besprechung der Angelegenheit protestierte, da sie eine Verletzung der Geschäftsordnung darstelle. Es sei unerhört, daß sich das österreichische Parlament, in dem anarchische Zustände herrschen, in die wohlgeordneten Verhältnisse in Deutschland einmischten. Die guten Beziehungen zwischen Oesterreich und Deutschland müßten durch derartige Vorgänge leiden. Außerdem sollten dir österreichischen Pole» vor der eigenen Tür kehren, sie machten es mit den Ruthenen nicht anders, als Preußen mit den Polen. Nunmehr bedauerte auch der Präsident den Mißbrauch der Geschäftsordnung, womit er jedoch seine ersten Ausführungen nicht wieder gut machen konnte. Diese haben in Regierungs kreisen ernstlich verstimmt.

Die frauzöfisrhe Kammer hat die Regierung in einer Resolution ausgefordert, möglichst bald einen Gesetz­entwurf über die Origanisation der Kriegsmarine vorzulegen. In der Debatte hierüber und über den Marine-Etat wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, auf dem schnellsten Weg Schiffe zu bauen, da die letzten Jahre erwiesen hätten, daß die französische Marine wohl in die Notwendigkeit versetzt werden könnte, mit irgendeiner fremden Marine zu kämpfen. Außerdem wurde auf die Flottenanstrengungen Deutschlands hingewiesen.

Neue marokkanische Bauden haben die algerische Grenze überschritten und Plünderungen begangen. In Oran find bereits mehrere 100 Flüchtlinge aus Nemour und anderen gefährdeteu Orten etngetroffen. Die Beni Snassen haben starken Zuzug erhalten, man erwartet ein neues ernstes Gefecht mit ihnen. Ausgedehnte französische Truppenbeweg­ungen sind in vollem Gang. Zu Paris hatten Clömenceau, Pichon und Picquart eingehende Besprechungen über die neu­entstandene Lage. Kriegsmiuister Picquart teilt hierbei mit, daß er der Truppenleitung in Afrika volle Freiheit über­lassen habe. Mehrere französische Blätter melden, daß Sultan Abdul Afis sich bemühe, eine Aussöhnung mit seinem Bruder Mulay Hafid herbeizuführen. Die Niederlagen seiner Truppen scheinen ihn also bedenklich gemacht zu haben. Nach Feststellungen im französischen Senat wird das marok­kanische Abenteuer bis Ende des Jahres den französischen Etat mit einer nicht vorgesehenen Ausgabe von sechs Mil­lionen Frank belastet haben.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 30. Nov.

Etat.

Wiemer (frs. Vp.) freut sich, daß der Reichskanzler so entschieden der Legendenbildung über die Auflösung ent- gegengetreten sei. Der Abgeordnete Bebel prophezeihe schon wieder den raschen Verfall des Blocks und sage, die Rechte und das Zentrum würden sich sehr bald wieder finden. Was von den Prophezethungen des Herrn Bebel zu halten, sei, hätten ihm ja wieder die Wahlen gezeigt. Für die Finanz­lage wolle das Zentrum ohne Verantwortung sein, aber die vier Milliarden Schulden seien doch nicht erst seit der Auf­lösung entstanden, sondern in der Zeit, wo das Zentrum hervorragend ausschlaggebend gewesen fei. Uebrigens solle mau die Ungunst der Finanzlage doch auch nicht übertreiben. Dagegen, daß direkte Reichssteuern der Verfassung wider­sprächen, lege er Verwahrung ein. Bei Beratung der Ver­fassung sci ein Antrag, das Reich auf indirekte Steuern zu beschränken, vielmehr ausdrücklich abgelehnt worden. Ernst­haft komme jetzt für uns in Betracht, ob nicht die Erbschafts­steuer auf Deszendenten und Ehegatten auszudehnen sei, ferner Reform der Matrikular-Beiträge und Aufhebung der Branntweinsteuer-Liebesgaben und endlich direkte Steuern. Nicht diese sondern vielmehr indirekte Steuern seien Schritt­macher der Sozialdemokratie. (Ruf: Sehr richtig). Seine Kommission habe ferner stets nach dem Grundsätze gehandelt: die besten Waffen für das Landheer und das beste Schiff für die Flotte find grade gut genug. Darnach würden seine Freunde auch jetzt im Interesse unserer Wehrhaftigkeit handeln. Die gestrigen Aeußerungen des Kriegsministers hätten manches Geranne zerstört, aber in den Fällen Lynar und Hohenau erscheine ihm das Militär-Kabinett doch nicht ganz vorwurfsfrei. Die Reise des Kaiserpaares nach Eng­land und die Aufnahme dort erfüllten auch seine Freunde mit Genugtuung. Aber man solle sich da vor Enttäuschungen

hüten. Entscheidend für das Leben der Völker seien die

realen Interessen.

Reichskanzler Fürst Bülow. Im Mittelpunkt der Erörterungen stehe der Block. Alle Waffen seien gegen ihn geschwungen worden und zwar seit der ersten Stunde fernes Bestehens. Er verkenne die Schwierigkeiten für den Block ja keineswegs. Die Hauptschwierigkeit liege darin, daß es allen Parteien schwer falle, sich in die neue Lage zu finden. Der Kanzler gibt dann seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß auch die preußischen Fragen den Block keineswegs zu sprengen brauchten. Man müsse sich nur klar machen, daß das Land sonst geschädigt werde. Nötig sei nur, daß die Block­parteien in allen großen Fragen zusammenhielteu. Dabei könnten die einzelnen Parteien in grundsätzlichen Fragen doch ihren eigenen Weg gehen, so auch in untergeordneten Fragen. Vor allem sollten die Blockparteien aber aufhören, wenn einmal eine Differenz etntrete, gleich von dem Verfall des Blocks zu sprechen. Das habe ich, so fährt der Kanzler fort, erklärt, daß ich festhalten werde an unserer bewährten Wirtschaftspolitik. Ich habe ferner die Fortsetzung einer gesunden Sozialpolitik angekündigt. Ich habe auch gesagt, daß ich für angemessen halte ein Entgegenkommen gegenüber den liberalen Anschauungen. Nun Vereins­gesetz und Börsengesetz sind Ihnen ja bereits zugegangen. Ersteres Gesetz entspricht, wie ich glaube den liberalen Anforderungen, hält aber zugleich die Schranken inne, welche die Aufrechterhaltung der Staatsgewalt erfordern und das zweite Gesetz bringt gleichfalls, wenn es auch das Verbot des Terminhandels in Getreide aufrecht erhalte, die von ihnen ersehnte Reform. Ich glaube, mit etwas gutem Willen werden diese beiden Gesetze zum Abschluß ge­bracht werden können. Die Zusage der Aufbesserung der Beamteugehälter soll eingebracht werden. Die Vorlage wird Ihnen bald zugehen. Auf sozialem Gebiet wird wei­ter gearbeitet werden. Weiter werde auch ein Gesetz über die Arbeitskammern bald erscheinen. Er zweifelt nicht da­ran, daß alle Forderungen für die Wehrkraft des Reiches einheitlich von allen bürgerlichen Parteien angenommen werden, hofft aber auch auf Bereitstellung von Mitteln zur Deckung des Defizits. Er gibt zu, diese Aufgabe sei über­aus schwierig, ernst und kritisch, aber das hohe Haus werde sich der Pflicht, die Finanzen des Reiches auf eine gesunde Grundlage zu stellen, nicht entziehen. Auch auf dem Ge­biete der Rechtspflege halte er Reformen für dringend nö­tig. Die Rohheitsdelikte müßten schärfer bestraft werden. Fragen, deren Beantwortung vor Gericht schmerzlich und peinlich seien, dürften nicht ohne Not gestellt werden. Der Gerichtssaal dürfe nicht zur Folterkammer werden. Not­wendig sei eine Eindämmung der in den großen Städten hochgekommenen Schmutzpreffe, die nur vom Skandal lebe. Die Vorarbeiten der Reform von Strafrecht und Strafpro­zeß würden beschleunigt. Der Strafvollzug solle verbessert werden in erster Linie in Bezug auf die jugendlichen Per­sonen. Zum Schluß wiederholt der Kanzler, die Blockpo­litik verlange auch von den Liberalen keine reaktionären Anwandlungen. Die Bahn ist frei, so schließt er, ich habe alles getan, um sie frei zu machen. Jetzt ist es an den

W<rter und Sohn

von A. Supper. (Nachdr. verb.)

(Fortsetzung.)

Er setzte sich an den Tisch, wo eine Oelampel bräunt« rin uraltes qualmendes Ding, das die Luft der niedere Stube dick und übelriechend machte, den offenen Fenster zum Trotz. Schweigend, die braunen, knochigen Hände au dem Tisch gefaltet, schaute er hinüber zu seines Vater Liegerstatt. Das graumelierte Haar fiel ihm aus die Stirne d« große, bartlose Mund war ein wenig geöffnet, schar und gesaunt blickten die tiefliegendm Augen.

^Michele." murmelte jetzt der Kranke,Michele, mach'' Fensterle uf!"

's ischt offe', Vatter," antwortete leise der Soh« der M den gleichen Wunsch heute abend schon so oft di gleiche Antwort gegeben hatte.

^Michele," klang?s nach einer Weile, morge mueß '< Jörgles Kraut g'hackt werde."

Jo, jo," brummte der Bue am Tisch, und er lies kein Auge von dem Alten.

Das Atmen wurde schwerer. Dann und wann klan, eS wie ein Röcheln, dem daun ein kurzer Husten folgte.

Michele, e wmg Milch wenn der mer gebe rätstH

Der Sohn stand schwerfällig vom Tisch auf und holt die Mich. Langsam trug er sie daher, langsam und unge

schickt reichte er sie dem Alten, der ein weniges verschüttete-

Schad' drum!" sagte er mühsam.

Es war, als finke der Kranke jetzt in Schlaf. Schnar­chende, kurze Laute kamen vom Bett herüber. Der Bue saß wieder am Tisch. Den Kopf hatte er jetzt aufgestützt. So starrte er vor sich hin auf die schmierige Tischplatte, auf der halbverbrannte Motten und Mücklein ringS um die Ampel lagen.

's sell wär' 's sell wär'!" (das wäre), murmelte er ein paarmal vor sich hin, als wundere er sich über etwas ganz Unglaubliches. Da rührte sich der Alte drüben wieder.

Michele," sagte er.'S Pfrommers Hannes wurd schö' schelte', wenn i 'm sei' Gerst' net schneide' hilf."

I schneid' se scho', Vatter," murmelte der am Tisch.

Und 'em Gemme muß mer Gülle führe."

Sell tuet's uo'," vertröstet der Bue.

Wieder ward's mäuschenstill in der Stube. Aber draußen in der schwarzen, schwülen Nacht hörte man den Wind auswachen, der vor einem Wetter hergeht.

Der hagere Mann am Tisch hatte auf einmal eine große Unruhe in sich. Es war heute eine ganz andere Nacht als sonst. Es schien ihm, als müsse er irgend etwas tun, irgendwie in den Lauf der Dinge eiugreifeu.

Vatter," sagte er,so't denn net d'r Doktor noch Euch gucke?" .

Der Alte stützt sich fast rasch in seinen Kiffen auf.

Was schwätzst au'," gab er vorwurfsvoll zurück, morge tst's doch net Mittwoch."

Der am Tisch senkte dev Kopf. Freilich, nur Mitt­wochs kam ja der Doktor ins abgelegene Dorf. Aber dann fiel ihm doch wieder etwas ein.Ha weißt d', zu s' Schulze Johannes Weib ist 'r doch au e mol bei d'r Nacht komme."

Der Alte lachte auf, so gut es ging.Bin i e Kem- bettere*) ? ha, ha." Und dann wurde er ernst, hob die welke, lederartige Hand und murmelte:Bei mei'm Weib, Michele und bei dei'm Weib, wer tsch denn do 'komme? Narr, e' Doktor bei d'r Nacht, des 'scht nix für de arme Leut!"

Der Sohn schwieg und starrte vor sich hin. Er mochte einsehen, wie töricht sein Plan gewesen war.

Vater," sagte er dann nach einer langen Zeit,oder soll i' am End' de Pfarrer hole'?"

Der Alte schien erst nicht zu hören. Schwer atmend lag er da, dann hustete er ein paarmal und murmelte:Noi weger, Michele! laß 'n schloss, de Pfarrer, 'r mueß sich au untertags ploge genueg."

Meder wurde es still. Der Bue ließ die Hände sinken, als sei er mit allem guten Rat zu Ende, und der Alte schlummerte. Ein ferner Blitz leuchtete auf hinter dem Dach des Backhauses, und die Blätter des nahen Nuß­baumes rauschten stärker im anschwellenden Wind.

Langsam schritt jetzt der Sohn über den lautknirschenden Stubensand an seines Vaters Bett. Er wußte nicht, was er eigentlich da wollte. Er war's nur so gewöhnt, immer au des Alten Sette zu sein. Tagsüber bei der Arbeit tu

') Kindbetterin.