81- Jahrgang.
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Festtag«.
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Merrrfpvechev Uv. LS.
Mevnfpvecher Hkr. LS.
Auflage 2K00.
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Mit dem Plauderstübchen und
«chwäb. Landwirt.
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Bekanntmachung betr. die freie Wagner-Innung.
Mit Erlaß vom 24. Okt. 1907 No. 8383 hat die K. Kreisregierung Reutlingen den ihr vorgelegten Satzungsentwurf der freien Wagnerinnuug für den Bezirk Nagold gutgeheißen.
Es findet daher
am Sonntag de« 1«. Rov 1SVV, «ach«. 2 Uhr im Gasthof zur Traube in Nagold
unter dem Vorsitz des Oberamts die konstituierende Berfammlnng statt, in welcher der Vorstand der Innung gewählt wird und womöglich auch die übrigen Junungs- Lmter besetzt werden sollten.
Sämtliche Wagnermeister des Bezirks werden hiezu eingeladen.
Nagold, den 29. Okt. 1907. K. Oberamt.
I. V. Mayer, Reg.-Afs.
KoMische HleSerficht.
Der König von England leitete am Samstag die Haldanesche Reform der Territorialarmee durch einen Empfang der Lord-Leutnants der Grafschaften ein, die «ach dem neuen Wehrsystem an der Spitze der Grafschafts- Vereinigungen stehen werden, denen die Aufsicht über die lokalen Streitkräfte obliegt. In einer Rede setzte der König die den Lord-Leutnants durch das neue Wehrsystem erwachsenden Pflichten auseinander und sprach die Zuversicht aus, daß die vereinigten Anstrengungen des Volks eine erfolgreiche Durchführung des Werks ermöglichen werden.
Die letzten Depesche« ans Marokko, die dem französischen Kabinettsrat zugegangen sind, besagen: Es ist möglich, baß die Mahalla Mulay Hasids, die sich augenblicklich in Tafetsch befindet, morgen mit den Leuten des Anflu-Stammes in Berührung tritt, die die Straßen nach Mogador bewachen. Frankreich habe vor Mogador drei Schiffe, darunter zwei Kreuzer, um nötigenfalls den Schutz der europäischen Niederlassungen zu übernehmen. Die sche- rifische Besatzung beträgt 1200 Mann, die zusammen mit den Soldaten der Anflus den Streitkräften Mulay Hafids an Zahl überlegen find. — Aus Tanger wird zu dem Vor
Magold, Mittwoch dm 30. Oktoöer
gehen Mulay Hafids noch gemeldet: Mulay Hafid, der erfahren hatte, daß Sultan Abdul Asts Soldaten nach Mo- gador gesandt hatte, ließ am 22. Oktober Verstärkungen für seine Mahalla abgehen, die sich auf dem Weg nach Mogador befindet und von Muley Zaafer befehligt wird. Den Kaid Labib Bacha ernannte er zum Gouvernem von Mogador und sandte ihn gleichfalls dorthin. An Bend Btd, der die Truppen des Sultans Abdul Asts in Mogador befehligt, schickte Mulay Hafid zwei Abgesandte mit 4d00 Louisdors, um ihn dazu zu bestimmen, mit dem von ihm befehligten Soldaten zu Mulay Hafid überzugehen und diese in Mogador etnrücken zu lassen, indem er ihm gleichzeitig den Oberbefehl über seine Truppen versprach. — In der Nähe von Casablanca zeigen sich wieder berittene Marokkaner in großer Zahl. Die Araber haben aufgehört, in die Stadt zurückzukehren. — Die Langus äs?s.ri8 st äss hat in Verbindung mit anderen Banken dem Sultan Abdul Asts ein Darlehen von 60 000 Pfund Sterling gewährt.
Präsident Noofevelt läßt amtlich bekannt geben, daß die Linienschiffsflotte am 26. Dezember d. I. von Hampton Roads aus die Kreuztour nach dem Stillen Ozean antreten werde. Staatssekretär Root hat nach einer Besprechung mit dem japanischen Botschafter erklärt, daß zwischen Japan und den Vereinigten Staaten nichts vorläge, was eine Entsendung der amerikanischen Flotte nach dem Stillen Ozean als unangebracht erscheinen lassen könnte. — In der Newyorker Finanzkrists herrschte am Samstag unter dm Fiaanzleuten das Gefühl der Hoffnung Vor, daß die Lage sich allmählich klärt. Ju Washington beriet am Freitag das gesamte Kabinett die Lage. Am Freitag erfolgten auch noch zahlreiche weitere Rnns auf Trustgesellschafteu. Morgan, Rockefeller und Harriman veröffentlichen Erklärungen zur Beruhigung der Einleger.
1S07
Das Urteil im Prozeß Moltke-Hardeu.*)
Wiederholt aus einem Teil der gestrigen Nummer d. Blattes.
Berlin, L9. Okt. (Telephonische Meldung mittags 12 Uhr). Das Schöffengericht hat Maximilian Harde» von der Anklage der Beleidigung freigesprochen. Die Kostm hat der Prtvatkläger Graf Moltke zu tragen. Nach der Ansicht des Gerichts sind die Artikel zwar beleidigend, doch ist der Wahrheitsbeweis geglückt.
In der Urteilsbegründung geht der Vorsitzende auf sämtliche inkriminierte Artikel der „Zukunft" näher ein und stellt fest, daß dem Angeklagten der Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen gelungen ist. Auf Grund der Zeugenaussagen und des Sachverständigenurteils nimmt der Gerichtshof an, daß der Privatkläger Graf v. Moltke homosexuell veranlagt ist, daß er ferner eine gewisse normwidrige Zuneigung zu dem männlichen Geschlecht zeigt, und daß er eine Reihe femininer Eigenschaften besitzt. Er hat
*) Schon gestern mittag 12 Uhr durch Anschlag an unsere« Geschäftshaus bekannt gemacht.
diesen Trieb auch anderen gegenüber nicht unterdrücken können. Es muß aber ausdrücklich, so erklärt der Vorsitzende weiter, seitens des Gerichtshofs darauf hingewiesen werden, daß nicht etwa der festgestellt wurde, daß der Privatkläger Graf Moltke strafbare Betätigungen der Homosexualität sich habe zu Schulden kommen lassen. Auf Grund dieser Erwägungen kommt der Gerichtshof zu der Erkenntnis, daß der Beklagte die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen nicht begangen hat, sodaß er weder aus § 185 (formale Beleidigung) noch aus Z 186 (Behauptung unwahrer Tatsachen) bestraft werden konnte. Er war daher freizusprechen.
Nachkläuge zum Prozeß Moltte-Harde«.
Ein französischer Vergleich.
Paris, 28. Okt. Gegenüber den vielen schadenfrohen Ausfällen, welche das tugendhafte Paris in der Presse gegen das Sodom und Gomorrha Berlins unternimmt, behält der „Gil Blas" sein kaltes Blut und seine gesunde Urteilskraft, denn er zieht einen Vergleich zwischen deutschen und französischen RechtSzuständen, der sehr zu Gunsten der deutschen ausfällt. Das vom „Gil Blas" gefällte günstige Urteil ist so bemerkenswert, daß es sich verlohnt, wenigstens die Hauptstellen darauf nach der Strßb. P. in wortgetreuer Uebersetzung wiederzugeben:
Geben wir der Versuchung nicht nach, eine kindliche und allzu leichte Lektion zu erteilen. Nehmen wir vielmehr ohne falsche Scham die Vorteile derjenigen an, die uns durch die Art Md Weise, in der sich dieser Prozeß abspielt, geboten wird. Die Verhandlungen finden in einem Lande statt, das man als „mititarifiert" betrachtet, das nicht dm Anspruch erhebt, in der Vorhut des sozialen Fortschrittes und der menschlichen Befreiung zu marschieren, in einem Lande, wo, um es mit einem Worte zu sagen, das Verbrechen der Majestätsbeleidigung noch in den Gesetzbüchern vorhanden ist. Und was sehen wir da? Wir sehen die höchsten Persönlichkeiten des Adels — des bürgerlichen und des militärischen Adels — in den Prozeß htneinge- zogen und genötigt, sich gegen die schrecklichsten Anklagen zu verteidigen, ohne daß irgend ein Versuch gemacht würde, sie zu decken oder die Erörterung zu ersticken oder selbst uur abzuschwächeu. Wir sehen die Verteidigung, die in diesem Falle die Anklage darstellt, freien Lauf nehmen, alle erforderlichen Zeugenaussagen herbeiführen, in aller Unabhängigkeit die fürchterlichsten Beweisketten entwickeln, Prinzen der kaiserlichen Familie in die Sache hineiu- ztehen, ohne Hinderung von der intimen Umgebung des Kaisers sprechen und sogar soweit gehen, die Vorladung des Herrschers selbst als Zeugen zu verlangen, ohne daß ihr (der Verteidigung) Schweigen auferlegt würde. Wir sehen einen jungen Richter, der infolge dessen um seine Zukunft besorgt sein könnte, mit Ruhe und Kaltblütigkeit die Verhandlungen in dieser gefährlichen Prozeßsache leiten und jede andere Rückficht vor dem Bestreben, Licht zu verbreiten, zum Schweigen bringen. — Mau stelle sich einmal vor, daß es sich bei uns, in dem Lande der Revolution, ein
Abendteuer
des Kntfpekter Wvaefig
vou Fritz Rente». (FoNsetzm,,.)
„„Herr Presendent,"" sage ich, „„Sie verlangen von mich zu vifl! Sehn Sie, ich bün ein alter Mann und ein aufrichtiger Mann, aber Auskunft geben kann ich Sie nich; denn — sehn Sie — welche stehn unter ver Justiz-Kanzlei, welche unter dem Herrn Bürgermeister, welche unter dem Patrimonial und welche unter dem Domanial, welche die unglücklichsten sünd, indem daß sie denn wieder nich wissen, ob fie unter dem gnedigsten Herrn Lauddrosten oder dem Herrn Amtmann oder unter einem jungen Auditer stehn.""
Der Herr Presendent ging bei diesen meinen Worte auf und dal un schüttelte mit den Kopp. „Herr," sag er endlich, „Sie scheinen mich mit Ihren landesübliche Zuständen sehr bekannt zu sein; aber das Hilst unS nich wir muffen hier eine Attestierung Ihrer Qualifikation Habei Wie heißt Ihre nächste Stadt? und haben Sie darin keim wohlhabenden Mann, der sich für Ihre Eigenschaften ve bürgen kann?" — „„Meine nächste Stadt,"" sageich, Bramborg, wird bachstafiert: ,N—e—u—B—r—a—n- d—e—n—b—u—r—g'. Mein bester Freund darin ist ei Gewisser — und ich nenne den Namen —, ein alter Mi kollege von mir, der sich im zurückgezogenen ökonomisch! Zustand mit Schriften befleißigt, indem daß er davon fest Nahrung sucht.""
Hören Sie mal. indem daß ich dies sage, springt dieser Presendent in der Höhe und ruft dem Herrn Rewerendarius zu: „Holen Sie mich mal die Personal-Akten von diesem Gewissen," und dauert auch nichts — denn fie wissen hier allens und sie habm hier allens — kommt der Herr Rewerendarius mit ein Packet Akten in die Tür hinein und hinter ihm kommen noch zwei andere Unterrewerendariuffen her, und legen auch zwei auf den Tisch, und der Herr Presendent fragt mich: „Wissen Sie, daß dieser Gewisse gesessen hat?" — Und ich sage: „„Ja,"" sageich, „„denn er sängt seine Geschichten ümmer an: Als ich noch auf der Hausvogtei saß, oder: als ich noch auf dem Sülwerberg studierte."" — „Wissen Sie auch, worum er gesessen hat?" — „„Nein,"" sage ich. - „Glanb's," sagt er, „er wird es nicht jedermann auf der Nase binden; aber hier" — und damit zeigte er auf die Akten — „hier steht's All drin, wie er schon in seinem 19. Jahre in seiner natürlichen Boshaftigkeit so weit ging, den Anfang seiner Missetaten mit der Umstürzung der ganzen preußischen Monarchie und des deutschen Bundestages zu beginnen, indem daß er am Hellen lichten Tage auf einer deutschen-Universität mit den deutschen Farben umherging. Hier in diesen Akten steht's, wie er davor zum Tode durch das Beil verurteilt, nachher aber mit einer 30jährtgen Gefängnisstrafe beschenkt worden ist, von die er aber leider nur 7 Jahre gesessen hat und darauf zur Freude seiner Angehörigen als abschreckendes Beispiel in die Welt retuhr gestoßen worden ist. — Und einen solchen Menschen wollen Sie for sich zum Bürgen stellen?" „„Gott soll mich bewahren, Herr Presendent, nehmen Sie's
nich übel,"" sage ich, aber wie kam einer einem 50jährigten Menschen an der Nase ansehen, was er in seinem 19. Jahre for Schauderhafttgkeiten begangen hat?"" Und mich überschlich das beschämende Gefühl, wenn mm sich vor einen Freund schämen muß.
»Ja," sagt der Herr Presendent, „Sie müssen sich andere Bürgen versichern. Wissen Sie sonst keine?" — »»Ja,"" sag' ich, „„in Bramborg ist außerdem noch ein echter Hawanua-Zigarrev-Jmportöhr und ein richtiger Mufik-Kompohfitöhr, die mir die Echtheit und Richtigkeit bezeugen können; der eine heißt Fritziug Volkshagen und der andere Jöching Lehndorf."" — „Nu schweigen Sie rein still," sagt der Presendent, „das sünd unsere brauchbaren Männer! Wollte Gott, wir hätten diese legitihmen, aufstrebenden Talente in unser« preußschen Staat! Die sünd uns sicher, und wir wollen Sie gleich an diese beiden telegrafieren."
Na, während dessen dies nun mit meinerseitigev entschiedenen Verdrießlichkeit vollzog« worden, kommt der berühmter Petschke in die Pohlizei hinein zu stehn und hat in jeder Hand einen Kerl bei'm Kragen. „Hier sünd fiel" sagt er. — „„Welche sünd es?"" fragt der Presendent. — „Der Oekonomiker mit die Stulpenstiewel is der besagte Pihmüller und der Bundesbruder iS der vielfach bestrafte Ziehmüller." — „„Na, das wußte ich schon,"" sagte der Presendent — dem fie wissen hier allens — und stellte sich mit seine Stern, Kreuz, Kringel und Zwieback mf der hocherhobenen Heldenbrust gerade wie ein neugegoffeneS Talglicht in der Höhe und ftagte, als ob er ebenfalls za