81 - Jahrgang.
Auflage 2600.
«rscheint täglich mit Ausnahme der Tonn- und Festtage.
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Mit dem Plauderstübchen und
«chwäb. Landwirt.
LSI
Sein» Königlich« Majestät haben am 21. Okt. d. I». aller- gnädigst geruht, »ine ordentliche Professur für Landwirtschaft an der landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim dem Landwirt- schaftlinspektor Dr. W « ck « r in Leonbrrg unter gleichzeitiger Bestellung zum Vorstand der Saatzuchtanstalt daselbst z« übertragen.
Zweiter deutscher Arbeiter-Kongreß.
(Unber. Nachdr. Verb.) IV. 8. n. 8. Berlin, 22. Okt.
Dritter Tag.
Unter dem Borfitz des Reichstagsabg. Behrens wurden heute die Verhandlungen des zweiten deutschen Arbeiterkongreffesfortgesetzt. Der Vorsitzende teilte mit,daß nach den Feststellungen der Mandatsprüfungskommisfion rund 1 Million christlich-nationale Arbeiter aus dem Kongresse vertreten find. (Lebhafter Beifall). Von den Arbeitervereinen aus der Schweiz waren Grüße eingegangen. — Es wurde zunächst in der Diskussion über die Sonntagsruhe fortgesahren. Von verschiedenen Rednern wurde die Notwendigkeit einer völligen Sonntagsruhe besonders für die Konditoren, die Gärtner und die graphischen Berufe verlangt. Der Referent zu dem Thema Döring (Hamburg) vom deutsch-nationalen Handlungsgehilfenverbande legte demKongreß eineResolution vor, wonach es heißt: Der Zweite deutsche Arbeiterkongreß richtet an den Bundesrat das höfl. Ersuchen, den bereits angekündigten Gesetzentwurf betreffend Neuregelung der Sonntagsruhe dem deutschen Reichstage nun endlich zugehen zu lassen. Er hält besonders eine völlige Sonntagsruhe für den Handel und das Bäckergewerbe für erforderlich.
Darauf berichtete der Vorsitzende des christlich-soziale« Metallarbeiterverdandes Wiebers (Duisburg) über den
Arbeiterschutz i» der gesundheitsschädliche« «ud schwere» Industrie.
Erführteaus: Inder Schwerindustriesinddie Arbeitsver- hältniffe sehr traurige, 12- bis 24stündige Arbeitszeit ist an der Regel. Auch an Feiertagen und in der Nacht müsse gearbeitet werden. Das Koalitionsrecht der Arbeiter werde mißachtet oder gewaltsam unterdrückt. Mit zweifelhaften Wohlfahrtseinrichtungen werde das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter bei Festsetzung der Löhne und Arbeitsbedingungen auszuschalten gesucht. Die Löhne seien bei der schweren Arbeit durchaus ungenügend. Kurz, die schwere Industrie habe sich zu einem Jndustriefeudalismus ausgebildet. Die Arbeiter laufen Gefahr, in eine Hörigkeit zu kommen. Aus eigener Kraft ist es ihnen unmöglich, gegen die Uebermacht des Kapitals anzukämpfen, sie rufen die öffentliche Meinung um Hilfe an. Er ersuche, folgender Erklärung zuzustimmen: „In Erwägung, daß in der schweren und gesundheitsschädlichen Industrie infolge des forcierten Produktionsprozesses, der hastenden und schweren Arbeit, der großen Hitze und gifigen Gase Unfälle und Krankheiten der Arbeiter eine ungeheure Steigerung erfahren haben und die Kräfte der Arbeiter vor der Zeit aufgeriebcn werden, weil die hygienischen Ein. ich tun gen vielfach mangelhaft find, in der weiteren Erwägung, daß die schwere Industrie eine Entwicklung genommen hat, die bezüglich des Reingewinns für
Nagold, Ireitag den 25. Oktoöer
das angelegte Kapital alle anderen Gewerbezweige überflügelt hat, mithin iu der Lage ist, weitere Aufwenduuge« zugunsten der Arbeiter machen zu können, erklärt der zweite deutsche Arbeiter-Kongreß erweiterte Arbeiterschutzbestim- mungen in der Schwerindustrie für dringend erforderlich. Speziell verlangt er eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit, und zwar eine achtstündige für Feuer-, Hütten- und Hochofenarbeiter, weitere sanitäre und hygienische Einrichtungen in den Betrieben, die Vorbeugung von Unfällen durch schärfere Vorschriften und deren Kontrolle, durch die Fabrikinspektion unter Hinzuziehung von Arbeitern, Einschränkung der Sonntagsarbeit und Verbot der Frauenarbeit, Verhinderung des Mißbrauches von Wohlfahrtseinrichtungen zum Nachteil der Koalitionsfreiheit der Arbeiter. Der Kongreß erklärt sich mit dem Vorgehen der arbeiterfreuud- lichen Parteien des Reichstages einverstanden und erwartet, daß die Regierung dem Beschlüsse des Reichstages vom 16. April 1907 baldigst Folge geben und Erhebungen über die Lage der Walzwerk- und Hüttenarbeiter vornehmen wird. Der Kongreß hegt das Vertrauen zum Reichstage, daß er allen Nachdruck auf die Durchführung dieses Beschlusses legen wird. Er erhebt entschieden Widerspruch gegen das sogenannte Sperrsystem, wodurch abgelegte Arbeiter auf anderen Werken keine Beschäftigung mcbr finden. Der Kongreß verlangt von der Regierung und den Parlamenten Maßnahmen, um einen großen Teil des deutschen Volkes vor einem schweren Nachteil zu bewahren. In der Erkenntnis, daß die gegeu den Arbeiterschutz und die Koalitionsfreiheit gerichteten Maßnahmen am besten bekämpft werden durch eine starke gewerkschaftliche Organisation, werden die Arbeiter aufgefordert, sich der christlich-nationalen Bewegung anzuschließen."
Als erster Diskussionsredner spricht der Vertreter des Grubensteiger-Verbandes, Georg Werner, der gestern eine Unterredung mit dem Handelsmiuister Delbrück hatte. Der Handelsmintster habe einesteils wohl ganz recht gehabt, wenn er sagte, es seien auch von unserer Seite Fehler begangen. Das sei wohl richtig, aber auch auf der anderen Seite find Fehler begangen. Wiebers hat schon dargelegt, wie gegen die Hüttenarbeiter vorgegangen wird. Genau so geht man aber auch gegen uns Beamte vor. Das Spitzel- systcm ist bei uns noch viel schlimmer. (Hört, hört!) Es sind bereits acht Mitglieder von uus gemaßregelt. Man sucht uns durch Entziehung der Gehaltszuschüsse und Prämien vom Verbände abzuhalten. Wir wünschen nichts sehnlicher, als daß unser Verband, in friedlicher Weise seine Anerkennung erhalte, und vir wollen uns vornehmen in keiner Weise provokatorisch vorzugehen. Aber wir steuern in der Bergwerksindustrie sehr schlimmen Zuständen zu. —Effert (Essen), Vorsitzender der Siebener-Kommission: Man suche es in der Oeffentlichkeit so darzustellen, als ob die hohen Kohlenpreise eine Folge der Unzufriedenheit der Bergleute seien. Mit nackten Zahlen werde er beweisen, daß die aufgestellten Forderungen der Berglmte berechtigt seien. Wer heute als Volksteil schweigt und darauf verzichtet, eventl. das letzte Mittel in Anspruch zu nehmen, der ist und bleibt eine Null. Redner verteidigt die Ablehnung des Knapp-
1807
schastsstatuts. Sie hätten nicht aus Egoismus nicht aus
dem Bestreben, die Industrie zu untergraben, so gehandelt, sondern weil sie das Wohl der Arbeiterschaft im Auge haben. (Lebhafter Beifall).
Vors. Behrens bringt hierauf folgendes Telegramm des Kaisers zur Verlesung, das die Versammlung stehend anhört.
„Ich ersuche den Vorstand, dem zweiten, deutschen Arbeiterkongreß für den Ausdruck treuer Anhänglichkeit und nationaler Gesinnung meinen wärmsten Dank auszu- sprechen. Ich freue mich, daß auf dem Kongreß eine so ansehnliche Zahl patriotisch fühlender deutscher Arbeiter vertreten ist, und wünsche den Verhandlungen des Kongresses guten Erfolg zum Segen der Arbeiterschaft wie des gesamten Vaterlandes.
Wilhelm I. L."
Abg. Behrens bringt ein Hoch auf den Kaiser auS, in das die Versammlung begeistert einstimmt.
Wocitische HleSersicht.
Die Gelbe Partei ist eine Arbeiter-Partei deren Gründung die soeben in Stuttgart neuerscheinende „Gelbe Arbeiterzeitung" wie in folgendem schildert:
Warum Gelb?
Bei dem großen, durch die Schuld sozialdemokratischer Hetzer für die Arbeiter so verhängnisvollen Streik in Mont- ceau-les-Mines im Jahre 1900 erhoben sich, nach 3mouat- lichem nutzlosen Hungern, eine große Anzahl ernster Arbeiter, schüttelten das Joch der Sozialdemokraten ab und gründeten einen unabhängigen Verband. Wütend darüber, stürmten die „Roten" das Verbandslokal, schlugen alle Fenster des Hauses ein, wurden aber zurückgetrieben. Um nun die zertrümmerten Fenster zu verstopfen, schleppten die Mitglieder des neuen Verbandes aus einem nahen Papierlaser große Ballen gelben Papiers herbei und in wenigen Minuten war das Haus von oben bis unten gelb.
Dies trug dem neuen Verband den Namen „Gelbe" ein. Seither find die „Gelben" in Frankreich zu einer mächtigen, den Sozialdemokraten an Zahl weit "überlegenen Arbeiterpartei angewachsen, welche die Streikwut der „Roten" in einigermaßen vernünftige Grenzen ein- dämmt; denn die „Gelben" streiken nur nach reiflicher Ueberlegung, wenn triftige, wirtschaftliche Gründe vorliegen. Die „Gelben" lassen sich nicht durch ehrsüchtige Wahlstimmen jagende, sozialdemokratische Politiker zum kulturfeindlichen Klaffenkampf Hetzen.
Ein „Gelber" ist jeder vernünftige Arbeiter, der sich nicht durch sozialdemokratische Wirtshaushetzer an der Nase herumführen läßt, sondern zielbewußt und überlegt seine wirklichen, praktischen Interessen vertritt.
Den „Gelben" ist das Wohl der Arbeiterschaft eine heilige Sache, nicht aber ein Reklame- oder Agitationsmittel.
Abenöteuer
des Kntspekter Wraesig
von Fritz Reuter.
(FortMnns.)
„Wenn er deckt, denn verliert er," ruft meiu Mitkollege Bohmöhler über dem Tische herüber, denn er kuckte dem andern Spieler in die Karten. „„Er gewinnt en dreifachen!"" ruf ich. — „En Taler gegen,"" ruf' ich, denn ich war hitzig geworden; aber mich wurde bald wieder so zu Mute, als wenn mich einer ein Eimer kalt Wasser über dem Koppe stülpte, denn denken Sie sich, das dumme Vieh von nobeln Herrn, auf welchem ich mein Parreh hielt, spielte die Garrantion in Piek aus, welche Schläge krigtc; da andere Part riß ihm uu die Marriasche inzwei und das Spiel lag m den Grab«,.
„Gewonnen!- rief der Herr Entspekter Bohmöhler. „„Ja, sag ich, „„wenn's so geht!"" Aber weil daß es Ae von den angenommenen Prinzips ist. mich nie bei's Spiel zu streiten, so drucke ich mich ganz dicht an den Tisch heran und knöpfe unr heimlich auf, wobei ich mir nicht entsagen konnte, in meinem Herzen zu denken: von einem Ochsen ist nicht mehr als Rindfleisch zu verlangen. Womit ich den noblen Herrn meinte.
Als ich nun meinen Geldbeutel losgebunden hatte hole ich aus ihm einen harten Taler 'raus Md recke ihm über dem Tische meinem Mitkollegen zu, indem ich den Geldbeutel noch verloren in derselben Hand behalte. Bei
dieser Gelegenheit stehe ich auf und werde mit meinen aufgeknöpften Gegenständen sichtbar; der Herr Entspekter Bohmöhler fängt über mir an zu lachen und zeigt auf meine Verlegenheit und, indem daß ich mich mit meiner linken Hand zu verhüllen suche, nimmt er mir den Taler aus meiner rechten — aber auch den Geldbeutel.
„Herr," sage ich kurz und ärgerlich, denn ich war falsch geworden, „geben Sie mich den Geldbeutel wieder her!" — Er stehr da und lacht. „Herr," sag' ich, „Dummheit lacht. Geben Sie mich mein Eigentum." — Er lacht weiter, geht aber auch weiter nach der Tür zu. — „Da soll doch das Donnerwetter dreinschlagen," sage ich und will hinter dem Tisch 'raus, kann aber nicht, denn hinter mir hätte ich die Wand, vor mir den Tisch und zu beiden Seiten den Bundesbruder und den nobeln Herrn.
Und — sehen Sie — dies war die obenbenannte Dämmlichkeit, die ich aus der Vorsichtigkeit begangen hatte. Was hatte ich mich an die Wand zu setzen!
„Lassen Sie mich 'raus!" sage ich zu dem Bundesbruder. — „„Oh, lassen Sie doch!"" sagt er. „„Erwacht ja bloß Spaß."" Und dabei lacht mich der Hallunke von Entspekter grade in das Gesicht, macht die Türe auf, nickt mir noch mit einem Abschiedsgruß zu und geht 'raus.
Nu aber war's denn auch rein mit mir zu Ende; ich kriege den Bundesbruder links und den nobeln Herrn rechts zu packen und sage: „Karnalljen, entfamtigte Spitzbuben- Karnalljen, laßt Ihr mich nicht 'raus?" Und somit spring' ich auf den Stuhl und will dwas über den Tisch. Da halten Sie mir au die Rockschlippen fest und was mein
Karnallje von Bundesbruder war, sagte: „Ich bitt' Ihnen
um tausend Pfund! Sie könuen doch in diesem Zustand, Ihrer Extremitäten nicht auf die offenbare Straße?" „„Meine Herrens!"" sagt er, „„halten Sie ihm fest, ich will ihn erst zuknöpfen,"" und dabei fängt dieser Krokodill an, mir hilfreiche Hand zu leisten.
Oh Judas! Judas! Dieselbe Taschenuhr, die er mich vor einer halben Stunde mit Tränen in den Augen restatuwterte, hat er mich, wie sich das nachher aus wies mit heimlichen Lachen beraubt!
Aber ich schlug um mich wie ein angeschossen Hauptschwein und stürz mich auf die Straße, habe aber noch so viel Besinnung, die Schlippen vorn zusammen zu nehmen. Ich laufe die Straße 'rauf, ich laus' sie wieder 'runter. Je, ja! je, ja! Da war kein Bohmöhler und kein Ökonomik« zu sehen; aber alle Leute stehen still und sehn mich an.
Was sollte ich verratenes Wurm nun tun? Da tritt ein Schutzmann an mich heran und sagt: „Sie iS gewiß was passiert?" — „„Ja,"" sag ich, „„das kann ein alt Weib mit dem Stock fühlen."" — „Wenn Sie würklich was passiert is," sagt er, „denn sagen Sie.s nur, denn ich bin dafor angestellt." Und ich sage ihm denn den betreffenden Umstand.
„Wo is dies gewesen?" fragt«. — „„Hierin diesem Keller,"" sag' ich. — „Na," sagt er, „denn sünd Sie auf's richtige Flach gekommen." Damit geht er in den Keller und ich folge hint« ihm.
(Fortsetzung folgt.)