81. Jahrgang.
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Festtage.
Preis vierteljährlich hier 1 mit Träger- iohn 1.20»«, im Bezirks« und 10 lcm-Berkeh« 1 . 2 S x, im übrige» Württemberg 1LS RonatSabonnementS nach Verhältnis.
«klclllWtt.
Ws- Nil LiM-SlÄ fßr de«"' ^ H>j>Ä.
Jevnspvecher Wv. 29.
Aevnspvecher Wv. 29.
Auflage 2600.
Anzeigen-SebÄhr f. d. Ifpalt. Zeile ans gewöhnt. Schrift oder deren Raum bei Imal. Einrückung 10 H bei mehrmaliger entsprechend Rabatt.
Mit dem Plauderstübchi» und
vchwäb. Landwirt.
.U 231
Magold, Mittwoch den 2. Akloöer
1907
Bestellungen auf den Gesellschafter für die Monate Oktober, November und Dezember können fortwährend bei allen Postämtern und Landpostboten sowie bei der Exped. ds. Bl. gemacht werden.
Seine Königliche Majestät haben am 27. Srpt. l. I. aller- gnädigst geruht, dem AmtSverweser Marstaller an der Latein- und Realschule in Herrenberg eine Oberreallehrerstelle an der Realschule in Biberach zu übertragen.
Verein für Sozialpolitik.
8. u. L. Magdeburg, 30. Sept.
Telegraphischer Bericht.
(UnLerecht. Nachdruck Verb.)
Unter zahlreicher Beteiligung von Sozialpolitikern aus allen Teilen des Reiches trat heute der deutsche Verein für Sozialpolitik unter der Leitung des Berliner Universitäts- Professors Schmoller zu seiner diesjährigen Generalversammlung zusammen. Staatliche und kommunale Behörden, sowie verwandte Körperschaften waren zahlreich vertreten. Auch der Ober-Präsident der Provinz Sachsen von Wilma vski hatte sich eingesunken, ferner sah man die Berliner Professoren Adolf Wagner, Giercke, die Reichstagsab- geordneten Kobelt-Magdeburg und Fischbeck-Berlin und StaaLsminister a. D. Freiherr von Berletsch, Heinrich Sohnrey vom Bunde für Heimatschutz usw. Professor Schmoller eröffnete die Tagung mit begrüßenden Worten indem er darauf hinwies, daß für die Sozialreformer trotz allem, was bereits erreichbar ist, noch ein weites Arbeitsfeld offen liege. Es sei vorwärts gegangen im öffentlichen Leben, hier und da seien Fortschritte unverkennbar, aber immer noch bleibe für den Verein reiche Arbeit zu tun. — Oberprästdent der Provinz Sachsen von Wilmowskt hieß den Verein im Namen der Regierung willkommen und dankte ihm für seine selbstlose Tätigkeit. Nach weiteren Begrüßungsreden wurde dann in die Tagesordnung emgetreten.
An erster Stelle stand die berufmäßige Ausbildung der volkswirtschaslichen Beamten. An erster Stelle sprach dazu Geh. Hofrat Professor Dr. Carl Bücher-Leipzig. Er führte aus: Der in rascher Entwicklung begriffene Stand der volkswirtschaftlichen Beamten erscheint zurzeit bei weitem noch nicht genügend abgeschlossen und einheitlich durchgebildet, um bereits eine gleichmäßige Ausgestaltung und Regelung seiner beruflichen Ausbildung zu gestatten. Eine solche kann nur soweit in Frage kommen, als es sich um Erlangung
der für die allgemeinen Aufgaben der betr. Berufs- stellungen erforderlichen wissenschaftlichen Befähigung handelt. Auch zu diesem Ziele können sehr verschiedene Wege gangbar sein und es erscheint ebenso wenig angezeigt, dem ausgesprochenen Talente pedantische Regeln vorzuschreiben, als die in Betracht kommenden Körperschaften sich verbieten lasten werden, den tüchtigen Mann zu nehmen, wie sie ihn finden. Dagegen muß es auch diesen erwünscht sein, bet Stellenbesetzungen über die Art und das Mindestmaß der nachzuweisenden wissenschaftlichen Befähigung, sowie über den zu ihrer Erlangung bei mittlerer Begabung notwendigen Bildungsgrad genau unterrichtet zu sein. Endlich besteht ein erhebliches allgemeines Interesse an gründlicher Durchbildung dieser sozial einflußreichen Gruppe von mittelbaren Staats- und Privatbeamten. Es ist heute allgemein anerkannt, daß die große Maste dieser Beamten eine akademische Ausbildung bedarf, deren Mittelpunkt und Grundlage das Studium der politischen Oekonomie und der ihr verwandten Fächer der Staatswifsenschaften bildet. Zur Erlangung derselben ist ein Hochschulbesuch von mindestens sechs Semestern erforderlich. Vor Beginn des Studiums ist die Maturität einer neunklasfigen Mittelschule nachzuweisen. Ob diese auf einem humanistischen Gymnasium, einem Realgymnasium oder einer Ob-rrealschule erworben ist, erscheint nicht von besonderem Belang. Wohl aber wird der Erfolg der Studien wesentlich dadurch bedingt sein, ob eine gewisse Summe praktisch gewonnener wirtschaftlicher Anschauungen und natürliche Beobachtungsgabe in ausreichendem Maße vorhanden ist. Von dem Betriebe eines allgemein bildenden volkswirtschaftlichen Unterrichts auf den Mittelschulen hat das akademische Studium keine wesentliche Förderung zu erwarten. Die Kenntnis der wichtigsten Staatseinrichtungen hat die Volksschule zu vermitteln. Als diejenige Hochschule, welche dem Volkswirte die vielseitigste Ausbildung ermöglicht, wird die Universität auzusehen sein. Für gewisse, eine besondere Qualifikation erfordernde Berufsstellung kann es indes von Vorteil sein, vor dem Besuche der Universität den vollständigen, durch die Diplomprüfung abzuschließenden Studiengang einer fachlichen Hoschschule durchzumachen. Unter den Anstalten, die hiefür in Betracht kommen, ist in erster Linie die Handelshochschule zu nennen, für Sonderzwecke, kann auch eine Land- oder volkswirtschaftliche Hochschule oder ein Polytechnikum geeignet sein.
Im Normalfalle des Universitätsstudiums sind folgende Fächer obligatorisch:
1. Nationalökonomie und Finanzwissenschaft. Zuerst find die drei großen systematischen Vorlesungen zu hören, nämlich: theoretische Volkswirtschaftslehre, praktische Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft.
Da es sich hierbei um die Gewinnung eines allgemeinen Ueberblicks handelt, so ist es vollkommen gerechtfertigt,
wenn diese Vorlesungen für Volkswirte, Juristen, Land-
und Forstwirte, Studierende der Handelshochschule zugleich gelesen werden.
Für die erstgenannten haben aber hinzuzutreten als ergänzende Spezialkollegien: Geschichte der wirtschaftlichen und sozialen Theorien, allgemeine Wirtschaftsgeschichte, Wirtschaftsgeographie, ferner die Teilgebiete der praktischen Volkswirtschaftslehre: nämlich Forst-, Jagd- und Fischereipolitik, Agrarwesev und Agrarpolitik, Bergbau und Bergbaupolitik, Gewerbe und Gewerbepolitik. Handel und Handelspolitik, Geld-, Kredit- und Bankwesen, Versicherungswesen (volkswirtschaftlich, technisch und juristisch) und Verficherungspolitik, Transportwesen, speziell Eisenbahnwesen und Eisenbahnpolitik, Kolonisation Md Kolonialpolitik nnd Sozialpolitik. Auch diese Fächer können noch weiter spezialisier werden (Sondervorlesungen über Kartelle, Zeitungswesen, die Wohnungsfrage, Arbeiterfrage, Sozialismus, landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Betriebslehre, Handelsbetriebslehre usw.)
2. Statistik. Das Gebiet ist umfassender und eingehender zu behandeln als es gewöhnlich geschieht.
3. Juristische Fächer. Als Einleitung in dieselben dient eine auf das Bedürfnis der Nichtjuristen berechnete „Allgemeine Rechtslehre". Außerdem sind zu hören Völkerrecht, allgemeines Staatsrecht und Politik, Deutsches Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Handels-, Wechsel- und Seerecht. Ergänzen können Sondervorlesungen über Gewerberecht, Gesellschafts- und Genossenschaftsrecht, Patentrecht, Urheberrecht, Arbeiterverstcherungsrecht hinzutreten. Im Allgemeinen ist eine zu wette Ausdehnung der juristischen Studien für die Geschlossenheit der Gesamtausbildung nicht vorteilhaft.
4. Verwaltungslehre im Sinne einer Internationalen vergleichenden Darstellung der staatlichen, kommunalen und freisozialen Einrichtungen für die im Rahmen der inneren Verwaltung liegenden Kulturzwecke und Politik dieser Verwaltung. Sondervorlesungen über Kommunalverwaltuug und ihre einzelnen Zweige find im Interesse der neuerdings mit Recht erstrebten weiteren Verwendung von Nationalökonomen im Dienste der großen Stadtgemeinden unter die akademischen Lehrfächer aufzunehmen. Ziel aller Vorlesungen muß sein, die Befähigung zum wissenschaftlichen Denken und Arbeiten zu wecken und auszubilden, nicht aber die Erziehung eines breiten enzyklopädischen Wissens. Zu ihrer Unterstützung find kurzgefaßte gedruckte Grundrisse, welche für jede Disziplin das unbedingt notwendige präziser, streng systematischer Darstellung enthalten, unerläßlich. Den Vorlesungen treten ergänzend die staats wissenschaftlichen Seminare zur Sette. Exkursionen und Besichtigungen können das Verständnis von Vorlesungen und Ueb- ungen fördern. Den Abschluß der Studien wird voraus-
Großherzog Friedrich von Baden
im Jahre 1870/rz.
(Schluß.)
Dies Lob bezog sich allerdings zugleich auf ein anderes Feld derselben Tätigkeit. Herrschte doch im preußischen Königshause selbst über die schwebende Frage lange Zeit der tiefste Zwiespalt. Eben der Kronprinz war es, der, gleich sehr von dynastischem Ehrgeiz wie von romantischem Gefühl beseelt, von früh an die Kaiseridee mit Leidenschaft verfocht. König Wilhelm dagegen, in schlichter Männlichkeit Preuße durch Md durch, wollte nichts von ihr wissen und wurde hierin von.einem Teil seiner Umgebung, zumal der militärischen, bestärkt. Da erschien denn „Fritz Baden", wie ihn der Schwiegervater traulich nennt, in diesem Zwist als der geborene Vermittler. Beim Könige konnte er aus mitfühlender Kunde der süddeutschen Stimmung heraus gerade die praktisch politischen Gründe für die Annahme des Kaisertitels geltend machen und hat in dieser Richtung jedenfalls neben Bismarck den wirksamsten Einfluß geübt. c."',^^^ren Seite jedoch hals er auch dem Schwager tue schwärmerischen Anwandlungen übertriebener historischer Romantik nüchtern überwinden. „Ich entwerfe mit dem Großherzog eine Proklamation für Kaiser und Reich," heißt es im Tagebuch des Kronprinzen unterm 28. Dezember; „erste-er ist Nachfolger der deutschen Kaiser, das Reich aber ein durchaus neues; wie 1848 das alte preußische Königtum unterging, um als verfassungsmäßiges aufzuersteheu, während Titel und Formen blieben." Am Neujahrstage 1871, mit dem die neue Reichsverfaffung in Kraft trat fand übrigens die feierliche Proklamation noch nicht statt, weil die zweite bayerische Kammer mit ihrer Entscheidung über die Verträge hinterm Berge hielt. Ebenso taktvoll wie energisch ward dieser schwierigen Sachlage indessen der
Trinkspruch gerecht, den Friedrich von Baden beim Festmahl- im Versailler Schlosse im Namen der anwesenden deutschen Fürsten auf König Wilhelm ausbrachte. „Der heutige Tag", sagte er, „ist dazu bestimmt, dasehrwürdige Deutsche Reich in verjüngter Kraft erstehen zu sehen. Euer königliche Majestät wollen aber die angebotene Krone des Reiches erst dann ergreifen, wenn sie alle Glieder desselben schützend umfassen kann. Nichtsdestoweniger erblicken wir heute schon in Euer königlichen Majestät das Oberhaupt des deutschen Kaiserreichs und in dessen Krone die Bürgschaft der unwiderruflichen Einheit."
Da erhob sich noch einmal ein aufregender Streit. Graf Bismarck hatte den Bayem den maßvollen Titel „Deutscher Kaiser" zugestehen müssen, da „Kaiser von , Deutschland", was eine allgemeine Landeshoheit besagt hätte, »wirklich dem bundesstaatlichen Charakter des Reiches nicht entsprach. Hierüber wallte jedoch wiederum ein rühmliches Selbstgefühl in dem greisen Sieger Wilhelm auf. Jede Ader in ihm schlug allein für das Cchte in der Welt; und nun, wo auch er, wie alle anderen, sein gemeinnütziges Opfer an Sondergeist gebracht, schien er dennoch Recht damit zu behalten, daß der Glanz dieses Kaisernamens unecht sei! Es kamen Tage, dir auf Großherzog Friedrich den Eindruck machten, als sei alles bis zum äußersten gespannt. Diesmal war es Bismarck, der um seine allzeit der Sache dienende Unterstützung bat. Der Kanzler wies darauf hin, daß der norddeutsche Reichstag den Titel „Deutscher Kaiser" schon in den Text der neuen Verfassung ausgenommen. Friedrich von Baden teilte ohnehin die Bedenken seines Schwiegervaters nicht; allein diesen noch vor der feierlichen Proklamation am 18. Januar zur Nachgiebigkeit zu bewegen, war auch er nicht imstande. Er half sich in seiner Weise, klug nnd liebenswürdig. Jenes erste Reichslebehoch, das er selbst als Sprecher der deutschen Fürsten im Spiegelsaal zu Versailles dem erkorenen Ober
haupt darbrachte, galt ohne jeden Beisatz einfach dem „Kaiser Wilhelm". Der fürstliche Kunstgriff war von volkstümlicher Natürlichkeit. So schlicht lebendig benannte die Mitwelt den teuren alten Herrn, und noch heute spricht die i Historie schlechthin vom „Zeitalter Kaiser Wilhelms". Auch die Gestalt des Großherzogs aber schwebt ihr am deutlichsten in der Haltung jenes unvergleichlichen Momentes vor, wie er die Rechte zum Jubelruf aufmahneud emporhebt gegen die Fahnen und Standarten, die sich überm Haupte des neuen Kaisers zum Gruße neigen.
Wie sorgen- und mühevoll hatte nicht Friedrich von Baden Jahre lang solcher Stunde zugetrachtet! Nun aber bewährte sich ihm des Dichters Wort: „und Jahre find im Augenblick ersetzt!" Für sich selber hatte er nichts dabei gesucht, doch auch ihm war damals der verdiente Lohn zuteil: man fühlte, man wußte, was Deutschland an ihm und durch ihn an feinem Lande hatte. „Ich war auf unseren Großherzog ganz stolz, der überhaupt hier eine sehr angesehene Rolle und zwar unter verschiedenen, einander anscheinend ziemlich scharf gegenüber-stehenden Parteien spielt", schrieb Jolly am 1. Mai aus Versailles nach Hause. Und tags darauf: „Ich muß noch beifügen, daß der Großherzog von wahrhaft rührender Freundlichkeit ist, und daß ich in wiederholten langen Besprechungen mit ihm die interessantesten Aufklärungen über eine Reihe der wichtigsten Ver- hältrsisse erhielt und seine in der Tat vortreffliche Wirksamkeit aufs höchste schätzen lernte. Ich freue mich ungemein, daß er in allen Kreisen hier sichtlich die vollste Anerkennung findet. Wir find dank seiner persönlichen Tätigkeit zur Zett hier sehr gut angeschrieben." Es war wieder ganz so, wie unter Karl Friedrich im alten Reich; auch die Gründer des neuen gedachten beim Namen Baden zuvörderst der Tugenden seines Fürsten.