81 . Jahrgang.
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Jerensprecher Wv. 29.
Jernspreechev Wr. 29.
Auflage 2600.
Anzeigen-Bebühr f. d. Ispalt. Zeile auS gewöhnl. Schrift oder deren Raum bei Imal. Einrückung 10 H, bei mehrmaliger entsprechend Rabatt.
Mit dem Plauderftübch.u und
Schwab. Landwirt.
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UoMifche Hlebersicht.
Die Unruhe« in Antwerpen dauern fort. Am
Dienstag wurden von den Ausständigen vielfach schwere Ausschreitungen begangen. Fortwährend wurden z. B. Lastwagen in den Straßen angegriffen. Die Polizei griff verschiedentlich ein, um die angesammelte Menge auseinanderzutreiben, und machte gegen 6 Uhr abends einen Angriff mit blankem Säbel, wodurch eine Panik hervorgerufen wurde. Die Bürgergarde wurde alarmiert. In der Umgebung deS Hafens horten die Ausschreitungen auch in der Nacht nicht ans. Die Ausständigen versuchten, das Gebäude der Nordkorporation (Ausladungs- und Transportgesellschaft) in Brand zu stecken. Die Polizei ging hier fünfmal mit der Waffe vor; mehrere Personen erlitten Verletzungen und es wurden etwa 30 Verhaftungen vorgenommeu. Um 10 Uhr mußte die Feuerwehr den heftigen Brand eines Holzlagers löschen, welches die Ausständigen in Brand gesteckt hatten, indem sie das aufgeschichtete Holz mit Petroleum begossen. Mehrere mit Baumwollballen beladene Lastwagen wurden gleichfalls in Brand gesteckt. Die Bürgergarde konnte erst um IO'/- Uhr entlasten werden. Für Mittwoch waren einige Abteilungen Infanterie vorsichtshalber von den entferntest liegenden Hafenbasstns zum Sicherheitsdienst herangezogen worden.
Die englischen Trades Unions halten jetzt ihre» Kongreß in Bath ab. Der Parlamentarier Gill, als Präsident, hat ihn mit einer Ansprache eröffnet, in der er auf das ständige Anwachsen der Trades Union-Bewegung seit Eröffnung des ersten Kongresses vor 40 Jahren hinwies. Der jetzige Kongreß zähle 521 Delegierte, die 1700 000 Mitglieder verträten, unter ihnen 34 Parlamentsmitglieder. Gill pries die Macht des Verbandes und wies auf den Wert des Zusammenarbeitens der der Arbeiterpartei angehörenden Parlamentsmitglieder hin, durch das bereits in de» letzten Session des Parlaments eine Anzahl wertvoller Gesetze zustand gekommen sei, für die die Arbeiter der Regierung Dank schuldeten. Die erste Aufgabe der Regierung müsse es sein, allgemeine Alterspensionen ohne Bcitragsleistung im Mindcstbetrag von fünf Schilling wöchentlich für Arbeiter, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, einzuführen, und der Finanzministcr müsse das Geld dazu schaffen. Nach der Eröffnungsrede gab es eine scharfe Debatte über das Arbeitslosenproblem, bei der Burns die Verwaltungsbehörden und das Gesetz, das die Arbeitslosigkeit behandelt, scharf kritisierte. In der Mittwochssttzung wurde eine Resolution angenommen, in der von der Regierung Maßnahmen verlangt werden zur Verhindernng der Heranziehnng englischer Arbeiter durch ausländische Arbeitgeber bei auswärtigen Ausständen. Das Parlamentsmitglied Ward schlug dazu noch eine Resolution vor, m der ein scharfer Tadel solchen Engländern gegenüber ausgesprochen wird, die es für erlaubt hielten, sich in internationale Arbeitsstreitigkeiten einzumischen. Diese Resolution wurde unterstützt von Anderson-London, der in scharfen Ausdrücken das Verhalten der englischen Arbeiter geißelte, die nach
Gin Geschwisterkind.
von Maximilian Schmidt.
(Fortsetzung ) (Nochdruck verboten.)
Als gegen Abend Vetter Johann kam, ward er für den nächsten Morgen in die Kaserne bestellt und dann zur Nachtherberge geschickt. Am nächsten Tage wurde er, da er mit den nötigen Papieren bereits versehen war, als Freiwilliger ausgenommen und bei Schlossers Kompanie eingeteilt.
Der Rekrut war nicht ungelehrig und konnte schon nach wenigen Monaten in den Dienst eintreten. Er fühlte sich ganz glücklich. Wäre die Menage doppelt so groß gewesen, hätte er keinen weiteren Wunsch gehabt. Sein Appetit war aber ein rätselhafter; er litt, wie es schien, an unstillbarem Heißhunger.
Seinen Vetter Felhuber besuchte er jeden Feiertag und glaubte ihm dadurch die größte Freude zu machen. Dieser aber suchte ihn jedesmal baldmöglichst weiter zu bringen.
Für Leutnant Schlaffer wäre Johann durch Feuer und Wasser gegangen, und als eines Tages dessen Bursche erkrankte, bat er den Offizier in flehender Weise, er möchte ihn an dessen Stelle aufnehmen. Schlaffer gestand es ihm zu und Johann vermochte vor Vergnügen seinen weiten Mund nicht mehr zusammenzubrmgen. Aber auch der Offizier hatte keine Ursache es zu bereuen.
Freilich war der bis jetzt nur in den Vieh- und Menschenkreisen seines Berufes lebende Johann für diesen ' Dienst durchaus nicht geschult und zeigte sich daher sehr !
Magold, Samstag den 7. September
Hamburg und Antwerpen gegangen wären, um an die Stelle ausständig gewordener Kameraden zu treten. Auch diese Resolution wurde angenommen, und zwar einstimmig.
Znr Lage in Marokko wird aus Fez berichtet, daß die vom Sultan befragte Versammlung der Ulemas erklärt habe, daß kein Anlaß vorliege, den heiligen Krieg zu erklären, da die Franzosen nicht in unverletzliches Gebiet des Islam eingedrungen seien und Udjda und Casablanca auf Grund eines absoluten Rechts besetzt hielten. Diese Entscheidung der Ulemas widerspricht derjenigen Muley Hafids, nach welcher der heilige Krieg erklärt werden muffe wegen Eindringens in islamitisches Gebiet. Ein Bote Muley Hafids hat den Ulemas in Tanger den Befehl überbracht, daß sie nur noch mit seinem Finanzminister in Mar- rakesch Beziehungen unterhalten dürfen. Der Bote bringt denselben Befehl auch nach Tetuan. — Aus Mazagan wird gemeldet, der dortige französische Konsul habe von seiner Regierung den Auftrag erhalten, sich in die inneren marokkanischen Angelegenheiten, d. h. in den Streit zwischen dem Sultan Abdul Asts und seinem Bruder Muley Hafid, nicht einzumischen. Er solle den übrigen Konsuln von diesem Auftrag Mitteilung machen. Aus diesem Anlaß hält der Gouverneur von Mazagan sich auch für berechtigt, auf dem dortigen Zollamt liegende Waffen- und Munitionsvorräte, welche der Dampfer Anatolie unlängst im Auftrag des Sultans aus Mogador nach Mazagan gebracht hat, die aber dort beschlagnahmt worden sind, nunmehr nach Marrakesch zu befördern. Ein Teil dieser von Muley Hafid beanspruchten Vorräte wurde bereits dessen Kurieren ausgeliefert. — Matin erfährt aus Casablanca, daß das Gefecht vom Dienstag eine Ausdehnung von 10 Kilometern gehabt habe. Die Marokkaner seien so erbittert gewesen, daß sich mehrere ihrer Retter in die Bajonette der Legionäre stürzten. Petit Parisien berichtet, dazu noch, daß die Aufklärungsabteilung als sie nach Casablanca zurückkehrte, gegen die wiederholten Angriffe der Marokkaner Karrees bildete und sie so abwehrte. Die Höhen um Casablanca sind übrigens jetzt ständig mit Reitern bedeckt.
Abd-el Aziz und Muley Hafid.
Die Berichte von den wachsenden Triumphen des Gegensultans Muley Hafid können nicht bezweifelt werden. Vom Süden her, wo ihm die tatsächliche Macht bereits gehört, schreitet die Bewegung, die ihn zur Herrschaft mft, siegreich nach Norden weiter. Mit der Regierungsgewalt des Sultans Abd-el Aziz ist es, wie es scheint, auf immer vorbei. Es ist das tragische Ende eines Herrschers, der statt zum Tyrannen zu sehr zum Menschen geboren wurde; der den marokkanischen Thron nicht zu behaupten vermochte, indessen er einem europäischen vielleicht zur Zierde gereicht hätte. Denn seine Menschlichkeit, sein weiches Gemüt waren seine einzige Schwäche; doch diese allein genügte in diesem Lande, ihn um jede Autorität zu bringen. Ein Kenner Marokkos, der mit den Verhältnissen und Persönlichkeiten am Hofe zu Fez auf das Beste vertraut ist, lobte jüngst die herzliche Liebenswürdigkeit, den noblen Charakter und die Jn- telligenz des jungm Sultans. „Aber", so sagte er weiter,
begriffsstutzig, wenn ein ihm erteilter Auftrag über seinen Horizont hinausgtng. So bürstete er am ersten Tage die Goldbeschläge des Helmes und die vergoldeten Uniformknöpfe seines Herrn mit in Weingeist aufgelöstem Hirschhornpulver, putzte ein anderesmal die vergoldeten Spiegel- und Bilderrahmen mit einem nassen Lappen, und als ihn Schlaffer eines TageS beauftragte, seinen zerbrochenen Zwicker zum Optiker zu tragen, der ganz in der Nähe war, blieb er mehrere Stunden fort.
„Wo in Teufelsuamen bleiben Sie denn?" schrie ihn sein Herr bei der Wiederkehr an.
„D' Augeubrilln Hab' i forttragen," sagte Johann gutmütig lachend. „Aber da is weit hin."
„Ja, wohin gingen Sie denn?" fragte Schloff».
„No', halt zum Schinder. Der hat g'lacht und gmeint, der erst' April is schon lang vorüber. Da bring'i d'Brilln wieder."
„WaS?" rief der Offizier, seinen Ohren kaum trauend. „Wie kommen Sie denu zum Schinder?"
„Sie hab'n ja g'sagt, i soll's zum Abdecker trag'n," entschuldigt sich Johann.
„Zum „Optiker" Hab' ich gesagt," lachte jetzt der Offizier.
„So hoaßt bei uns der Schinder," entgegnete Johann ebenfalls lachend, hartnäckig Optiker mit Abdecker verwechselnd.
So hatte der Schlaffer ewig zu belehren und zu erziehen, doch hatte er seinem Schützling nach kurzer Zeit schon so viel Routine beigebracht, daß er es eines Tages wagen durste, der Frau Landrichter, die große Kaffeevistte
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„Abd el Aziz wird mit seinem Volke nicht fertig. Die
Araber brauchen einen Herren wie seinen Ahn, den Sultan Muley Jsmael, der die Untertanen nicht als Menschen behandelte und dabei oder gerade deswegen doch der populärste Herrscher war." Und weiter erzählte mir mein Gewährsmann, wie der feminine Grundzug seines Wesens den Sultan vor der eigenen Umgebung verächtlich mache. So befindet sich beim Palaste eine Menagerie, an der Abd el Aziz eine große Freude hat. Aber wenn die Bestien drinnen mit lebenden Tieren gefüttert werden, wendet er sich ab, weil er den Anblick nicht zu ertragen vermag. Ein anderes Bild: Am Hofe weilte ein italienischer Offizier, der dort für den Bedarf des Sultans den Gebrauch einer Eismaschine eingeführt hat. Ein paar Tage lang blieb aber Abd el Aziz ohne die gewohnte Lieferung. Er erkundigte sich nach dem Verbleib des Eises, und die Nachforschungen ergaben, daß es zwar in der gleichen Menge wie immer hergestellt worden war, daß aber nichts mehr davon bis zu ihm gelangte, weil es auf dem Wege dorthin schon zu viele Liebhaber gefunden hatte. Eine solche Entdeckung hätte unter Muley Hassan, dem Vater des Sultans, das ganze Gefolge um das Leben zittern lassen. Aber am Hofe des Sohnes ist das Köpfen eine seltene Sache geworden, und die Eisdesraudanten wußten gar wohl, daß sie ruhig in das lustige Lachen würden einstimmen dürfen, in das die Geschichte den gutmütigen Abd el Aziz versetzte.
Muley Hafid, der seinen jüngeren Bruder aus der angestammten Macht verdrängt, besitzt die Herrennatur, nach der das marokkanische Volk verlangt. Er hat einen Pala- dinenstab alter Kriegsleute um sich geschart und er selber gilt als ein ausgemachter Held. Der Hof, der ihn, aus Furcht vor der Ueberlegenheit seiner Persönlichkett, schon früh durch schwierige Aufgaben künstlich von Fez fernzuhalten bestrebt war, hat ihm diesen Ruhm selbst schaffen Helsen. Sein Vater gab ihm nämlich den Auftrag, in dem unruhigen Tadla-Distrikt, dem Hinterlande von Casablanca, Sicherheit und Ordnung herzustelleu. Und dem Einfluß Muley Hafids und seiner diplomatischen Gewandhett, mit der er die rebellischen Stämme stets gegen einander auszuspielen pflegte, gelang es in der Tat, die Aufgabe, der niemand sich gewachsen zeigte, zu lösen. Diese Dinge find im Volke wohlbekannt, und da man weiß, daß Muley Hafid auch in anderen Beziehungen ein rechter Realpolitiker ist, daß er sehr ökonomisch wirtschaften und seinem Finanzminister scharf auf die Finger sehen wird, so hat man allenthalben im Lande das Vertrauen zu ihm, daß er den inneren Wirren ein schnelles Ende bereitet. Abd el Aziz ist kaum in der Lage, ihm großen Widerstand entgegenzusetzen. Denn außerhalb der Mauern von Fez besitzt er weder Ansehen noch Anhang, und selbst dort ist das Spiel Ar ihn verloren, seitdem in diesen letzten Tagen die Stadt einen Bruder Muley Mohamed, der lange sein Gefangener war, zum Sultan ausgerufen hat. Dieser, ein einäugiger, orthodoxer Finsterling, wäre seinen Anlagen nach wohl eher imstande, Muley Hafid die Herrschaft streitig zu machen. Darum muß das nächste Streben Muley Hafids auf den Besitz der effektiven Regieruugsgewalt gnüchtet
hatte, seinen Johauu für etwaige Besorgungen zur Verfügung zu stellen. Es war ein Regentag und der Besuch des gastfreien Hauses ein unerwartet großer.
Die Kaffeekuchen gingen zu Ende und die Hausfrau gab Johann den Auftrag: „Lausen Sie schnell auf den Markt und holen Sie noch einen Kranz für zwei Mark."
Johann galoppierte, soweit es ihm seine Schwerfälligkeit erlaubte, zum Markte. Aber er trat dort nicht in den großen Laden des Konditors, sondern in den kleinen einer Blumenhändlerin, die denn auch dem Soldaten für sein Geld einen aus künstlichen Blumen gefertigten Kranz übergab, mtt welchem Johann zum Landgerichtsgebäude zurückeilte. Ein allgemeines Gelächter des Küchenpersoncls war sein Lohn.
„Ja, was bringen Sie denn da?" rief die Landrichterin, vor Verwunderung die Hände zusammenschlagend.
„Gnä' Frau hab'n befohl'n, an' Kranz," sagte der Bursche.
„Ich meinte ja ein Gebäck zum Eintunken, Kaffeebrot, verstehen Sie?" belehrte ihn die Dame.
„Ja so," meinte Johann, „zum Eintunken soll i was holen, ja dös is freili was anders."
Er eilte von dannen, zuerst zur Blumenhändlerin, um für den Kranz sein Geld wieder etnzuwechseln, dann zum Bäcker. Nach seinem Geschmack hielt er Semmeln für das beste zum Etntuuken und ließ sich um zwei Mark etwa 70 Stück vorzählen. Der Bäcker gab ihm darüber noch 6 Stück als Dareingabe. Da er sie nicht anders zu tragen wußte, nahm er sein von Brafiltabak duftendes Sacktuch und band die Brote hinein. (Fortsetzung folgt.)