8i- Jahrgang.
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Mit dem Plauderstübcheu und
Lchwäb. Landwirt.
185
Hlagold, Irettag den 9. August
1907
Gafaökanca.
Mit dem „heiligen Krieg" und der grünen Fahne hat es noch gute Wege. Die Stämme zerfleischen sich aus altem Haß untereinander, kein Machthaber ist zur Zeit so einflußreich, daß es ihm gelingen sollte, diese zentrifugalen Kräfte zu einen. Auch Raisuli nicht, der dreisteste aller Klein- Usurpatoren, der den Schotten Maclean in guter Hut hält, gegen den das stolze Albion fast beschämend wehrlos ist. Auf der anderen Seite ist völlige Ratlosigkeit. El Torres, der betagte Lenker des Auswärtigen, Gebbas, der merkwürdige Kriegsmann, sind froh, wenn sie in Frieden gelassen werden. Torres kommt schnell und sagt: xuter xveeavl, aber zugleich auch: voll xo88«mu8. Daß Frankreich nachdrückliche Sühne verlangen muß, ist selbstverständlich, wird ihm auch von Deutschland nicht angefochten werden, denn dem „Solidaritätsgesühl" ist sofort durch den deutschen Geschäftsträger Ausdruck gegeben worden. Französische, italienische, spanische Kreuzer dampfen gegen Nord- asrika. Auch deutsche? Während wir dies-schreiben, weiß man noch nichts davon. Und doch wäre es selbstverständlich, daß dies geschähe. Schon um der von Deutschland betonten und von den beteiligten Mächten doch gewünschten Solidarität aller Europäer willen. „Alle Völker find in ihrer Ehre an dem Erfolg, unserer Gesittung bringenden Sendung beteiligt", schrieb der „Figaro". Na also! Außerdem haben wir eigene Interessen zu schützen und nach dem Rechten zu sehen. Es könnten trotz des Dr. Krach, der unangefochten durch die Kabylenrotten wandelt, auch Deutsche gefährdet werden, denn die berühmte internationale Polizei und der gewiß sonst sehr verdienstvolle Herr Müller aus der Schweiz sind bisher illusorisch, obwohl ihn das Tageblatt bereits interviewt hat und er guten Muts scheint, vsüelsuts xseuuiu blieb er bisher im Stadium langsamer Vorbereitung. Zu Casablanca wenigstens störten seine Polizei nicht allzusehr die Bestrebungen der Eingeborenen. Frankreich hat ein Glück, bas sich nur mit dem des deutschen Reichskanzlers und der deutschen Sozialdemokratie vergleichen ließe. Diese Bahuarbeiter starben ihm wirklich sehr gelegen. Niemand kann es ihm verargen, wenn cs sie als Weltpioniere feiert, wenn es entschlossen ist, fürchterliche Musterung dort oben zu halten, denn auch zu Rabat und anderswo brodelt und gärt es. Wie weit aber wird es gehen und darf es gehen? Schon heißt es um die Einrichtung der Polizei zu sichern, müßten alle großen Plätze Marokkos militärisch besetzt werden. Die Gerechtigkeit erfordert, zuzugestehen, daß das offizielle Frankreich bisher in seinen formellen Kundgebungen korrekt, in seinen materiellen Aeußcrungen gemäßigt war. Herr Clömenceau, der eben dem Karlsbader Sprudel genaht war, erklärte, daß zwei Momente Frankreich leiten würden: die Schwierigkeiten, wenn irgend möglich friedlich beizulegen und in keinem Fall allein vorzugehen, sondern nur in Uebereinstimmung mit den Algecirasmächten. Bliebe allerdings der Begriff „Uebereinstimmung" zu definieren. Prompt erschien denn auch der französische Geschäftsträger in der Wilhelmstraße, um dort
Mitteilung von den Vorfällen in Casablanca und von der
Entsendung französischer Kriegsschiffe zu machen. Man wahrt immerhin etwas besser die Formen seit Algeciras. Will man vielleicht in der Form beileibe nichts versehen, um dafür nachher in der Sache doch desto herzhafter sein zu können? Bisher liegen dazu zwingende Verdachtsgründe nicht vor. Wies doch der „Temps" ganz vernünftigerweise darauf hin, daß die wirkliche Durchführung des Polizeireglements schleunigst erfolgen müsse. Ja, warum ist sie nicht längst erfolgt? Warum hörte man noch nichts von den Taten des Herrn Müller? Ist auch daran Deutschland schuld? Oder nicht vielleicht eher Frankreich und Spanien und die intrigante „Däpsche Marocaine", die alle jene französischen »aAvnts xrovvoutouio" fördert, die den marokkanischen Boden mit ihren hetzerischen Lügen über Deutschland düngen? Jenes Blatt, das Unruhen geradezu hervorruft, das unter der Zensur der französischen Gesandtschaft steht und ohne deren Erlaubnis kein Wort schreiben darf, und das neulich derartige Schwindelnachrichten über Maclean in die Welt setzte, daß es selbst dem englischen Gesandten zu viel wurde und er energische Vorstellungen auf der französischen Gesandtschaft erhob? Jenes Blattes, das diese Räuberphantasien dann widerrufen mußte und dies ohne Beklemmung tat mit der wie selbstverständlich klingenden Naivetät, daß verschiedene dieser Nachrichten „absolut imaginär" seien? In den französischen „Kolonien" ist auch die offiziöse Presse recht anfechtbar. Immerhin aber beteuerte ja der „Temps", daß Frankreich „gemäß dem Geist und dem Buchstaben der Algecirasakte" seine Maßnahmen treffen wolle. Steht dieser Vorsatz nicht nur auf dem Papier und wird er durchgeführt, so genügt uns das, Md Deutschland vermag das Seine dazu beizutragen dauernd Ordnung zu schaffen. Seine Sorge wird es aber sein, darüber zu wachen, daß er nicht nur auf dem Papier steht und daß sich Frankreich nicht durch die Aufputschungen unserer englischen Vettern verleiten läßt, ein Spiel zu treiben, das diesmal gefährlicher fein könnte als in den Delcasft- tagen. Die englische Presse ist bereits im besten Zug, sich französischer zu gebärden, als die uatiou. Und
das sollte sie gefälligst bleiben lassen. Sie ist auch bereits wieder mit der Bagdad-Kompensation bei der Hand, die bekanntermaßen keine ist. Spanien, dem Verbündeten und Mitorganisator, scheint die Sache peinlich zu sein. Mit muß es ja, aber viel Vergnügen hat man zu Madrid nicht an dieser Weltmission.
Uocilffche Weberficht.
Für die Heranziehung deutscher Ansiedler und Arbeiter ans Südrußland und deren Seßhaft- machung auf dem Land hat sich die ständige Kommission des preußischen LandeSökonomiekollegiums erklärt. Auf ihr Ersuchen wird der Landwirtschaftsminister, der sich für das Projekt ausgesprochen hat, im September eine Konferenz der beteiligten Kreise eiuberufen, welche die endgültige
Entscheidung in dieser Frage zu treffen, eventuell über das
weitere Vorgehen Beschluß zu fassen hat.
Ju Sfimbirsk haben politische Gefangene am Montag zum Zweck einer Massenentweichung die Gefängnisaufseher entwaffnet und gebunden. Das zur Hilfe gerufene Militär wurde mit Schüssen aus den Revolvern der Aufseher empfangen. Die Truppen erwiderten durch Gewehrfeuer. Ein Gefangener ist getötet, einige find verwundet worden. Die Ruhe ist wieder hergestellt.
Casablanca ist bereits beschossen worden. Aus
Tanger wird nämlich vom 6. August durch die Agence Havas gemeldet: Der französische Dampfer Anatolie, aus Casablanca kommend, welches er gestern abend verließ, berichtet, es sei ihm unmöglich gewesen, den französische« Konsul wegen der wachsenden Feindseligkeit der Stamme zu landen: der Konsul habe ungeordnet, daß die Kreuzer Galilee und Du Chayla die Zugänge zum Konsulat fret- halten sollten. Die Beschießung der Stadt begann sodann und hatte volle Wirkung. Die Mannschaften, welche die beiden Kreuzer landeten, besetzten die Stadt. Und ein Telegramm der deutschen Kabelgesellschaft von demselben Tag lautet ergänzend: Nach dem Bericht des Kapitäns eines Handels- dampfers haben die Behörden von Casablanca die Landung von Matrosen des französischen Kreuzers Galilee verlangt, um die Konsulate vor dem Gesindel zu schützen. Gestern morgen 5 Uhr landeten Marinesoldaten und bekamen Feuer aus nächster Nähe, darunter auch von Soldaten des Sultans. Die Marinesoldaten erwiderte« das Feuer und gaben ein vorher verabredetes Signal, worauf der Kreuzer Galilee Feuer gab und den Umkreis der Stadt beschoß, um die Kabylen am Eindringen in diese zu verhindern. Durch diese Beschießung ist kein Europäer in Casablanca verletzt worden. Die Ruhe ist wieder hergestellt worden. In der letzten Nacht wurde übrigens in Tanger Geschützfeuer aus der Richtung von Casablanca gehört. Der Kreuzer Du Chayla hat unterwegs in Mazagan Matrosen abgegeben. Ferner meldet das Reutersche Bureau aus Tanger vom 6. August: Heute ist hier ein Dampfer aus Casablanca ohne Flüchtlinge cingetroffen. — Der deutsche Geschäftsträger in Tanger hatte seinen französischen Kollegen auf die gefährdete Lage der Europäer in Mazagan aufmerksam gemacht. Der französische Geschäftsträger veranlaßte darauf die Entsendung des in Tanger eingetroffenen Kreuzers „Du Chayla" nach Mazagan zum Schutz der Fremden. Dieser Schutz kommt auch den meist außerhalb der Stadt wohnenden Deutschen Mazagans zugut. — Der italienische Gesandte in Tanger erhielt von seiner Regierung die Weisung, an den marokkanischen Bevollmächtigten für die auswärtigen Angelegenheiten das formelle Verlangen zu richten, daß die scherifische Regierung für die in Casablanca erfolgte Ermordung dreier italienischer Arbeiter und die Verwundung eines vierten die gebührende Genugtuung gebe, insbesondere die Schuldigen bestrafe, und ferner eine angemessene Entschädigung für den Verwundeten und die Familien der Getöteten leiste. — Die Meldung, daß auch ein englisches Kriegsschiff bereits nach Casablanca (von Gibraltar aus) gedampft sei, wird
Die Besichtigung der Schlachtfelder von Weißenburg und Wörth durch den Militär- und Veteranenverein Nagold 3.-5. August 1907.
(Schluß statt Fortsttzunz)
Angesichts der vielen und stattlichen Monumente, die auf der Höhe von Elsaßhausen zu sehen sind, drückten wir gegenseitig die Verwunderung darüber aus, daß den gefallenen Kameraden des 2. Württ. Infanterieregiments, das hier so tapfer focht und so bedeutende Verluste hatte, kein Denkmal errichtet wurde, warum sich Regiment und Jägerbataillon nicht zu diesem Zweck vereinigten. Es wußte jedoch niemand Bescheid; mm vergessen sind die teuren Toten darum nicht.
„Fliegende Siegesboten rauschen im Morgenwind über die tausende Toten, die dort gebettet sind.
Ob keine Namen sie melden, kein Lied den Schlaf ihnen stört, Vaterland Preis deinen Helden, die dir gefallen bei Wörth!"
Wir liefen an den wenigen Gehöften von Elsaßhausen vorüber etwas bergabwärts zum Denkmal der 3. Armee, einer Säule, ähnlich der Jubiläumssäule auf dem Schloß- platz in Stuttgart (statt des Engels hat sie oben den preuß. Adler); ganz in der Nähe steht von einem Holzgitter eingefaßt, der sogenannte Mac Mahon-Nußbaum, von wo Ms der Marschall am Morgen des 6. August die Schlacht leitete Dieser Standort gewährte einen Ueberblick über einen großen Teil des Schlachtfeldes, er mußte aber nach dem verunglückten ersten franz. Reiterangriff verlassen werden. Mac
s Mahon kommandierte nachmittags von Fröschweiler aus, . das aber gegen 4 Uhr auch erstürmt wurde. Rechts an ! der nach Wörth abführenden Straße befindet sich das Denk- ^ mal für die afrikanischen Truppen mit franz. Widmung. ; Für den Nachmittag blieb uns noch übrig die Besichtigung ! des schönsten und großartigsten Monuments in der ganzen Umgebung, des Kaiser Friedrich-Denkmals auf der Anhöhe jenseits des Schlachtfeldes. Auf mächtigem Felsen erhebt sich das eherne Reiterstandbild de? Siegers von Wörth, Pferd und Reiter find meisterhaft dargestellt, zwei Krieger, ebenfalls in Erz gegossen den Norden und Süden Deutschlands darstellend, reichen sich die Hand. Der Eindruck des Ganzen ist ein gewaltiger und wird bei uns dauernd nachwirken. Noch ein letzter Blick hinüber nach Elsaßhausen und Fröschweiler, dann marschierte wir dem Bahnhof Wörth zu, um den Zug nach Straßburg zu erreichen. Hiemit war die gemeinsame Tour zu Ende; in Straßburg begannen sich Sonderinteressen geltend zu machen, gruppenweise wurden die Sehenswürdigkeiten Srraßburgs besonders das Münster besichtigt; auch die Kaserne der Württemberger wurde besucht. Oberst v. Gerok ritt an einzelne Veteranen heran, sich nach ihrer Herkunft und nach dem Zweck ihrer Reise erkundigend und freundlich mit ihnen redend. Das tat den alten Soldatenherzen wohl. Hochbefriedigt vom Gesehenen und vom Gelingen des Ganzen kehrten wir — die einen über. Karlsruhe, die andern über Freudenstadt — in die liebe Heimat zurück. Mögen sich die Reisen über den Rhein immer so friedlich gestalten, wie die unsrige, mögen des Krieges Schrecken uns immer fern bleiben!
Das Testament des Bankiers.
Kriminalroman von N. M. Barb»»r.
U»toristr,t. — Nachdrucks verboten.
(S«rtsH«»,)
Am folgenden Abend begab er sich wieder in sein Versteck und sah auf der Hinterseite von Nummer 545 dasselbe Zensier wie tags vorher erleuchtet. Im Vorderzimmer war nur ein Heller Flackerschein — offenbar von einem Kaminfeuer — zu bemerken, in dem ab und zu mit gesenktem Kopf und auf dem Rücken verschlungenen Händen der ahnungslos Beobachtete an dem Fenster vorüber wandelte. Es dauerte lange, endlich aber stellte er seine Wanderung ein und trat etwa 10 Minuten später, in Pelz und Mütze, aus dem Hause, um den Weg nach der Stadt einzuschlagen.
Herr Rosenbaum folgte in gemessener Entfernung. Erst in den belebten Straßen der Stadt verringerte er mehr und mehr den Abstand, bis er fast dicht hinter dem Verfolgten ging. Plötzlich blieb der Verfolgte vor einem Restaurant stehen und lugte vorsichtig die Straße hinauf und hinab. Hierbei bemerkte er Rosenbaum, der mir größtem Interesse das nebenan befindliche Schaufenster eines Juweliers musterte. Eine Weile betrachtete er ihn aufmerksam, dann trat er in das Restaurant. Durch die Spiegel, die die Hinterwand und Seitenfüllung des Schaufensters bildeten, konnte Rosenbaum diesen Vorgang mit Befriedigung wahrnehmen.
Ohne Eile, die Verbindung wieder aufzunehmen, wartete er noch so lange, bis er annehmen durfte, daß sein Mann sich einen Platz gewählt haben würde. Dann betrat auch