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Schöneberg, Potsdam, Brandenburg a. H. Versuche angestellt hatte, habe ich damals in einer Denkschrift ausgesprochen, daß diesem Apparat eine große Zukunft im Verkehrsleben bevorstehe, während er allgemein noch als Spielzeug angesehen wurde. Ich habe betont, daß ein neues Verkehrsmittel in die Welt getreten sei, das sich durch unvermittelte, direkte Wiedergabe der Sprache vor dem Telegraphen auszeichne. Mit Genehmigung de» Herrn Reichskanzler, der sich persönlich an den betreffenden Experimenten beteiligte, wurde nun zuerst in Tausenden von kleinen Orten die neue Erfindung eingeführt. In den Städten stieß ich auf Schwierigkeiten. Der Fernsprecher sei ein amerikanischer Schwindel, bekam ich täglich zu hören. Ich habe Agenten herumschicken müssen, um Abonnenten heranzureden, wenn ich so sagen darf. Dies zeigt, wie mißtrauisch die Deutschen neuen Erfindungen gegenüberstehen. Jetzt hat Berlin das erste Fernsprechnetz der Welt, in Deutschland werden täglich >/? Million, in Berlin allein 162.000 Gespräche vermittels des Fernsprechers geführt. Da nun jedes Gespräch mindestens aus einer Rede und einer Gegenrede besteht, so macht dies täglich 1 Million Schnellberichte, jährlich also 365 Millionen, dis sonst durch Briefe und Telegramme befördert werden mußten und jetzt viel schneller an den Ort ihrer Bestimmung gelangen. Mit dem Fernsprecher ist ein neues Machlelement in den Verkehr, in das ganze gesellschaftliche Leben, ja auch in die Aktion des Staates hineingetreten. Diese großen Erfolge sind wesentlich dem Umstande zu danken, daß die gesetzgebenden Faktoren, der Bundesrat und der Reichstag, in bereitwilligster Weise die von der Verwaltung geforderten Mittel bewilligt haben. Die Verwaltung muß sich aber auch in ihrer Leistungsfähigkeit stets auf der Höhe der Zeit halten. Um der Hoffnung, daß eine Kostenermäßigung eintreten werde, zuvorzukommen, hebe ich hervor, daß demnächst bedeutende Kosten und neue Ausgaben bevorstehen. Es kann leicht dahin kommen, daß die Telegraphie mit anderen elektrischen Quellen und Leitungsmitteln arbeiten wird, als jetzt der Fall ist. Wir werden uns daher-Akmühen muffen, uns wissenschaftlich technisch und administrativ, aber auch finanziell auf der Höhe zu halten, und ich kann nur mit der Anerkennung der Thatsache schließen, daß der Bundesrat und das hohe Haus stets bereitwillig die Hand dazu geboten haben, diejenigen Einrichtungen zu treffen, die der Ehre und dem Wohls des Vaterlandes entsprechen (Lebhafter Beifall.)
Stuttgart, 19. Jan. Der „Staatsanzeiger" meldet die Einberufung der Ständeversammlung auf den 30. Januar.
Holland.
Da« Befinden des Königs von Holland. Die unerwartet günstigen amtlichen Nachrichten über das Befinden des Königs Wilhelm der Niederlande finden nirgends rechten Glauben. Man nimmt an, daß, sobald bekannt wird, der König habe für immer die Augen aefcdlossen, in Amsterdam und anderen größeren Städten Unruhen ausbrechen werden und daß diese Besorgnis das Ministerium bewogen habe, Berichte zu verbreiten, welche beruhigender lauten, als es die Umstände in Wahrheit ge- statten. Tiotz dieser Berichte ist das Ende des Kranket jeden Augenblick zu erwarten. Das beweisen die beeinflußten Berichte. Für einen solchen kann man den folgenden Kcankheitsbericht ansehen, den die „N. Zürich. Ztg." aus Amsterdam erhalten hat: das Leiden Wilhelms HI. ist überaus kompliziert. Zunächst ist die Blasensteinkrankheit, an welcher er seit zwanzig Jahren leidet, ungefähr seit Jahresfrist mit solcher Heftigkeit aufgetreten, daß die Steinoperation unvermeidlich schien. Allein das hohe Alter des Königs machte das Gelingen einer solchen Operation höchst zweifelhaft, so daß sie aufgegeben werden mußte. In den letzten Tagen erlitt König Wil- Helm in dem Augenblicke, da er das Bett verließ, einen Schlaganfall, welcher ihm die rechte Seite lähmte, und zum Ueberfluf; trat auch noch eine Erkältung hinzu, die sich der Kranke, man weiß nicht auf welche Weise zuzog. Die Ecnährungsthätigkeit ist seit Neujahr vollständig gestört.
Der König nimmt seit vierzehn Tagen keine feste Nahrung mehr zu sich, und die wenigen flüssigen Nahrungsmittel, welche ihm eingegeben werden, vermehren seine Kräfte nur ganz unmerklich. Leider müssen wir auch erwähnen, daß bei dem Königeschon seit geraumer Zeit eine zeitweilige Geisterst ö r u n g bemerkt wurde, eine Folge der Melancholie, die den Monarchen seit dem Augenblick ergriffen hat, da er die Gewißheit erlangte, daß das ruhmreiche Geschlecht der Oranier mit ihm aussterben werde. Die Geisteskrankheit des Königs wird durch einen der „Kreuzzeitung" zugegangenen Drahtbericht bestätigt, nach welchem „der Geisteszustand des Königs den Aerzten mehr Besorgnisse einflößt, als das körperliche Leiden".
Gcrges-Weuigkeiten.
-j- Calw, 21. Jan. Im dichtbesetzten Hörsaale des Georgenäums hielt am Freitag abend Hr. Rektor Dr. Müller einen Vortrag über die Zustände in Calw nach dem großen Brande von 1692. Der verehrte Redner, der sich mit diesem Thema keine angenehme Aufgabe gestellt hatte, schöpfte die Schilderung jener Zeit, wo bekanntlich überall Mangel, Not und allerlei Unrecht herrschte, aus einem Gerichtsprotokollband vom Dezember 1692 bis Februar 1699. Die Gegenstände dieser Gerichtsverhandlungen bieten freilich nicht viel Erfreuliches; der größte Teil beschäftigt sich mit Klagen wegen Schuldforderungen, Diebstählen, Betrug, Zunftzwang und Beleidigungen; einige weitere Einträge stellen polizeiliche Verfügungen über die in der Stadt zu handhabende Ordnung, über Hochzeitsbesuch, über Fleisch- und Brotpreise u. dergl. fest. Es wäre aber unrecht, wollte man aus diesen Aufzeichnungen ein vollständig getreues Bild jener Zeit entwerfen; gewiß zeigten sich auch Beispiele hochherziger Mildthätigkeit bei dem Bau der Kirche und Schule, des Rathauses und der einzelnen Wohngebäude. Bevor Redner auf die einzelnen Fälle einging, führte er die Namen der Gerichtsherren an, wovon einige Namen hier nicht mehr Vorkommen, andere aber, wie Schill, Mayer, Essig, Köhler, Rühle, Volz, Schauder, Demmler, Zahn noch jetzt sehr bekannt sind. Die Sprache der Protokolle ist fast ganz hochdeutsch mit Ausnahme einiger Ausdrücke des Kanzleistils, die Schreibung erinnert an den württembergischen Wahlspruch „Furchtlos und treu" wobei immer w für u (trew — treu) und v für u (vnv — und) geschrieben, auch eine Menge Konsonanten überflüssig verdoppelt wurde, z. B. in Callw, Spitthal, (Kannenwirt—Canth-nwührt, der unter den Wirten überhaupt eine große Rolle spielte). Auf den Brand selber befindet sich wenig Bezügliches, nur eine angesetzte Strafe von 3 fl. 15 Kr. wegen weggesührtem Kupfer ist angeführt. Redner ging nun über auf einzelne, besonders interessante Protokolle, von denen wir die bemerkenswertesten kurz anführen. Die Erteilung des Bürgerrechts an Maurer und Zimmerleute wurde in dieser Zeit gerne gestattet; ein Schneider mit samt seiner Frau zahlte 25 fl. Bürgergeld, seine 2 Kinder nichts. An den Ordnungen der Zunft wurde aber gewissenhaft festgehalten und es kamen daher viele Handwerkerstreitigkeiten vor. Zur Emsammlung der Bausteuer wurden verschiedene Deputationen in die Schweiz nach Franken u. s. w. gesandt, von denen jede Person täglich nur 24 Kr. Reisekosten erhielt; allerdings war der gesammelte Ertrag oft sehr klein. Am 19. April 1698 wurde eine neue Orgel in Frankfurt um 250 fl. gekauft. Der zu großen Anzahl der Geißen wurde gesteuert, dem Kuhhirten fein liederliches Hüten untersagt; am Sonntag sollten alle unnötigen Spaziergänge vermieden werden; nach 8 Uhr durfte niemand mehr im Wirtshaus fein; den Hochzeitsgästen wurden besondere Stunden zum Besuch der Hochzeit vorgeschrieben. Wohl manche Hausfrau wird sich die alte Zeit herbeigesehnt haben, wenn sie die billigen Fleischpreise hörte. 1 Pfd. bestes Hammelfleisch kostete 4, Ochsenfleisch, 4, Stierfleisch 3, Kalbfleisch 3 und 2'/2, Schweine- fleifch 4 Kr. Auch die Taglöhne bewegten sich in niederen Sätzen; bei den Zimmerleuten erhielt 1 Meister täglich 24, 1 Geselle 22 und 1 Junge 18 Kr.
welchem mit großen Buchstaben zu lesen stand: .Gefährlich';" zu gleicher Zeit schlug ein rauschendes, brausendes Tosen an ihr Ohr.
Unwillkürlich ließ sie die Ruder sinken und schaute sich um; da sah sie in einiger Entfernung das Wasser wild schäumend gegen einige Pflöcke schlagen, die der ganze Schutz gegen ein hier abfallendes Wehr waren, welches, ohne daß sie etwas davon wußte, zu den gefährlichsten Stellen des Flusses gehörte.
Aber obgleich ihr dies bisher unbekannt gewesen war, wurde sie sich jetzt doch augenblicklich der furchtbaren Gefahr, in der sie schwebte, bewußt, und ein Gefühl namenloser Furcht beschlich sie, so daß ihr einen Augenblick lang die Sinne zu schwinden drohten.
Hilflos schaute sie umher und versuchte, nach Hilfe zu rufen, aber sie brachte keinen verständlichen Laut hervor, nur ein halbersticktes Wimmern; dann sank sie, außer sich vor Angst, auf den Boden des Bootes nieder, in stummer Verzweiflung die Hände ringend.
Tausend Gedanken schossen ihr mit Blitzesschnelle durch das Gehirn; — es war ihr, als müsse sie Abschied nehmen von Allem.
Das Verhängnis schwebte über ihr und kein Bemühen ihrerseits konnte dasselbe abhalten, denn das Fahrzeug mußte bei dem furchtbaren Anprall des über das Wehr stürzenden Wassers unfehlbar zu Grunde gehen; damit aber war auch sie rettungslos verloren.
In einem raschen Wandelbilde zog ihr bisheriges Leben an ihrem geistigen Auge vorüber. Sie sah sich in der Pension in Brüssel; — sie sah Sir Ralph, wie er gekommen war, sie von dem einförmig öden Schulleben zu erlösen; — sie sah Otto Lynwood mit einem, wie es ihr schien, höhnischen Lächeln um den Mund, — und dann sah sie Lionel Egerton im Geiste vor sich, und unwillkürlich faltete sie die Hände und sprach seinen Namen aus.
„Wenn er hier wäre," brach es sich von ihren bebenden Lippen, „er würde mich vielleicht retten können!"
Und immer heftiger toste und brauste das Wasser, immer rascher trieb es das schwache Fahrzeug dem verhängnisvollen Wehr zu, an dem es zersplittern mußte wie ein dürrer Ast im Sturme, und von grausigem Entsetzen und namenloser Todes'
Furcht erfaßt, schloß Adrienne die Augen und überließ sich in stummer Verzweiflung ihrem Geschick....
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„Hat Adrienne gesagt, wie lange sie ausbleiben will?" fragte Sir Ralph seinen Neffen, als dieser wieder bei ihm und Egerton eintrat.
Alle Spuren des Sturmes von Aufregung, der ihn durchtobt hatte, waren von Otto's Stirn verschwunden, und er war wieder der lächelnde, höflich glatte Gesellschaftsmensch, als welcher er allgemein bekannt war; er sah aus, als ob er nicht den geringsten Kummer hätte.
„Nein, sie hat Nichts gesagt," erwiedeite er auf die Frage seines Onkels.
„In welchem Boote ist sie denn gefahren?"
„In der Wasserlilie."
„Ist Lady Lynwood aufs Wasser gegangen?" fragte Lionel jetzt, sich ins Gespräch mischend.
Otto bejahte und etwas in Egerton's Ton veranlaßte den Baronet, rasch zu
sagen:
„Glauben Sie etwa, daß sie nicht allein hätte gehen sollen?"
„Ich zweifle nicht, daß es ihr ganz wohl gelingen wird, zu rudern," entgeg- nete Lionel, „aber . . ."
„Was?" fragte Sir Ralph, als er inne hielt.
„Nun, sie kann nicht schwimmen und soll zum ersten Mal allein ein Boot lenken. Ich glaube, daß es besser gewesen wäre, wenn Hauptmann Lynwood sie begleitet hätte, um ihr im Fall der Not beistehen zu können."
„Ich machte mich erbötig, dies zu thun, aber sie wollte allein sein und wies meine Begleitung zurück," entgegnete Otto in etwas gekränktem Tone darüber, daß man an seiner Ritterlichkeit zweifeln konnte. „Wenn ich gedacht hätte, daß ihr nur die allergeringste Gefahr drohe, so können Sie überzeugt sein, daß ich sie ohne Zweifel begleitet hätte, aber so Etwas ist mir eben gar nicht eingefallen. Ich sehe auch gar nicht ein, warum ihr etwas geschehen sollte: — das Boot ist sehr sicher, und so wenig Uebung sie auch bisher hatte, so versteht sie doch sehr gut, eS zu führen. . ." (Forts- folgt.)