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Lettern und in jenem selbstgefälligen, großsprecherischen Stile breit, wie er das Eigengut der demokratischen Presse ist. Ob die Herren Gemeinderäte in Stuttgart ihren Zweck erreichen werden, ist zweifelhaft; von einer Amtsenthebung wird auf Grund des vorliegenden Falls keine Rede sein können; es kann sich also nur um eine Beschwerde handeln, die vielleicht deshalb kein ungeneigtes Ohr finden dürfte, weil die von dem Stadtvorstand angestrengten zahllosen Prozesse mit ihren unerquicklichen Einzelheiten der Regierung die Ueberzeugung beigebracht haben dürften, daß eine Aenderung in den Heil- bronner Verhältnissen im Interesse der Stadt liege.
Berlin, 26. Nov. Von dem Selbstmord eines Liebespaares berichten die Blätter: Am Samstag nachmittag betrat ein feingekleideter Herr mit einer Dame in eleganter Toilette ein Lokal in der Heesestraße in Steglitz. Der Herr bestellte eine Flasche Wein, bezahlte dieselbe sofort mit einem Zwanzigmarkstück und das Paar nahm allein in einem kleine» Zimmer Platz, wo sie ganz ungestört waren. Plötzlich erschreckte der Knall zweier Schüsse die Anwesenden. Man eilte nach dem Zimmer und fand das Paar auf dem Sopha umschlungen als Leichen sitzend vor. Der Herr hatte erst die Dame und dann sich selbst mit wohlgezielten Schüsse» in die Schläfen getötet. Auf dem Tische lag ein Brief, welcher besagte, daß das Paar die That nach reiflicher Ueberlegung begangen habe und es nicht bedauere, aus dem Leben zu scheiden. Sie bäten, gemeinsam in einem Grabe bestattet zu werden, und hätten ihre Anverwandten von ihrem Vorhaben benachrichtigt. Die Verlebten sind der Chemiker K. und die Frau eines Restaurateurs in der Lothringerstraße.
Wevrnifchtes.
— Das Emin Pascha-Komite hat, wie berichtet wird, Lieutenant Wißmann die gesamte Weiterführung des Werkes in die Hand gegeben. Wiß- mann hatte es abgelehnt, die Verantwortlichkeit für die Folgen zu übernehmen, welchen durch eine Teilung im Zugskommando oder durch eine Verquickung der Interessen des Hilfszuges mit denen der ostasrikamschen Gesellschaft keine spezielle Mission mit ausgesetzt gewesen wäre. Nach den Berichten aus verschiedenen Gegenden des Reiches wurde das Verlangen Wißmanns nach einheitlicher Leitung in fast allen Kreisen, die man um Geld angegangen hatte, geteilt, so zwar, daß die Beschaffung neuer Mittel an der Forderung scheiterte, daß man erst sine Vorfrage entschieden sihen wollte. Wißmann ist bereits reisefertig und will Anfang Dezember aufbrechen. Seinen Plan hat er bereits in der Generalversammlung der Kolonialgesellschaft dargelegt.
— Da zu Neujahr im Staate Newyork das Gesetz in Kraft tritt, welches die Anwendung von Elektrizität bei Hinrichtungen vorschreibt, so hat die Gesellschaft für gerichtliche Medizin in Newyork ein Gutachten verfaßt, in welchem das folgende Verfahren anempfohlen wird: Der Verbrecher ist auf einen Stuhl zu binden, der an einen dicken mit Gummi überzogenen Tisch befestigt ist. Die eine Elektrode ist so anzubringen, daß sie den elektrischen Strom auf das Rückgrat zwischen die Schultern leitet. Der Kopf sollte durch eine Art Helm an den Stuhl angeschlossen werden und an diesen Helm wird die andere Elektrode angeschraubt. In einem Nebenzimmer befindet sich die Dynamomaschine. Die Elektroden sollten von Metall sein und nicht über einen Zoll im Durchmesser haben, oval und mrt Schwamm oder Bockleder überzogen sein. Die Pole und Haut und Haar des Verbrechers sind an den Berührungsstellen mit warmem Wasser anzufeuchten. Die den Strom erzeugende Dynamomaschine sollte wenigstens 3000 Voltas geben. Ein unterbrochener Strom ist vorzuziehen. Derselbe braucht jedoch nur 30 Sekunden zu dauern.
Das „ewig Weibliche". Ueber einen seltsamen Eisenbahndiebstahl berichtet man aus Rußland: Dieser Tage fuhren die Söhne des russischen Kaufmanns CH. aus der Krim in einem Eisenbahnwagen erster Klasse von Brest nach Moskau. Die jungen Leute, welche mehrere tausend Rubel bei sich trugen, machten während der Fahrt die Bekanntschaft zweier allein reisender, höchst fein gekleideter und sehr vornehm auftretender junger Damen, die in Baranowice den Zug bestiegen und denselben Wagen nahmen. Die
Damen bezeichnten Moskau als ihr Reiseziel. Infolge der eintönigen Fahrt war sehr bald eine lebhafte Unterhaltung im Gange; die Herren boten den Damen schließlich Wein an und nahmen darauf von den Damen Cigarren entgegen, welche in Hamburg gekauft sein sollten. Kaum hatten aber die Herren einige Züge aus den Cigarren gethan, so verfielen sie in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst nach einigen Stunden erwachten, um dann zu ihrem Schrecken wahrzunehmen, daß die Damen verschwunden waren und mit ihnen die gefüllten Brieftaschen der Betäubten. Uebrigens sind in Rußland in letzter Zeit mehrere solcher Eifenbahndiebstähle vorgekommen.
Boulangers Ehescheidung. Worin besteht die größte Kunst für den Mann, der eine Rolle spielen will? Darin, jeden Tag von sich sprechen zu machen! Der selige Alcibiades wußte das schon; deshalb schnitt er gelegentlich seinem Hunde Bello, oder wie das Tier sonst wohl geheißen haben mag, den Schwanz ab. General Boulanger weiß es auch; aber mit dem Abschneiden von Hundeschwänzen gibt er sich nicht ab. Das ist ihm zu kleinlich. Er bricht dafür Herzen. In der That, die Ehescheidungssache Boulanger macht in Paris viel Aufseben, trotzdem man schon
seit Jahren wußte, daß-ja, wie soll man das zart sagen? — daß
Frau Boulanger wußte, daß der General zuweilen Reisen machte und Besuche abstattete . . . nein, so geht es nicht. Wir wollen es anders auszudrücken suchen. Frau Boulanger hörte gelegentlich, sie sei mit ihrem Gatten in diesem oder jenem feinen Restaurant, diesem oder jenem vornehmen Gasthofe gewesen. Auch hörte sie gelegentlich, sie habe mit ihrem Gatten Reisen in berühmte Bäder gemacht, Champagner dort getrunken und sich vorzüglich amüsiert. Deshalb will sie sich jetzt von ihm scheiden lassen? Merkwürdige Frau, es muß doch recht angenehm für sie gewesen sein, mit ihrem Gatten so nette Ausflüge zu machen! Ja, da liegt eben der Hase im Pfeffer! Frau Boulanger glaubt nicht daran, daß sie diese Vergnügungen mit ihrem Manne genossen hat. Sie meint, es sei eine andere, und zwar nicht die richtige Madame Boulanger gewesen, welche in Gemeinschaft mit Herrn Boulanger das Geld ausgab, welches — im Boulanger'schen Hause fehlte. In der That, der jeuno et boau ^enörsl ist ein so unverbesserlicher Leichtfuß und Schürzenjäger, wie er nur gefunden werden kann, während seine Frau von allen Seiten als eine brave, tüchtige und gewissenhafte Mutter, Gattin und Hausfrau geschildert wird. Was der ganzen Sache noch einen besonders widerlichen Geschmack gibt, das ist der Umstand, daß der jeuns et bsau KönörsI in Wirklichkeit weder jeune noch besu, sondern ein sibjähriger verschlissener alter Krauter ist, der sich das graue Haar und den grauen Bart sorgfältig dunkelblond färbt und sich mit Gerüchen und Pomaden beschmiert, wie ein kokettes Frauenzimmer. Zu Hause liegt er oft tagelang zwischen den Kissen, die Füße verbunden, zehnfachen Flanell auf dem Leibe und schwitzt, um seine Gicht los zu werden. Auf der Straße aber tänzelt er einher wie ein 18jähriger Jüngling, der zum erstenmale einen Cylinderhut auf dem Kopfe hat. Ein alter Geck und ein alter Wüstling I Und er spielt die erste Geige in Frankreich heutzutage! Armes Frankreich. (Em Berichterstatter der „Daily N ws" meldet übrigens: „Man sagt, daß eine Witwe, eine der reich st en Frauen von Frankreich, die schon lange darnach strebte, eine Rolle in der politischen Welt zu spielen, geneigt wäre, ihre Millionen in den Dienst des Generals Boulanger zu stellen, wenn dieser sie zur Frau begehrte.")
Ueber den Schlaf der Fische wurden jüngst von dem englischen Naturforscher Auaust Carter interessante Versuche angestellt, die ergaben, daß unter den Süßw sse, fischen das Rotauge, der Weißfisch, der Grünling. der Karpfen, die Schleie, die Elritze und der getigerte Hat in gleicher Weise wie Landtiere periodisch schlafen. Derselbe Instinkt scheint die Seefische zu beeinfluss, n, von welchen folgende als von Schläfrigkeit befallen beobachtet wurden: der Lippfisch, Meeral, Sonnenfisch, Hundshai, Seebarsch und alle Arten von Flactfischen. Carter stellte fest, daß. soweit er dies beobachten konnte, der Goldfisch und der Hecht niemals schlafen, wohl aber zeitweise ruhen. — Das Verlangen nach Schlaf wechselt bei Fischen nach Maßgabe der meteorologischen Verhältnisse. Sie wählen nicht immer gerade die Nachtzeit zu ihrer Ruhe.
Aehnliches nie zuvor gesehen zu haben, und er verglich sie in ihrer unbeschreiblichen Zartheit und Anmut unwillkürlich mit einer halb erschlossenen, weißen Rose.
„Sie haben mich gar sehr überrascht, meine Liebe," sagte er, sich ermannend und ihr herzlich die Hände schüttelnd. „Ich stellte Sie mir viel jünger vor, weil Ihr armer Vater, der mein teuerster Jugendfreund war, von Ihnen nur als von einem Kinde, als von seinem kleinen Mädchen sprach. Ich bin einzig von England hierher gereist, um Sie zu sehen!"
„Wie edel, wie gut von Ihnen!" rief Adrienne. „Ich hatte keine Ahnung, daß Jemand so viel Interesse an mir nehmen könne," setzte sie fast in traurigem Tone hinzu.
„Dann müssen Sie Ihre Ansicht ändern. Ihr Vater hat Sie auf seinem Sterbebett meiner Obhut und Sorgfalt anvertraut, und in Zukunft soll es meine Lebensaufgabe sein, für Ihr Glück zu sorgen. Ich bin Sir Ralph Lynwood. Vielleicht haben Sie schon meinen Namen gehört?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich habe meinen Vater in den letzten Jahren sehr wenig gesehen, aber ich erinnere mich lebhaft genug an ihn, um sein Andenken heilig zu Hallen." Ihre Lippen zuckten schmerzlich bei diesen Worten. „Es war wohl zu meinem Besten, daß er mich hierher ins Pensionat schickte, aber ich wünschte gar oft, daß er mich bei sich behalten und mir gestattet hätte, seine Kümmernisse zu teilen."
„Nun, er hat gethan, was er für das Beste hielt," erwiederte der Baronet sanft, sie nach dem Sofa führend und sich neben sie setzend. „Jetzt aber sagen Sie mir, ob Sie hier glücklich sind?"
„Glücklich!" wiederholte sie gedankenvoll. „Ich glaube nicht, daß ich den Sinn dieses Wortes ganz zu umfassen vermag; aber ich bin zufrieden," fügte sie mit unmutigem Lächeln hinzu.
„Sind Sie nicht schon etwas zu alt, um noch länger als Schülerin hier zu bleiben?"
„O, ich bin keine Schülerin mehr. Bald nachdem die Nachricht von dem Tode meines Vaters kam, sagte mir unsere Vorsteherin, daß, da ich nun nicht mehr in der Lage sei, meinen Unterhalt zu bezahlen, sie mich als englische Lehrerin behalten und mir zwanzig Pfund Jahresgehalt geben wollte; ich nahm den Vorschlag augenblicklich an; ich war entzückt, mir mein Brot selbst verdienen zu können."
„Das ist ein Entzücken, dem Sie in Zukunft schon entsagen müssen, meine Liebe; denn ich beabsichtige, Sie mit mir nach England zu nehmen, wo Sie meiner Haushaltung vorstehen sollen; aber zuvor wollen ivir durch die Schweiz nach Italien reisen und trachten, etwas Farbe in Ihre gar zu bleichen Wangen zu bringen. Ich hoffe, Sie haben Nichts gegen diesen Vorschlag einzuwenden."
Etwas dagegen einwenden! Nein, das war nicht wahrscheinlich; denn seit sie zu denken vermochte, war es ihr sehnlichster Wunsch gewesen, zu reisen und die Welt kennen zu lernen. Aber dennoch war sie verwirrt; dieser Besuch und Sir Ralph's Güte waren ihr so plötzlich gekommen, daß sie sich noch nicht darein zu finden vermochte.
„Es kommt mir wie ein Traum vor, wie ein Märchen," stammelte sie und er lächelte.
„Nein, kein Märchen," sagte er, ihre Hand in die seine nehmend, .sondern lebendige Wirklichkeit! Ich will ihr Hüter und Beschützer sein, liebes Kind, und an mir soll es nicht fehlen, Sie glücklich zu machen. Bisher war Ihr Geschick kein sehr freundliches; — sehen wir, ob die Zukunft Sie nicht für die Vergangenheit entschädigen kann!"
(Fortsetzung folgt.)
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