Mro. 129.
68. Jahrgang
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Donnerstag, äen 1. November 1888.
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KoliLifchs Wachvichterr.
Deutsches Reich.
Friedrichsruh, 29. Okt., abds. Der Kaiser.ist heute abend 7 Uhr 50 Min. hier eingetroffen. Er wurde auf dem Bahnhofe von dem Reichskanzler empfangen; der Bahnhof war festlich geschmückt und beleuchtet, ebenso die Post und mehrere Pcioathäuser. Die Feuerwehr mit Fackeln bildete Spalter. Der Kaiser begrüßte den Reichskanzler herzlichst mit wiederholtem Händeschütteln und begab sich mit demselben unter den begeisterten Hurrahrufen der trotz des Regens zusammengeströmten Menge alsbald nach dem Hause des Kanzlers.
Hamburg, 29. Okt. Der Kaiser ist eingetroffen. Die Fahrt durch die Straßen nach dem Festplatz an der Bcooksbrücke glich einem Jubelzuge. Wiederholt wurden Blumen von Kindern überreicht. Der Enthusiasmus der Hunoerttausende war unbeschreiblich. Der Kaiser grüßte immerwährend. Nachdem der Kaiser die Tribüne bestiegen, hielt Senator Versmann folgende Ansprache: Ew. Majestät wolle den Dank des Senats und der Einwohnerschaft Hamburgs dafür entgegennehmen, daß es Ew. Majestät gefallen hat, die Stadt durch Ihre Gegenwart zu ehren und der Feier durch "persönliche Teilnahme die rechte Weihe zu geben. Hierauf wurde die Schlußsteinurkunde verlesen, worin die Bedeutung, die Entstehung und Vollendung des großen siebenjährigen Werkes des Zollanschlussss geschildert wird. Sodann wurde dem Kaiser die Kelle und der Hammer überreicht. Mit den Worten: Zur Ehre Gottes, zum Besten des Vaterlandes, zu Hamburgs Wohl! führte der Kaiser den Mörtelwurf und die Hammerschläge aus. Dem Kaiser folgten Graf Moltke, Senator Versmann, und v. Bötticher. Zu der nun folgenden Hafen- und Elbfahrt hatte der Kaiser sich an Bord des „Patriot" begeben, welcher die Kaiserstandarte hißte. Hunderte von kleinen Dampfern umgaben den „Patriot" und folgten demselben. Unaufhörliche Jubelrufe erschollen von den großen vor Anker liegenden Dampfern, welche von den Schulkindern und Waisenkindern besetzt waren. An mehreren Stellen lagen Dampfer mit Musikkorps, welche das Kaiserboot mit Musik begrüßten. Die großen Seedampfer waren mit einem dichtgedrängten Publikum angefüllt, welches dem Kaiser stürmische Huldigungen darbrachte. Der Kaiser hatte sich sofort, nachdem er den „Patriot" bestiegen, auf die Kommandobrücke begeben und dankte nach allen Seiten grüßend. Bei der Fahrt unterhielt sich der Kaiser sehr lebhaft mit den beiden Bürgermei st ern und den anwesenden Technikern, gleichfalls auch mit Karl Schurz und dem Regierungs, rat Delbrück, die sich unter den Gästen befanden. Nach der Landung an der aufs prachtvollste geschmückten Landungsbrücke begab sich der Kaiser unter immer erneuten stürmischen Kundgebungen des Publikums zu Wagen nach seinem Absteigequartier im Jenisch'schen Hause.
DerSchmuckHamburgszumEmpfangedesKaisers. Dem Berichte der Köln. Ztg. entnehmen wir: Der Schmuck der Straßen ist über alle Maßen schön. Die Bewohner der einzelnen Gaffen haben sich zusammengethan und nach einheitlichem Plan ihre Häuserreihen geschmückt. Allein auf dem Neuenwall sind 10,000 für würdige Ausschmückung verwandt worden. Das „patriotische Haus", in welchem die Sitzungen der Bürgerschaft stattfinden, ist von oben bis unten in eine Festhülle von Flaggen, Guirlanden und Reichsbannern getaucht. Auf der Broocksbrücke, wo der Schlußstein gelegt wird, sind zwei prächtig wirkende Bildsäulen aufgestellt, die Germania und die Hammonia darstellend, die erstere mit einer bezeichnenden Handbewegung die deutsche Seeschwester zur freundlichen Annäherung einladend. Das Lagerhaus der Freihafengesellschaft, welches im Hintergründe den Festplatz abschließt, trägt auf der ganzen Vorderwand einen schwarzen Reichsadler von gewaltiger Ausdehnung, der seitlich von kleinen Städtewappen bekränzt wird. Alles gehüllt in einen dichten, buntfarbigen Flaggenschleier I Für den Schmuck der Privathäuser sind in einzelnen Fällen Tausende verwendet worden. In all dieser überreichen Pracht liegt in stiller Vornehmheit das Haus der Ientsch, in welchem der Kaiser um die erste Nachmittagszeit kurze Ruhe finden wird. Im Schloß dieser stolzen Familie hat 1881 schon einmal unseres Kaisers ruhmvoller Großvater würdige Gastfreundschaft genoffen. In den Räumen, die dem Kaiser zur Verfügung gestellt wurden, ist nicht da» Geringste geändert worden. Das ist der vor
nehme Stolz dieses altehrwürdigen Hauses, dessen unergründlicher Millionenreichtum durch den Adel der Arbeit und der Wohlthätigkeit verklärt ist. Die Kaiserräume sind keine überladenen Prunkräume, sondern Gemächer, die durch eine wuchtige Gediegenheit ausgezeichnet sind. Da ist kein auffallendes Prunkstück, sondern alles erscheint gedämpft vom Geiste stiller Vornehmheit, dem nichts mehr verhaßt ist, als überlautes Prahlen. Das Zimmer, in welchem der Kaiser die einlaufenden Arbeiten erledigen wird, ist in einem warmbraunen Ton gebalten, gegenüber seinem Schreibtisch steht ein Bild der Königin Luise, der bekannte Kopf des Richterschen Bildes; auf einem Aufsatztisch seitwärts eine große Photographie, den Kanzler darstellend, wie er dem ersten sterbenden Kaiser die Hand küßt. Im Toilettenzimmer des Kaisers befremdet etwas ein mächtiges, weißüberzogenes Bett; aber zur Ruhe für ihn ist ein braunes Ripssofa besonders eingestellt worden. In der Kunsthalle wird der Kaiser gerade unter dem Makartbilde „Kaiser Karls V. Einzug in Antwerpen" Platz beim Festmahle nehmen. In demselben Raume befindet sich ein prächtiges Bismarck-Porträt Lenbachs, sowie „Moltke im Arbeitszimmer", von A. v. Werner, die berühmte Kreuzigung von Gebhardt, eine wundervolle Wassermühle von Andreas Achenbach, ein Defregger, ein Vautier und sonst nur Bilder älterer Meister. Rechts vom Sitz des Kaisers hängt das vom Düsseldorfer Maler Marx im Senatsaustrag angefertigte Kaiser-Reiterbild, welches den Kaiser in der Gardes-du-Korps-Uniform auf feurigem Rappen am Elbufer daherreitend darstellt. Es ist ein wohlgelungenes, schönes Bild.
Konstanz, 27. Okt. Wie die klerikale „Freie Stimme" mitteilt, haben die Geistlichen der Dekanate Konstanz, Engen, Höhgau, Linzgau. Meß- kirch und Stockach Ende August eine Eingabe an den Erzbischof- gemacht, er möchte in Karlsruhe Schritte thun, damit die Gründung eines oder mehrerer Kapuzinerklöster gestattet werde. Die Dekane der genannten 6 Dekanate suchten ferner um eine Audienz bei dem Großherzog auf der Mainau nach, um dem Landesherrn Kenntnis von ihrer Eingabe zu geben. Die Audienz wurde, wie die „Fr. St." mitteilt, huldvoll zugestanden, aber vor Bestimmung des Empfangstages verlangt, daß der Grund, warum die Audienz erbeten wurde, angegeben werde. Nachdem dieses geschehen, erfolgte wenige Tage vor der Abreise des Hofes von der Mainau der Bescheid, daß der Großherzog bedaure, die Dekane nicht empfangen zu können.
Frankreich.
— Der militärische Chauvinismus, schreibt das Frkf. I., beginnt in Frankreich nachgerade eine Gestalt anzunehmen, welche Besorgnisse erwecken muß. Es gibt keine Gasterei mehr, bei denen die Offiziere der französischen Armee die Hauptrolle spielen, sei es im Osten oder Westen, an der Nord- oder Südgrenze, ohne daß von den Vertretern der militärischen Macht die Saite der Revanche angeschlagen würde. Um die jüngste banale Feier der Waffenbrüderschaft zwischen Franzosen und Russen in Cherbourg haben wir uns wenig gekümmert; etwas anderes jedoch ist es, wenn ein französischer Corpscommandeur in einer östlichen Grenzstadt Frankreichs bei dem Antritte seines Commandos die Versicherung abgibt, er werde mit allen seinen Kräften danach streben, daß das Departement kein Grenzdepartement bleibe, und dann bei den Gassenhauern der Patriotenliga ein? Anleihe macht, um mit ungeschminkten Worten einen demnächstigen Einbruch Frankreichs in Deutschland zu glorificieren. General v. Miribel mag ein tüchtiger Soldat sein und seine Versetzung an die Ostgrenze mag eine ^Anerkennung seines Wertes seitens der Pariser Regierung sein, doch sollte diese Regierung wenigstens dafür Sorge tragen, daß ihre Generäle auf den verantwortungsreichsten Posten mit der Schneidigkeit auch die nötige Mäßigung verbinden. Der Fall des Generals v. Miribel steht keineswegs vereinzelt da; er bildet nur ein weiteres Glied in der Kette der Beweise dafür, daß der Revanchegedanke in Frankreich in den höchsten und wichtigsten Kreisen nach Äiie vor reiche Nahrung findet und daß der „Racheruf" dortselbst noch immer der Popularitätshascherei dient. Das Auftreten des Generals v. Miribel verdient aber wegen der Schärfe seiner Aeußerungen und wegen der Umstände, unter denen dieselben gefallen sind, besondere Beachtung. Sieht sich die französische Regierung nicht aus freien Stücken zu einer Rektifizierung veranlaßt, so ist es unbestreitbar Sache unserer Reichsregierung, Aufklärung über die Auslassungen des chauvinistischen Generals zu verlangen. Was man an der Küste des Kanals oder im Westen Frankreichs ruhig hingehen lassen mag. gewinnt in Nancy, direkt vor unserer Thüre, ein anderes Gesicht. Eine Drohung, wie sie General v. Miribel gegen Deutschland aussprach, läßt sich nicht ruhig einstecken.
Rußland.
Petersburg, 30. Okt. Das „Journal de St. Petersbourg" sagt anläßlich der Reise des Kaiserpaares in den Kaukasus