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Rettungsversuch auf offenem Meere keine leichte Sache ist, selbst dann nicht, wenn der Unfall sofort entdeckt wird. Ehe ein Ozeandampfer nur gewendet ist, haben die Wellen einen Menschen längst begraben. Nur Wenige dürften wissen, daß die Reise des Verewigten keine reine Vergnügungsreise war, sondern zum Teil wenigstens im Interesse der deutschen Kolonialpolitik unter- nommen wurde. Vom Reichskanzleramt soll der Landgraf wichtige auf die Kolonialpolitik bezügliche Aufträge im Empfang genommen haben.
Italien.
Rom, 19. Okt. Unter Kanonendonner und Glockengeläute, Musik- klängen und den tausendstimmigen Zurufen und dem Tücherschwenken von allen Fenstern und Dächern legte Kaiser Wilhelm heute nachmittag 3 Uhr den Weg vom Quirinal zum Bahnhofe zurück und trat, nachdem er sich im Quirinal von der Königin, am Bahnhof von dem König und den Prinzen des italienischen Königshauses auf das herzlichste verabschiedet hatte, die Heimreise an. Der Kaiser trug die Husaren-Uniform. Die Zivilpersonen des Gefolges waren schwarz gekleidet, auch Graf Herbert Bismarck. Die Italiener trugen Gala - Uniform, so der mit dem Schwarzen Adlerorden geschmückte Ministerpräsident Crispi. Beide Herren ernteten vielfache Grüße. Beim Abschiede Kaiser Wilhelms von Rom schüttelten sich beide Monarchen die Hände und umarmten und küßten sich wiederholt und riefen einander mehrmals „Auf Wiedersehen!" zu. Der Kaiser und Prinz Heinrich blieben noch mehrere Minuten auf der Plattform des Wagens stehen, als der Zug sich kurz nach 3 Uhr in Bewegung gesetzt halte. Der Botschafter Graf Solms begleitet den Kaiser bis zur Grenze. Bei der Rückkehr vom Bahnhofe wurden dem König Humbert stürmische Huldigungen dargebracht. — In Florenz wird Prinz Heinrich sich von Seiner Majestät trennen und dann in seinem Schlafwagen übernachten, um morgen früh die Reise nach Wien fortzusetzen. Heute, wo Kaiser Wilhelm wieder auf der Heimreise ist, herrscht hier unter den Italienern aller Stände der Eindruck, daß die Nomreise den besten Erfolg gehabt hat. Man hat den deutschen Bundesgenossen kennen gelernt, sich über den Besuch an sich, wie über den guten Verlauf der Feste gefreut und ist mit dem Dreibunde mehr vertraut geworden. Deutschland ist den Italienern um ein wirkliches Stück näher gerückt.
Rom, 20. Okt. Der Kaiser sagte bei der Verabschiedung dem Bürgermeister von Rom, er werde ein bleibendes Andenken an den ihm in Rom bereiteten Empfang bewahren. Gegenüber dem Präfekten sprach sich Kaiser Wilhelm in dem gleichen Sinne aus und fügte hinzu, er hoffe, die ewige Stadt wiederzusehen. Er grüßte den Kammer- und den Senatspräsidenten, wendete sich an Crispi, dem er lebhafte Zuneigung bewies und mehrmals die Hand reichte. König Humbert drückte dem Grafen Bismarck aufs wärmste die Hand. Der König ließ dem Grafen Bismarck einen großen Silberpokal mit Basreliefs in Gold überreichen. Die Königin Margherita übergab dem Kaiser ihr Bildnis, und ein zweites mit einer Widmung für die Kaiserin; sie zeichnete ferner den Grafen Bismarck durch Ueberreichung ihres Bildnisses aus. Der Kaiser bestimmte 15 000 Francs als Geschenk für das Hofpersonal. — Papst Leo XIII. ließ dem Kaiser sein Bildnis mit Brillanten, ein anderes dem Prinzen Heinrich überreichen.
— Der kaiserl. Zug traf Samstag 8 Uhr abends in Arezzo ein. Der Bahnhof war festlich geschmückt. Der Kaiser und Prinz Heinrich speisten im Waggon, das Gefolge am Buffet, O?- Stunde später erfolgte die Weiterreise. Um IO 3/4 Uhr war der Kaiser in Florenz, in Bologna morgens 3 Vs Uhr.
Frankreich.
Paris, 20. Okt. In der vorletzten Nacht wurde das Schild des deutschen Konsuls in Havre abgerissen auf der Straße gefunden. Der Unterpräfekt drückte dem Konsul sein Bedauern über den Vorfall aus und erklärte, eine Untersuchung werde sofort eingeleitet werden. Goblet gab dem deutschen Botschafter, Grafen Münster, eine ähnliche Erklärung ab.
Afrika.
— Ueber London kommt aus Sansibar die Nachricht, daß, während ein Dampskutter des britischen Kanonenbootes „Grison" ein großes Sklavenschiff verfolgte, die Araber an Bord auf den Kutter feuerten, wodurch der Führer desselben, Lieutenant Cooper, getötet und zwei englische Matrosen verwundet wurden. Die Araber ließen hierauf das Schiff im Stich. Der Sultan von Sansibar hat Truppen ausgesandt, welche die an dem Mord beteiligten Araber tot oder lebendig zurückbringen sollen. Lieutenant Cooper wurde unter Beteiligung des Admirals und der Offiziere des deutschen Geschwaders beerdigt.
Gages-Weirigkeiten.
Stuttgart, 20. Okt. Seine Majestät der König sind heute vormittag nebst Gefolge mittelst Extrazugs von hier abgereist, um sich zum Winteraufenthalt nach Nizza zu begeben.
Stuttgart, 20. Okt. Die Generalversammlung der Lebensversicherungsund Ersparnisbank nahm die neuen von der Direktion vorgeschlagenen Regulative betreffend die Kriegsversicherung mit 1635 gegen 116 Stimmen an. Ferner wurde mit 1444 gegen 483 Stimmen ein Antrag angenommen, welcher sich auf noch coulantere und promptere Regulierung der Kriegsschäden bezog.
Stuttgart, 19. Okt. (Schöffengericht.) Gestern stand der frühere Redakteur des sozialdemokratischen „Schwäb. Wochenblatts", Georg Baßler, vor dem K. Schöffengericht unter der Anklage der Beleidigung durch die Presse. In der von ihm redigierten Nr. 28 des „Schw. Wochenbl." vom 14. Juni d. I. befand sich ein Artikel, der sich mit dem Sängerkranz in Degerloch beschäftigte. Es hatte in Kaltenthal ein Sängerfest stattgefunden, von dem der Degerlocher Verein preisgekrönt heimgekehrt war. Abends war es im Vereinslokal zwischen einigen Sängern und einem Fremden namens Langer zum Streit gekommen, dessen Handgreiflichkeiten den letzteren 2 Tage arbeitsunfähig machten. Der Verein hatte den Verletzten dadurch entschädigt, daß er ihm den Arbeitslohn für zwei Tage mit 12 vergütete, und zugleich wurde dasjenige Mitglied, welches den Streit angefangen hatte, ausgeschlossen. Trotz dieser Remedur erschien dann im „Schwäb. Wochenbl." eine Darstellung des Falles, worin u. a. gesagt war, die Fahne des Vereins sei mit Blut befleckt und habe damit ihre Weihe erhalten; der Verein habe sich ja „bekehrt" (er hat thatsächlich eine Schwenkung von sozialdemokratischen Tendenzen zu nationalen gemacht); aber dadurch sei die Schuld, einen Alleinstehenden blutig geschlagen zu haben, nicht gesühnt u. s. w. Wegen dieses Artikels haben die Vereinsmitglieder, 11 von Degerloch, 3 von Stuttgart, gerichtliche Klage erhoben. Bei der Verhandlung waren die Kläger durch Rechtsanwalt Gauß, der Angeklagte durch Rechtsanwalt Schickler vertreten. Das Urteil lautete gegen Baßler wegen Beleidigung der Degerlocher 11 Mitglieder im Sinne der §§ 185 u. 186 St. G.B. auf 20 Geldstrafe und Verfüllung in sämtliche Kosten. Das Urteil ist im „Schw. Wochenblatt" auf Kosten des Beklagten zu veröffentlichen. Alle noch existierenden Nummern 28 des Blattes sind unbrauchbar zu machen. Die Klage der 3 Stuttgarter wurde abgewiesen, da kein Sühneversuch vorangegangen war.
— In Ehingen werden, wie der „V. f. O." erzählt, in Uebung einer uralten Sitte auf den Kirchweih-Samstag für die Schuljugend Krapfen, Wecken, Feigen, Hutzeln und dergl. beschafft und mittags 12 Uhr vom Kirch- thurm herab unter die Menge geworfen, wozu dann Wasser und Mehlstaub nachgeschüttet wird. Die Kinder reißen sich um die guten Sachen und die umstehenden Erwachsenen haben am Zusehen ihr Vergnügen. — Bei Saul« gau ist am 16. ds. das Wohn- und Mühlgebäude der „Häberlesmühle" abgebrannt. _
Würzburg, 31. Okt. Gestern hatten sich die Militärgeschworenen mit zwei Soldatenschindern zu beschäftigen und zwar: 1. zunächst mit dem
„Ja; ich habe dort während einiger Monate ein sehr vergnügtes Leben geführt."
„Dann mußt Du auch zu jener Zeit von dem Tode eines italienischen Malers haben reden hören; er hieß Vitellio und war —"
„Gewiß habe ich von ihm reden hören, er nahm ein schlechtes Ende, man bezeichnet« ihn als einen besonderen Liebling der Frauen."
„Ah, Du glaubst, daß er von einem Rivalen getötet wurde?"
,Zch bin dessen gewiß!"
„Und man hat den Namen dieses Rivalen nie erfahren?"
„Gerüchtsweise verlautete, daß es ein Franzose gewesen sei. Gewisses hörte ich niemals darüber; ich glaube übrigens, daß man auch nicht besonders danach forschte."
„Weißt Du, was aus der Tochter dieses Vitellio geworden ist?"
„Wir werden auf dem Kampfplatz Jemanden sehen, der Dir die genaueste Auskunft darüber wird geben können."
„Wenn ihm das Leben bleibt," bemerke Listrac mit bösem Lächeln. „Ihre Wohlthäterin hat sie gewiß gut dotiert!"
„Es soll ein Testament zu ihren Gunsten bestehen; unter uns gesagt, finde ich das ärgerlich, aber doch einzig und allein Deine Schuld!"
„Ich kann diese Schuld ja wieder gut machen, sobald ich die Angelegenheft mit dem Verlobten der Kleinen geregelt habe; mit der Baronin habe ich so ziemlich gebrochen; ich werde also trachten, mich mit meiner Frau wieder zu versöhnen."
„Ich fürchte, dies dürste zu spät sein," flüsterte Moulisres.
„Ich will Dir das Gegenteil beweisen; Du mußt mir dann übrigens auch von jener alten Geschichte in Florenz erzählen. Du kannst mir Auskünfte erteilen, die mir nützen können."
Der Zug hatte Saint-Cloud passiert und fuhr eben in den Tunnel ein. Die Konversation mußte somit gezwungenerweise ein Ende nehmen.
Andrea hatte kein Wort von Dem verloren, was die Männer mü einander gesprochen hatten, ohne zu ahnen, welch eine wichtige Zeugin Alles hörte, und ein entsetzlicher Gedanke fand in ihrer Seele Raum. Auch sie hatte vernommen, daß ihr Vater von einem Franzosen getötet worden war, und sie fragte sich, ob dieser Franzose nicht etwa am Ende jener Mann sein könne, welcher ihr gegenüber Platz genommen. Ihre Großmutter hatte ihr, als sie dieselbe verlassen, um nach Paris zu reisen, einen Brief übergeben, welchen Vitale Vitellio erhalten, und zwar einige Stunden vor seinem Tode. Dieser Brief war französisch und von einem Unbekannten geschrieben, der dem Maler auf dem Quai Arno ein Stelldichein gegeben hatte; dieser Unbekannte aber war zweifelsohne der Mörder gewesen.
„Vielleicht sehen wir uns nie wieder," so hatte die Großmutter zu dem Mädchen gesprochen. „Ich bin alt und kann vor Deiner Rückkehr sterben. Hebe den Beweis der Falle, in welche ein Elender Deinen Vater gelockt hat, gut auf und benütze ihn, um den Schurken zu entlarven, wenn eine unerforschbare Vorsehung ihn Dir in den Weg führen sollte!"
Andrea trug dieses anklagende Schreiben stets bei sich und in dieser Stunde gelobte sie sich, sogleich nach dem Duell d'Artige zu Rate zu ziehen und ihn zu bitten, alles daran zu setzen, um den Mörder ihres Vaters zu entdecken.
Einige Augenblicke später hielt der Zug, und Listrac, sowie sein Freund stiegen aus.
Das junge Mädchen ließ es geschehen; sie sah auch, wie d'Artige und Chantal einem benachbarten Wagen entstiegen; nachdem dies geschehen, folgte sie in einiger Entfernung dem Grafen und seinem Freunde.
Nun erst begannen für sie die Schwierigkeiten; es handelte sich darum, fast gleichzeitig mit den anderen an Ort und Stelle zu sein, ohne gesehen zu werden; wie aber dorthin gelangen, ohne daß die Duellanten es bemerken?
(Fortsetzung folgt.)