Personen, der Nuoffer'schen Eheleute mit 5 ihrer Kinder wurden gestern mittag der Erde übergeben. Die ganze Familie barg ein Sarg. Bon den Kindern waren nur noch kleine Reste, von einem Kind gar nichts mehr zu finden. Der Größe des Unglücks schien die ungeheure Leichenbeglettung zu entsprechen; es war ein förmlicher Auflauf von allen Orten des Bezirks, wo Nuoffer durch sein Geschäft vielfach bekannt und wegen seines freundlichen und gefälligen Wesens beliebt war. Die hiesigen Vereine waren sämtlich vertreten. Der Liederkranz hatte den Gesang übernommen. Stadt- pfarrvcrweser Müller hielt die ergreifende Grabrede über Klagelieder 3, 37 und 38. Auch der VormittagSgottesdieust war der religiösen Besprechung der bei diesem Unglück sich erhebenden Fragen und Zweifel gewidmet.

Herrenberg, 26. Juni. Gegenüber den Schilderungen der Zeitungen über den Hergang bei dem schweren Brand- uuglück wird demGäuboteu" geschrieben, daß Nuoffer nüchtern und ein fleißiger, sparsamer und treubesorgter Familienvater war. Von amtlicher Seite wird dann noch mitgeteilt, daß ein offizieller Artikel über das Brandunglöck erscheinen wird, um den Angriffen auswärtiger Blätter auf Personen und Einrichtungen zu entgegnen.

Stuttgart, 26. Juni. Der wettere Landesausschuß Her Deutschen Partei hielt eine aus dem ganzen Lande sehr gnt besuchte Versammlung ab. Der Vorsitzende, Abg. Dr. Hieber erstattete ein eingehendes Referat über den Reg.- Eutwurf der Verfaffungsrevifion. Daran schloß sich eine lebhafte mehrstündige Aussprache, in welcher neben einer Reihe von Wünschen nach Verbesserungen im Einzelnen dem Verlangen, das Werk der Reform diesmal zu einem glück­lichen Ende zu führen, und dem Vertrauen zu der positiven Mitarbeit der Laudtagsfraktion der Deutschen Partei ein­mütiger Ausdruck gegeben wurde.

Stuttgart, 24. Juni. Im Auftrag der württem- bergischen Handelskammern hat die hiesige Handelskammer in einer Eingabe beantragt, an die Abgeordnetenkammer die im Entwurf zur Verfaffungsrevifion vorgesehene Ver­tretung von Handel und Industrie in der Ersten Kammer dahin zu erweitern, daß die Zahl dieser Vertreter ans mindestens vier, wie in Baden erhöht und außerdem den Handelskammern das Recht einer kollektiven Wahl oder einer Kollektivpräsentation übertragen werde.

r. Untertürkheim, 23. Juni. Der im Neckar er­trunkene Burth wurde gestern mittag an der Stelle, wo er gesunken ist, wiedergefundeu. Die Traubenblüte hat be­gonnen. Unsere Wetngärtnrr wünschen jetzt vor allem an­haltend warme Witterung, da für einen guten Herbst der rasche Verlauf der Blüte von größter Bedeutung ist. Unsere Weinberge stehen üppig und zeigen reichen Blütenausatz, so daß sich bei unfern Wsingärtuern schon die Hoffnung aus einen reichen Ertrag regt.

r. Besigheim, 26. Juni. Beim Ausgrabeu des Neckarkauals für die Oelfabrtk wurde ein wertvoller Fund gemacht; man stieß auf ein Hirschgeweih und den Splitter eines Mamutzahns (zwei Fuß lang und einen halben Fuß dick). Das Geweih rührt von einer vorsintflutlichen Hirsch art her, von der man bisher in Württemberg noch keine Spur fand. Das Zahnstück des Mamuts wurde zwei Meter unter der Erdoberfläche in einem Kiesbette unmittel­bar über einer Muschelkalkschtcht gefunden. Beide Gegen­stände wurden an das Naturalienkabinett in Stuttgart eingesandt.

r. Ul«, 24. Juni. Zwei wertvolle Pferde des Spe­diteurs Nörgel, die scheuten, gerieten heute vormittag beim Hermannsgarten in den 6 m tiefen Graben, der zur Ver­legung der Wafferleitungsrohre gegraben wurde. Da der Graben zu schmal ist, um erfolgversprechende Rettungsver­suche zuzulassen dürften, die Pferde verloren sein.

r. Heidenhei«, 26. Juni. Gestern morgen wurde im Walde der seit 4 Wochen vermißte 49 Jahre alte Fabrikarbeiter Joh. Seifang, Vater mehrerer Kinder erhängt aufgefunden. In sein Notizbuch hatte er einen längeren Brief au seine Frau geschrieben, in welchem er sie um Verzeihung bat.

r. Bo« der obere« Dona«, 26. Juni. In Pfohreu kam ein Knabe einer Mähmaschine zu nahe; es wurden ihm sämtliche Beinknocheu über dem linken Fuße durchschnitten, ebenso die Schlagadern und Flechsen.

Gerichtssaal.

Strrttgart, 26. Juni. In den bekannten Beleidig- ungSprozeffeu gegen denSimplizisfimuS" wurde heute abend das Urteil verkündigt. Schriftsteller L. Thor»« wurde z« B Woche» Gefängnis und Redakteur Linnekogel zn 2Tv ^ Geldstrafe verurteilt. Näheres folgt.

Deutsches Reich.

Konstanz, 24. Juni. Der steckbrieflich verfolgte Raubmörder Mogler soll am Frouleichuamstag in Radolfs- zell gewesen sein. Dort habe er einen blutbefleckten Hun­dertmarkschein wechseln lassen. Als die Gendarmerie auf ihn aufmerksam gemacht wurde, hatte er schon eine Fahr­karte nach Schaffhausen gelöst Md war mit dem Zuge ab- ßefahren. Er ist aber weder in Singen a. H., noch in Schaffhausen ausgestiegen.

^ Senftenberg, 23. Juni. Zwei Morde in der Sensteuberger Jndustrtegegend, die sich in diesem Jahr er­eigneten, konnten noch nicht aufgeklärt werden und schon wieder ist eine neue Mordtat von hier zu melden. Der 14jährige Knabe Lehmann ist einem Lustwörder zum Opfer gefallen. Als Täter ist der Bergmann Koblitz auS Hörlitz verhaftet worden. Bet den oben erwähnten Morden waren die Opfer ein 16jähriger Arbeitsbursche und ein 13jähriger

Knabe. Es ist der Verdacht aufgetaucht, daß der Verhaftete auch an diesen Verbrechen beteiligt ist. Bisher bestreitet er jede Schuld.

Ausland.

Lyon, 36. Juni. Bei einer sozialistischen Versamm­lung besprach der Debütierte Jaurees die marokkanische Frage und erklärte, die Frage sei ernst geworden, weil -aan sich auf ccki Gebiet begeben habe, das mit Fallstricken besät sei. Die Sozialisten wollten niemals ein Mißverhäl- nis zwischen Deutschland und Frankreich. Das englisch-fran- -östsche Abkommen sei keineswegs gegen Deutschland gerichtet und wenn England dies glauben lasse, müsse Frankreich darüber wachen, daß der Sinn des Abkommens nicht ent­stellt werde. Jaurees sprach schließlich die Ueberzeugung c us, daß die gegenwärtigen Schwierigkeiten würden gelöst werden, ohne daß die deutsche Nation tu ihren Gefühlen verletzt werde.

Indianapolis, 25. Juni. Nordamerikanisches Turnfest. In einer Ansprache an die Teilnehmer und Zuschauer der hier stattfindenden gymnastischen Wettturuen vegrüßte der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, Fair­panks, auch die anwesenden deutschen Turner, die in ihren Leistungen nicht übertroffen werden könnten. Als am Schluß -es Turnfestes die deutschen Turner Uebungeu am Barren vorführten, erhoben sich die 8000 anwesenden Zuschauer und brachen in stürmische Beifallsrufe aus.

Die Unruhe« in Rußland.

Eine zusammensaffende Schilderung der traurigen Vor­gänge wird dem B. L.-A. in einem Telegramm wie folgt übermittelt:

Warschau, 24. Juni. In Lodz herrscht seit Donners­tag abend der Aufruhr. Der jüdischeBund" und die polnische Sozialistevpartei hatten sich bis dahin, solange das Militär sich verhältnismäßig ruhig verhalten hatte, noch nicht unmittelbar zur Verteidigung organisiert. Als aber die Soldaten offensiv vorgingen, bewaffnete sich ein großer Teil der jüdischen Arbeiter mit Revolvern. Sie feuerten auf Kasaken-Patrouillen und töteten sieben Mann und einige Offiziere; ein Offizier wurde von einem Backfisch erschaffen. In den späten Abendstunden des Donnerstag wurden dann in dem jüdischen Stadtteil Poluduiowa in mehreren Straßen hohe Barrikaden erbaut, gegen die die Truppen alsbald vorgiugen. Die ganze Nacht hindurch säuerten die Salven der Infanterie und die Angriffe der Kasaken an, die Arbeiter erwiderten das Feuer, wobei u. a. der Chef der Gendarmerie Oberst Andrejew schwer verletzt wurde. Auf beiden Seiten gab es viele Tote lund Ver­wundete. Am Freitag morgen wurde in vielen Fabriken zunächst noch die Arbeit,l aufgenommen, um 10 Uhr begänne« jedoch Arbeiterdelegierte, als solche durch gleichartige rote Kravatteu kenntlich, die staatlichen Branutweiuläden kalten Blutes zu zertrümmern und auzuzünden. Das Publikum sah dieser Tätigkeit ruhig zu und die Feuerwehr erschien immer erst nach etwa einer halben Stunde, um das Eigentum der Bewohner jener Häuser zu retten. Auf diese Weise wurden ungefähr 30 Monopollädcn vernichtet. Zu gleicher Zeit waren Tausende von Arbeiter» damit beschäftigt, ge­waltige Barrikaden, fast 30 au der Zahl, zu errichten, davon 10 in den Hauptstraßen der Stadt. Militär ließ sich so lange nicht blicken. Um die Mittagszeit wurde in allen Fabriken die Arbeit eingestellt, und in Mafien strömten nun die Arbeiter auf die Straßen. Jetzt rückten Infanterie, Dragoner und Kasakeu heran und räumten die Straßen. Die Arbeiter verbargen sich in den Häusern und schossen aus Fenstern und Türen auf das Militär. Dieses antwortete mit Hunderten von Salven auf Häuser und Paffanten. Binnen kurzem bedeckten zahllose Tote und Verwundete dieses Schlachtfeld. Ihre genaue Zahl ist gar nicht festzu- stellen, doch schätzt man die Gesamtverlnste »ach Tan- sen-eu. Von den Verletzten blieben die meisten stunden­lang ohne ärztliche Hilfe auf den Straßen liegen, so daß oiele ihren Wunden bald erlagen. Die Schreckensszenen, die sich in den Haustoren und aus den Höfen abspielten, find unbeschreiblich. Die Leichen wurden in großen Mafien auf Wagen unter militärischer Bedeckung nach den Fried­höfen geschafft. Alsbald wurde das Kriegsrecht proklamiert. Die Verteidigung der Arbeiter war geradezu verzweifelt: mit Steinen, Trottoirplatteu, Ziegeln und Revolvern, mit Waffen, die den getöteten Soldaten abgenommeo wurden, setzten sie sich zur Wehr. An mehreren Stellen wurden Bomben gegen die Kasernen geschleudert, eine ganze Anzahl Infanterie- und Kasakenosfiziere wurde getötet oder ver- wuudet. Jeder Verkehr in der Stadt hat aufgehört, kein Fiaker, kein Straßenbahnwagen ist im Betrieb. Alle Cafes, Restaurants und Hotels wurden geschloffen, und in großen Scharen flüchteten Kaufleute und Industrielle sowie Ange­hörige der Intelligenz und ihre Familien mit dem Mittag­zuge aus der Stadt. Die Telegraphen- und Telephoulett- uugen find zerstört. Heute dürfte auch die Lodzer Bahn zur Einstellung des Betriebes gezwungen sein. Da die Ver­sorgung der Stadt mit frischen Lebensmitteln unmöglich ist, rechnet mau schon mit dem Ausbruch einer Hungersnot. Am Abend wurde aus den Häusern wiederholt aus vorüber- zieheude Patrouillen geschossen, und diese gaben in keinem Falle Pardon. Unter den getöteten reichen Bürgern befin­det sich auch der Großindustrielle Ramisch. Die ganze Nacht hindurch dauerte das Salvenschießen fort. Heute früh ist ein Bataillon Infanterie von hier noch Lodz abgegaugen.

Warschau, 26. Juni. In Ausführung eines kaiser­lichen Ukas proklamierte der Generalgouverneur Maxtmo- witsch den Kriegszustand in Lodz. General Schuken- wortS ist zum Kommandanten von Lodz ernannt worden.

Vermischtes.

Anrsel und Maulwurf. DemKosmos, Hand- weiser für Naturfreunde", herausgegeben von der gleich­namigen Gesellschaft in Stuttgart, schickt ein Wiener Mit­glied die nachstehenden interessanten Beobachtungen:Die tu den hiesigen Gärten sehr häufig vorkomweude Schwarz­drossel oder Amsel (T'llräno wsriils, I-,.) fängt mit Vorliebe Regenwürmer. AIS ich neulich einen dieser Vögel, der sich gerade mit zwei dicken Würmern beschäftigte, durch Näher- irrten verscheuchte, fand ich beide Würmer durch etueu Schuabelhieb an dem vorderen Leibesende verletzt. Eine derartige Verletzung hindert den Wurm, sich in den Boden inzuwühleu, was er sonst in kürzerster Zeit besorgt. Der Maulwurf soll sich desselben Mittels bedienen, um in seiner unterirdischen Behausung oft bis zu 1 Kilogramm Regen- Würmer aufzubewahren, die noch lauge Zeit fortleben, aber am Eatfliehen gehindert find. Es ist nun doch gewiß merk­würdig, daß zwei so verschiedene Tiere wie Amsel und Maulwurf auf dasselbe Auskunstsmittel verfallen, ihrer Beute die Flucht unmöglich m machen. Durch mehrfaches Füttern mit großen Regenwü'rmeru überzeugte ich mich, daß die Amsel dir erwähnte Operation jedesmal ausführt. Einen noch viel höheren Begriff von dem hoch entwickelten Instinkt des Vogels gibt aber die Tatsache, daß bei Raupen und ähnlichen, nicht rrdgrabenden Tieren besagtes Mittel von ihm nie versucht wird. Wenn ick den Amseln besonder- starke Mehlwürmer (stHnsbrio molltor li.) vorwarf, so töteten sie diese stets durch einen kräftigen Schuabelhieb, der den Körper des Wurms aufriß. Niemals hackten die Vögel dagegen nach dem Kopf des Mehlwurms."

Das Brandunglück zu Herrenberg.

22.-23. Juni I9Ü5.

Zur tzeuernt' war's. Die Sonne sandte Gluten Herab ins Tal, Die holden Blümlein fielen Des Mähders Sense schonungslos zum Raube.

Am Rain vergnügten Kinder sich mit Spielen.

Die Raststund schlug. Mit ihren kleinen Kindern Zog eine Matter hei« beim Abendwinde.

Umringt von fünf der Lieben, ging noch kern Ihr Liebesflug nach ihrem sechsten Kinde.*)

Und nach dem schlichten Mahl spricht noch die Mutter Den Abendsegen, lehrt die Kindleiu beten:

Herr, laß uns fromm und heilig vor dir leben Und einst als deine Kinder vor dich treten!"

Der Traumgott kam und nahm die lieben Kleinen In seinen Arm so weich und küßt sie süße;

Sie spielten wohl im Traume fröhlich Wetter Und pflückten Blumen auf der grünen Wiese.

Und auch der Mutter naht des Schlafes Bote,

Die Sorgen ihr auf kurze Zeit zu heben,

Da sieht sie sich im bösen, schweren Traume Von Schreckensbildern angstvoll jäh umgeben.

Sie hört im Traum ein Feuer knistern Und steht die Flamme immer höher lecken Sie sucht vergebens, traumgelähmt, zu flüchten Und will noch ihre Kinder vor dem Unglück decken.

Spät von der Arbeit löst die Nacht den Vater,

Tr legt zur süßen Ruh und Rast die müden Glieder.

Was ist es, das die Seel' chm schreckt und ängstigt,

Das er vermeint zu hören immer wieder?

Und immer näher hört er'S furchtbar kommen,

UndFeuer!" ruft es,Hilfe!" durch die Straßen.

So war's kein Traum?" Und wie er sinnt und sinnet, Hört er durchs HauS den Feuerstrom schon rasen.

Vom tiefen Schlaf erwacht die Stadt; vom Turme Wehklagt die Glock' und weckt zur Hits' zur schnellen;

Das Haus erfüllt des Rauches dicke Säule,

Die Flammen wachsen, die die Nacht erhellen.

Wer fliehen kann, entflieht mit nacktem Leben.

Wer steht dort oben, wer?, zwei Kinder noch im Arme? O helfet doch und rettet mir das Liebste!

Ist keiner, der sich unsrer Sieben noch erbarme?

Die Mutter rufts: ein herzbewegend Klagen;

Und Hilfe nahet schon mit eil'gen Schritten.

Da wird der Edle selbst erfaßt von dem Geschicke.**) Wer läßt sich nun aufs neue noch erbitten?

Die Müde schweigt. AnS Herz die Kinder drückend So finkt sie hin, erstickt vom mächt'gen Qaalme,

Ein Engel aber reicht der treuen Mutter Im Todeskawpse noch des Siegers Palme.

Das Haus stürzt ein. Mit seinen schwarzen Trümmern Begräbt cS jäh die Eltern mit 5 Kindern.

Unsagbar Leid! o Nacht, du unheilvolle,

Wer will dein übergroßes Elend Unoeru?

Noch lebt ein Kind, gerettet wie durch Wunder.

O glücklich UaglückSkiud, der Erde neugeboren!

Wie ging dir über Nacht im Tode deiner Lieben Soviel an Lftb' und Treu', das Beste dir verloren!

Doch lebt die Lieb' ja noch im Herzen and'rer Und stählt sich eben in so schweren Zeiten.

Wer will dem Kind, dem ganzen Unglückshause Nit seiner Lieb' ein tröstlich Los bereiten?

G. H, Kläger.

*) Dasselbe, ein Knabe von 7 Jahren, war bei Verwandten in Rohrau und entging so dem schrecklichen Schicksal der Familie

") Der Feuerwehrmann, der Hilfe bringen wollte, wurde von einem Ziegelstein getroffen.