VS. Jahrgang.
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Mit dem Plauderstübchen und
Echwäb. Landwirt.
145
Nagold, Montag den 86. Juni
19V5
Bezugseinladmrg.
Mit dem 1. Juli 1905 tritt
„Dev Gesellschafter"
in das 3. Quartal seines 79. Jahrgangs ein.
Der Gesellschafter mit dem Unterhaltungsblatt „Das Plauderftübche»" und der Beilage „Schwäbischer Landwirt" kostet bei jedem Postamt im Bezirks- uud 10 Km-Verkehr
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im übrigen Württemberg
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Wocitische Hleberficht.
Ueber die A«t»mobilsahrt deS Kaisers durch die Lüneburger Heide berichtet der „Hann. Kurier": „Als mau mitten tu der Heide den kaiserlichen Hofzng auftauchen sah, der nach 1 Uhr Hannover verlasse« hatte' verfolgte der Kaiser mit Spannung die Wettfahrt. Tatsächlich traf der Zug eine Stunde früher in Hamburg ein. Das lag allerdings eigentlich nicht an der größeren Fahrgeschwindigkeit des Zuges. Denn auch das kaiserliche Automobil fuhr mit großer Geschwindigkeit. Und der Kaiser hatte seine Freude au dieser sausenden Fahrt. Mehrere Male gab er Befehl, noch schneller zu fahren, so daß man streckenweise mit 90 Kilometer Geschwindigkeit (auf die Stunde gerechnet) fuhr. Die reine Fahrt von Hannover nach Hamburg betrug ziemlich genau 3'/s Stunden. Das ergibt eine Durchschuittsge- schwtndigkett von etwa 5b Kilometer die Stunde. Aber einmal erlitt diese Fahrt durch dir Heide einen unfreiwilligen Aufenthalt. Vor Celle — der Kaiser zeigte gerade auf ein inmitten grüner Fluren liegende» Dorf — gab eS plötzlich einen Knall, das Automobil begann zu springen u. neigte fich dann unmittelbar vor einem Chausseegraben zur Seite. Der Wagen hatte Rsifcndefekt. Zur Reserve fuhr der neue Fiat-Wagen mit, den der Kaiser bet seiner jüngsten Anwesenheit in Jtalieii
gekauft hatte. Dieses Auto bestieg der Kaiser mit dem Geueraladjntauteu von Wessen nun, um die Fahrt sortzu- setzen." Wenn der Kaiser selbst mit solchen Geschwindigkeiten aus den Landstraße« dahin fährt, dann ist eS kein Wunder, wenn die Klagen über daS rasende Fahren der Automaunen nicht aufhöreu wollen und eine allgemeine gesetzliche Regelung dieser Frage zum Schutze des übrigen Publikums so außerordentliche Schwierigkeiten zeigt und darum nicht voran gehen will.
Eine Aevifio« der Geheimmittelliste beabsichtigen jetzt die Regierungen. Der jetzige Zustand ist in der Tat unhaltbar; eine Zeitung erhält eine Strafe wegen der Ankündigung, eine andere nicht und kann das Inserat wochenlang weiter aufnehmen. Niemand weiß überhaupt mehr, was ein Geheimmittel ist, eS werden oftmals die unschuldigsten Ankündigungen unter Strafe gestellt. Der Kultusminister richtet folgende Verfügung an die Regierungspräsidenten, um die Unterlagen für die Revision der Ge- heimmittelltste zu gewinnen: „Seit dem Erlaffe der auf dem Beschluß des BuudesratS vom 23. Mai 1903 beruhenden Vorschriften vom 8. Juli 1903 über den Verkehr mit Geheimmitteln usw. find zahlreiche Geheimmtttel neu eingeführt oder durch eine anderweitige Benennung den erwähnten Vorschriften entzogen worden, so daß eS notwendig erscheint, eine entsprechende Ergänzung der aufgestellten Geheimmittelliste eintreten zu lassen. Hierzu empfiehlt es sich, wie bei der Aufstellung der Gehetmmittelverzeichnisse infolge des Erlaßes vom 14. April 1900 von den ans der Praxis gewonnenen Erfahrungen auszugehen. Ich ersuche daher ergebenst, mir bis zum 1. Juli d. I. gefälligst darüber zu berichten, welche Mängel fich bei Vollzug der vorbezeichueten Vorschriften ergeben haben und welche Vorschläge für die Ergänzung der beiden Verzeichnisse dortsetts zu machen find. Die Vorschläge für die Aufnahme neuer Mittel ersuche ich, nach den in der nachstehenden Zusammenstellung aufgeführten Punkten möglichst eingehend zu begründen." — Die Kreisärzte haben die Aufforderung erhalten, Material zu sammeln und einznreichen. Die Gesichtspunkte, nach denen dabet verfahren werden soll, find Angaben: 1) über Bestandteile des Geheimmittels, ob sie konstant oder wechselnd find, 2) Art der Anpreisung und Reklame, 3) Preis, 4) Beurteilung als Arzneimittel, 5) Beschaffung von Unterlagen, als Zeitungsanzeigen, Prospekte, Flugblätter usw. Hoffentlich kommt bet der Revision der Geheimmittelliste endlich etwas Vernünftiges heraus; denn die gesamte anständige Presse hält den jetzigen Zustand aus die Dauer für unmöglich. U. a. müßten einige allgemein beliebte Volks- Heilmittel, die nicht zu den Schwindelmittelu gehören, aus der Geheimmittelliste entfernt werden.
Ueber Verkäufe »st«ärkischer deutscher Gäter au Polen hat das „Pos. Tageblatt" in der letzten Zeit wiederholt berichten müssen. Dazu schreibt bis jetzt das genannte Blatt: „Ist es unter den obwaltenden Umständen zu beklagen, wenn deutscher Boden in polnische Hände gerät, so kann kein Wort deS Tadels und der Entrüstung scharf genug sein, wenn der deutsche Verkäufer ohne zwingenden Grund handelt. Jeder Fußbreit Bodens, der in die
Hände unserer nationalen Gegner übergeht, schwächt die
Stellung des Deutschtums, stärkt da gegen die Polen. Es ist kaum zu verstehen, daß diese Erkenntnis noch nicht Gemeingut aller ostmärkifchen Deutschen geworden ist. Wir stellen nicht in Abrede, daß Fälle möglich,find, in denen ein Verkauf deS Gutes oder der städtischen Besitzung sich nicht umgehen läßt, indessen fehlt eS doch wahrlich nicht an Gelegenheiten, dann deutsche Rechtsnachfolger zu finden. Namentlich gilt das für große Güter. Zu unserer Freude steht die Bildung einer Anzahl deutscher LaudgenoffeuschastSbauken in naher Aussicht, auch die deutsche Laudbauk in BreSla» hat ihre Tätigkeit aus unsere Provinz ausgedehnt. So wird eS, da AnstedeluugSkommtsfiou und Landbank ja auch fortgesetzt kaufen, wohl möglich werden, auch dem Verlust bäuerlicher deutscher Besitzungen von jetzt ab vorzubeugeu. Eine Wanderung durch die ganz oder vorwiegend deutschen Teile unserer Provinz zwingt jeden, der die heutigen Verhältnisse mit denen zu Ende der 80er Jahre vergleicht, zu dem Bekenntnis, daß dort dar Poleutum Fortschritte erzielt hat, die man für unmöglich gehalten hatte. Die Erfolge der AustedelungSkommtssion werden dadnrch beinahe aufgehoben."
Oesterreich hat ein»« klei«e« parlamentarische» Skandal. Abgeordneter Dr. v. Walewskt (Pole) hat sein Reichsratsmaudat utedergelegt; eS war ein besonderer Ausschuß eingesetzt worden zur Untersuchung der gegen WalewSki erhobenen Beschuldigungen, er hätte fich unlauterer Ge- schäftsmauipulatioueu schuldig gemacht. — Ueber die Mißhandlung eines Abgeordneten wird weiter berichtet: Der christlich-soziale Abg. Prälat Schetcher wurde nach einer Versammlung nahe bei Heinfeld (tu Nteder-Oesterreich) von sozialdemokratischen Arbeitern auf Rädern verfolgt, überfallen und schwer mißhandelt. Mit einem Schlagring erhielt er eine arge Verletzung am Auge. — Der Prager Stadtrat versuchte eS durchzusetzeu, daß auch die Gebäude der Hofburg auf dem Hradscht« ausschließlich tschechische Aufschriften erhalten sollten, er wurde jedoch mit de« Bedeuten abgewiesen, daß die kaiserliche Burg dem „Gemeinde- gebiet entrückt" sei. I» Laibach (Kraiu) wurde auf de» MagtstratSgebände eine rein sloveuische Aufschrift an Stelle der bisher doppelsprachigen angebracht. Die slovenischeu Blätter fordern auch die Einsprachigkeit der Straßeube- Zeichnungen.
Da» österreichische Herrenhaus hat veu Z,ll-
tarif sowie daS Zolltarisgesetz nach mehrstündiger Debatte a« Mittwoch angenommen. Sämtliche Redner spräche« die Hoffnung aus, daß eS immer noch gelingen werde, die wirtschaftliche Einheit mit Ungarn ansrecht zu erhallen; andernfalls aber möge die Regierung rechtzeitig für die Regelung des handelspolitischen Verhältnisses zu den ausländischen Staaten unter Wahrung der Interessen der österreichischen ReichSHSlfte Vorsorgen. HandelSminister Freiherr von Call erklärte, daß die Zweckmäßigkeit der wirtschaftlichen Gemeinschaft mit Ungarn für beide Reichsteile jahrelang erprobt sei. ES sei bedauerlich, daß von der anderen Reichs- Hälfte jetzt eine Entscheidung darüber ob diese Vorlage Gesetz werden soll, nicht erfolgt sei. „Unsere Aufgabe", erklärte der Minister weiter, „reicht diesmal nicht weiter,
Aagokd als Luftkurort.
(Mitgeteilt.)
Nachfolgender Versuch einer Geschichte der Erhebung unserer Stadt zu einem Luftkurort ist für die vielen noch nicht hierüber orientierten Einwohner Nagolds sowohl wie auch für nufere Luftkurgäste bestimmt. Der Geschichtschreiber hat zwar nicht die Ehre, ein „alteiugebürzerter" Nagolder zn sein, vielmehr gehört er in den Augen eines UrnagolderS bloß zu den nach „Nagolta" „hrreiugeschleukcrten". Aber durch jahrzehntelangen Berufsaufenthalt ist ihm Nagold zur zweiten Heimat geworden, er wird daher auch ein ebenso wohlwollendes als gerechtes Urteil darüber abzugeben in der Lage sein, wie sich Nagold — hinstchtlich der Voraussetzungen für einen Luftkurort — in den drei letzten Jahrzehnten verändert hat.
I.
Wie wurde Nagold ein Luftkurort?
Daß unsere Stadt seit einer Reihe von Jahren ein Luftkurort geworden ist, wird hoffentlich seit der Zustimmung der darüber befragten Medizivalbeamten zur Gründung deS MilitärgenesuugSheims Waldeck und Erholungsheims Rötenbach in der Nähe unserer Stadt niemand mehr zu bestreiten wagen. Verkündigen dies nicht auch schon unsere bisherigen Kurvsten „nrdi «t orbi," der Stadt und der Welt? Treffen aber auch in der Tat nicht alle Voraussetzungen für einen Luftkurort hier zusammen?
1. Die landschaftlich reizende Lage unserer Stadt.
Ist nicht jeder uaturfinnige Fremde, der zum erstenmal unser Tal und unsere Stadt am Fuß deS Schloßbergs erblickt, von dieser Lage entzückt?
2. Ebenso unbestreitbar ist aber auch die „gesunde Lage" unserer Stadt (wenn gleich einige Asthmatiker vielleicht darüber den Kopf schütteln). Wissen doch die ältesten hiesigen Leute nichts von einer eigentlichen Stadtepidemie trotz deS früheren Mangels einer fortwährenden Fürsorge für die Reinhaltung der Straßen, Brunnen und Häuser, während z. B. unser Luftkarortskoukurreut Urach mehrfach von Epidemien, namentlich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts von einer schweren Typhusepidemie heimgesucht war. Auch hat man dort wohl jährlich mehr Regentage als hier, weil es in einem sehr engen Waldkessel liegt. Ferner genießt Nagold vermöge seiner zwei breiteren Täler länger die Tagessoune als Urach und Calw. Ebendeshalb spürt man in den dortigen engen Talkeffeln selbst im Hochsommer beim Aufenthalt im Freien weit früher als bei uns die feuchte oder kühle Abendluft. Sodann findet vermöge der mehrfachen Täler und Talluftzüge hier ein rascherer Luftwechsel statt. Der längere Sonnenschein in unserem Tale verbürgt uuS aber auch eine gründlichere Reinigung der Luft von den „Bakterien" genannten unsichtbar kleinen Krankheitserregern. Endlich ist auch Nagold riugSumgeben von Waldungen, die unsere Luft ebenso mit Ozon bereichern, wie dies von den Waldungen unserer Luft- kurortskonkurrenten gerühmt wird. Nur in einer Luftkurorts-
eigenschaft hatten uns allerdings die beiden Städte Urach und Calw längst überflügelt, indem Urach durch Nadelholz- kulturen am Fuße setuer Buchenwälder und Calw durch seinen GeorgiuäumSpark längst dafür sorgte, daß mau auf bequemen Fußwegen von der Stadt aus möglichst bald im Schatten den Wald erreicht.
Dies führt uns auf die heikele Frage: „Warum find wir in Nagold in dieser Hinsicht solange znröckgebliebeu? Es find wohl zweierlei Ursachen. Fürs erste mußte in hiesiger Stadt wie wohl auch anderwärts — und zwar meist durch eingewauderte Naturfreunde — der Sinn für den Genuß der hies. schönen Gegend und speziell für die Reize des Waldes erst geweckt werden, während in Freude»- stadt, Urach und Calw längst weitblickende Männer nicht bloß reiche, sondern zugleich einsichtsvolle und gemeinnützig- freigebige Mitbürger, sowie auch die bürgerlichen Kollegien und die Bürgerschaft für die Erhebung dieser Städte zu Luftkurorten zn gewinnen vermochten. Eines der erfolgreichsten Mittel zur Erreichung ihres Zwecks war aber, wie von dorten bestätigt wird, eine rationelle und nachhaltige Reklame, unterstützt durch Herausgabe von „Führern" und photographischen Aufnahmen der Stadt und Umgegend; ferner durch Einräumung von Lokalen zu Zusammenkünften der Luftkurgäste an Regentagen und durch Sorge für Lektüre und sonstige Unterhaltung. Wohl gründete «an ja auch hier schon vor 30 Jahre« einen BerschönerungSverein mit dem Wortlaut in § 1 der damaligen Statuten „um Nagold und feine Umgebung durch Wege und Ruheplätze z« verschönern, und für angenehmen Natnrgenuß einzurtchten."