VS. Jahrgang.
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Mit dem Plauderstübchen und
Gchwäb. Landwirt.
Nagold, Montag den 30. Äanuar
1905
Amtliches.
Nagold.
Nachstehend wird der Reiseplan für daS diesjährige Musterungsgeschäft im Aushebuugsbezirk Nagold zur öffentlichen Kenntnis gebracht.
Am 8. März Musterung i« Wildberg,
„ V. „ „ „ Alteusteig,
„ 8» „ „ „ Nagold,
„ S. », Losung „ Nagold.
Den 28. Januar 1905.
Der Civilvorfitzende der Ersatz-Kommission: _ Oberamtmann Ritter. _
Die K. GtaudeSämter»
werden hiemit beauftragt, die Auszuge aus de« Leichenregister vom verflossene» Jahr mit den Urber- fichlen über Geburt«- rc. Fälle an das Oberamt etnzusenden.
Soweit die Ueberstchten schon ohne die Auszüge eingetroffen sind, werden die Standesbeamten beauftragt, die fraglichen Auszüge alsbald als portopflichtige Dienst- suche anher zu senden.
Nagold, den 28. Januar 1905.
K. Oberamt. Ritter.
Die Unruhe» in Rußland.
Petersburg, 26. Jan. Die Arbeit ist, wenn auch nicht überall, so doch vielfach wieder ausgenommen worden. Das Militär wird von den Straßen zurückgezogen. Die Aufregung, die sich des Publikums bemächtigt hatte, legt sich. Heute erschien wieder die deutsche „St. Petersburger Zeitung".
Petersburg, 27. Jan. Daily Chron. meldet von hier: Am Mittwoch sollen hier SS« Persoue«, darunter 100 Juristen, verhaftet worden sein, und sich bereits, ohne daß eine gerichtliche Untersuchung vorhergegangen wäre, auf dem Wege nach Sibirien befinden.
Petersburg, 27. Jan. Die äußere Ruhe erscheint völlig rviederhergestellt. Auch das Straßenleben zeigt das gewöhnliche Bild. Die Preise für Petroleum haben ihren gewöhnlichen Stand erreicht. Heute oder morgen soll in allen Fabriken die Arbeit wieder ausgenommen werden. Die Hoffnung, daß die russischen Zeitungen heute wieder erscheinen werben, ist trügerisch, da die Setzer auf ihren erhöhten Lohnforderungen bestehen.
Petersburg, 27. Jan. Der Zar soll dem Großfürsten Wladimir seinen Dank für die Unterwerfung des Aufstandes in Petersburg ausgedrückt haben. Ferner verlautet, der Zar habe eine Arbeiter-Deputation zu sich befohlen (?), weil ihm von einer hochstehenden Persönlichkeit mitgeteitt worden war, daß die Bewegung sich nicht gegen die Person des Zaren, sondern gegen die Verwaltung richtet.
Petersburg, 27. Jan. Die vor kurzem etngereichte Demission des Ministers des Innern Fürsten Swiatopolk- Mirsky ist jetzt auf speziellen Wunsch des Zaren rückgängig gemacht; der Minister verbleibt definitiv auf seinem Posten. — Priester Georgi Gapon, der flüchtig geworden ist, hat
35,000 Rubel aus der Arbeiterkaffe mitgenommen, vermutlich um das Geld vor der Konfiskation zu retten. Kleine Fabriken haben heute die Arbeit ausgenommen, in den großen soll damit am Montag begonnen werden.
Berli«, 28. Jan. DaS Berl. Tagebl. veröffentlicht einen Aufruf zur Rettung Maxim Gorkis, der u. a. von Ernst v. Wildenbruch, Friedrich Dernburg und Dr. Paul Lindau, unterzeichnet ist. Das Berl. Tagebl. will dafür sorgen, daß dieser Aufruf au die Adressen der maßgebenden Instanzen Rußlands gelangt.
WoMifche MebevsichL.
Ueber de» „Nieseukumps der Bergleute im Ruhrrevier" sprach der Bergmann Scheibe aus Dortmund bei Dinkelacker in Stuttgart aus Veranlassung der verein. Gewerkschaften. Besonders eingehend besprach er dabei die verheerenden Wirkungen der Wurmkrankheit, die durch ungarische Arbeiter, welche unter falschen Vorspiegelungen von den Unternehmern in das Ruhrrevier gelockt worden seien, eingeschleppt worden sei. Durch das Wagennulle» werde der Arbeiter um seinen verdienten Lohn betrogen. Die Behauptung der Unternehmer, daß eS sich hier um ein unentbehrliches Disziplinarmittel gegenüber den Arbeitern handle, müsse als ganz hinfällig bezeichnet werden, denn weder im Saargebiet noch in den schlesische« Bergwerken sei dieses Wageunullen eingeführt. Dieses Wagennullen erfolge, sobald in einem Wagen sich unter den Kohlen etwas Schiefer befinde; aber es sei unmöglich, bei dem ungenügenden Grubenlicht im Bergwerk den Stein von der Kohle zu unterscheiden. Als der Redner sodann noch erwähnte, daß die Arbeiter für diese genullte Wagen nicht nur keinen Lohn bekommen, sondern auch noch bestraft werden, ertönten in der Versammlung stürmische Entrüstungsrufe. Mit einem Appell zur Unterstützung der Streikenden schloß der Redner, worauf einstimmig eine Erklärung zur Annahme gelangte, in der das Verhalten der Zechenbesitzer verurteilt, die schleunige Schaffung eines RetchSberggesetzeS gefordert und schließlich für die Verstaatlichung der Bergwerke eingetreten wird.
Der Haager Schiedsgericht-Hof, so sagt der
bekannte Frtedcnsvorkämvfcr Stadlpfarrer Umfrid, ist bis jetzt nur ein Embryo besten, was werden soll, aber, waS nicht ist, kann werden. Es ist nicht zu leugnen, daß das Werk vom Haag in der öffentlichen Meinung der Welt einen starken Stoß erlitten hat durch den unmittelbar nach seinem Abschluß ausgebrochenen Burenkrieg, einen noch stärkeren durch den russisch-japanischen Krieg, der vermieden worden wäre, wenn der Einberuser der Haager Konferenz dem von ihm geschaffenen Gerichtshof den Streitfall in der Mandschurei zur Beratung vorgelegt hätte. Wenn wir es übrigens nicht von selbst wüßten, daß der Weltfrieden heute noch au einem seidenen Fädchen hängt, so wären wir durch den russisch-englischen Zwischenfall in der Nordsee lebhaft daran erinnert worden. Und doch gerade angesichts dieses Zwischenfalls zeigte es sich, wie groß der Abscheu vor neuen kriegerischen Verwicklungen und wie stark die Frtedensidee
auch in den europäischen Kabinetten schon geworden ist. Auf Anregung der französischen Regierung hin ist England darauf eingegangen, den bedauerlichen und unqualifizierbare« Angriff der baltischen Flotte auf das harmlose Schiffergeschwader von Hüll einer internationalen (in Art. 9 bis 14 der Haager Konferenz vorgesehenen) UntersuchungLkommisfio» (mit nachfolgender schiedsrichterlicher Entscheidung) zu unter- dreiten. Noch stärker als in Europa ist der Friedens- gedanke in Amerika, wenn auch zugegeben werden mag, daß die Einladung des Präsidenten Roosevelt zu einer zweiten Haager Konferenz zunächst als eine Art von Wahlmanöver erscheint, so ist eS doch bezeichnend, daß eS als solches überhaupt von Nutzen für den Kandidaten sein konnte. Wenn es nun den konferierenden Mächten gelingen sollte, die regelmäßige Tagung eines europäisch-amerikanischen Diplomaten- kongrefles zur Schlichtung chronischer und neuauftauchender internationaler Streitigkeiten zustand zu bringen, so wäre der Erfolg ein solcher, wie er den kühnsten Erwartungen entspräche.
Zu der letzte» Koufereuz der deutsche« Eise«-
bahnverwaltungtu über die Frage der Güternmleitungeu schreibt der Württemberg. „Staatsauzeiger": Die württem- bergische Verwaltung hat bei diesen Verhandlungen den Standpunkt vertreten, daß die zugelassene UmwegSgrenze von 20 pCt. noch zu groß sei und daß eS sich empfohlen hätte, die zulässigen Umwege auf 10 pCt. zu beschränken. Die finanziellen Vorteile, die der württembergischen Verwaltung infolge der Abmachung zukommen, find gegenüber der Besserstellung, welche die VerkchrSleitung über die kürzesten Wege ergeben hätte, nicht erheblich. Immerhin ist auch vom württembergischen Standpunkt aus anzuerkennen, daß die Abmachungen eine Einschränkung der Umleitungen bedeuten, und daß hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Be- triebsführung Verbesserungen erzielt find. — Die offiziöse „Augsburger Abendzeitung" schreibt, „voraussichtlich werde die neue Verkehrsleitung am 1. Juli d. I. bei den deutsche« Eisenbahnverbäudeu zur Durchführung gebracht werden. Dabet wurde auch auf die Einflußintereffen der verschiedenen Verwaltungen tunlichst Rücksicht genommen. Die Vorschläge der Konferenz bedürfen nur mehr der Zustimmung der beteiligten Regierungen; an der Zustimmung der bayrischen ist nicht zu zweifeln."
Die Paraphierung des Textes des deutsch-
österretchisch-ungarischen Handelsvertrags nebst Annexen durch die deutschen und die österreichisch-ungarischen Vertragskom- mifsare ist vorgestern abend in Berlin erfolgt. Das offiziöse Wiener „Fremdenblatt" veröffentlicht eine Reihe von Zollsätzen aus dem vereinbarten Vertrag. Mit den Ge- treidemindestzölleu mußte gerechnet werden, aber die große mit dem ruffischen Zweimal ksatz der Futtergerste geschaffene Schwierigkeit in der Unterscheidung der Braugerste (4 ^ Zoll) ist nach langen Verüandlmigen glücklich beseitigt worden. Man einigte sich auf Feststellung einer Gewichtsgrenze derart, daß Gerste mit einem Hektolitergewicht bis zu 65 KZ noch als Futtergerste zu dem Zweimarksatz eingelassen werden kann, wobei übrigens auch noch eine Reihe anderer Sicher- heitsvorkehrungen getroffen worden find. Der neue Malz-
Dev Kcmfievev.
Bon Otto Ruppius.
84) (Fortsetzung)
Helmstedt hatte die Zuschrift entfaltet und die wenigen Zeilen, welche sie enthielt, gelesen, aber noch immer hielt er die Augen darauf geheftet. Sie lauteten:
„Wenn Herr Helmstedt den Unterzeichneten zu sprechen wünscht, so wird er ihn morgen und übermorgen in Eichplatz anwesend finden. Elliot."
„Dick soll einige Minuten bleiben," sagte Helmstedt endlich; „ich werde ihm Antwort milgeben." Er wandte sich nach dem Schreibtische und ließ sich dort nieder; als aber der Schwarze das Zimmer verlassen hatte, stützte er den Kopf auf beide Arme und starrte sinnend auf daS vor ihm liegende Papier. „Wenn irgend etwas wie eine Ausgleichung beabsichtigt würde," begann er nach einer Weile und lehnte sich zurück, „wenn noch eine Funke von wirklicher Liebe in Ellens Herzen für mich wäre, so hätte sie eine Zeile beigefügt. Was hier vor mir liegt, ist nichts als der ausgeprägte Pflanzerstolz, welcher ein drückendes Band ab- streifen möchte, aber dem armen Ausländer gegenüber eS unter seiner Würde findet, selbst einen Schritt dafür zu tun. Gut, wir werden sehen, wessen Stolz zuerst bricht."
Er nahm Feder und Papier zur Hand und schrieb:
„Der Unterzeichnete ist sich keines Gegenstandes bewußt, über welchen er mit Herrn Elliot selbst zu verhandeln hätte. Will Frau Helmstedt, wie es einem treuen,
gewissenhaften Wetbe geziemt, in daS Haus und unter die Obhut ihres Mannes zurückkehren, so wird sie offene Arme finden. Dies ist aber die unerläßliche Bedingung, ehe der Unterzeichnete auf irgend eine sie berührende Verhandlung eingehen könnte.
August von Helmstedt."
Der Brief wurde geschloffen und abgesandt. Noch lange nachher aber saß Helmstedt vor seinem Schreibtische, den Kopf in beide Hände gestützt, «nd suchte sich ein Bild von dem jetzigen Leben in Elchplatz zu schaffen und sich die Vorgänge zu vergegenwärtigen, welche seine Zeilen dort Hervorrufe» würden. Ein mehrmaliges Räuspern störte ihn endlich auf. Cäsar stand an der Tür.
„Vitt' um Verzeihung," sagte der Schwarze und knetete seine Hände, als wolle er alle Knochen darin zerbrechen, „ich wollte nur fragen — ich habe nämlich Dick gesagt, daß mich Sara diesen Abend erwarten soll — ob ich mich vielleicht umseheu oder horchen soll, wie's drüben steht — ich meinte nur so — ich wollte schon gestern deswegen fragen — Herr Helmstedt ist so gut, und ich möchte so gern etwas tun."
Helmstedt hörte ihn an, bis er schwieg und nur noch verlegene Gesichter schnitt. „Du bist eine gute Haut, Cäsar," sagte er dann, „und es wird schon einmal eine Zeit komme», wo du mir deine Anhänglichkeit beweisen kannst. Drüben in Eichplatz aber kümmere dich nur um deine eigenen Geschäfte; und so wenig ich von dort etwas berichtet haben will, ebenso wenig wünsche ich etwas von hier hinübergrtragen."
„Schon recht, Herr!" lachte der Schwarze und nahm die Tür in die Hand; „sie sollen eher vor Neugierde blau werden, ehe sie von mir etwas erfahren." —
Es war eine Zeit der nüchternen poesielosen Arbeit, welche jetzt für Helmstedt folgte. ES waren nur noch sieben Wochen bis zu der Zeit, in welcher die Töchterschule der heißen Jahreszeit wegen geschloffen wurde. Bei diesem Schluffe der Schule aber fand eine Prüfung statt, deren Hauptzierde die Musikschüler mit ihren Leistungen bildeten — und Helmstedt warf sich mit seinen ganzen Kräften auf die nötigen Vorbereitungen. Er gab Extrastunden und widmete seine freie Zeit den Hebungen seiner Schülerinnen; er fand darin daS beste Mittel, um seinen eigenen Grübeleien zu entgehe«. Abends unternahm er in der Regel einen Ritt in die Umgegend und sprach in dieser oder jener Farm ein, deren Besitzer er durch seine Stellung in der Töchterschule hatte kennen lernen, kam meistens erst mit beginnender Nacht wieder heim, wo er für alle seine Bedürfnisse von Cäsar aufmerksam gesorgt fand, und schlief den Schlaf der Ermüdung.
Vierzehn Tage .waren auf diese Weise vergangen; Helmstedt hatte weder etwas von MortonS Haus, noch von Etchplatz, dessen Umgegend er stets auf seinen Ritten vermied, gehört, und wenn ihm sein Leben auch oft selbst so nüchtern und ohne eigentlichen Endzweck vorkam, daß ihm die Frage vor die Seele trat, wohin es in dieser Weise führen solle, so fühlte er doch auch, daß es ihm für de« Augenblick den einzigen Halt bieten konnte.
ES war an einem Sonnabend, an welchem die Stadt