63. Jahrgang.
Mo. 87.
Amts- um! InteüigenMatt für äen Bezirk.
Donnerstag, äen 26. Juki 1888.
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KoLitrfche Wcrchrrichten.
Deutsches Reich.
— Die „Nordd. Allg. Ztg." bespricht heute einen Artikel der Pariser „Autoritö", in welchem behauptet wurde, daß der Graf Bismarck nach der Petersburger Zusammenkunft nach Paris gehen und dort die „Abrüstung" verlangen würde, und sagt: „Der Gedanke, daß Deutschland sich wegen der Abrüstung in Paris bemühen sollte, sei ein so tnsipider, daß er wirklich nur auf Kinder in der Politik berechnet sein könne."
— Der „St. James Gazette" wird aus Berlin gemeldet, der Zar beabsichtigte, den Besuch Kaiser Wilhelms im Herbst zu erwidern und über Kopenhagen nach Petersburg zurückzureisen. — Nach einer Meldung des „Standard" aus Berlin hat Kaiser Wilhelm die Einladung des Kaisers Franz Josef, Ende September zu einer Gemsjagd nach Steiermark zu kommen, angenommen.
Berlin, 24. Juli. Ein Besuch Kaiser Wilhelms auf der Rückreise nach Berlin bei dem Reichskanzler gilt als sicher. ''
— Graf Bismarck wird den Kaiser auch nach Stockholm und Kopenhagen begleiten und mit ihm am 31. Juli hierher zurückkehren; er wird alsdann sofort seinen jetzt mehrfach aufgeschobenen Urlaub antreten, dessen ersten Teil er wie alljährlich in Königsstein am Taunus zubringen wird. Darüber, ob Graf Bismarck, wie er das in den letzten Jahren regelmäßig gethan hat, die letzte Hälfte seines Urlaubs bei seinen Freunden in England auf dem Lande zubringen wird, scheint bisher Endgrltiges noch nicht bestimmt zu sein.
Berlin, 23. Juli. Wie der „Magdeb. Ztg." telegraphiert wird, verlautet aus hiesigen italienischen Botschaflskreisen, daß die plötzliche Rückkehr des italienischen Hofes von Monza nach Rom durch ein Unwohlsein des Königs veranlaßt sei. König Humbert hatte einen schwindelartigen Anfall, der seine Umgebung in lebhafte Besorgnisse versetzte und die sofortige Rückreise nach Rom geraten erscheinen ließ. Neueren Berichten zufolge geht es dem Könige entschieden besser; tue von seinen Angehörigen gehegten Besorgnisse scheinen glücklicherweise übertrieben gewesen zu sein.
— König Milan von Serbien soll den Gedanken einer Ehescheidung von seiner Gattin bereits fallen gelassen haben, da mächtige Einflüsse sich bei diesem Schritte geltend machten. Die Königin müßte aber den ersten Schritt zur Versöhnung thun.
Frankreich.
Paris, 21. Juli. Der „Matin" publiziert eine Korrespondenz aus Metz, welche in sensationeller Form mitteilt, daß die ganze deutsche Armee jetzt mit Repetiergewehren bewaffnet sei. Der „Matin" teilt mit, daß er die Hälfte der Korrespondenz unterdrücke, weil dieselbe Mitteilungen von solcher Wichtigkeit enthalte, daß sie zur Publikation nicht geeignet erscheinen.
Rußland.
Krasnoje Selo, 23. Juli. Heute vormittag wohnten Kaiser Wilhelm und Kaiser Alexander den Uebungen des Wiborger Infanterie-Regiments und der Garde-Kavallerie bei. Nach Beendigung der Uebungen führte Kaiser Wilhelm sein Wiborger Regiment beim Parademarsch dem russischen Kaiser vor. Die Uebungen der Garde-Kavallerie wurden vom Großfürsten Nikolaus geleitet und von 52 Escadrons ausgeführt. Nach Schluß der Uebungen defiliert die gesammte Kavallerie vor den beiden Kaisern. Kaiser Wilhelm sprach dem Großfürsten Nikolaus seine höchste Anerkennung für die glänzende Aüssührung der Uebungen aus. — Das Dejeuner wurde beim Großfürsten Wladimir eingenommen. Hierauf besuchten beide Kaiser im Lager das Lazareth des Wiborger Regiments; Kaiser Wilhelm richtete an die Kranken im Lazareth teilnehmende Worte. — Der russische Kaiser verlieh dem Grafen Herbert Bismarck die Diamanten zum Alexander Newsky-Orden; Kaiser Wilhelm dem Minister von Giers die Diamanten zum Schwarzen Adlcrorden und Vlangali den Roten Adlerorden erster Klaffe.
Petersburg, 24. Juli. Kaiser Wilhelm folgte gestern abend einer Einladung zu einem Familiendiener bei dem Großfürstenpaar Michael Nikolajewitsch. Kaiser Alexander und die Kaiserin nahmen heute an dem Dejeuner an Bord des „H o h e n z o l l er n" Teil. Hierauf erfolgt die Abreise desKaisers Wilhelm. Dep. d. Frkf. I.
Kronstadt, 24. Juli. (11,14 N.) Das deutsche Geschwader lichtete nachmittags 3 Uhr die Anker und dampfte unter dem donnernden Salut der russischen Flotte und der Forts ab. Nachdem Kaiser Wilhelm sich von dem russischen Kaiserpaar und den Großfürsten, welche am
AtUtkktlöll «Nachdruck «rrbot-n«.
Lieben und Leiden.
Roman aus der Pariser Gesellschaft von K. du MoisgoSey. (Autorisierte deutsche Uebersetzung.)
(Fortsetzung.)
„Schwöre mir, daß Du mich nicht täuschest!" sprach Bianka, durch die Ruhe und Sicherheit der Verteidigung ihres Gemahls aus aller Fassung gebracht, i „Schwören soll ich Dir das?" fragte er mit finsterem Blick. „So weit haben
die Verleumdungen der Frau von Marvejols es schon kommen lassen? Es steht Dir frei, zu glauben oder nicht zu glauben, was Du für gut hältst. Ich habe eine west interessantere Frage mit Dir zu erörtern. Die Marquise, welche so gut von Allem unterrichtet ist, hat vergessen, Dir Eins mitzuteilen, was sie Dir ganz besonders nicht vorenthalten durste. Ich bin im Begriff, Paris zu verlassen!"
„Mit jener Frau?" stieß die Gräfin aus.
„Du scheinst offenbar den Verstand zu verlieren; ich verlasse Frankreich für lange Zeit, vielleicht für immer; ich sehe mich dazu gezwungen, denn ich bin ruiniert, vollständig ruiniert! Ich habe heute auf der Börse nicht nur Alles verloren, was ich besitze, sondern weit mehr noch. Opfere ich mein Vermögen bis auf den letzten Heller, so bleibt mir doch noch eine ungeheure Summe übrig, welche ich nicht bezahlen kann. Ich kann deshalb nicht in Paris bleiben, wo ich auf Schritt und Tritt Gläubigem begegnen würde, deren Forderungen ich nicht nachzukommen im Stande wäre. Es lirgt in meiner Absicht, nach Australien zu gehen, wo ich trachten will mir ein neues Vermögen zu schaffen. Gestern noch wäre es mir schwer geworden, mich von Dir zu trennen. Nach Dem aber, was sich heute zugetragen hat, bin ich vollständig getröstet."
„Georges," rief die Gräfin, „sprich nicht solche Worte! Du weißt nur zu gut, daß ich mir Nichts vorzuwerscn habe, daß ich ohne Dich nicht leben kann.
Was liegt daran, ob Du ruiniert bist? Ich bin reich und was mir gehört, das ist auch Dein!"
„Nein; da wir unter Trennung der Güter geheiratet haben, so gehört Dein Vermögen auch Dir ganz allein. Ich aber entstamme einem Geschlecht, in welchem man nicht gewohnt ist, Almosen anzunehmen. Tausendmal bester Verbannung und Elend, als die Demütigung, daß man sagen könnte, der Graf von Listrac lebe von dem Vermögen seiner Frau!"
„Niemand wird das sagen! Wenn nur Du Deine Schulden bezahlst, so wird Keiner danach fragen, wo Du das Geld dazu gefunden hast."
„Du träumst Unmögliches! Wenn ich in Das einwilligen wollte, was Du mir vorschlägst, so wäre ich ein Ehrloser!"
„Wie viel schuldest Du?" fragte die Gräfin lebhaft.
„Ich wollte Dir darauf eigentlich gar nicht antworten, doch liegt mir daran, Dich zu überzeugen. Als ich mich in die Operation einließ, welche ein so schlechtes Ende nahm, besaß ich von meinem väterlichen Erbe noch etwa sechsmalhunderttausend Franks. Ueberlasse ich dieselben nun vollständig meinen Gläubigern, so fehlen mir noch immerhin Viermalhunderttausend Franks zur Deckung meiner Schulden!"
„Und deshalb willst Du Paris verlassen?" rief Bianka vorwurfslos. „Vergißt Du denn, daß ich mehr als eine Million selbstständiges, unabhängiges Vermögen besitze? Dieses Palais allein ist über fünfhunderttausend Franks wert. Ich werde es verkaufen, wie auch unsere Pferde, unsere Wagen und Alles, was wir entbehren können, wenn nur Du, nur Du mir bleibst. Du, mein Georges, den ich über Alles in der Welt bis zum Wahnsinn liebte!"
Er blickte empor und sie glaubte, in seinen Zügen zu lesen, daß sie sein Herz gerührt habe.
„Du bist also überzeugt, daß ich Dich nicht, was die Baronin Benserrade betrifft, hintergangen habe?" fragte er mit halbem Lächeln.
„Ich glaube dies eben so wenig, wie Du auch nur einen Moment wirklich annehmen kannst, daß Herr von d'Artige mir nahe steht," erwiderte sie.