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die deutschen Geschütze. Aus der Kommandobrücke derHohenzollern" er­kennen wir deutlich neben dem erlauchten Kommandanten unseren jungen Kaiser.Das sind herrliche Schiffe!" hört man einen Russen ausrufen; selbst auf unserem Dampfer anwesende Engländer stimmen dieser spontanen Meinungsäußerung bei. Langsam, majestätisch ziehen nach einander sämtliche deutschen Kriegsschiffe, die deutsche und russische Flagge auf den Masten, vorbei. Da blitzt und donnert es abermals bei Kronstadt auf. Die Forts, die russischen und deutschen Schiffs hüllen sich in dichten Pulverdampf. DerHohenzollern" und die DampfyachtAlexandria", auf welcher der russische Kaiser seinem hohen Gast entgegenfuhr, begrüßen sich. Zar Alexander begrüßt den kaiserlichen Gast und holt denselben auf sein Schiff herüber, wo die deutsche Kaiserstandarte sofort neben der russischen emporsteigt. Nachdem das deutsche Geschwader Anker geworfen hatte, dampft dieAle> xandria" an den ununterbrochen mit ehernem Mugd salutierenden, in vollster Flaggengala prangenden Schiffen vorüber die Matrosen stehen in den Raaen zum Peterhofer Landungsplatz, wo beide Kaiser, von der Zarin aufs freundlichste begrüßt, das Land betreten.

Die russischen Blätter drücken die Ueberzeugung aus, daß durch die Kaiserzusammenkunft eine neue Friedens-Aera angebahnt werden würde. Ein Begrüßungsartikel derNeuzeit" beglückwünscht Deutschland zu den auf der See erzielten mächtigen und glänzenden Ergebnissen. In ganz Rußland be­stehe der Wunsch, daß die früheren guten Beziehungen zwischen den beiden mächtigen Nachbarnationen fortbestehen möchten.

Rußland.

Petersburg, 20. Juli. Die Teilnahme des Publi^ kums an dem gestrigen Empfange war eine große. Viele. Tausende wohnten demselben auf Schiffen, noch weit mehr an den Uferr^ und auf dem Wege nach Peterhof bei. Der Kaiser wurde äußerst warm und herzlich begrüßt. Die Damen des Kaiserhauses und des Hofes, welche den Kaiser an der Landungsbrücke erwarteten, trugen sämtlich hellfarbige Toiletten, die Kaiserin Weiß. Bei dem Familiendiner waren alle Damen in großer Toilette. Die Tafelmusik wurde von der Hof­kapelle, unter Leitung des Kapellmeisters Fliege, ausgeführt. Nach dem Diner wurde der Kaffee auf dem Balkon eingenommen, im Garten konzer­tierte ein Trompeterkorps. Ein Toast wurde bei der Tafel nicht ausgebracht. Nach der Tafel machten die Kaiserin und Kaiser Wilhelm eine Rundfahrt im Park.

Petersburg, 20. Juli. Kaiser Wilhelm und Kaiser Alexander küßten einander bei der ersten Begegnung auf das Herzlichste. Hierauf fand die Vorstellung des beiderseitigen Gefolges statt. Kaiser Wilhelm unterhielt sich längere Zeit mit Herrn v. Giers und Kaiser Alexander mit dem Grafen Bismarck. Die Monarchen zogen sich hierauf zurück, während das beider­seitige Gefolge in sehr lebhafter Unterredung zusammenblieb. Außer dem Familiendiner in Peterhof fand noch eine Ministertafel statt, an der Graf Bismarck und Hsrr v. Giers teilnahmen. Abends fand eine Rundfahrt im Parke bei magischer Beleuchtung statt.

Petersburg, 20. Juli. Die Rückreise des Kaisers Wilhelm ist auf Montag festgesetzt. Bei dem gestrigen Empfange waren außer der gesamten Kaiserfamilie das Erbprinzenpaar von Schaumburg-Lippe, die Mi­nister Woronzoff, Daschkow, v. Giers und Kamowsky, sowie die Botschafter von Schweinitz und Schuwaloff zugegen. Staatsminister Graf Herbert v. Bismarck fuhr mit der Großfürstin Wladimir, an der Spitze eine Ehren­wache, beim Palais des Großfürsten Michael senior vor. Nach dem Diner fuhr Kaiser Alexander allein nach derAlexandria"; in einer sechssitzigen Charabanka folgten die Kaiserin, Kaiser Wilhelm, Prinz Heinrich und das Großfürstenpaar Wladimir. Dort wurde der Thee eingenommen. Nach 11 Uhr erfolgte die Rückkehr. Heute um 10'/^ Uhr begab sich Kaiser Wilhelm und Prinz Heinrich von Peterhof nach Petersburg auf derAlexandria".

Gcrges-Weuigkeiterr.

* In Aichelberg OA. Calw machte am Donnerstag, den 19. ds., abends, der led. Jagdpächter I. W. nach einem Waldverkauf, dem er bei­gewohnt hatte und wobei der Käufer mehrere Liter Gräfenhäuser Clevner zum Besten gegeben hatte, die Wette, in der Zeit von 1 Stunde einen Rehbock zur Stelle zu bringen. Die Wette galt 25 Liter Gräfenhäuser Clevner für W. oder 30 Liter für die anwesenden Gäste, welche denkühnen Jager" beim Wort ge­nommen hatten. Im Beisein eines Zeugen und mit seinem gut hergestellten Magen, mit etwa 3'/s Liter Clevner Inhalt, machte sich derselbe um ^9 Uhr auf die Pürsch und punkt VelO Uhr kehrte er mit einem 17 1/2 Kilo schweren Rehbock im Rucksack in das Gasthaus zur Sonne zurück. Die Wette war gewonnen und dem Wunsche, zum Wein auch etwas zu essen zu haben, (was die Veranlassung zu derselben gewesen war), konnte noch entsprochen werden. Derselbe Nimrod schoß im vorigen Jahr auf einem Stand und fast im selben Augenblick einen Hirsch im Gewicht von 120 Kilo und einen Rehbock von 19'/, Kilo. Das obige Jagdstück aber wird wohl nicht so leicht einen Nach­ahmer finden. ^

Untertürkheim, 18. Juli. Die hiesigen Metzger bereiteten dem Publikum heute eine große Freude. In aller Frühe setzte ein Metzger den Preis des Rind- und Kalbfleisches von 50 auf 45 Pf. herunter. Alsbald schloß sich ihm Metzger H. an. Aber nach einer Stunde schon ließen zwei andere Metzger bekannt machen, daß bei ihnen das Rindfleisch von heute an nur noch 40 Pf. kostet. Bei dem sehr niederen Viehpreise kommen die Metzger immer noch heraus. Aber wie lange wird's dauern? Dann verständigen sie Hh wieder und drücken den Preis in die Höhe.

Untertürkheim, 18. Juli. Großes Aufsehen erregte gestern dieChaise ohne Gaul", die gestern wiederholt durch unsere Straßen fuhr. Damit meinten die Kinder den mit einer Chaise verbundenen Motor des Herrn Daimler, dessen Verwendung als Verkehrsmittel auf jeder Straße hiedurch festgestellt ist.

Schorndorf, 18. Juli. DerSchorndorfer Anzeiger" berichtet: Der 49 Jahre alte Lylograph Alexander Eisenmann wurde heute früh in seiner Wohnung tot aufgefunden. Dem Hausbesitzer fiel es schon einige Tage auf, daß die Wohnung des Eisenmann nicht geöffnet wurde: er stieg deshalb heute früh durchs Fenster ein und fand den Eisenmann in halb sitz­ender Stellung an der Bettlade erhängt. V-r einigen Wochen starb dessen Ehefrau und hat sich bei der aus diesem Anlaß vorgenommenen Vermögens­aufnahme eine bedeutende Ueberschuldung ergeben, weshalb anzunehmen ist, daß dies der Grund zum Selbstmord war.

Aalen, 19. Juli. DieKocher-Zeitung" schreibt: Dieser Tage wurde in Hofherrnweiler durch einen Schulknaben ein Brand noch rechtzeitig verhütet. Als derselbe von der Schule nach Hause kam, fand er die Hausthüre verschlossen. Er wollte nun durch den Stall in die Wohnstube gelangen; aber als er die Stallthüre öffnete, sah er zu seinem Entsetzen einen Geist. In seiner Angst rief der Knabe Nachbarn um Hilfe an. Diese entdeckten den Geist in der Gestalt eines Unschlittlichtes, das in einem mit Spähnen angefüllten Korb steckte. Um den Korb herum fanden sich mit Erdöl getränkte Strohbüschel u. dergl. Offenbar hat man es hier mit be­absichtigter Brandstiftung zu thun.

Blaubeuren, 16. Juli. Gestern abend, berichtet derBlaumann", nach Ankunft des letzten Bahnzugs wurde in der Nähe des hiesigen Bahnhofes von dem Landjägerstationskommandanten Pfetsch hier ein jüngerer''Mann, welcher schon seit einigen Monaten und erst gestern wieder durch Erbrechen von Koffern den Dienstboten in der Kronenwirtschaft hier ihr erspartes Geld zu stehlen wußte, verhaftet und an das K. Amtsgericht eingeliefert. Der Dieb, welcher früher in der Krone in Arbeit stand, soll vom gestohlenen Gelde, dessen Betrag ein nicht ganz unbedeutender ist, noch 14 im Besitz, jedoch auch versteckt gehabt haben.

Ja, und als ich dort ankam, sah ich Dich aus dem Gebäude heraustreten und in einen Wagen steigen, aus welchem eine Frauenhand Dir entgegenwinkte."

Und Du hast ohne Weiteres daraus geschlossen, daß reden wir ganz offen ich zu dieser Frau in intimen Beziehungen stehen müsse?"

Wie sollte ich anders? Ich glaube es, glaube es noch und werde es so lange glauben, bis Du mir das Gegenteil beweisest!"

Nun, so sei es denn. Freilich sollte ich es unter meiner Würde ansehen, mich zu rechtfertigen. Ehe wir aber eine wichtige Frage ins Auge fassen, wünsche ich meine Stellung Dir gegenüber auf das Genaueste zu klären und folglich willige ich ein, Dir Alles zu erzählen, was sich heute abend zugetragen hat. Jene Frau steht einem meiner Freunde aus dem Club sehr nahe. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, sie zu sehen, und sie sollte auch heute mit ihm und einigen seiner Freunde zu denen ich ge­hörte, im Kass Anglais soupieren. Als sie in den Club kam, um ihn abzuholen, war er gerade im Spiel begriffen, verlor und wollte die Partie nicht abbrechen, weil er hoffte, Fortuna werde ihm noch wieder zulächeln. Ich hatte bereits aufgehört, zu spielen, und so bat er mich denn, einstweilen die Dame nach der Restauration zu be­gleiten, in welcher wir Alle soupieren sollten. Bei einigermaßen leidenschaftslosem Nachdenken wirst Du wohl einsehen, daß ich nicht gut ausweichen konnte."

Du hättest wenigstens bedenken können, daß ich vor Sorge und Unruhe um Dich vergehe," versetzte Bianka voller Bitterkeit.

Man denkt eben nicht immer an Alles. Doch laß mich gefälligst zu Ende erzählen. Ich trat mit meiner Begleiterin in den kleinen Salon, in welchem das Souper serviert werden sollte, als wenige Minuten darauf der Inhaber des Lokals erschien, um mir die Mitteilung zu machen, daß eine Frau mich um jeden Preis zu sprechen verlange. Ich begriff nicht, wer das sein könne. Da ich aber ohnedies nicht die Absicht hatte, die Ankunft meiner Freunde abzuwarten, so entschloß ich mich unschwer, nachzusehen, was es gebe und was jene Frau von mir wolle. Man wies mich in das Zimmer, in welchem sich dieselbe befinde. Ich öffnete die Thür und fand Dich in der Gesellschaft Herrn d'Artige's. Nun ist an Dir, mir zu erklären, was Du dort zu thun hattest, und ich rathe Dir, mir nicht lächerliche Märchen auf­

binden zu wollen, daß der Zufall Dich in jenem Hause mit Herrn d'Artige zusammen­geführt habe!"

Bianka hatte, ohne ein einziges Mal ihren Gatten zu unterbrechen, dessen Er­klärung des Geschehenen angehört, doch die innere Erregung, welche sie empfand, drückte sich in ihren Zügen deutlich aus. Die Sicherheit, mit welcher ihre Gatte sich verteidigte, überzeugte sie zwar nicht von seiner Unschuld, aber sie glaubte auch nicht mehr unbedingt an seine Schuld. Ihre beiderseitigen Rollen waren unversehens unter ihnen ausgetauscht worden. Der Angeklagte spielte plötzlich den Richer; er war es, der Fragen stellte und Antworten forderte.

Die Gräfin trachtete ihre volle Fassung aufrecht zu halten.

Nein," rief sie lebhaft. Du hintergehst mich. Jene Frau war Madame de Benserrade und Du stehst mit ihr in intimem Verkehr. Leugne nicht, denn ich weiß es!"

Ist es auch Herr von Moulisres, der Dich hierüber unterrichtet hat?" fragte der Graf mit vollendeter Ruhe, obwohl dem aufmerksamen Beobachter sein plötzliches Erbleichen nicht entgangen wäre.

Nein," entgegnete Bianka tief verletzt,die Marquise von Marvejols, Deine Kousine, war es, die mich davon in Kenntnis setzte. Sie kam heute ausdrücklich zu diesem Zweck zu mir und ihr habe ich es zu danken, wenn ich weiß, daß mein Gatte um eine stadtbekannte Kokette sein angetrautes Weib hintergeht!"

Georges' Augen funkelten drohend.

Um was Alles diese alte Närrin sich bekümmert!" rief er verächtlich.Und Du, Du kannst thöricht genug sein, einem solchen Geschwätz, womit sie die skandal­süchtige Welt unterhält, ein williges Ohr zu leihen? Daß Madame de Benserrade zu mir in näheren Beziehungen stehe, ist eine Verleumdung!"

Bianka zitterte vor Aufregung. Wenn sie zu weit gegangen war!

Aber Du besuchst doch ihr Haus?" wendete sie ein.

Ich besuche es zuweilen nach dem Tode ihres Gatten, eines echten Edelmannes, den ich hochschätzte. Seit ich Dich aber geheiratet habe, stellte ich meine Besuche dort ein, und sehe ich die Baronin zuweilen, so geschieht dies nur, wenn ich ihr in den Salons begegne, in welchen man sie noch empfängt." (Forts, folgt.)