77. Jahrgang

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Lchwäd. Landwirt.

84Ü (Erstes Blatt) NagsLd, Mittwoch Len 9. Dezember

1SV3.

Amtliches.

De« K. Standesämtern

gehen mit nächster Post die bestellten Standesamtsformulare für das Jahr 1904 mit den Bestellschreiben zu. Die K. Standesämter haben auf der Rückseite des Bestellschreibens, wie vorgesehen, den richtigen Empfang der bestellten For­mulare zu bescheinigen und das Bestellschreiben ««gehend hierher als portopflichtige Dienstsache vorzulegen. Nagold, den 7. Dez. 1903.

K. Oberamt. Ritter.

Vottttsche Keberficht.

Mit dem Beginn der neuen Legislaturperiode des Reichstags regt sich wieder das Hoffen in den Kreisen des Volks, die dieses Parlament zum Anwalt ihrer Wünsche und Forderungen machen wollen. Durch das verfassungsmäßig verbriefte Petitionsrecht wird die Interessengemeinschaft zwischen dem Volk und seiner parlamentarischen Vertretung in besonders greifbarer Form zum Ausdruck gebracht. Doch die praktischen Wirkungen dieses Rechts sind entfernt davon, seiner Bedeutung angemessen zu sein. Die Behandlung, die der Reichstag den Petitionen bisher angedeihen ließ, machen das Petitionsrecht zum nicht geringen Teil illusorisch. Am besten sind immer noch diejenigen Bittsteller daran, die ihre Gesuche im Anschluß an bestimmte Gesetzentwürfe ein­reichen. Werden diese Petitionen auch nicht gesondert er­örtert, so wird doch ihr Inhalt von den Abgeordneten zur Kenntnis genommen, und er wirkt mitbestimmend auf deren Stellungnahme zur Vorlage. Anders aber ist es mit den der Petitionskommission zugewiesenen Eingaben, die sich auf Tausende belaufen. Der Kommission soll gewiß kein Vor­wurf gemacht werden, sie sichtet und arbeitet mit Eifer und Hingabe. Doch was nützt das, wenn das Plenum des Reichstags so selten Anlaß nimmt, sich mit Petitionen zu befassen? Beim Plenum steht die Entscheidung, und es ist gar manchmal schon der Fall gewesen, Laß die Vorschläge der Kommission im Plenum adgeä >dert wurden, was für den Bittsteller natürlich von großer Bedeutung ist. Es macht einen Unterschied aus, ob der Reichstag beschließt, der Regierung ein Bittgesuchals Material",zur Er­wägung" oderzur Berücksichtigung" zu überweisen, oder ob er den KommifsionsbeschlußUcbergang zur Tagesord­nung" abändert. Der Mißstand ist, daß Petitionen nur gelegentlich, sozusagen als Lückenbüßer' auf die Tagesord­nung des Plenums gestellt werden. Wie verhältnismäßig selten aber kommt der Reichstag während der Session in die Lage, ohne anderweitiges Beratungsmaterial zu sein. Da überdies die Erfahrung lehrt, daß über manche Petition umfangreiche Debatten sich entspinnen, so erscheint wünschens­wert, daß in der Erledigung von Petitionen eine gewisse Regel inncgehalten wird. Wenn beispielsweise alle zwei Wochen eine Sitzung der Bcspreämng von Petitionen ge­widmet würde, so würde das im Volk dankbar empfunden werden und der Popularität des Reichstags zuträglich sein.

AmDonnerstaghatdie bayrischeAbgeordnetenkammer nach mehrtägiger Pause ihre Sitzungen wieder ausgenommen. Bei der Beratung des Etats der Münz-Anstalt beklagte Beckh,(fr. Ber.), daß sich Mangel an Stlbergeld zeige, und bemerkte sodann, daß die Fünfzig-Pfennigstücke wegen der Verwechslung mit den Zehn-Pfennigstücken äußerst unbeliebt seien. Finanzminister von Riedel erwiderte, für die Fünf­zig-Pfennigstücke soll ein Ersatz geschaffen werden, der die fatale Verwechslung mit den Zehn-Pfennigstücken vermeiden lasse. Es seien bereits verschiedene Modelle hergestellt. Man sei der Ansicht, daß die Fünszig-Psennigstücke stärker legiert und dicker und kleiner als die Zehn-Pfennigstücke hergestellt werden müssen. Mangel an Silbergeld könne kaum bestehen, da große Mengen Stlbergeld an die Reichs­bank zurückgingen. Der Etat der Münz-Anstalt wurde im übrigen ohne erhebliche Diskussion genehmigt.

Tclges-NeuigkeiLen.

Aus Stadt und Land.

Nagold, 9. Dezember.

Besitzwechsel. Das Gasthaus z.Pflug" ging samt Wirtschastsinventar am 7. d. Mts. durch Kauf an Herrn Jakob Haag von Unterjeitingen um den Kaufpreis von 31600 ^ über. Der neue Besitzer wird das Anwesen am 15. Januar k. I. übernehmen.

Paketsendungen vor Weihnachten. Für den gesteigerten Paketverkehr vor Weihnachten sind wie alljährlich auch Heuer wieder von der Postverwaltung besondere Vorkehr­ungen durch Vermehrung der Beförderungseinrichtungen u.

der Arbeitskräfte getroffen. Den Aufgebern von Weihnachts- sendunge« wird aber, damit sie auf rechtzeitige und unver­sehrte Ankunft der Sendungen rechnen können, dringend empfohlen, die Einlrcferung zur Post nicht erst in de» letzten Tagen vor dem Christfeste, sonder« möglichst frühzeitig zu bewirken, auch die Sendungen fest und dauerhaft zu ver­packen und mit einer deutlichen, vollständigen und haltbar befestigten Aufschrift zu versehen. Auch sollte die Ein­lieferung zur Post nicht erst vor Schalterschluß erfolgen.

Landwirtschaftliche Genossenschaftszentralkasse. Bei der landwirtschaftlichen Genossenschaftszentralkasse betrugen im November die Einnahmen 1,949,334 die Ausgaben 1,934,083 sie hatte somit einen Gesamtumsatz von rund 3,900,000 Mitgliedergeriofseuschaften sind es 943. Von 459 derselben wurden in 722 Posten einbezahlt 1,762,697 Mk., dagegen von 351 in 504 Posten entnommen 1,012,821 Mark; es wurden mithin 749,876 ^ mehr einbezahlt. Der Zinsfuß beträgt für eingelegte Gelder 3°/v, für entnommene Gelder 4°/°.

Haiterbach, 7. Dez. Am Samstag hielt Handwerks­kammer-Sekretär Dietrich aus Reutlingen imLamm" einen Vortrag über die neuen würt t. Steuer ge setze, zu dem sich die Mitglieder des Gewerbevereius in großer Zahl eingefunden hatten. Nachdem der Redner mik einigen Worten das Wesen der alten Gesetze bezeichnet, ging er näher auf die neuen ein, von denen im allgemeinen zu sagen sei, daß sie keine vollständige Umgestaltung unseres Steuer­wesens, auch keine Vereinfachung gebracht. Man habe zwar eine allgemeineEinkommenssteuer" eingeführt, aber die altenErtragssteuern" beibetzalten, wenigstens auf 5 Jahre noch. Uebrigens sei in den Gesetzen manches nicht klar ge­nug; man müsse aus dieAnsführungsbesttmmungen" warten, die noch nicht erschienen seien. (Die neuen Ge­setze, von denen jedoch keins ganz neu ist, werden voraus­sichtlich am 1. April 1905 in Kraft treten.) Redner erläuterte nun im einzelnen zunächst das Einkommen­steuergesetz. Nach diesem sind steuerpflichtig sämtliche Bewohner Württembergs ausgenommen diejenigen, welche weniger als 500 Gesamteinkommen haben. Unter Einkommen" sind zu verstehen die Erträge der Grund­stücke und Gebäude, die Einkünfte aus Gewerbebetrieben Kapitalien und Renten, die Gehälter, Löhne und dergl. Vom steuerbaren Einkommen dürfen aber abgezogen wer­den: die Verwaltung?- und Betriebsausgaben (Geschäfts­unkosten), dieAbschreibungen" wegen Wertverminderung, die staatlichen Ertragssteuern, die Schuldzinsen und Renten (die der Steuerpflichtige zu entrichten hat) und Aufwen­dungen für Kranken-, Alters- und dergl. Versicherung. Da­gegen sind nicht abziehbar die Ausgaben für Geschäftser­weiterungen, Kapitalanlagen, Abzahlungen an Kapital­schulden, Zinsen für eigene Betriebskapitalien, Gemeinde­steuern. Haushaltungsausgaben jeder Art. Für die Erheb­ung der Steuern find Einheitssätze vorgesehen, die stufenweise wachsen. Der Einheitssatz für 600 ^ Jahreseinkommen z. B. beträgt 2 für 900 4, 1200 7, 1800 16, 2400 28, 3000 44, 6000 168 (Für die Einkommen von 30000 Mark an ist die Steuer nach Prozenten bemessen, und zwar auf 45 °/o.) Ob der ganze Einheitssatz (oder auch mehr) zu erheben ist, bestimmt immer für je 2 Jahre einFinanz­gesetz." Steuerpflichtige mit 2 oder 3 noch nicht 15 Jahre alten Kindern genießen, wenn ihr Gesamteinkommen weniger als 3200 ^ beträgt, eine Erleichterung insofern, als man sie 1 oder 2 Stufen niedriger einschätzt. Deshalb können unter Umständen nicht blos Steuerpflichtige mit noch nicht 650 (I. Stufe), sondern auch solche mit weniger als

800 ^ (II. Stufe) steuerfrei werden. Uebrigens steht das Recht der Steuererklärung (Fassion") jedem zu; Pflicht dagegen ist es für diejenigen, die mindestens 2600 ^ Ein­kommen beziehen. Soviel aus dem für die Zukunft wichtigen Steuergesetze. Die übrigen Staatssteuergesetze sind im wesentlichen, bis auf einige Punkte, unverändert ge­blieben. Letztere führen wir hier an: 1. An den Grund­katastern (ausgenommen dasjenige der Forsten) sind, weil der Ertrag aus Grund und Boden in den letzten Jahr­zehnten gesunken ist, Abstiche vorzunehmen, nämlich am Weinbergkataster 40 °/o, an den übrigen landwirtschaftlichen Katastern 20 °/o. 2. Das Gebäudekataster wird von Zeit zu Zeit üner allgemeinen Revision unterzogen. 3. Von dem Gewerbesteuerkapital sind 60, 60, 40, 30 "/<> frei, je nachdem das Kapital nicht mehr als 1000, 5000, 10000, 30000 ^ beträgt. Von den größeren Kapitalien werden nur 20 °/° abgezogen. Diese Abstriche sind nicht anders als billig, da der Gewerbetreibende auch Einkommensteuer zu zahlen hat. Unter den Gemeinde-Steuern spielen wie bisher die Grund-, Gebäude-, und Gewerbesteuern die erste Rolle (Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes ist unrichtig gefaßt!);

von dieser Dreiheit hängen alle anderen Gemeindesteuer» (Kapital-, Einkommen-, Wohn-, Grundstückumsatz-, Ver­brauchs-, Hundesteuern) ab. Die Wohnsteuer ist allgemein auf 2 für den Kopf festgesetzt; Verbrauchsabgaben aus Fleisch sind nur noch bis 1909 gestattet. Neu sind die Bauplatzsteuern, hauptsächlich für Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern, und die obligatorische Warenhaus- steuer. Erstere wird als Zuschlag zur Grundsteuer be­rechnet, letztere nach dem Jahresumsatz und zwar in Ge­meinden bis zu 10 000 Einw. von 80 000 ^ an, in solchen bis zu 50000 Einw. von 150000 ^ an, in Stuttgart von 200 000 ^ an. Geschäfte, welche am gleichen Ort Filialen haben, werden mit diesen zusammen als Ganzer behandelt. Die Steuer besteht in einem Zuschlag zur Ge­werbesteuer (mindestens 20, höchstens 50"/»); die genaueren Bestimmungen sind in einer besonderen Steuerordnung fest­zulegen. Nach den neuen oder abgeänderten Steuerge­setzen hätte nun z. B. ein Gewerbetreibender, der zugleich Grund- und Hausbesitzer und (wenn auch nur etu kleiner) Kapitalist ist, von 1905 an auf mindestens 5 Jahre zu zahlen: Grund-, Gebäude-, Gewerbe- und Kapitalsteuer an den Staat, und zwar zweimal; als Einkommen- und als Ertragssteuer, ferner dieselben Steuern (wenn auch nicht in der gleichen Höhe) wahrscheinlich auch an die Gemeinde, und sn diese außerdem Wohn- und vielleicht noch etliche andere (z. B. Bauplatz-) Steuern. Auf die letzte Frage: ob die neuen Gesetze weniger oder mehr fordern, ist zu antworten, daß eher das zweite als das erste zutreffe (wenigstens für die Steuerzahler, die nicht zu den allerge­ringsten gehören). Das erhelle schon'aus den beiden Haupt­grundsätzen der modernen Steuergesetzgebung, die da lauten: 1. Gerechtigkeit, 2. möglichste Ausnutzung der Steuerkraft! Auf den Vortrag folgte eine recht lebhafte Aussprache über Invalidität?- und Altersversicherung selbständiger Handwerker, die Beiträge zur Unfalloerficherung und über Submisfionsangelegenheiten. Zu dem ersten Punkt berichtete Hr. Dietrich über die Verhandlungen auf dem Kammertag in München (Sept. d. I.), worauf sich einige Herren für, einige gegen den Zwang aussprachen (eine Erfahrung die man fast überall macht). Uebrigens konnte der Hr. Stadtschult- hciß erfreulicherweise Mitteilen, daß in Haiterbach verhält­nismäßig viele sich freiwillig versichert haben.

r. Ludwigsburg, 5. Dezbr. Heute nacht ereignete sich hier ein schwerer Unglücksfall, indem die Neider der früheren Haushälterin des vor kurzem verstorbenen R. A. Wächter, offenbar weil Fräulein Frey dem Ofen zu nahe kam, Feuer fingen und die Flammen die Unglückliche derart ver­brannten, daß sie kurze Zeit nach ihrer Verbringung ins Bezirkskrankenhaus starb.

r. Heilbronn, 7. Dez. Am Samstag nachmittag wurde OberamlstierarztLandvatter von hier von einem jähen Tod ereilt. Auf einem dienstlichen Gang begriffen, brach er in der Nähe des Bahnhofs plötzlich zusammen und war sofort tot.

r. Heilbronn, 7. Dez. In einer hiesigen Fabrik machte sich ein Arbeiter unbefugter Weise, während ein Kammrad stillstand, an demselben zu schaffen. Plötzlich wurde das Rad in Betrieb gesetzt und dem Arbeiter ein Arm abgerissen, auch erlitt derselbe noch sonstige erhebliche Verletzungen.

Deutsche« Reich.

Berlin, 5. Dez. Aus der gestrigen Wahl der Schrift­führer iul Reichstag sind hervorgegangen die Abg. Him- bürg (kons.), Pauli (Rp.), Rimpau (nl.), Krebs und Freih. von Thüneseld (Z.), Hermes und Bell (Fr. Vp.), Graf Mielckhnski (Pole). Die sozialdemokrsttschen Kandi­daten sind also, wie zu erwarten war, unterlegen.

Die vom Zentrum eingebrachte Interpellation hat folgenden Wortlaut:' .

Werden die verbündeten Regierungen nunmehr in Aus­führung der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890 ge­setzliche Bestimmungenüber die Formen" in Aussicht nehmen, in denen die Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung gemeinsamer Angelegen­heiten beteiligt und zur Warnehmung ihrer Interessen bei Verhandlungen mit Arbeitgebern und mit dem Organ der Regierung befähigt werden? Darf insbesondere baldigst er­wartet werden: 1. die Vorlage für einen Gesetzentwurf be­hufs Regelung der privatrechtkichen und öffentlich rechtlichen Verhältnisse der Berufvereine, insbesondere hinsichtlich des leichteren Erlangens der Rechtsfähigkeit und der vollen Sicherung des Koalitionsrechts; 2. die Vorlage eines Ge­setzentwurfes betreffend die Errichtung einer geordneten Vertretung der Arbeiter (Arbeiterkammern)zum freien und friedlichen Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden" auch gegenüber der Staatsbehörde.