77. Jahrgang.

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Noch immer werden bei allen Postämtern, Landpost­boten, unfern Austrägerinnen und der Expedition d. Bl. Bestellungen für den Monat Dezember aus unser Blatt entgegengenommen und die fehlenden Nummern bereitwilligst nachgeliefert.

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Komische HteSerficht.

Im ungarischen Abgeordnetenhaus sind alle Bemühungen, eine friedliche Lösung der bestehenden Differenzen herbei­zuführen, vergeblich gewesen. Die meisten Blätter drücken ihr Bedauern über das Mißglücken der Friedensaktion aus und «eben der Befürchtung Ausdruck, daß nun dieent­schlossene Tat" folgen müsse. Im Abgeordnetenhaus setzte die Opposition die Obstruktion durch Anordnungen unzähli­ger namentlicher Abstimmungen fort. Graf Tisza will noch ganz kurze Zeit diesem Treiben zuschen und dann einen entscheidenden Schritt tun. Franz Koffuth plant, die Sepa­rierung der turbulenten Elemente gründlich durchzuführen, zu welchem Zweck er jetzt mit seinen Getreuen eine Kon­ferenz hält, welche wahrscheinlich die Gründung einer neuen Vereinigung unter seiner Führung beschließen wird.

Mit den Absichten Englands auf Tibet ist ein neuer Zündstoff geschaffen worden, dessen Explosion leicht ein ge­waltiges Stück des Orients in Flammen setzen kann. Aus Tientsin wird gemeldet, daß die englischen Militärbehörden damit beschäftigt sind, sich aus Szelschwan und Tibet Dol­metscher für die englische Trbetexpedition zu beschaffen. In Tientsin geht das Gerücht, daß zwischen England und China ein Einvernehmen bestehe, Tibet, wenn sich die Ge­legenheit ergeben sollte, gegen Rußland zu behaupten. Reuters Bureau erfährt: Obgleich noch kein Zeitpunkt für den Aufbruch der englischen Mission nach Tibet bestimmt ist, so steht doch fest, daß die Expedition zuerst nach Jangtse, der auf dem Weg nach Lhassa gelegenen zweitgrößten Stadt Tibets, gehe. Dann werde der Versuch gemacht, wieder in Verhandlungen mit den Tibetanern zu ireten. Es sei ge­genwärtig keine Rede von einer dauernden Besetzung der Stadt Jangtse oder von einem Vormarsch nach Lhassa selbst.

Gcrges-Weuigkeiten.

Aus Stadt und Land.

Nagold, 7. Dezember.

Seminaikonzert. Das gestern abend im Festsaal des Seminars veranstaltete Konzert war wie vorauszusehen war sehr stark besucht, so daß sich der Festsaal als viel zu klein erwieS und manche Zuhörer keinen Platz im Saal medr finden konnten und im Gang vorlieb nehmen mußten, wenn sie etwas hören wollten. Das 10 Nummern nmfaffende Pro-

Hlrn HHr' und Gold.

Roman von E. von Linden, b) Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)

2 .

Zwei Monate waren seitdem verflossen. Es war am ersten Juni.

Im Sonnenglanz verließ ein großer Dampfer, auf dem sich sehr viele Auswanderer befanden, den Hafen von Hamburg. Aus dem Hinterdeck standen sie, Tücher schwen­kend, und der alten Heimat mit brausenden Hurra's die letzten Abschicdsgrüße zuwinkend. Sie schienen fröhlich und guter Dinge zu sein, aber die Frauen -standen seitwärts, mit uberströmenden Augen sich abwendend und schluchzend beide Hände vor's Gesicht pressend. Sie schwammen hinaus über das weite gefahrdrohende Weltmeer, einer ungewissen Zukunft entgegen, einer fremden Welt ohne Mitleid. ohne Freunde!

Unter diesen Passagieren der dritten Klaffe, des Zwi­schendecks, befanden sich auch unsre beiden Freunde Leo Günther und Traugott Weber. Erstercr hatte sich einen erhöhten Platz ausgesucht, wo er bei seiner Länge gut ge­sehen werden konnte und schwenkte seinen Hut mit bewunder­ungswürdiger Ausdauer, schonte aber seine Lunge für eine bessere Gelegenheit, während Traugott sich wie ein Ver­brecher im Zwischendeck verkroch.

Und war er nicht ein solcher? Ein Verbrecher an

NagsLL, Montag Len 7. Dezember

M3.

gramm war ein sehr abwechslungsreiches. Es bot Orchester­musik, Sologesänge, gemischte und Männerchöre. Die Namen Gluck, Beethoven, Haydn, Meyer-Hellmund, Podbertsky zeu­gen von dem hohen klassischen Wert der Kompositionen, die zum Vortrag kamen. Eingeleitet wurde das Konzert mit einer Ouvertüre'von Gluck, die an das Können der Seminarzöglinge hohe Anforderungen stellte, da dieselbe viele chromatische Gänge enthält. Sie gelang aufs beste. Das liebliche Trio für Violine, Violoncello und Klavier von Haydn, Satz I, ausgeführt von Hrn. Musikoberlehrer Schäffer (Vio­line), Herrn Maier (Klavier) und Herrn Schelling (Cello) kam tadellos zum Vortrag und erfreute höchlichst, ebenso Satz !I und III. Besonders effektvoll war der tanzartige Satz Hl. Herr Musikoberleher Schäffer zeigte beim Vortrag des Trios sein Können auf der Violine in glänzendstem Lichte. Der ge­mischte Chor bot 2 kleinere Lieder a eapolla.:Ich weiß es wohl" von Burkhardt undMußt nicht weinen" v. Abt. Die beiden sehr wirkungsvollen Lieder kamen gefühl- u. geschmack­voll zum Vortrag. DieWeihe des Tages", Hymne für ge­mischte Stimmen mit Klavier-, Violin- und Bioloncellobeglei- tung, eine wirklich inhaltsreiche Musik machte tiefen, weihe­vollen Eindruck. Der zum 1. mal als Konzertsänger auftre­tende H. Löffler, Bariton auS Böblingen, ein Schüler des H. Musikoberlehrers Schäffer, sang denLindenbaum" ,HenWeg­weiser" undMut" aus der Winterreise von Schulort, ferner den letzten Gruß" v. Levi und dasZauberlied" v. Meyer- Hellrnund. Durch seinen feinfühligen, tempramentvollen Vor­tragerrang er mit seiner biegsamen, sympathischen Stimme einen glänzenden Erfolg, zu dem wir H. Löffler auch an dieser Stelle hcrzlichst beglückwünschen wöchren. Der weiche, verständnis­innige Vortrag des Liedes:Der letzte Gruß" war rührend; der feurige Vortrag desZauberliedes" v. Meyer-Hellmund har einen wirklich bezaubernden Eindruck gemacht. Es soll nicht vergessen sein, der weichen, künstlerisch-vollendeten Begleitung dieser Lieder durch Musikoberlehrer Scyäffer rühmend zu ge­denken; ohne sie wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen. Der wohlgeschulte Seminaeistenchor brachte denChor der Gefangenen" aus Fidelio von Beethoven zum Vortrag. Im ganzen darf es als ein Wagnis bezeichnet werden, einen solchen Chor, der für die Theaterbühne geschrieben ist, wo ne­ben dem Gesang, begleitet von ausgezeichneter Orchestermusik, noch Mimik und Aktion, als weitere Unterstützung des Ganzen in Tätigkeit treten, im Konzertsaal, wo Mimik und Aktion fehlen und der Gesang mit Klavierbegleitung allein wirken soll zur Ausführung zu bringen. Aber gerade weil ein solcher für den Konzertsaal nicht geschriebener Chor in solch wir­kungsvoller, feuriger Art und in so vollendeter verständ­nisvoller Weise zum Vortrag gebracht wurde, gebührt Musik- oberlehrer Schäffer doppelte Anerkennung und doppelter Dank. Den Schluß der Aufführung bildete der Vortrag des Chorwerks:Zollern und Staufen" von Podbertsky. Dichtung und Musik gleich inhaltsreich und edel fanden in dem feurigen, frischen Vortrag wirklich packenden, innerlich erhebenden, begeisternden Ausdruck. L.ider konnte die von Musikoberlehrer Schäffer als weiteren Ersatz für die Or­chestermusik geschriebene Orgelbegleitung nicht benützt werden, weil die Orgel durch die im überfüllten Saal entstandene.

Steigerung der Temperatur so verstimmt war, daß sie außer Tätigkeit gesetzt werden mußte. Hätte die Orgel benützt werden können, so wäre der Erfolg noch großartiger gewesen. Alles in allem darf man wohl sagen: Ein Seminarkonzert bildet mit Recht für hies. u. auswärtige Liebhaber edler, klassischer Musik einen kräftigen Anziehungspunkt, denn die hiebei ge­botenen musikalischen Genüsse sind einzig in ihrer Art: Groß­artig, erhebend, bezaubernd. Auch an dieser Stelle sei Hrn. Musikoberlehrer Schäffer für seine edlen, herrlicheDarbietungen volle Anerkennung u. wärmster Dank zum Ausdruck gebracht.

Feuerlöschprobe. Am Freitag vormittag führte Herr Mundorff aus Stuttgart auf dem Platze vor dem Gasth. zum Schiff seinen FeuerlöschapparatMinimax" vor. Es waren drei Brandobjekte hergestellt, ein Holzkamin, ein Holzstoß und ein Teerfeld, die sämtlich noch mit Erdöl getränkt wurden; nach der Entzündung wurden die hoch« auf schlagenden Flammen mit dem kleinen Mtnimax-Appa- rat in kaum 10 Sekunden vollständig gelöscht. Versuche die nur teilweise angebrannten Holzteile wieder in Brand zu stecken versagten gänzlich. Beim Zuschauen bekam man die Ueberzeugung, daß dieser Apparat eine hochwichtige Er­findung sei, die geeignet ist, überall da, wo sie zum Schutz gegen Feuersgefahr angebracht wird, eine sichere Gewähr zu bieten, etwaiges Auskommen von Bränden sofort im Entstehen bekämpfen und beseitigen zu können. Die frap­pante Wirkung erklärt sich daraus, daß durch die im Ap­parat befindliche Masse (Natron, Wasser und Salzsäure) beim Spritzen dem Jener plötzlich der Sauerstoff vollstän­dig entzogen und es infolgedessen bewältigt wird. Der kleine Apparat hält 3 Liter, der größere 6 Liter, der eine kostet 27 ^ 50, der andere 35 Wir fügen noch an, daß Kaufmann Julius Krebs in Wildberg die Ver­tretung für den Minimax-Apparat für die Oberämter Nagold und Calw übernommen hat und daß schon verschiedene Ap­parate verstellt wurden. _

Altensteig, 7. Dez. Die Restauration zum Bad ging in den Besitz von Ehr. Theurer, Lagerbierbrauerei in Grömbach über. _

Calw, 4. Dez. Bei der gestrigen Gemeinderatswahl haben von 556 Wählern 346 ^ 62 Prozent abgestimmt. Gewählt wurden Obcramtsgcometer Bühner mit 339, G. Wagner, Fabrikant mit 328, Glasermeister Häußler mit 317, Tierarzt Kleinbub mit 190, Fabrikant Hermann Wagner mit 174 und Fabrikant Hippclein mit 174 St.

Stuttgart, 5. Dez. Am 9. und 10. Dezbr. findet in den Sälen des Königsbaues unter Leitung der General­direktion der Staatseisenbahnen vie europäische Fahrplan­konferenz zur Beratung der Sommerfahrpläne für 1904 statt. An den beiden vorhergehenden Tagen werden soge­nannte Vorkonferenzen abgehalten. Für die Konferenz, zu der gegen 200 Vertreter der Regierungen und Eisenbahn­verwaltungen erscheinen werden, sind über 300 Anträge angemeldet, von denen eine große Zahl auf die Einrichtung neuer und die Verbesserung bestehender Zugsverbtndungen im internationalen Verkehr gerichtet sind. Die württem-

seinen guten Eltern? Ein Deserteur, der sich seiner KtndeS- pflicht und seinem Vaterlande verbrecherisch entzog?

Zu knabenhaft unreif noch, um sich über seinen wahren Beruf klar zu sein, hatte sein verständiger Vater den Nagel ans den Kopf getroffen, als er den eigentlichen Trieb zum Kaufmannsstande als Hochmut und Geldgier bezeichnte. Es war das Erbteil der Mutter, das sich in dem Sohne verkörperte und das er im Großhandel zu verwirklichen hoffte. Der Knabe hatte von Männern gelesen, die sich in diesem Stande von der Armut zum fabelhaften Reichtum und zur Macht emporgeschwungen hatten, und denen wollte er nacheifern, das war sein fester Entschluß.

Meister Weber sollte es zu spät einsehen, wie schwer er bei seinen Grundsätzen gefehlt hatte, als er den einzigen Sohn in eine höhere Schule schickte. Dieser sollte »ehr lernen, als es ihm selber vergönnt gewesen war, da der einfache Mann seine Zeit sehr wohl begriffen, und es ge­nug an sich sebst erfahren hatte, daß das Wissen eine Macht bedeutet. Und trotz dieser Einsicht wollte er den Sohn doch nicht über sich hinauswachsen lassen, sondern ihn auf der gleichen Gesellschaftsstufe festhalten. Das war ein Wider­spruch, für den er schwer büßen mußte, und der in seinem patriarchalischen Hochmut als Vater wurzelte.

Während Traugott mit schwerem Herzen, wie wir zu seiner Ehre feststellen wollen, Eltern und Vaterland heim­lich verlassen hatte und trübsinnig einer fremden Heimat und Bestimmung entgegenschwamm, wähnten sie ihn daheim bei Verwandten zum Besuch, wohin er, bevor er in die Lehre treten sollte, erst aus einige Wochen zur Erholung

md zum Vergnügen gesandt worden war. Er war auch

lirklich dorthin gereist, hatte sich aber noch acht Tage an- eblich auf eine Fußwanderung b-geben, um die Umgegend 'nnen zu lernen. Ohne Zögern war er nun mit dem fiten besten Zuge nach Hamburg gefahren und dort mit eo Günther zusammengetrofftn. Am Abend vor der Ao- rhrt, als sie sich an Bord begaben, steckte Traugott mit tternder Hand einen Brief an seine Mutter in den Brief- isteu. Die Adresse war etwas verwischt worden durch ne Träne, die darauf getropft war.

Anhnunglos öffnete die arme Mutter diesen Brief, sie war allein, der Meister noch in der Fabrik, und da sie >res Traugotls Handschrift erkannte, so riß sie rasch den mschlag auf, ohne sich erst lange um den Poststempel zu immcrn. Wie erstarrt fiel ihr Blick aber jetzt auf das )atmn und den Ortsnamen: Hamburg.

Ein Zittern ergriff ihren Körper, und als sie einige eilen gelesen hatte, sank sie mit einem ächzenden Laut ohn- ächtig in den Lehnstuhl zurück. ^ <

So fand sie Meister Weber ber seiner Heimkehr. Mich erschrocken hob er den Brief auf, der ihrer Hand ,Mitten war, warf einen Blick hinein und begriff Alles, ls ob er sich an dem Schreiben des Sohnes verbrannt itte, so hastig schleuderte er es von sich auf den Fußboden. >ann holte er kaltes Wasser aus der Küche, um die Stirn r Ohnmächtigen zu netzen, und es gelang ihm.endlich nach ugcrcn Bemühungen, sie ins Bewußtsein zuruckzubringen.

(Fortsetzung folgt.)