Aro. 61

63. Jahrgang

Amts- unä Intekkigenzökatt sür äen Äezir^.

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.

Samstag, äea 26. Mai 1888.

Abonnementspreis halbjährlich 1 80 H, durch

die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in

ganz Württemberg 2 «kL 70 H.

ArnMche Wekcrrrntrncrchungen.

An die HrLsvorsteher.

Der Oberamtsbaumwart hat angezeigt, daß sich an den Obstbäumen Raupen in großer Anzahl vorfinden. Da deren Vertilgung im jetzigen Stadium, ehe sie ihr Zerstörungswerk durch Abfressen der jungen Blätter beginnen, durch Zerdrücken oder Entfernung der Gespinnste leicht ausführbar ist, so werden die Ortsvorsteher angewiesen, die Obstbaumbesitzer zur als­baldigen Reinigung ihrer Bäume von Raupen zu veranlaßen (cf. § 368, Z. 2 des Str. G. B.), und über den Vollzug binnen 10 Tagen zu berichten.

Calw, 24. Mai 1888. K. Oberamt.

Supper.

Für die Ueberfchwemmten in Nord- und Ostdeutschland sind noch ein­gegangen von

Deckenpfronn 21 30 H Privatbeiträge.

Daß von Deckenpfronn außerdem 123 ^ Privatbeiträge und 50 aus der Gemeindekaffe früher uns zugekommen sind, wird auf Wunsch des K. Pfarramts dort hiemit ausdrücklich noch hervorgehoben.

Calw, 24. Mai 1888. Oberamtmann. Dekan.

Supper. I. V. Eytel, Diac.

-Politische Wcrchrichten.

Deutsches Reich.

Berlin, 23. Mai., abends. Das Kaiserpaar kam heute abend 6 Uhr 20 Min. in geschlossenem Wagen nach Berlin, fuhr bei der Kaiserin Augusta, im k. Schlöffe bei dem Kronprinzen Wilhelm, beim griechischen Kronprinzen sowie an der russischen und an der englischen Botschaft vor, be­suchte auch das bisherige Kronprinzenpalais und kehrte nach 7 Uhr nach Charlottenburg zurück; es wurde überall von dem zahlreich versammelten Publikum jubelnd begrüßt. Prinzessin Irene traf heute abend 8^ Uhr im Charlottenburger Bahnhof ein, wo die Kaiserin mit den Prinzessinnen- Töchtern, das Kronprinzenpaar und Prinz Heinrich anwesend waren. Nach herzlicher Begrüßung fuhren die hohen Herrschaften unter begeisterten Kund­gebungen der zahlreichen Menschenmenge durch die festlich geschmückten Stra­ßen, wo der Krieger- und Turnverein sowie die Gewerke nach dem Schlöffe Hecke bildeten.

Berlin, 24. Mai. (Donnerstag, mittags.) Der Kaiser hatte heute

die beste Nacht seit seiner Anwesenheit in Charlottenburg. Ec schlief je 3 Stunden hintereinander ohne Husten. Der Kaiser wird der Civiltrau- ung, sowie der kirchlichen Trauung beiwohnen. Seit 10 Uhr wellt er im Park.

Berlin, 24. Mai. Ungeachtet der mannigfachen Anstrengungen und der erregenden Momente des gestrigen Tages hat der Kaiser eine sehr befriedigende Nacht gehabt, und ist namentlich der sonst so belästigende Husten so verringert, daß der Kaiser wiederholt je drei Stunden hintereinander, ohne durch Hustenanfälle unterbrochen zu werden, zu schlafen vermochte. Nach dieser erquickenden Ruhe fühlt der Monarch sich heute sehr gekräftigt und im Stande, den Hauptakten der heutigen Vermählungsfeier, der standesamtlichen Eheschließung und der Trauung in der Schloßkapelle, beizuwohnen. Um 10 Uhr hat der Kaiser sich in den Park begeben, um in den Stunden bis zur Feier im Schlöffe neben der Entgegennahme der regelmäßigen Vorträge die herrliche Frühlingslust zu genießen.

Berlin, 24.Mai. Prinz Heinrich ist mit seiner Gemahlin heute nachmittag 3 Uhr vom Bahnhof Charlottenburg mittest Extrazug nach Schloß Erdmannsdorf abgereist. Auf dem Wege zum Bahnhofe selbst wurden dem Neuvermählten Paare von einer dichtgedrängten Menge stürmische Ovationen dargebracht.

Von hochgeschätzter Seite erfährt dieEur. Corr." au» Charlottenburg:Wenn keine uvvorherzusehenden Zwischenfälle ein- treten, find die Dispositionen für den Aufenthalt des Kaisers während des Sommers jetzt wie folgt getroffen worden: In wenigen Tagen siedelte der Kaiserliche Hof nach Schloß Friedrichskron über, ver­bleibt daselbst bis zur zweiten Hälfte des Juni und geht dann zu längerem Aufenthalt nach Homburg v. d. Höhe, in dessen ozonreicher Waldluft der Kaiser hoffentlich ganz Genesung finden wird.* vr. Mackem- z i e hat, wie wir in derEur. Corr." lesen, am Samstag einem amerikanischen Berichterstatter auf dessen Frage nach der Wiedergen es ungdesKaisers geantwortet:Ich bin noch immer der Ueberzeugung, daß dieHeilung der Krankheit in den Grenzen derMöglich- keit liegt."

Straßburg, 23. Mai. Das Zentral- und Bezirks-Amtsblatt für Elsaß-Lothringen veröffentlicht einen Erlaß, wonach alle über die französische Grenze zureisenden Ausländer, ohne Unterschied, ob sie auf der Durch­reise begriffen sind oder im Lande Aufenthalt nehmen wollen, sich im Besitze eines Passes befinden müssen, welcher mit dem Visum der deutschen Bot­schaft in Paris versehen ist. Das Visum darf nicht älter sein, als ein Jahr. Gewerbslegitimationen für ausländische Handlungsreisende ersetzen den Paß

ItUllltlöll Nachdruck »erboten.»

Die Aande des Akutes.

Roman aus dem Englischen von War v. Weisenthurn.

(Fortsetzung.)

Im ersten Bioment, nachdem sie in wachsender Erstarrung den Brief gelesen hatte, saß das erschreckte Mädchen gleichsam gelähmt. Was auch in diesem Moment geschehen wäre, sie hätte nicht die Macht über sich gehabt, sich nur zu rühren. Doch dann plötzlich kam Leben in sie und mit Heftigkeit schauderte sie zusammen.

In sprachloser Erregung griff sie sich an den Kopf. Was waren das für Enthüllungen! Konnte, konnte das Wirklichkeit sein? War das möglich? Der Mann, zu welchem sie immer mit unsagbarer Scheu emporgeblickt, der Mann, welchen zu achten, wenn schon nicht zu lieben ihr die Pflicht zu gebieten schien, dieser Mann war in der That gar nicht ihr Vater! ?

Allgerechter Gott! War ein solcher Betrug denn nur denkbar? Konnte es denn Wahrheit sein, die entsetzlichste Wahrheit, die sich nur ersinnen ließ, was dieses grausame Blatt Papier enthüllte?

Mit weit aufgeriffenen Augen, hochklopfenden Herzens starrte Man) auf das ver­hängnisvolle Schreiben, welches sie in ihren zitternden Händen hielt. Jetzt, wo sie endlich die ganze Wahrheit wußte, wo sie das Geheimnis kannte, das einen so düsteren Schatten auf ihr Leben und jenes ihrer Geschwister geworfen, jetzt durfte ihre Flucht um keinen Preis mehr mißlingen, wollte sie nicht gezwungen sein, jenem unseligen Manne gegenüberzutreten, der sicher selbst nicht davor zurückschrecken würde, sie zu tödten, wie er es versucht hatte, seinen Mitschuldigen ins Jenseits zu befördern. Ja, nun war Mary überzeugt, daß er damals wirklich einen Mord im Schilde geführt hatte.

Sie schauderte unwillkürlich heftig zusammen.

Kein Wunder, daß dieser Mann nie von der tobten Mutter hatte reden wollen,

wenn sie ihn zuwellen schüchtern darum bat, ihr zu erzählen, wie Jene ausgesehen und ob Karoline ihr ähnlich sei. Kein Wunder, daß er nicht gern von dem Heim sprach, in welchem sie und Richard, in welchem alle ihre Geschwister geboren worden waren und in dem sie gelebt hatten bis zu dem Moment, in dem der Vater nach Jamaika gegangen war, um den einzigen Verwandten, welchen er außer Onkel John besaß, in seiner schweren Krankheit zu pflegen. Mit der Aufklärung, welcher jener Brief enthielt, konnte sie Alles, was ihr bisher unerklärlich geschienen, verstehen und es war eine Erkenntnis, welche sie gleichsam zerschmetterte.

Wenn meine Mutter nicht eine Waise gewesen wäre, die keine Verwandte besaß, wenn der furchtbare Mann, der es wagte, die Stelle meines Vaters zu usur­pieren, nicht durch einen Angehörigen der Familie unterstützt worden wäre, welcher gewissenlos genug gewesen ist, ihn über alle Familienverhältnifse zu unterrichten so hätte dieser furchtbare Betrug niemals stattfinden können. O, es durchschaudert mich bei dem Bewußtsein, daß ein Mensch, gegen den wir Alle im Herzen Nichts als Ab­neigung empfanden, es wagen durfte, die Stelle unseres todten Vaters einzunehmen!"

Dieser Gedanke überwältigte das Mädchen nahezu, und sie begriff jetzt zum ersten Mal ganz und voll die furchtbare Gefahr, in welcher sie schwebte. Sie befand sich in der Macht eines grundsatzlosen Menschen, der allgemein den Glauben ver­breitet hatte, daß sie wahnsinnig sei. Was immer nun sie erklären mochte, wer würde ihren Beschuldigungen Glauben schenken? Nur der Brief, welchen sie in Händen hatte, war ein schlagender Beweis für die Richtigkeit ihrer Behauptungen, sobald sie nur erst ihre Freihell erlangt haben würde. Ja, sie mußte jetzt frei werden; ihre Flucht am nächsten Abend durfte nicht fehlschlagen.

Rasch entschlossen legte sie ein Blatt Papier zwischen die Sellen des Buches welches sie in Händen hielt, uud schrieb mit flüchtiger Hand, um nur ja von Frau Smith oder Hanna nicht überrascht zu werden, rasch einige Zellen nieder:

Laß Dich durch Nichts verhindern, morgen Abend zu mir zu kommen, Hugo. Halte einen Wagen bereit, und wenn ich um Mitternacht mich nicht zu Dir gesellen kann, so magst Du wissen, daß ich daran verhindert bin, daß alle Thüren im Hause