77. Jahrgang.

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Schwäb. Landwirt.

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^oMsche Hlebevsicht.

r. Am Donnerstag dieser Woche ist die Ständeversamm­lung wieder zusammengetreten. Die Kammer der Abg. hat sich zunächst mit einer Reihe von Petitionen befaßt und wird dann die Schulgesetznovelle zu Ende beraten. Da es sich um den heikelsten Punkt, um die Schulaufsichtsfrage, handelt, dürfte es wegen dieser Sache zu lebhaften und längeren Debatten kommen. Der nunmehr mit Ausnahme des Etats der Verkehrsanstalten vollständig vorliegende Hauptfinanzetat ist von der Finanzkommission des Abg.- Hauses bereits in Angriff genommen worden. Ob aber diese Kommission ihre Arbeiten so rasch fördern kann, daß die II. Kammer ununterbrochen Sitzungen halten kann, ist bereits bezweifelt und dabei angekündigt worden, daß gegen Ende März eine Landtagspause eintreten werde, bis die Finanzkommission wieder genügend Stoff zur Plenarbe- ratung vorbereitet habe. Eine solche Pause wäre in hohem Grad bedauerlich und wenn es ohne eine solche Pause nicht abgeht, ist es schwer verständlich, warum der Landtag nicht etwa 1012 Tage später einberufen worden ist. Während der Pause erhalten nämlich sämtliche Abg., auch die zu Hause bleibenden, ihre Diäten fortbezahlt, und angesichts der schlechten Finanzlage des Staates erscheint es als eine recht mißliche Sache, jeden Kammerpausentag mit mehr als 1000 ^ Diäten aus der Staatskasse zu bezahlen. In der Finanzkommission der Kammer der Abg. wollten die Mit­glieder der Volkspartei das Defizit dadurch beseitigen, daß sie eine Reihe von Staatseinnahmen, insbesondere das Er­trägnis der Eisenbahn, und Posten und Telegrafen und ebenso das Erträgnis aus den Staatswaldungen bedeutend höher veranschlagen wollten, als dies die Regierung getan. Aller­dings sind die Einnahmen der Staatseisenbahnen, sowie der Posten und Telegrafen im Steigen begriffen, aber durch willkürliche Erhöhung der mutmaßlichen Einnahmen wird ein wirkliches Defizit doch nicht beseitigt und die allgemeine Geschäftslage ist doch nicht so rosig, daß man um eine Staatsanleihe voraussichtlich herumkommen kann.

Als Termin der Reichstagswahlen wird jetzt der Herbst angegeben. Mau weist darauf hin, der dem Reichstage und dem preußischen Landtage vorliegende Beratungsstoff könnte bei einigem Fleiße unschwer bis Ostern erledigt, werden und es sei auch scheinbar offiziös angckündigt woWen, daß man mit dem Schluß der Parlamentssession beim Eintritt der Osterferien rechne. Die Art aber, wie Reichstag und Landtag arbeiten, lasse es äußerst fraglich erscheinen, ob die­ses Ziel erreicht werde. In Verbindung damit ist ange­nommen worden, daß die Wahlen zum Reichslag im Früh­jahr oder Frühsommer stattfinden könnten. Dagegen wehrt sich das Organ des Bundes der Landwirte, macht u. a. geltend, daß die neuen Einrichtungen zum Schutze des Wahl­geheimnisses längere Zeit zur Vorbereitung brauchen würden und schlägt den Herbst als die erfahrungsmäßig beste Zeit für die Wahlen zum Reichstage vor. Die Frkf. Ztg. glaubt zu wissen, daß man sich an maßgebender Stelle schon vor längerer Zeit mit dem Gedanken vertraut gemacht habe, die Wahlen zum Herbst auszuschreiben.

Nagold, Freitag den 30. Januar

Die Albanesen geben sich alle Mühe, dem Sultan Verlegenheiten zu bereiten. In einer Versammlung albane- sischer Notabeln wurde beschlossen: 1. Die Verwendung christlicher, nicht albanestscher Gendarmen in Albanien nicht zu erlauben. 2. Die Errichtung eines russischen Konsulats in Jpek nicht zu gestatten. 3. Wenn Scheinst Pascha in das Gebiet Rekahasst-Malissia eindringen wollte, dies mit Gewalt zu verhindern. 4. Darauf zu bestehen, daß die Weideplätze auf dem strittigen montenegrinischen Gebiet Moksa Planina von dem Stamm Rukavi benutzt werden. Weitere Zusammenstöße finden in verschiedenen Orten fast täglich statt. Bei allen ist das Schlagwort: auf Auf­rechterhaltung des gegenwärtigen Zustands zu dringen.

In den ehemaligen südafrikanischen Burenrepubliken scheinen doch rascher, als man erwarten konnte, wieder ge­ordnete Zustände einzutreten. Mag auch die große Masse der Buren über die schweren Erfahrungen des letzten Krieges nicht so rasch hinwegkommen, so erweisen sich die tapferen Kommandanten von ehedem doch immer mehr als friedfertige Unterstützer des neuen Regiments; sie benutzen den Einfluß, den ihre Kriegstaten ihnen bei ihren Landsleuten verschafft haben, zugleich in deren und der neuen Regierung Interesse dazu, die Gegensätze zu mildern und die Buren in die richtige Stellung den neuen Verhältnissen gegenüber zu bringen. Wie einst alle Welt den patriotischen Wagemut der Bot-Ha, Delarey und Dewet anerkannte, so werden jetzt ihre Bemühungen um die Anbahnung eines möglichst guten Einvernehmens zwischen Bur und Brite als ein Beweis dafür gewürdigt werden müssen, daß sie wirklich das Beste ihres Volkes und das Aufblühen Südafrikas wollen. Delarey wandte sich in einem Aufruf an die Burghers und forderte sie in demselben auf, der neuen Regierung ebenso gute Bürger zu sein, wie sie es der alten waren.

Für die im Jahre 1904 iu St. Louis stattfindende Weltausstellung hat jetzt der Reichskommissar, Geheimer Oberregierungsrat Lewald, das allgemeine Aus stellungspro- gramm und die Klassifikation der Ausstellungsgegenstände der Öffentlichkeit übergeben, wobei er für die schwierige Aufgabe der Ausgestaltung der deutschen Abteilung die Unterstützung der beteiligten Kreise erbittet. Bei der Kürze der für die Vorbereitungen zur Verfügung stehenden Zeit muß der Schluß der Anmeldungsfrist auf den 1. April 1903 festgesetzt werden, damit genügend Zeit für die allgemeinen Anordnungen, die Platzverteilung und Fertigung der deko­rativen Entwürfe verbleibt.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 29. Jan. Am Bundesratstisch: Die Staatssekretäre Graf Posadoivsky und Nieberding. Das Haus und die Tribünen sind gefüllt. Es herrscht allgemeine Bewegung. Vizepräsident Stol- berg eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 20 Min. Nach Eintritt in die Tagesordnung wird zur Neuwahl des Präsidenten geschritten. Unter lautloser Stille verkündet Vizepräsident Stolberg das Er­gebnis der Wahl. Abgegeben wurden insgesamt S85 Stimmzettel, darunter 89 weiße, einer für Ahlwordt und 195 für den Grafen Ballestrem. Letzterer ist somit gewählt. Vizepräsident B ü s i n g fragt den anwesenden Grafen Ballestrem, ob er die Wahl annehme.

1903.

Graf Ballestrem erklärt, gestützt auf das Vertrauen der Majo­

rität nehme er die Wahl dankend an. (Bravo.) In erster und zweiter Beratung werden angenommen das zwischen dem Reich und Italien geschlossene Abkommen zur Abänderung des Ueber- einkommens betreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Marken­schutz, sowie das zwischen dem Reich und der Schweiz geschlossene Abkommen zur Abänderung desselben Ueberem- kommens.

Wurttembergischer Landtag, r. Stuttgart, 29. Jan. Die Kammer der Abgeordneten nahm heute Nachmittag ihre Beratung wieder auf und erledigte in nicht ganz einstündiger Sitzung verschiedene Eingaben im Sinne der An­träge der Petitionskommisston. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedachte Präsident Payer des verstorbenen Abg. Rath-Münstngen und vereidigte den an die Stelle des zum Oberhofprediger ernann­ten Prälaten Schwarzkopf getretenen Prälaten Wunderlich.

Gcrges-NeurgkeiLen.

Aus Stobt und Land.

Nagold, 30. Januar.

Warnung! Der Württembergische Schutzverein für Handel und Gewerbe schreibt: Neuerdings haben sich ver­schiedene Personen wieder über ihren Hereinfall bei norddeutschen und bayrischen Wäsche-Detailreisenden be­schwert. Diese Reisenden machen dem Publikum vor, es handle sich um eine besonders vorzügliche Qualität, was der Wahrheit nicht entspricht. Waren von dieser Beschaffen­heit sind in jedem Platzgeschäft für den halben Preis zu haben. Sodann hausieren zurzeit wieder die Angestellten verschiedener norddeutscher Kunstanstalten mit Haussegen im Lande herum. Dieselben geben an, im Auftrag eines Krüppelheims zu reisen und appellieren an die Wohltätig­keit der Bevölkerung. Endlich wurde uns in letzter Zeit eine Bettdecke übergeben, welche der Hausierer eines Stutt­garter Abzahlungsgeschäfts um den Preis von 12 ^ ver­kauft hatte. Der wirkliche Wert beträgt höchstens 3 Also Vorsicht! Man weise diesen Hausierern im eigenen Interesse die Türe!

Militärisches Oekonomie-Haudwerkerwesen. Zur Be­kämpfung des militärischen Oekonomiehandwerkerwesens be­reiten die deutschen Handwerkskammern gemeinsame Schritte vor, nachdem die Beschwerden und Eingaben einzelner Ge­werbe-Organisationen bisher keinen Erfolg hatten. In einem an die Handwerkskammern und Jnnungsverbände erlassenen Rundschreiben heißt es u. a.:

Es handelt sich darum, einen Mißstand, einen Krebs­schaden auszumerzen, an dem vornehmlich das Schneider­und Schuhmacherhandwerk, ferner auch die Bäcker, Sattler, Schmiede, Schlächter, Barbiere und Bauhandwerker aller Art schwer zu leiden haben. In erster Linie dürfte das System der Oekonomiehandwerker überhaupt zu bekämpfen sein, sodann ist die auch sonst dem Handwerk seitens der Militärbehörden bereitete Konkurrenz einzudämmen. Es soll zunächst Material gesammelt werden, das ein entschie­denes geschlossenes Vorgehen des Handwerks gegen das Ockonomiehandwerkersystem rechtfertigt."

Die Handwerkskammer Stuttgart hat sich den Bestre­bungen angeschloffen und sammelt zurzeit geeignetes Ma­terial.

WenezoLccnisches Leben.

Rot und grün schimmernde Berge tauchen aus dem Wasser hervor, welches sich hinter mir in blauer Unendlich­keit ausbreitet.

Venezuela, meine neue Heimat!

Vor meinen Blicken dehnten sich die langgestreckten Küstenberge nach Osten und Westen aus. Dichtbewaldete Abhänge erstreckten sich bis ans Meer hinunter, dort, wo die Vegetation fehlte, schimmerte der nackte felsige Boden in roter und grauer Färbung. Zerrissen und zerklüftet, mit ihren warmen Farbentönen bietet die Küste ein gar malerisches Bild. Schon ist La Guayra sichtbar. Ein Gewirr Heller und dunkler Vierecke, eingefaßt von gelben und rötlichen Strecken. Die Stadt dehnt sich am Strande in einem mäßigen Halbkreise aus, steigt an der Berglehne in die Schlucht des FlüßchensLa Guayra" hinauf und verliert sich in den Anfängen des Waldes. Der erste Ein­druck, den man von La Guayra von der Seeseite aus hat, ist ein malerischer, hübscher. Ist man jedoch erst einmal inder Hölle" gewesen, so fühlt man sich tief enttäuscht. Nach verschiedenen Forschern bedeutet La Guayra Hölle und soll ein Wort indianischen Ursprungs sein.

Der Dampfer legt am Pier an, nachdem die Formali­täten mit dem Regierungsboot erledigt sind. In dem Schuppen, der auf dem Pier errichtet ist, erwartet uns eine Menge schreiender und gestikulierender brauner und schwarzer Burschen, die schon auf den Moment warten, wo

sie sich unseres Gepäcks bemächtigen können. Fernerwartete noch ein Zug, der uns für den unerhörten Preis von zwei Bolivares bis zum 500 Meter weit entfernten Stations­gebäude brachte. Für das Hinübertragen des Gepäckes zum Hotel sollte ich weitere 5 Bolivares bezahlen, hielt jedoch diese Arbeit mit weiteren 2 Bolivares für genügend belohnt.

La Guayra bietet absolut nichts sehenswertes, es ist schmählich heiß, so daß einem die altindianische Bezeichnung Hölle" als vollkommen gerechtfertigt erscheint. Gleich am ersten Tage kletterte ich zum Fort hinauf, welches auf einem Bergvorsprung gelegen, den ganzen Hafen und die Stadt beherrscht. Es scheint aus mächtigen gelben Qua­dern gebaut zu sein; tiefe dunkle Furchen zeigen uns, wie man die gewaltigen Blöcke aufeinandergetürmt hat, dräuend blicken die Mündungen zahlreicher Geschütze über die Brust­wehr, hin- und hergehende Soldaten lassen ans eine gute Besatzung schließen.

Und wenn man sich nähert, so wird das drohende un­einnehmbare Fort zu einem Nichts. Man kann sich eines Lächelns nicht enthalten, wenn man sich die Mauern an- fieht. Lehmwände, von außen mit gelber Farbe bestrichen und mit Längsstretfen versehen, welche die Furchen andeuten. Die Kanonen und sonstigen Geschütze entpuppen sich als ein Haufen harmloses altes Eisen.

Die Soldaten, die hier in Garnison waren, wie sahen die Kerle aus! Zerlumpt, abgerissen liefen sie umher, alle Schattierungen der Hautfarbe waren vertreten, und ebenso mannigfaltig wie ihre Kleidung war auch ihre Be­

waffnung. Der Kommandant des Forts erkundigte sich sehr höflich nach meinem Befinden, gegen Zahlung eines Pesos war er bereit, mir das ganze Fort zu zeigen. Ich opferte einen Peso, verzichtete jedoch auf eine weitere Be­sichtigung, umsomehr, da es schon spät geworden war.

Hinter mir verschwand die Sonne in den Bergen. Der ganze westliche Horizont strahlte wie in goldenem Feuer, über mir war der Himmel blau und färbte sich im Osten grünlich. Vor dem grünen Hintergründe schwebten Wölk­chen, gelb und rot getönt durch den Reflex des westlichen Himmels. Langsam senkten sich weiße Nebel von den Bergen herab, drückten sich in die Täler und füllten die Schluchten. Aus den Wogen des Nebelmeers ragten schwarzblaue Bergspitzen hervor. Sie waren in leise Nebel­schleier gehüllt, die wie Gold und Silber aufleuchteten, wenn die Sonnenstrahlen die zitternden Massen küßten.

Die Sonne sank, und mit einem Schlage veränderten sich die Farben. Ein rötlicher ungewisser Schimmer lag über dem Ganzen. Die leichten Nebelschleier leuchteten wie schimmerndes Wasser. Die schwarzen Umrisse der Berge hoben sich klar und scharf gegen den grünlich-blauen Himmel ab; am westlichen Horizont schimmerte ein breites Band leuchtenden Goldes, dessen Funkeln das ruhig wogende Meer reflektierte.

Am nächsten Tage kaufte ich mir ein Billet nach Caracas. Die Bahn führt anfangs am palmenumsäumten Strande hin bis zu dem Palmenwäldchen von Maiqueta, und wendet sich dann im Tale der Maiqueta aufwärts. Man hat von dort eine wundervolle Aussicht auf La Guayra