78 . Jahrgang.

Erscheint

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Da« Planderstübchc^ und

Schwab. Landwirt.

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Nagol-, Freitag -en 7. November

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Amtliches.

Die Ortsbehörden

werden auf die Minist.-Verfügg. vom 16. Oktober 1902 betreffend die Durchführung der zum Schutze der Bauarbeiter gegen Gefahr für Leben, Gesund­heit und Sittlichkeit gegebenen Vorschriften (Reg - Bl. S. 549) zur genauen Nachachtung hingewiesen.

Zugleich ist den Baukontrolleuren unter Eintrag in das Schultheißeuamtsprotokoll von dieser Ver­fügung behufs pünkltichen Vollzugs derselben Kenntnis zu geben.

Nagold, den 5. November 1902.

K. Oberamt. Ritter.

WoMische Hleberrsicht.

Die französischen Spielwarenfabrikanten und deren rühriger Präsident Rouffel sind eifrig bestrebt, diese Indu­strie zu heben. Die Bemühungen, in Paris eine Jahres­messe nach dem Vorbild derjenigen von Leipzig und Nischni-, Nowgorod zu schaffen, sind bereits soweit gediehen, daß die Veranstaltung der ersten Messe, die 15 Tage währen soll, für das nächste Frühjahr geplant wird. Zu der Ausstellung, auf der der Einzelverkauf untersagt ist, sollen alle Produkte zugelassen werden. Die Urheber des Projekts zählen auf die Unterstützung durch die Regierung und den Pariser Gemeinderat und versprechen sich von der Messe eine glänzen­den Erfolg für die französischen Industrien.

Im englischen Unterhaus erklärte der Parlaments­sekretär Cranborne, Oberst Swayne sei in Berber« etnge- troffen und habe den Obersten Cobbe als Befehlshaber in Bohotle zurückgelassen. Die dortige Garnison befinde sich vollkommen wohl. Der Zustand der Verwundeten sei gut. Premierminister Balfour erklärte, die Regierung sei noch nicht in der Lage, die organisierte Einwanderung nach Südafrika zu ermutigen. Es scheine, daß für den Augen­blick der Zufluß von bäuerlichen Kolonisten am Platz größer sei, als das Land auszunehmen vermöge. Norton (Liberaler) fragte an, ob die Admiralität Kreuzer vom Drake-Typ baue, welche sich mit den schnellsten und am stärksten ge­panzerten Handelszerstörern der auswärtigen Flotten zu messen imstand seien, wie es der russische Kreuzer Novik sei, der 25 Knoten in der Stunde mache. Parlamentssekretäc der Admiralität Förster erwiderte, der russische Kreuzer Novik sei keiner der schnellsten und in Panzerung stärksten Handelszerstörer, sondern ein Kreuzer zweiter Klaffe von 3000 Tons. Die Schiffe der Drake-Klasse seien vollkommen imstand, sich mit einem solchen Fahrzeug M messen. Keiner von den sogenannten Handelszerstörern der Flotte des Aus­

landes besitze eine Schnelligkeit von 25 Knoten. Allan (lib.) fragte an, ob cs nicht Thatsache sei, daß der russische Kreuzer Novik 25 Knoten nicht länger als vier Stunden zu leisten vermöge. Förster erklärte, er habe Grund zu der Annahme, daß diese Behauptung richtig sei. Der Staats­sekretär des Kriegsamts erklärte, am 1. Okt. habe die Stärke der Miliz, ausschließlich der Offiziere und des permanenten Stabes, 104,300 Mann betragen, die Stärke der Frei­willigen 272,957 Mann.

Die Regierung von Nicaragua hat sich die Lösung der sozialen Frage sehr bequem gemacht. In,Zukunft wird es in jenem gesegneten Land keine Streiks mehr geben. Es ist nämlich ein neues Gesetz erlassen worden, welches zunächst bestimmt, daß jede Person, die nicht ein Vermögen von 500 Pesos (400 ^) aufweisen kann, als einArbeiter" anzusehen ist. Ferner wird bestimmt, daß jederArbeiter" einen Arbeitgeber haben muß. Wird ein solcherArbeiter" gefunden, der keine Arbeit hat, so wird er sofort von der Polizei verhaftet, zwanzig Tage ins Gefängnis gesperrt und dann an Regierungsarbeiten beschäftigt, bis sich ein Privatmann seiner erbarmt und ihm Arbeit giebt. Die übrigen Bestimmungen des Gesetzes handeln von Geld­geschäften und zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Elfterer darf letzterem nie Zinsen aufrechnen eine Be­stimmung, die in Anbetracht des mittelamerikanischen Peonen- Systems eine segensreiche genannt werden muß. Streiks sind nach dem neuen Gesetz unmöglich, da ja jeder Arbeiter in Arbeit stehen muß, wenn er nicht eingesperrt werden will.

Parlamentarische Nachrichten.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 5. Nov, Präsident Graf Ballestrem eröffnet die Sitzung 12 Uhr 20. Am Bundesratstisch Graf Posadowsky. Die gestern abgebrochene Debatte über das Kartellivesen wird bei ziem­lich gut besetztem Hause fortgesetzt.

Müller- Sagan (bei der Unruhe des Hauses fast unver­ständlich) erklärt, die freis. Volkspartei werde im Fall der Ab­lehnung des sozialdemokratischen Antrags für den Antrag Barth- Brömel stimmen.

Graf Kanitz führt aus, er beteilige sich ungern zum zweiten Mal an der Debatte, deren Fortsetzung geradezu Obstruktion be­deute. Die Mehrheit warte nur auf ein beschlußfähiges Haus, um der Erörterung ein Ende zu machen. (Hört! hört, links.) Graf Kanitz erörtert dann verschiedene Ausführungen anderer Redner. Die einfache Verlängerung der Handelsverträge auf 12 Jahre sei undenkbar. Mit den bestehenden Handelsverträgen forlzuwirt- schaften sei ein Ding der Unmöglichkeit. Wir haben keine Schutz­wehr gegen die gegenwärtige Krise und gerade um die Wiederkebr solcher Perioden zu vermeiden, brauchen wir einen neuen Tarif und neue Verträge. Nur ein Teil der Kartelle hat eine wirtschaftliche Berechtigung. Gewisse Einschränkungen des Syndikatwesens sind unter allen Umständen erforderlich. Der Freihandel bietet keine Abhilfe, denn in England blüht das Kartellwesen wie bei uns. Die staatlichen Verwaltungen dürfen sich von den Syndikaten nicht die Preise vorschreiben lassen. Der sozialdemokratische Antrag, dem

Die JürMn Wismcrrrck.

(Aus W hitm an, Persönliche Erinnerungen an den Fürsten Bismarck.)

Als ich von Friedrichsruh Abschied nahm, ahnte ich nicht, daß ich die Fürstin Bismarck nicht mehr Wiedersehen sollte. Sie starb in Varzin im November des folgenden Jahres, und ich kam erst nach zwei Jahren, im April 1895, wieder nach Friedrichsruh. Ein schönes Denkmal ist ihrem Gedächtnis durch die Veröffentlichung von Fürst Bismarcks Liebesbriefen gesetzt worden und noch neuerdings durch Herrn von Keudell in seinenEtinuerungen an Fürst und Fürstin Bismarck". Hierin wird uns die Gemahlin des Fürsten Bismarck nicht nur als hingebende Gattin und Mutter ge­schildert, sie zeigt sich uns auch als Frau von weitgehendem Mitgefühl und tiefem Seelenleben, als edles hochsinniges Weib, als ein Vorbild ihres Geschlechts.

Meine Bekanntschaft mit der Fürstin Bismarck beschränkte sich auf meine wenigen kurzen Besuche in der Familie; dennoch fühlte ich -mich von Anfang an lebhaft zu ihr hin­gezogen. Ich bemühte mich, sie zu verstehen, ihre Eigenart zu würdigen, mich ganz in das Wesen dieser herrlichen deutschen Frau zu versenken.

Wenn ich jetzt, wo sie dahingegangen ist, versuche, meine Erinnerungen an eine erhabene Nalur zurückzurufen, so geschieht es, um sie als bescheidenen Blumenstrauß auf den Marmor ihres Grabes zu legen.

Es ist eine angenehme Ausgabe, bei dem Andenken eines sympathischen Wesens zu verweilen, das in unserem Herzen ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit hinterlasien hat. Aber indem wir den Toten unsere Ehrfurcht bezeigen, trachten wir nicht nach dem Beifall der Lebenden. Es ist zu Zeiten ein Gefühl der Genugthuung, allein zu stehen, beiseite in

der Einsamkeit der Nacht und einige Stcinchen zum Bau einer Gedächtnispyramide beizutragen. Eine Stimme sagt uns, wenn der Tag anbricht, wird unser bescheidener Bei­trag offenbar werden und in den Herzen der anderen leben, wie er von Herzen gekommen ist.

Der Mann mag seine Persönlichkeit draußen in der Welt zur Geltung bringen, dem Weibe dagegen ist es be- schieden, innerhalb der vier Wänden eines Heims zu herr­schen. Und die Häuslichkeit spielt eine so beveutende Rolle in dem Leben von Deutschlands großem Kanzler, daß ein Wesen, welches fast ein halbes Jahrhundert ihr Brennpunkt gewesen ist, notwendig für jemanden, der sich mit Bismarcks Leben beschäftigt, selbst bis zu den kleinsten Charakterzügen von dem allergrößten Interesse sein muß. Einfachheit und Lauterkeit selbst die Wände zeugten davon waren die Merkzeichen ihrer Hand. Die ganze Einrichtung des Hau­ses war nach ihrem Geschmack. Es war auch der ihres Gatten; aber wenn es nicht der ihrige gewesen wäre, so hätte es sich dem Beobachter nicht so kundgethan, für den auch leblose Dinge Zeichen für lebendige Gefühle sein kön­nen. Die Fürstin Bismarck kennen hieß sich vergegenwärti­gen, welch eine Fülle von Individualität sich in der bloßen Ordnung eines Haushalts entfalten kann, selbst bei der un­bedeutenden Aufgabe der Zusammenstellung einer Speisen­folge für ein Mahl. Alles war einfach und doch äußerst trefflich und gediegen.

Die Fürstin Bismarck war völlig frei von jeder Selbst­sucht. Ich meine damit nicht, daß sie für Bemühungen, ihr ein Vergnügen zu bereiten, unempfindlich war; denn sie war ein Weib und freute sich der sonnigen Wärme, die von einem mitfühlenden Herzen ausging. Aber Eitelkeit oder andere selbstsüchtige Neigungen kannte sie nicht. Die Hin­gebung an ihren Gatten und ihre Kinder beherrschte ihr

ich eine gewisse Sympathie entgegenbringe, ist undurchführbar. Diese Verhältnisse müssen durch besondere Gesetzgebung geregelt werden. Redner bittet um die Ablehnung des Antrags Albrecht.

Gothein (frs. Agg.) wendet sich gegen die gestrigen Aus­führungen Beniners, Rettich, Spahn und Graf Arinm beantragen Schluß der Debatte. Der Antrag wird gegen die Sozialdemokraten und Freisinnigen angenommen. Es folgt die Abstimmung über den Antrag Albrecht, die auf Antrag Singer namentlich ist. Der Antrag Albrecht wird mit 166 gegen 66 Stimmen abgelehnt. Auch über den Eventualantrag Barth-Brömel wird namentlich ab­gestimmt. Derselbe wird mit 155 gegen 80 Stimmen ab gelehnt. Es folgt die Debatte über den Antrag Albrecht, als S Io in dem Zolltarifgesetz die Bestimmung einzuschaltenWer zur Einrichtung eines Eingangszolls nicht oder nicht in dem geforderten Betrag ver­pflichtet zu sein vermeint, ist befugt, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen."

Stadhagen (Soz.) begründet den Antrag in längerer Rede.

Staatssekretär v. Thielmann bittet um Ablehnung des Antrags, für den seit der Einrichtung der Zollauskunftsstelle kern Bedürfnis mehr bestehe. .,

Abg. Dziembowski (Pole) erklärt sich im wesentlichen für den sozialvemokratischen Antrag, ebenso Abg. Basserma n n (natl.), der sich aber eine Aenderung für die dritte Lesung vorbehält. Mit 131 gegen 112 Stimmen wird dann der sozialdemokratische Antrag abgelehnt.

Stuttgart, 4. Nov. Fortsetzung der gestrigen Volksschul­kommission. Domkapitular Stiegele lehnt für das Zentrum den ganzen Art. 4 ab: die Kirche verlange nur ein Recht der Mitauf- stcht, nicht die ausschließliche Aufsicht; das Gesetz von 1836 gebe ihm noch ein minimales Mitaufsichtsrecht. Kultminister v. Werz­ ck e r verteidigt die Reg.-Vorlage und macht gegen Stiegele geltend, daß die Volksschule keine Einrichtung der Kirche, sondern des Staates sei. Hildebrand - Stuttgart-Amt. Die Regierung gehe in ihrer Forderung nicht weit genug was begreiflich sei von ihrem Standpunkt, da sie den Entwurf eben durchbringen wolle. Der Geistliche sei als solcher nicht der richtige Schulaufseher. Man dürfe nicht bloß in einigen großen Bezirken die Fachaufstcht em- führen, sondern müsse dies im ganzen Lande thun. Er beantrage daher, daß die Bezirksschulaufseher überall im Hauptamt angestellt werden, wobei Geistliche nicht ausgeschlossen sein sollen. Für eme Prüfung könne er sich nicht aussprechen. Bezüglich der Ortsschul­aufsicht stelle er keinen Antrag. Schmidt-Maulbronn beantragt Streichung der Worte:Der Ortsschulaufsicht und" (Abs 2). Die Ortsschulaufsicht sei ein Mißtrauensvotum gegen den Lchrerstand- Ebenso beantragte er Streichung von Abs. 3 und in Abs. 4, der die Schulaufsicht im Hauptamt verlangt, soll das Wortkönnen" durchwerden" ersetzt werden. Sodann soll eingefügt werden :rn einer besonderen Prüfung ihre theoretische und praktische Befähig­ung zur Führung dieses Amtes nachgewiesen haben." Das ser un Interesse der Autorität und Unabhängigkeit nötig und zur Ver­meidung jeder amtlichen Willkür in der Auswahl der Bezirksschul­inspektoren. Bezüglich der Bezirksschulinspektoren als Mitglieder der Ortsschulbehörden schließt sich Schmidt dem Referenten Hleber an und will die Uebelstände durch Streichung der Worte:An Stelle der Ortsschulbehörde" beseitigen. Rembold- Aalen hält an der geistl. Schulaufsicht, die sich wohl bewährt habe, fest wie der größt« Teil des kathol. Volks. Prälat v. Sandberger verteidigt die Ortsschulaufsicht, die Annahme des Antrags Schmidt wäre der Tod des Gesetzes. Er hält die praktische wie theoretische Fähigkeit vieler geistlicher Bezirksinspektoren für erwiesen. Kultminister Weiz­säcker wünscht die Frage einer besonderen Prüfung der Zukunft überlassen zu sehen. Hieber hält es hier für wahrscheinlich, daß auch Lehrer der Gelehrten- und Realschulen sie ablegen und da­durch die Bolksschullehrer ins Hintertreffen kommenwürden. Erwünscht die Ermöglichung des Zugangs der letzt eren zur Hochschule, damit

Leven. Sie besaß eine Gabe, die selbst unter warmherzigen Frauen nicht immer zu finden ist, die Gabe nämlich, ihr Haus auch für ihre erwachsenen Kinder, selbst für die ver­heirateten, angenehm zu machen. Wenn sie fort waren, stand sie mit ihnen in fast täglichem Briefwechsel.

Abweichend von vielen hervorragenden Frauen trachtete die Fürstin Bismarck nicht danach, ein Leben für sich zu leben, oder als Gattin eines großen Staatsmannes sich in die Politik zu drängen und ihren Mann zu beeinflussen. Was er that, war immer wohlgethan. Sie war damit zu­frieden, gänzlich für und durch diejenigen zu leben, die auf ihre Zuneigung und ihr Pflichtgefühl Begriffe, die bei ihr vollständig miteinander zusammenhingen Anspruch hatten. Nicht daß sie von Natur etwa einen beschränkten Jnteressenkreis gehabt hätte, im Gegenteil, die Fürstin Bis­marck besaß sehr vielseitige geistige Interessen. Ueber ihre musikalischen Neigungen hat uns das Buch des Herrn von Keudell unterrichtet. Sie war ferner eine sehr eifrige Lese­rin, und in allem, was sie las, in jedem Lebensgange, fesselte sie das Reinmenschliche, sowohl das Humoristische wie das Pathetische. Vor mir liegt ein Brief von ihr aus Varzin vom 27. Juli 1889. Er ist an eine Berliner Buch­handlung gerichte, von der sie gewöhnlich ihre Bücher be­zog. Sieben Werke schickt sie als gelesen zurück, fünf nennt sie, die sie als noch nicht gelesene behält, und sieben neue bestellt sie. Unter den Schriftstellern, welche in diesem Ver­zeichnis aufgeführt sind, befinden sich Niemann, Wald-Zedt- witz, Maurus Jokai, Juncker, Voß, Wichert, Westkirch, Möllhausen, Bret Harte, Hans Hopfen, Julius Wolfs, Stinde, E. Werner, Conrad, Paul Lindau, Breidenbach, Braddon, Lewald, M. von Reichenbach, Marlitt und Karl­weis. Eine ansehnliche Reihe für jemanden, dessen Haupt­gedanken und Sorgen auf das Hauswesen gerichtet find.