London, 8. Juli. Das Verbleiben Chamberlai ns im Hospital ist wesentlich eine Vorsichtsmaßregel, welche die Aerzte angeordnet haben, da der Minister seine amtliche Thätigkeit augenblicklich nicht wieder aufnehmen kann.
Paris, 8. Juli. Die römische Meldung, wonach Del- caffö seitens der italienischen Regierung Kenntniß von allen Abmachungen über den Dreibundvertrag erhielt, wird hier mit dem Zusatze bestätigt, daß es Italien bisher nicht gelang, für seine tripolitanischen Bestrebungen die Zustimmung aller in Frage kommenden Mächte zu erlangen. Bei aller Sympathie Frankreichs für Italien ist man vorläufig auch am Quai d'Orsay weit davon entfernt, Italien Zugeständnisse zu machen, welche zu ernsteren Complicationen in Nordafrika führen könnten. Als richtig gilt, daß Botschafter Constans, welcher hier täglich mit Delcass« con- feriert, der Tripolisfrage großes Interesse zuwendet und daß nach seiner Rückkehr nach Konstantinopel in etwa vierzehn Tagen diese Angelegenheit daselbst Gegenstand diplomatischer Erörterungen bilden soll.
Madrid, 8. Juli. In Galicien wurden durch furcht-, bare Stürme und Hagelfälle die Ortschaften Chantada Nogueira, Caballeira, Caniza, Cangas, Cotovad und andere zum großen Teil zerstört. Die Eisschicht liegt meterhoch. Viele Menschen und viel Vieh ist getötet oder verwundet. — Der Lloyddampfer Trier ist infolge Nebels bei Corunna gestrandet. Es besteht jedoch Hoffnung, ihn wieder flott zu machen.
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Zum „Erwachen des Zaren".
Die Nachricht einer englischen Zeitung über den Entschluß des russischen Kaisers, politische Reformen vorzunehmen, findet vielleicht eine gewisseErklärung durch den nachstehenden der Westminister Gazette zugegangenen Bericht: „Der neue Minister des Innern, Plehwe, ist ordnungsliebend und in all feinen Handlungen konsequent. Das erste, was er nach seiner Ernennung thai, war, daß er versuchte, Einblick in den Verwaltungsapparat zu gewinnen, der ihm unterstellt worden war. Von bestumerrichteter Seite wird mitgeteilt, daß er alle Veranlassung hatte, mit dem Ergebnis seiner Forschungen unzufrieden zu sein. Sein Vorgänger war ein Lebemann und guter Mensch in dienstlicher Beziehung aber durchaus unfähig. Deshalb überließ er während seiner Amtsverwaltung die dienstlichen Angelegenheiten vollkommen seinen Untergebenen, und diese haben, wie sich jetzt heraus- stellt, sein Vertrauen in schamloser Weise mißbraucht. Das ganze Ministerium des Innern war nicht nur in einem vollständig chaotischen Zustand, sondern die Polizeipartei hatte noch dazu in einer solchen Weise die Oberhand gewonnen, daß man glaubt, in den Zeiten eines Napolen I. und Richelieu zu leben. Die Polizei erhielt unausgefüllte Verhastsbefehle und machte davon, wie die Gefängnisse beweisen ausgiebigen Gebrauch. Der neue Minister verlangte die Liste derjenigen zu sehen, die wegen der Unruhen des letzten Jahres in Haft genommen worden waren. Es sollten ihm verschiedene Ueberraschungen bevorstehen. Er suchte einen Namen heraus und fragte einen hohen Beamten, wo der Verhaftete sei. Man sagte ihm, er sei im Zentralgefängnis. Ohne seine Absicht zu verraten, fuhr der Minister zu dem genannten Gefängnis und fragte nach dem Gefangenen. Man erklärte ihm, ein Gefangener dieses Samens sei nicht vorhanden. Er wurde darauf bei dem Gefängnisvorsteher vorstellig und machte diesen Herrn darauf aufmerksam, daß nach Angabe einer maßgebenden Person der Gefangene im Zentralgefängnis sein müsse. Er erhielt wieder die Antwort, daß sich kein Mann solchen Namens im Gefängnis befinde. Darauf rief er durch das Telefon den betreffenden Beamten an, der ihm die Auskunft gegeben hatte, und verlangte Aufklärung. Der Angerufene bat um Entschuldigung mit dem Bemerken, er habe sich geirrt, der Gefangene befinde sich in einem anderen Gefängnis. Der Minister fuhr sofort dorthin, um genau dieselbe Erfahrung zu machen wie vorher. Ein 3. Versuch hatte ebenso wenig Erfolg und der Minister, der nun merkte, daß man mit ihm spielte, berief sofort den betr. Beamten. Dieser erklärte, so in die Enge getrieben, daß er nicht wisse wo der Betreffende sei. In Wirklichkeit hatte der Beamte sofort als der Minister nach dem Gefangenen fragte, an sämtliche Gefängnisvorsteher telefoniert, daß sie auszusagen hätten, sie wüßten nichts von dem Gefangenen. Als der Minister, der bisher die größte Geduld
gezeigt hatte, erkannte, daß es Zeit sei, zu handeln, forderte er den Beamten auf, sofort seine Entlassung einzureichen. Das war die erste Leistung des neuen Ministers, und er hat seitdem erkannt, daß er auf dem eingeschlageuen Wege fortsahren müsse, und er hat diesen Teil seines Departements gründlich gereinigt."
Vermischtes.
„Ter Kerl lebt ja noch." . . . Aus Heidelberg wird der Frankfurter Zeitung vom 3. Juli über einen höchst merkwürdigen Vorfall berichtet: Ein Vorgang, der sich am 1. Juli hier abgespielt hat, dringt jetzt trotz aller Versuche, ihn zu vertuschen, in folgender Form in die Oeffentlichkeit: Nachmittags versammelten sich 6 Studenten in der Wohnung eines von ihnen, eines jungen Mediziners, und beschlossen, einer gewissen Weibergeschichte durch ein amerikanisches Duell einen würdigen Abschluß zu geben. Nachdem zwei von ihnen ausgelost waren, losten diese beiden unter sich, und die schwarze Kugel traf den jungen Mediziner, den Besitzer des Zimmers. Dieses 19jährige Bürschchen — es soll der Sohn eines höheren Beamten in Karlsruhe sein — wurde von dür übrigen bedeutet, seinem Leben zwischen 6 und 8 Uhr ein Ende zu machen; er durfte zwischen drei ihm „vorgelegten" Todesarten wählen und entschied sich für das Oeffpen der Pulsadern. Nachdem einer der jungen Leute die künftige Totenmaske des Verurteilten, sowie die des Studenten, der vorher mitkonkurriert, gezeichnet und diese Kunstwerke zu beiden Seiten eines Schädels auf dem Tische untergebrachl hatten, entfernten sich die Fünf. Gegen 8 Uhr verlangte der Hausherr, der vielleicht ungewöhnliches bemerkt hatte, Einlaß in das verschlossene Zimmer des Studenten. Der junge Mann antwortete, er fühle sich zu schwach, die Lhüre zu öffnen. Doch gelang es ihm endlich, aufzuschließen. Zu seinem Entsetzen fand der Hausherr das Zimmer über und über mit Blut besudelt. Der junge Mann hatte eine Anzahl tiefer Schnittwunden im Arm und eine am Halse, die sich der Unglückliche mit einem Instrument aus seinem medizinischen Besteck beigebracht hatte. Sofort wurden zwei Professoren der Medizin herbeigerufen. Während der Hausherr, die Herren erwartend, bei dem Schwerverwundeten Wache hielt, erschien einer der Studenten, um zu erfahren, ob das „Urteil" vollstreckt sei. Da er noch Leben in dem „Verurteilten" sah, stieß er ihn mit dem Fuße ans Bein und sagte verächtlich: „Pfui, der Kerl lebt ja noch, der hat ja nur gestupst!" Der junge Mediziner wurde in die Klinik gebracht und befindet sich heute außer Lebensgefahr. — (Diese Geschichte klingt so ungeheuerlich, daß wir sie nicht gleich nach Bekanntwerden wiedergeben wollten; da sie aber jetzt in Nachfolgendem richtig gestellt wird, bringen wir sie doch nachträglich, um darzuthun, was die Sensationslust nicht alles hervorbringt. D. R.)
Aus Heidelberg wird nämlich dem N. T. .unterm 7. ds. dazu geschrieben:
Dem hier umlaufenden Gerücht von einem amerikanischen Duell liegt laut Heidelberger Tageblatt nur die Tyatsache zu Grunde, daß ein junger Student aus Liebesgram seinem Leben ein Ende zu machen suchte. Alles weitere, was sich die Frankfurter Zeitung, bezw. die Berliner Blätter, die den Artikel übernommen haben, über diesen Vorfall berichten ließen, ist reines Phantasieprodukt. — Nach Feststellung des Thatbestandes durch die Staatsanwaltschaft handelte es sich um den Selbstmordversuch des Studenten Berbling er aus Karlsruhe. In der hiesigen Studentenschaft fühlt man sich durch den Sensationsartikel allgemein betroffen und erhebt entrüstet Protest.
D'heilig Kindheit. Kürzlich hat ein Karlsruher Kaplan, Herr Kromer, sich über die ausgeschnittenen Kleidchen der Schulmädchen entrüstet. Köstlich und treffend empfiehlt nun der dortige Volksfreund dem gestrengen Herren das nachstehende Gedicht eines Freiburger Dichters, das sich in dem ausgezeichneten Merkchen „Dannezapfe us em Schwarzwald" von August Günther findet: Es ist betitelt:
D'heilig Kindheit.
D'r Pfarrv'rweser kummt in Schnei;
'r macht e finschder Gsiecht.
's Mecrröhrli legt d'r uf d'r Stuel,
Des git e böst G'schiecht!
Herrschaft, wie ferchde d'Büewli sich!
Sie merke d' G'widderwolk.
„Pfui!" rüeft 'r „pfui au! Schämme-nü-ch!
Ihr sin e suwers Volk!
Mit Maidili, potz Höllebrand,
Hen ihr jo badet gescht!
Du bischt d'rbi gsie, Ferdinand'
G'stand's, oder 's git Arrescht!"
„Io", sait d'r Ferdili, „i bin
D'rbi gsi; doch ich ha
Nit g'wißt, daß Maidili drunter sin,
's het keins e Röckli g'ha."
Ja, fügt der Volksfreund bei, so ist die Kindheit. Und darum soll man die Kinder nicht ganz unnützigerweise auf Dinge aufmerksam machen, an welche das unschuldige Kindergemüt sonst gar nicht denkt.
Landwirtschaft, Handel und Verkehr.
—t. Berneck, 9. Juli. Der gestrige Markt war zwar mit Vieh gut befahren, doch ging der Handel nicht besonders lebhaft vor sich. Am besten war der Umsatz in fetten Ochsen, die zu guten Preisen von Händlern aufgekauft wurden; in allen übrigen Viehgattungen wurde nur vereinzelt gehandelt. Teuer waren die Schweine, von denen übrigens nicht besonders viel zugeführt waren. Milchschweine galten 28—38 Läufer bis 80 ^ das Paar.
r. Stuttgart, 8. Juli. (Schlachtvieh markt.) Zugetrieben wurden: 27 Ochsen 92 Farren 132 Kalbeln und Kühe 247 Kälber 397 Schweine. Unverkauft blieben: — Ochsen 33 Farren 59 Kalbeln und Kühe — Kälber 49 Schweine. Erlös aus Schlacht
gewicht: für Ochsen 71—73 Farren 55—59 Kalbeln und Kühe 35—66 ^s, Kälber 77—87 -4, Schweine 59—69 -si: Verlauf des Marktes: Verkauf lebhaft, Tendenz fest.
Stuttgart, 7. Juli. (Landesproduktenbörse.) Seit unserem letzten Berichte ist im Getreidegeschäft keine Aenderung eingetreten. Weizen war an den amerikanischen Börsen kleinen Schwankungen unterworfen, doch konnte sich effektive Ware im Preise gut behaupten. Von Rußland ist wenig Angebot und fehlen hauptsächlich Offerte in prima Qualitäten. Trotz der günstigen Witterung besteht feste Stimmung. Wir notieren per 100 Kilogramm frachtfrei Stuttgart, je nach Qualität und Lieferzeit: Weizen württ. ^ 17.—18.—, dto. Ulka 18.—18.50, dto. Rostoff Azima 18.-18.50, dto. Walla-Walla 18.50, dto. Laplata 18.25—18.75, dto. Amerikaner 18.50—18.75, dto. Kalifornier 18.75—19.—, Kernen Oberl. 18.50—18.75, Dinkel 12.50—13.—, Roggen württ. 15.-15.50, dto. russ. 16.-16.25, Hafer Oberl. 18.-18.50, dto. Unter!. 17.50 bis 18.—, Mais Laplata 13.-13.25, dto. Donau 13.-. Mehl- preise pro 100 Kilogr. incl. Sack: Mehl Nr. 0 : 29.—29.50, dto. Nr. 1: 27.-27.50, dto. Nr. 2: 25.50-26—, dto. Nr. 3: 24. bis 24.50, dto. Nr. 4: 21.—21.50. Suppengries 29.—29.50, Kleie 9.50.
Konkurs-Eröffnungen. Göppingen: Wilhelm Friedrich Schneider, Inhaber der „Göppinger Sieb- und Drahtwarenfabrik" : Apollonia Schneider geb. Schurr, Witwe des Drahtwebers W. F. Schneider. Marbach: Johann Räuchle, Weingärtner von Helfenberg, nach Amerika entwichen. Nagold: Philipp Buob, Rotgerber in Altensteig-Stadt. Ulm a. D: Angelika Mailänder, Flaschenbierhändlers Witwe.
Auswärtige Todesfälle.
Z uf fen h a us en - Buh l b ach: Emil Böhringer, Glasfabrikant. Kirchhausen: Mathilde Loh müler, geb. Seeli.
Litterarisches.
Soeben erscheint der Jahrgang 1901 der württembergischen Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, herausgegeben von dem K. Statistischen Landesamt. Ladenpreis 3 ^ Er enthält unter anderem folgende Aufsätze: Die Vermögenssteuer (Bethe) in der Reichsstadt Schwäbisch Hall. Von Finanzamtmann Fromlet. Geschichte des Ritterstifts Komburg. Von Finanzrat H. Müller. Die Grundstücksveräußerungen in Württemberg 1897 und 1898. Von Finanzassessor Dr. Trüdinger. Rechtsgeschichtliches aus Gmünd. Von Gymnafial-Rektor Dr. Bruno Klaus. Der Dinkel und die Alamannen. Mit 1 Karte. Von Universitätsbibliothekar Dr. Rob. Gradmann. Die Bewegung der Bevölkerung Württembergs im Jahr 1900. Von Finanzrat Dr. Losch. Der württembergische Obstbau. Von Finanzassessor Dr. Trüdinger. Die forststatistischen Erhebungen im Jahr 1900. Mit 1 Karte. Von Direktor H. v. Zeller.
Zu beziehen durch die V. HV. »»»««r'sche Buchhandlung.
Hiezu der „Schwäbische Landwirt" Nr. 13.
Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchdruckerei (Emil Zaiser) Nagold. — Für die Redaktion verantwortlich: K. Paur.
Amtliche und H'niVuL-Wekunntrnuchungen.
Fischwafferverpachtrmg.
Das staatseigentünüichc Fischwasfer (Forellenwasser) in der Großen Enz oberhalb Enzthal Enzklönerle von der Quelle derselben bei Gompelscheuer bis zur Einmündung des Rohnbach's auf 2,7 Klm. Länge samt den Nebenbüchen Poppelbach (vom Poppelsee abwärts), Kaltenbach (vom Kaltenbachsee abwärts), Laubach, Süßbächle, Rohnbach, Hirschbrunnen und Lappach mit ca. 9 Klm. Länge wird
Mittwoch, -en 3«. Juli d. Js.
nachmittags 2 Uhr
auf dem Rathaus in Enzthal 'auf die 12 Jahre 1. September 1902—1914 im öffentlichen Aufstreich neu verpachtet.
Pachtliebhaber werden hiezu eingeladen.
Altensteig, den 7. Juli 1902.
K. Kameralamt:
Schmidt.
Mstten-Karten fertigt 6l. Kaiser.
Oberschwandorf.
Ein erstmals 10 Wochen trächtiges
Mutter- schwei«
(Blauscheck) verkauft am Samstag, IS. Juli
Thomas Schmidt.
Unterjcttingen. Ein zum erstenmal 13 trächtiges
Wochen
hat zu verkaufen
Balthas Wolfer.
^Sankkredit, Wechseldiskont, Be- ^ü)triebs- u. Hypothekenkapital rc. streng discret in jeder Höhe.
W. Hirsch Verlag, Mannheim.
LuÄhan-lnng.