42
durchaus keinen andern Hintergedanken. Der Etat wird im übrigen ohne erhebliche Debatte genehmigt.
Frankfurt, 23. Jan. In Sachen der „gefälschten Akten- stücke" geht der N. Fc. Pr." aus Brüssel folgende Mitteilung zu: Selbst die eingeweihtesten Diplomaten geben vor, nicht klug zu werden aus der merkwürdige» Geschichte der „gefälschten diplomatischen Dokumente." Das Unbegreifliche der Sache liegt keineswegs in der Fraae, wer Interesse an der Fälschung Halle und welche Mittelsperson die betreffenden Dokumente in die Hände des Zars gespielt, sondern in dem Umstande, daß die offiziellen und offiziösen Notizen sich stets des Ausdruckes „gefälschte Dokumente" bedienen, obgleich sie nicht unterlassen, hinzuzufügen, daß gar kein Briefwechsel zwischen dem Prinzen Ferdinand von Bulgarien mit der Gräfin von Flandern stattgefunden, wie auch das dem Prinzen Reuß zugeschriebene Dokument nie abgesendet worden sei. Wäre dem wirklich so, warum bedient man sich absichtlich und kontinuierlich des Ausdruckes „gefälschte Dokumente", anstatt kurz und bündig sie als erfunden und falsch zu erklären? Einer der aus- wärtigen hiesigen Vertreter, dessen Regierung großes Interesse hat. die wirkliche Natur der gegenseitigen Beziehungen der drei nördlichen Großmächte zu kennen und mit ungeteilter Aufmerksamkeit alle, selbst die geringsten Symptome zu verfolgen, meint heute: Wenn nicht erlauchte Persönlichkeiten, und zwar solche, die einem gewissen Throne zunächst stehen, in dieser Angelegenheit kompromittiert sein würden, so daß die Enthüllung die ernstesten Folgen nach sich ziehen würde, so wären der Zar und Fürst Bismarck sicherlich nicht übereingekommen, die Namen der Fälscher und die der übrigen Mittelspersonen zu verschweigen. Gewisse russische Blätter ließen übrigens zwischen den Zeilen lesen, daß etwas Wahres an der Sache ist. „N n'^ a pss äe kumöe 8SN8 keu."
— Das „Berliner Tageblatt" erfährt aus San Remo vom 23.: „Mackenzie reist Ende nächster Woche hierher. Im Kehlkopfe des Kronprinzen befindet sich ein abgestorbener Knorpel, welcher beseitigt werden muß und dessen Exstirpation Mackenzie wahrscheinlich vornehmen wird. Es ist wahrscheinlich , daß eine abermalige Konsultation bedeutender Autoritäten gleichzeitig in San Remo stattfindet, damit ein definitives Urteil über den Charakter des Leidens abgegeben werde. Ein solches Gutachten ist auch deshalb erwünscht, um festzustellen, wann der Kronprinz nach Deutschland zurückkehren kann. Die Persönlichkeiten der Autoritäten, um die es sich handelt, sind noch nicht festgestellt. Die Unterhandlungen darüber sind aber im Gange."
Frankreich.
Paris, 23. Jan. Der „Agence Havas" wird aus Nancy gemeldet: „Ein französischer Jäger überschritt aus der Jagd im Gebiete von Trieux tue deutsche Grenze, weil er das Zeichen eines deutschen Douaniers als eine Aufforderung sah, zu diesem zu kommen. Der Douanier nahm dem Franzosen, welcher sich thätlich widersetzte, gewaltsam das Gewehr ab." — Nach dem „Figaro" heißt der Franzose Nicolas Barberot, wohnt in Audun de Roman, ist 71 Jahre alt und war früher Forstschutzwächter in Diensten des Herrn v. Wendel, Hüttenbesitzers in Hayingen und Reichstagsabgeordneten von Diedenhofen. Barberot war benachrichtigt, daß ein Rudel Wildschweine auf der Markung von Trieux, einige Kilometer von der Grenze, sich aufhielt, und ging mit Gewehr und Hirschfänger auf ihre Verfolgung aus. Nahe der deutschen Grenze bemerkte er einen deutschen Zollwächter, der ihm winkte, er solle Herkommen. Barberot, der meinte, der andere wolle ihm
Die Rätin entfaltete den Brief wieder, und ebenso langsam wie vorhin las sie den Brief noch einmal durch.
„Nun?"
„Kein Gruß für Dich. Dein Name in gar nicht genannt."
„Gar nicht?"
Das klang so tief traurig, so bitter enttäuscht, daß die alte Dame ihre Pflegetochter erstaunt ansah. Sollte Else — ? Doch nein, das war nicht möglich. Und doch-
„Was kann Dir daran "liegen, Kind? Ist er Dir doch gerade so gleichgültig, wie Dl! ihm."
„Gleichgültig! Mir ist er nicht gleichgültig!" Ich — ich — hasse ihn ja!" rief Else, aber der Ton war nicht so zuversichtlich wie vor wenigen Tagen, und als sie die forschenden Blicke der Geheimrätin auf sich gerichtet sah, da eilte sie aus dem Zimmer.
Kopfschüttelnd sah ihr die alte Dame nach.
„Ich glaube gar, das Kind ist in Gustav verliebt!"
Else war unterdessen in den Garten gegangen. Hier saß sie nun in ihrer Lieblingslaube, derselben, in der sie dem Doktor gesagt, daß sie ihn hasse. Was war das nur? Warum wollten ihr die Worte nicht aus dem Sinn, die die Tante vorhin gesprochen? „Ist er Dir doch so gleichgültig, wie Du ihm." Sie war ihm also gleichgültig! Ja gewiß, sonst hätte er doch in seinen Briefen einmal ihrer gedacht. Sie war aber seiner Beachtung gar nicht wert! Welches Interesse konnte auch sie, das Kind, für ihn haben? Er verachtete sie, und sie — nun, sie haßte ihn! Was konnte ihr also daran liegen, daß er sie ignorierte? Die Tante hatte ganz recht, es war völlig gleichgültig.
Zu diesem Endresultat war sie gekommen; aber trotzdem sie es sich immer und immer wiederholte, wollte sich doch die alte Heiterkeit nicht wieder einstellen.
Die alte Dame, der dieser Seelenzustand ihres Lieblings sehr zu Herzen ging, faßte endlich einen heroischen Entschluß.
„Ich muß dem Jungen einmal schreiben, wie es hier steht." Und dieser Gedanke gedieh zur That.
Wer aber malt iyr freudiges Erstaunen, als sie auf ihr langes Schreiben folgende lakonische Antwort erhielt:
„Liebe Tante, — daß Else mich liebt, wußte ich längst, wer ist dagegen blind? Aber daß ich sie liebe, das weiß ich erst, seit ich ihre blitzenden Augen nicht mehr sehe, ihre trotzigen Worte nicht mehr höre. Verrate ihr jedoch nichts. Die kleine Festung soll sich von selbst ergeben, und sie wird es, verlaß Dich auf mich!" —
Die Rätin hatte eine viel zu hohe Meinung von ihrem gelehrten Neffen, als
die Fährte der Sauen zeigen, ging ohne Arg vor, und als er drüben über der Grenze war, warf sich der Zollwächter auf ihn und wollte ihm sein Gewehr entreißen. Bei dem Kampfe, der sich entspann, wurde Barberot^zu Boden geworfen, der Zollwächter kniete ihm auf die Brust und nahm ihm das geladene Gewehr ab. Ein Einwohner von Trieux, der mit einem Düngerwagen vorbeisuhr, hörte das Geschrei Barberots, lud ihn auf und führte ihn nach Hause. Während dieser Zeit trug der Zollwächter das Gewehr nach Pommerange, wo er stationiert ist. — An die Presse ist vorerst die Parole ausgegeben, sich durchaus zu mäßigen. Der Minister des Innern telegraphierte vormittags an den Präfekten in Nancy, damit er durch den Unterpräfekten in Briey eine Untersuchung anstellen lasse. — (Etwas anders berichtet den Fall die Lothringer Zeitung: Am Samstag bemerkte Grenzaufseher Hahnemann vormittags zwischen Lommeringen und Jentsch einen auf deutschem Gebiet jagenden Mann namens Barberot, beschloß dessen Verhaftung, setzte demselben nach und traf ihn einige Schritte vor der Grenze auf deutschem Boden. Da Barberot energisch Widerstand leistete, entstand ein Ringen, welches mit der Entwaffnung Barberots endete. Heute begaben sich Kreisdirektor Killinger und Kommissär Keller von Diedenhofen nach dem Thatort behufs Erhebungen.)
Paris, 23. Jan. In einer Anarchistenversammlung in Havre feuerte ein Teilnehmer der Versammlung namens Lucas 2 Revolverschüsse auf Louise Michel ab. Eine Kugel drang hinter dem Ohr der letzteren ein und scheint eine schwere Verwundung verursacht zu haben. (Nach einer späteren Dep. des Frkf. Journ. will sich die letztere Vermutung nicht bewahrheiten. D. R.) Lucas wurde verhaftet.
Italien.
Rom, 23. Jan. Bei Debeb erfolgte ein Zusammenstoß der Italiener, welche ihre Rekognoszierung bis Halah ausgedehnt hatten, mit dem Feind. Die Reservebrigade wird demnächst von Neapel nach Massauah abgehen. Das gestrige Gerücht einer Niederlage der Italiener auf der Affenebene wird von der Quästur dementiert.
Wcrges-Weuigkerterr.
Calw. Wie der „Staatsanz." erfährt, haben die bürgerlichen Kollegien dem Hrn. Archivrat vr. Stälin in Stuttgart für seine „Geschichte der Stadt Calw" das Ehrenbürgerrecht verliehen.
Stuttgart, 22. Jan. Dem Frkf. I. schreibt man von hier: Von großem Interesse ist ein Besuch des hiesigen Telephonamts, wo seit heute, Dank der persönlichen Initiative des Ministerpräsidenten, eine neue sinnreich konstruierte Umschalteinrichtung in Betrieb ist. Der Dienst in dem neuen Bureau ist für die Beamten lange nicht mehr so aufreibend, wie bei dem bisherigen System und vollzieht sich wesentlich leichter, indem das gegenseitige Zurufen der Abonnentennummern, welche Anschluß wünschen, ganz wegfällt. Bei der neuen Einrichtung, welche nach einem amerikanischen Patent hergestellt , das in Europa einstweilen, insbesondere in Belgien, in Betrieb ist, und womit man gegenwärtig auch in Berlin den Versuch macht, wird der Dienst — es sind gegenwärtig etwa 800 Abonnenten zu bedienen — von 4 Beamten besorgt. Jeder hat speziell 200 Nummern zu bedienen. Er sitzt, mit einer Art Haube auf dem Kopf, an welcher ein Telephon an-
daß sie an seinen Worten hätte zweifeln können. Sie wartete daher ruhig auf die Herbstferien, die mußten ja Aufklärung bringen.
Und endlich kam der Tag, der den Doktor bringen sollte; aber noch war keine Nachricht von ihm eingetroffen, zu welchem Zug man ihm den Wagen schicken sollte.
Die Damen saßen in der Laube, da kam der Postbote. Richtig, es war der erwartete Brief. Rasch öffnete ihn die Rätin, überflog die wenigen Zeilen und rief: „Er kommt nicht!"
„Er kommt nicht!
Und in den drei Worten lag eine ganze Offenbarung. Hätte die Rätin noch gezweifeit, jetzt hätte sie überzeugt sein müssen, wie es um das junge Mädchen stand. Zärtlich zog sie den Liebling an sich, und Else ließ es willenlos geschehen.
„Sage Kind, thut es Dir leid, daß er nicht kommt? Vertraue mir, es wird Dich erleichtern!"
Und Else schlang die Arme um den Hals der alten Dame und beichtete ihr Alles. Wie sie sich zuerst über des Doktors Vernachlässigung geärgert, wie sie geglaubt, ihn zu hassen, wie sie nach und nach gefühlt, daß sie ihn liebe, und wie sie gehofft, bei seinem Kommen werde es ihr endlich gelingen, ihren Trotz zu überwinden.
„Siehst Du, Tantchen", schloß das junge Mädchen endlich, „ich war lange mit mir im Unklaren, ob es Haß sei oder Liebe, was ich für ihn fühlte, bis Du mir sagtest, ich sei ihm gleichgültig, da wußte ich, daß ich ihn liebe!"
„Höre ich recht?" fragte da plötzlich eine Männerstimme.
Else wandte sich rasch um und eine tiefe Röte ergoß sich über ihr Antlitz, — denn der Doktor stand vor ihr.
„Ja, hier bin ich, und meine List ist gelungen, die Festung hat sich ergeben. Else, glaubst Du noch, daß Du mir gleichgültig bist?"
Sie sah in seine strahlenden Augen. „Nein", flüsterte sie leise.
Er trat näher und schlang seinen Arm um sie.
„Und jetzt", bat er, „sage mir noch einmal, was der Zufall mir vorhin offenbarte, sag es mir hier, wo Du mir ewigen Haß geschworen."
Sie blickte zu ihm auf. Leise, aber ihm doch deutlich vernehmbar, klang es von ihren Lippen: „Ich liebe Dich!"
„Else, meine Else!"
Sie lag in seinen Armen und die Rätin, die nicht wußte, wie ihr geschehen, weinte heiße Freudenthränen. Lange sprachen die drei Menschen kein Wort. Da endlich sah der Doktor seine kleine Braut lächelnd an:
„Else", sprach er, „nun mußt Du aber alle meine Lieder begleiten."
„Gerne", versetzte sie, leise errötend, „die Liebe hat meinen Trotz besiegt!"