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Amts- und Anzeige-Blatt für de» Gberamts-Bezirk Nazotd.

74. Jahrgang.

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Gratisbeilagen. DaS Plauderstübcheu und

Schwäb. Landwirt.

184.

Auülichrr.

Die Ortsbehörden für die Arbeiterverfichernug

werden beauftragt, die in den Monaten August, September, Oktober im Wege des Umtausches an sie abgegebenen alten Ouittungskarten sofort hierher einzusenden.

Nagold, den 23. Nov. 1900.

K Oberamt. Schöller, Amtm.

Graf Bülow über die Chinawirren.

Im Reichstage hat am Montag die Generaldebatte über den Nachtragsetat anläßlich der Kosten der deutschen China« expedition begonnen und zwar wurde sie mit einer vom deutschen Standpunkt aus gehaltenen Rede des neuen Reichskanzlers Grasen Bülow über daS chinesische Problem eiugrleitet. Man kann gerade nicht sagen, daß diese Aus­lassungen des Grafen Bülow, mit welcher er sich in seiner neuen Eigenschaft als Reichskanzler vor der parlamentarischen Vertretung der Nation einführte, etwas besonders Neues oder Ueberraschrudrs rmhalten hätten, aber sie waren durch­weg klar, verständig und sachlich gehalten. Durch diese Kundgebung deS nunmehrigen leitenden Staatsmannes deS Reiches ist dem deutschen Volke jedenfalls nochmals reiner Wein in Betreff der chinesischen Angelegenheiten eingeschenkt worden. Sehr glücklich war er in der entschiedenen Zurück­weisung des der deutschen Regierung gemachten Vorwurfs, sie habe die blutigen Ereignisse in China nicht vorausgesehen, und der, namentlich von der Sozialdemokratie mit Vorliebe wiederholten Anschuldigung, Deutschland habe durch seine Festsetzung in Kiautschou dir heutige Krisis in China herbei- gefühn.

Im Weiteren gab Graf Bülow eine Art Programm der deutschen Chinapolitik; Deutschland will in Ostasteu durchaus keinen Eroberungskrieg führen und strebt demgemäß auch nicht eine Aufteilung Chinas an; es ist aber entschlossen, seine Rechte und Interessen in China zu wahren und hin­reichende Sühne für die chinestscherseits begangenen Freoel- thaten zu erlangen und wünscht im übrigen möglichst schnelle Wiederherstellung geordneter Zustände im chinesischen Reiche. Hierbei verlas der Kanzler die Vereinbarungen, die von den Gesandten in Peking mit Genehmigung ihrer Regie­rungen getroffen worden find, sie nur hie und da noch durch weitere Mitteilungen ergänzend. Ueber die fernere Entwickelung der chinesischen Frage vermochte der Reichs­kanzler noch nichts bestimmtes vorauszusagen und begnügte er sich mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die Mächte daS vorgesteckte Ziel in China erreichen würden.

Di« Ausführungen des neuen Reichskanzlers bestätigen im allgemeinen nur, was schon bislang als feststehend be­trachtet werden durfte, daß nämlich Deutschland bei seinem Auftreten in China keinerlei utopistischen Zwecke, keine Abenteuerpolitik verfolgt, sondern nur lediglich seine mancher­lei wichtigen Interessen in dem gewaltigen Reiche deS fernen Ostens wahren und zugleich seine verletzte Ehre wieder­herstellen will. Um aber dies zu erreichen, war ein rasches Handeln und ein energisches militärisches Eingreifen in die chinesischen Unruhen nötig; Graf Bülow führte dies deS Näheren auS und kam nun hierbei auch auf die Jndrmnitäts- frage zu sprechen. Offen und ungescheut erkannte er an. daß eS das Recht des Reichstages sei, über die für die Chinaexpedition gemachten Ausgaben zu befinden und darum ersuchte Graf Bülow den Reichstag um die nachträgliche Genehmigung der betreffenden Forderungen, indem er zu­gleich seine Bereitwilligkeit bekundete, das WortIndemnität" eigens noch in die Chinavorlage hinrinbringen zu lassen, während er daneben betonte, er werde in seiner Amtsführung immerdar das verfassungsmäßige Bewilligungsrecht des Reichstages streng achten. Mit dieser geschickten Wendung hat Graf Bülow der Jndemnitätsfrage offenbar die drohende Spitze abgebrochen, es kann nunmehr keinem Zweifel unter­liegen, daß es in dieser Angelegenheit nicht mehr zu einem Konflikt zwischen Regierung und Volksvertretung kommen wird.

Die ferneren Darlegungen des Reichskanzlers waren namentlich der Uebertragung des einheitlichen Oberkommandos in China an den Feldmarschall Grafen Waldersee und dem deutsch-russischen Verhältnisse gewidmet, welch letzteres der Kanzler in recht freundlicher Beleuchtung erscheinen ließ. Im Weiteren versicherte er nochmals, «S falle Deutschland gar nicht ein, in Ostafien auf eine abenteuerliche Politik auszugehen oder überhaupt die Rolle der Vorsehung auf Erden nach dem Beispiele deS Napoleon III spielen zu wollen, solche Tevdenzru würden die Hohenzollern niemals verfolgen, wohl aber solle die überseeische Weltmachtsstellung Deutschlands geschützt werden, und dabei auch seine europäisch« Stellung gewahrt bleiben. Nachdem Graf Bülow noch den hervorragenden Leistungen unserer Heeres- und Flotten. Verwaltung anläßlich der Chinaexpedition, sowieHer vor­züglichen Haltung der deutschen Truppen in China warme

Nagold, Samstag den 84 November

Anerkennung gespendet, schloß er mit der Bitte an den Reichstag, die in dem vorliegenden Nachtragsetat enthaltenen Forderungen zu bewilligen.

Ls kann wohl schon jetzt als zweifellos gelten, daß der Reichstag in seiner großen Mehrheit angesichts der so ent­gegenkommenden und dabei so sachlichen und überzeugenden Rede des neuen Reichskanzlers den Nachtratzsetat für China schließlich genehmigen wird.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 23. Nov. Der Präsident eröffnet die Sitzung um 1*/. Uhr. Das Haus ist g^t besucht. Um Bundesratstisch: der Reichskanzler, der Kriegsminister, Graf Posadowsky und Frhr. v. Thielmann. Fortsetzung der Chinadebatte. Payer (südd. Bp.) verlangt als mindestes Zugeständnis für den durch Nicht- einberufnng des Reichstags begangenen schweren politischen Fehler die Aufnahme des WortesIndemnität" in die Vorlage, da dieses einen scharfen aber notwendigen Tadel für die Regierung enthalte. Redner tadelt, daß vom Bundesrat nichts zu hören war. Der bayrische Bundesratsbevollmächtigte Graf Lerchenfeld entgegnete in längerer Rede. Der Bundesrat wurde nicht im Unklaren über die Chinapolitik gelaffen und auch nicht Übergange«. Dzie m- bowski (Pole) ist mit der Reichspolitik im allgemeinen einver­standen, mißbilligt aber dir vorgekommenen grausamen Aus­schreitungen in China. Stöcker (wild) meint: Die Einberufung des Reichstags war nicht unbedingt nötig. Uebrigens sei die An­gelegenheit doch mit der Zustimmung deS Reichskanzlers zur Auf­nahme des WortesIndemnität" in die Vorlage abgethan. Hodenburg (Welfe) spricht sich für Ueberweisung der Vorlage an die Budgetkommission auS und hält die NichteinberufungSfrage mit den Erklärungen BLlows für erledigt. Singer (Soz.) meint: Die Behandlung des Reichstags im Sommer ist durch daS Ver­halten der Reichstagsmehrheit verschuldet worden. Der Reichstag mußte befragt werden, aber heute ist bei uns nicht mehr der König der erste Diener deS Staates. Die deutsche Politik sei auf das Niveau der rusfisch-ostafiatifchen Politik herabgesunken.

Hages-Hleirigkeiten.

Aus Zta-t u»L Land.

Nagold, 24. November.

Volkszählung 1900. In den Aufnahmelisten für die am 1. Dez. d. I. vorzunehmende Volkszählung werden außer den üblichen Fragen auch solche zu beantworten sein, welche nach erfolgter Zählung zu einer besonderen sozialstatistischen Bearbeitung dienen sollen. Insbe­sondere ist beabsichtigt, die zahlreichen Fälle, in welchen der Wohnort nicht mit dem Arbeitsort zusammenfällt, statistisch aufzunehmen und nach allgemeinen Gesichtspunkten zusammenzustellen. Dieser Fall ist bekanntlich besonders häufig bei Fabrikarbeitern, ^welche in der Nähe einer In­dustriestadt wohnen und in dieser beschäftigt find, aber in einer andern Gemeinde ihren Wohnort haben. Diese Fälle sollen von den einzelnen Bundesstaaten gesondert erhoben und bearbeitet und alsdann zwischen den benachbarten Bundesstaaten, wo dies geboten erscheint, auSgetaufcht werden. So wird sich voraussichtlich Württemberg mit Baden auseinanderzusetzen haben über die Arbeiter, welche in württembergischen Gemeinden ansässig, in badischen In­dustriestädten, wie Pforzheim beschäftigt find. Ferner wird die diesjährige Volkszählung mit einer Erhebung über die mit besonderen Gebrechen behafteten Personen verbunden werden. Im übrigen gleichen die Listen, welche nach Haushaltungen angelegt und vom Haushaltungsvorstand auszufüllen find, völlig denjenigen, welche alle 5 Jahre bei der Volkszählung ausgegeben werden.

Handwerkerkammer. Am nächsten Dienstag 27. dS. vorm. 11 Uhr tritt unsere neugewählte Handwerkerkammer im Rathaus zu Reutlingen zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Als Verhandlungsgegenstände sind vorgesehen: Wahl des Vorstands der Kammer und der 5 Vorstands­mitglieder, Ergänzung der Kammer durch Zuwahl von 4 Mitgliedern und 2 Ersatzmännern. Bestimmung der nach 3 Jahren aus der Kammer ausscheidenden 10 Mitglieder und 5 Ersatzmänner durchs Los, Besprechung über die Wahl d«S Kammersekretärs und die Erledigung besonderer Wünsche und Anträge. Aus dem Obrramlsbezirk Nagold gehören, wie schon früher erwähnt, der Kammer als von den verschiedenen Organisationen gewählte Mitglieder an Malermeister Jul. Hespeler und Schretnermeister Fr. Lutz aus Nagold, sowie Rotgerbermeister Chr. Beck aus Altensteig.

Schwurgericht. Zum Vorsitzenden des auch unser Oberamt umfassenden Schwurgerichtssprengels Tübingen ist über die Dauer des letzten Vierteljahrs 1900 der Land- gerikbtsrat Dr. Kapff ernannt worden. Am Montag 10. Dez. vormittags 9 Uhr werden die GchwurgerichtS- fitzungen eröffnet. _

Vaihingen a. E., 22. Nov. (Korr.) Domänepächter Christian Reininger vom Kirbachhof, Gde. Ochsenbach, OA. Brackenheim, Vater von 6 Kindern, ist gestern nacht auf der Heimfahrt mit seinem Fuhrwerk verunglückt; er wurde tot aufgrfunden.

1S0Y.

Untertürkheim, 21. Nov. (Korr.) In einer Sitzung der bürgerlichen Kollegien wurde der Bau eines neuen Rathauses beschlossen, der auf dem Platz deS alte» er­richtet wird, und auch einen Ratskeller enthält. Die Kosten betragen etwa 200000

Göppingen, 22. Nov. (Korr.) Der verheiratete Möbelfabrikant Robert Roth ist nach Verübung zahlreicher Wechselfälschungen seit letzten Samstag flüchtig.

Ulm, 22. Nov. Es bestätigt sich nun, daß an dem Gefreiten Binder der 11. Compagnie des Jnf.-Regiments Nr. 120, der, wie gemeldet, am letzten Sonntag auf der Heidenhetmer Bahnlinie mit einem abgefahrenen Arm auf- gesunden wurde, ein Verbrechen verübt worden ist. Seitens des Divifionsgericht wurde durch die Untersuchung festgestellt, daß die scheußliche Thal, der eine Schlägerei vorausging, durch mehrere Personen wahrscheinlich zwei auSgeführt wurde; ob es sich dabei um Kameraden des Verunglückten handelt, wie anfänglich angenommen wurde, muß noch ermittelt werden.

Friedrichshafen, 22. Nov. (Korr.) Der Passa- ier, der, wie gemeldet, am letzten Sonntag vor angenargen vom Schiff auS in den See gesprungen war und gerettet wurde, wurde bei der Ankunft in Ror- schach der Polizei übergeben, wo er sich als Geistes­kranker entpuppte.

Laudtagswahle».

Calw, 23. Nov. Als eine irrig« Nachricht hat sich die Kandidatur des Zigarretteafabrikanten Georgii aus Stuttgart erwiesen; ein solcher Antrag ist vielmehr seitens der Volkspartei an den Handelsschuldirektor Spöhrer ergangen.

Besigheim, 23. Nov. Di« Kandidatur Sax ist nach der Neckarztg. hinfällig geworden.

Kirchheim, 22. Nov. Der in unserem Bezirk auf­gestellte Kandidat des Bundes der Landwirte, Stadtgartea- verwalter H iller von Stuttgart, wird von Deutschen Partei unterstützt.

Rottweil, 23. Nov. Die Volksparteikandidatur hat der seith. Abg. Bürk wieder angenommen.

Gericht-saal.

Berlin, 21. Nov. Nach einer Meldung aus Wien konnte der Haftbefehl in Sachen des Prozesses der Harmlosen gegen Herrn v. Kröcher nicht ausgeführt werden, weil letzterer bereits vor drei Tagen Wien verlassen hat. Man weiß nicht, wohin er sich wandte.

Deutsches Reich.

Köln, 22. Nov. Der Köln. Ztg. wird aus London gemeldet: Morning Post und Daily Graphic äußern heute eine ziemliche Gereiztheit über das Tauschgeschäft, daS Deutschland mit Belgien durch Zustimmung zu der belgischen Niederlassung in Tientsin gegen die T renzregulierung in Zentralafrika gemacht habe. Daily Graphic sagt zu der Rede BülowS, alle Welt wisse, daß Deutschland als Groß­macht daS gern« behalte, was es besitze und soviel dazu zu gewinnen suche, als ihm möglich sei. Indessen werde Bülow seine Aufgabe nach diesen Richtungen nicht dadurch erleichtern, daß er unablässig davon im Reichstag rede. DaS belgische Geschäft sei eine Mißachtung der übrigen Mächte. DaS Blatt droht damit, England werde sich der milderen Auffassung Rußlands und Amerikas gegenüber China anschließen.

Ausland.

Wien, 22. Nov. Während die russischen offiziellen und offiziösen Meldungen aufs bestimmteste versichern, daß der Zustand des Zaren zu keinerlei Besorgnissen Anlaß gebe und seine Krankheit einen günstigen Verlauf nehme, halten unterrichtete Wiener Kreise an einer Anschauung fest, welche gerade daS Gegenteil der durch den russischen Draht verbreiteten Lesart ist. Man verwies in den angeführten Kreisen gestern auf die Ttzaisache. daß der russische Großfürst- Thronfolger, der in den letzten Tagen in Kopenhagen weilte, plötzlich in Gatschina eingrtroffen ist. ohne daß die offiziösen Bureaux von der Abreise des Großfürsten nach Rußland etwas mitgeteilt hätten.

Paris, 22. Nov. Dem Figaro zufolge ist der deutsche ReichSkommiffar Richter von seiner Regierung ermächtigt worden, den deutschen Pavillon der Stadt Parts zum Geschenk zu machen.

London, 21. Nov. Ein Moskauer Telegramm des Daily Expreß berichtet, das Befinden deS Zaren habe sich verschlimmert. Die ungünstig« Wendung in der Krank­heit soll einem Diät fehler zuzuschreiben sein.

Washington. 22. Nov. Dir AuSdehnnng der Revolution in Columbia und die Abreise deS englischen Kriegssch ffis Phrasant von Viktoria erregen hier einige Besorgnis. Man erwartet, daß Columbia zur strengen Verantwortung gezogen wird.