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63. Jahrgang
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Erscheint Ikerlstsg, IsnrrerrLag L ZsArstag.
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8am8tag, äen ?. Januar 1888
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Dem „Calrver Wochenblatt" werden auch in diesem Jahre die wichtigsten politischen und anderen Ereignisse telegraphisch mitgeteilt, welche ost in letzter Stunde ausgenommen in kurzer Zeit zu Händen unserer Leser gelangen. Auch bezüglich des übrigen Inhalts glauben wir den Anforderungen unserer Leser in befriedigender Weise entsprochen zu haben, wofür wir in der stets wachsenden Abonnentenzahl einen vollgiltigen Beweis erblicken.
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Die Weöaktron.
Wochenschau.
- L6. Seit Jahresbeginn hat sich eine erfreuliche Beruhigung der Auffassung über die europäische Lage eingestellt. Wir haben schon von allem Anfang an darauf hingewiesen, gegenüber den an allen Ecken und Enden auftretenden Sensationsgerichten „kalt Blut" zu bewahren, und begrüßen es . mit Genugthuung, daß selbst diejenigen Preßorgane, welche bisher am lautesten in die Kriegstrompete stießen, jetzt das Carnikel suchen, welches den ganzen „Rummel" eingeleitet. Ein wesentliches Moment zur Klärung der Lage bot die am letzten Tage des verflossenen Jahres erfolgte Veröffentlichung der „gefälschten Aktenstücke", welchen Anlaß vornehmlich die russische Presse benutzte, um die Hoffnung auf Erhaltung des Friedens zum Ausdruck zu bringen. Auch die Neujahrsrede des ungarischen Ministerpräsidenten, welche anfänglich durch Verstümmelung des für die Wiener Montagsblätter bestimmten telegraphischen Auszugs in der Kaiserstadt an der Donau große Bestürzung hervorgerufen, wirkte beruhigend und die hohe Auszeichnung, welche der deutsche Botschafter in St. Petersburg, General v. Schweinitz, erhalten hat, darf wohl unbedenklich als der Lohn für eine geschickte Durch, führung^einer schwierigen Aufgabe im Interesse des Friedens gelten. Gleichzeitig wurde gemeldet, der Militärattache bei der russischen Botschaft in Wien, Oberstlieutenant Zuleff, habe den Auftrag aus St. Petersburg mitgebracht, über die Absichten des Zaren die beruhigendsten Versicherungen abzugeben. Daß die Bewegung zur Erhaltung des europäischen Friedens natürlich ihre Opfer fordern wird, ist selbstverständlich, nur wird man sie nicht unter den Verübern der „gefälschten Aktenstücke" suchen dürfen. Prinz Ferdinand von Coburg wird es sein, welcher die Rechnung zu bezahlen haben und
über kurz oder lang sich dem Machtspruch der Mächte fügen müssen wird. Dann wird indes Alles davon abhängen, ob das Bulgarenvolk seinen Fürsten freiwillig ziehen lassen oder die Grenzen seines Landes mit den Waffen verteidigen will. Wir bezweifeln, ob Prinz Ferdinand das Zeug dazu hat, den Machtspruch Europas gegenüber die Stirne zu bieten, halten vielmehr dafür, daß er, wenn die Notwendigkeit an ihn herantritt, freiwillig oder gezwungen abzudanken, das Elftere thun wird. Die Geschichte würde ihm dafür sicherlich mehr Anerkennung zollen, als wenn er Hunderttausende in seinen Fall mit hineinziehen sollte.
Ohne ein bischen „Spannung" in den internationalen Beziehungen scheint es nun nicht mehr abgehen zu können. Kaum ist das Verhältnis zwischen den Zentralmächten und Rußland in ein ruhigeres Fahrwasser getreten, da zeigt sich schon wieder eine Verwicklung, diesmal zwischen Italien und Frankreich, am politischen Horizont. Hervorgerufen wurde dieselbe durch die Gewalttbat gegen das französische Konsulat in Florenz. Herr Crispi, der italienische Ministerpräsident, hat zwar eine Untersuchung angeordnet und eventuelle Genugthuung versprochen; das geht indes den Franzosen zu langsam, denn sie meinen, es sei nicht erst eine Untersuchung des klaren Thatbestandes nötig. Selbst die französische gemäßigte Presse, welche nicht daran zweifelt, daß Frankreich volle Genugthuung erlangen werde, ist der Ansicht, daß der Zwischenfall Frankreich und seinen mit den auf die Erneuerung des Handels- und Schiffahrtsvertrages betrauten Vertreter zur Lehre dienen soll, und daß dieselben alle Ursache haben, der italienischen Diplomatie zu mißtrauen, da Italien sich niemals herausfordernder gezeigt habe, als wenn ihm Zugestänvnisse gemacht worden find. Der Zwischenfall, dessen friedliche Beilegung bald zu erwarten, wird übrigens die allgemeine politische Lage nicht alterieren.
Für uns Deutsche hat das neue Jahr noch eine erfreuliche Wendung in dem Befinden unseres Kronprinzen gebracht. Alle Nachrichten aus San Remo lassen jetzt durchblicken, daß die bekannte traurige Diagnose vom 10. November nicht aufrecht zu erhalten sei und daß, wie von dem Spezialkorrespondenten der „Eur. Corr." bereits vor Wochen angedeutet wurde, vielmehr ein seltener Fall von Knorpelhautentzündung vorliege. Je mehr die Hoffnung berechtigt ist, daß der Kronprinz ganz gesunden und einst die Geschicke des Vaterlands leiten werde, desto weniger verstehen wir es, wie man sich jetzt noch darüber erregen kann, ob dem Kronprinzen seinerzeit Vorschläge, die auf seine Stellvertretung in der einen oder anderen Form hinausliefen, unterbreitet worden sind oder nicht. Möge das neue Jahr, dessen erste Tage einen freundlichen Blick in die Zukunft gewährten die Hoffnungen und Erwartungen, die bei seinem Erscheinen gehegt wurden, in reichem Maße erfüllen.
AleuiLLeton.
Eine Neise-eLarmtschast.
Novelle von Fred. Vincent.
„Vlissingen!" Der Kölner Schnellzug war eben eingefahren, und ein Strom von Passagieren ergoß sich nach dem bereit liegenden Dampfer, der sie hinüber nach der Küste Albions bringen sollte. In dem Salon der ersten Klasse drängte sich Alles nach einem kleinen Schalter am äußersten Ende desselben, wo gegen Vorzeigen des Billets die Nummern für die Kabinen ausgeteilt wurden. Etwas abseits von dem Gedränge stand ein junges Mädchen, in einen einfachen grauen Reisemantel gehüllt, und schaute mit fast ängstlichen Augen auf die Menschenwogen um sie her. Sie schien allein; denn ein männlicher Begleiter hätte ihr wohl das Handgepäck abgenommen, das sie noch immer unschlüssig festhielt.
Da trat ein Herr, der sie schon seit einiger Zeit beobachtet hatte, auf sie zu und höflich den HM ziehend, fragte er in englischer Sprache: „Erlauben Sie, mein Fräulein, daß ich Ihre Nummer für Sie besorge? Die junge Dame schaute zu ihm auf, als wisse sie nicht recht, ob sie das Anerbieten als Impertinenz aufnehmen sollte; doch nach einem Blick in seine treuherzigen Augen antwortete sie ebenfalls auf Englisch:
„Wenn ich bitten darf, mein Herr", und reichte ihm ihr Billet hin. Der Herr wußte sich gewandt durch das Gedränge hindurchzuwinden, und erschien bald mit der versprochenen Nummer in der Hand. „Ich hoffe, es ist eine gute Kabine", sprach er, ihr Billet und Nummer reichend. „Erlauben Sie, mein Fräulein, daß ich sie Ihnen aufsuchen helfe und Ihr Gepäck trage?" Diesmal zögerte sie nicht. Mit einem freundlichen: „Ich danke sehr", übergab sie ihm Plaid und Schachteln und überließ sich seiner Führung. Bald war die Kabine gefunden und nachdem das Gepäck auf
die betreffende Koje niedergelegt wordens stiegen die Beiden wieder in den Salon hinauf. „Und nun, mein Fräulein", fragte der freundliche Begleiter der jungen Dame, darf ich Ihnen vielleicht etwas zu Essen besorgen?" — „Essen!" Ich werde nichts essen, ich fürchte mich vor der Seekrankheit", entgegnete sie rasch.
„Sie fürchten sich davor? Sind Sie denn schon öfters auf der See gewesen und kennen diese unangenehme Empfindung?"
„Gewiß; schon mehrere Male. Und stets hat mich das abscheuliche Uebel vom ersten bis zum letzten Moment gequält, so daß ich mir fest vorgenommen habe, ganz gewiß nichts mehr an Bord eines Schiffes zu essen."
„Aber das ist ganz verkehrt, liebes Fräulein. Sie müssen essen, um der bösen Krankheit zu entgehen, außerdem sind die Schiffe dieser Linie so gut, und die See so ruhig, daß Sie ganz gewiß nicht krank werden. Kommen Sie, verlassen Sie sich auf meinen Rat und nehmen Sie ein kleines Souper mit mir ein."
Das junge Mädchen hatte schon so viel Vertrauen zu ihrem liebenswürdigen Begleiter gefaßt, daß sie ihm an den Tisch folgte und ganz gegen ihren vorher gefaßten Entschluß sich das Abendessen schmecken ließ.
„Und nun,'mein Fräulein, wollen Sie sich schon in Ihre Kabine zurückziehen, oder darf ich Sie noch ein wenig auf das Deck begleiten? Es ist erst elf Uhr, wenn wir also noch eine halbe Stunde spazieren gehen, können Sie noch immer lang genug schlafen, denn vor sechs Uhr kommen wir doch nicht drüben an, trotzdem der „Prinz Hendrick" das beste Schiff dieser Linie ist."
„Ich bin ganz bereit, noch ein wenig frische Luft zu genießen, und da ich nun doch einmal angefangen, mich Ihrer Leitung anzuvertrauen, so will ich es auch ganz thun."
So gingen sie denn hinauf und promenierten auf dem Deck, und unterhielten sich von der See, von dem Wetter, von dem Mond und den Sternen und von allen