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74. Jahrgang.

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Schwäb. Landwirt.

^ 130.

ttagold, Mittwoch den 28. August

1SV0.

Die neue Lage in China.

-j- Die Nachricht von dem Einmarsch« der verbündeten fremden Truppen in Peking und der Befreiung der Ge­sandten ist zwar noch nicht bestätigt worden, dem energischen Vormärsche der Verbündeten und der bereits seit dem 7. Aug. zu Tage getretenen Mutlosigkeit der chinesischen Truppen entsprechend kann aber die Bestätigung dieser Nachricht jeden Augenblick eintreffen, und ist damit in China schon jetzt eine ganz neue Lage geschaffen. Die den Fremden totfeindlich gesinnte chinesische Reaktionspartei, die selbst in der Kaiserin-Witwe, dem Prinzen Tuan, dem Obergeneral Li-Ping-Heng und zahlreichen chinesischen Of­fizieren und Beamten eine Stütze hatte und auch die große Boxerbewegung begünstigt hat, ist in ihrem Centrum, in Pekmg selbst von einem schweren Schlage betroffen oder doch bedroht, und es entstehen die großen Fragen: Ist die reaktionäre Chinesenpartei samt der Bewegung der auf­ständischen Boxer nun wirklich besiegt und aufrichtig zum Frieden geneigt, und wie soll in China «ine neue feste ver­trauenswürdige Regierung geschaffen werden? Die bereits gemeldete Flucht der Kaiserin-Witwe, des Prinzen Tuan und eines großen Teiles des chinesischen Heeres und der Boxer aus Peking beweist noch nicht, daß die reaktionäre Ehtnesenpartet jeden Widerstand aufgrgeben hat, auch sollen noch am 14. Aug. chinesische Truppen und Boxer mächtige Angriffe auf die Gesandtschaften gemacht haben. Man muß auch die Geschichte des zehnjährigen Taipingauf- standes (1852 bis 1862) (s. unten) u. des englisch-französischen Krieges (1858 bis 1862) kennen, um zu wissen, welchen zähen und tükischen Widerstand die Chinesen zu leisten im Stande sind. Es herrscht eben in China eine dreifache Revolution oder vielmehr Anarchie, eine Anarchie in der Dynastie der kaiserlichen Familie, die den Kaiser Kiangsu entthronte oder ihm doch die Gewalt entriß, und der Kai­serin-Witwe, der Gemahlin des früheren Kaisers, und dem Prinzen Tuan die Macht in die Hände spielte. Es herrscht aber auch eine doppelte Anarchie in der allmächtigen chine- fischen Beamtenwelt. Sechs große, erst jetzt auseinander- gesprengte, chiresische Beamtenkörperschaften bildeten mit das Centrum der reaktionären Chinesenpartei, und die sechs chinesischen Vizekönige trieben sozusagen, für sich eine Politik von Fall zu Fall. Sie liebäugelten im Stillen mit den Boxern und schielten zugleich auf die fremden Mächte, sie wollten es mit keiner Seite verderben und sich jeden­falls derjenigen Partei anschlirßen, die siegreich sein würde. Der alte Fuchs, der Vizekönig Lihungtschang. hat aller­dings die grenzenlose Dummheit der chinesischen Reaktions- Partei. die sich mit 7 Großmächten überwarf, zuerst erkannt und hat sich gehütet, die Boxer und die reaktionäre Chi­nesenpartei zu unterstützen. Sollten sich nun die Dinge in China wirklich sehr günstig gestalten, so bliebe doch der Aufstand in den Provinzen Petschili, Schantung, Liaotung und der Mandschurei zu beruhigen, es wäre ferner für China eine vertrauenswürdige Regierung zu schaffen, viel­leicht unter Wiedereinsetzung des Kaisers Kiangsu in seine Rechte und unter Ernennung der fremden Gesandten zu einer Art Kontrolleuren und Censoren Chinas, und schließ­

lich wären die Genugthuungen, Entschädigungen und Ga­rantien festzustellen, die China zu leisten hat. um die ver­letzten Verträge, den Gesandtenmord und die Abschlachtung der Missionare und chinesischen Christen zu sühnen. Sehr leicht kann es unter den jetzigen Verhältnissen sich ereignen, daß Graf Waldersee mehr noch eine diplomatische als eine militärische Aufgabe zu lösen haben wird.

Hages-Hleuigketten^

Deutsche« Leich.

Nagold, den 20. Aug.

* Ergreifend und erhebend zugleich schilderte uns heute die hier wohnende Mutter, Frau Witwe Berner, die Abschiednahme von ihrem, als Freiwilliger nach China gehenden, Sohn Otto Berner, der beim 7. Infanterie- Regiment stand. Der junge Mann war sehr beliebt in seiner Kompagnie; er fühlte sich jedoch, einer inneren Stimme gehorchend, berufen den Zug in's Reich der Mitte mitzuwachen. Kein herber Schmerz, kein Bitten und keine Thränen konnten ihn von seinem Entschluß abbringen und so ließ ihn denn die schmerzgebeugt« Mutter ziehen. Frau Berner erzählte von der Abschiedsfeier im Kasernenhof, vom gemeinsamen Kirchgang und von den patriotischen An­sprachen, die den scheidenden Soldaten gewidmet wurden. Der junge Otto Berner hofft zuversichtlich zurückzukehren, was ihm und alle» den mutigen Chinafahrern von Herzen zu wünschen ist; zugleich erfahren wir, daß auch unser früherer Lehrling Christian Killinger aus Rohrdorf als Freiwilliger nach China geht. Wir werden wahrscheinlich bald eine photographische Aufnahme der letzten Chinafrei- willigen durch Frau Berner erhalten, und dieselbe dann in unserem Schaufenster ausstellen.

Begeisterung und Versorgung. (Vergl. den Artikel über das Gebühren gewisser Blätter unter Berlin). Der Deutsche sollte noch besser lernen, seine tüchtigen und zu großen Thaten berufenen Männer statt vor Ausführung der Thaten zuviel, lieber nach dem Gelingen mehr zu ehren, aber nicht nur in momentaner Begeisterung, sondern in dauernder Weise. Dazu braucht es natürlich keine Komödien, wie solche die Amerikaner mit ihrem Admiral Dewcy aus- führten, der einige alt« Rumpelkästen von spanischen Schiffen zusammenschoß; dagegen bedarf es neben der Ehrung der höheren Führer, ausreichender Versorgung der als Invaliden heimkehrenden Krieger. Dazu entnehmen wir einem Artikel des N. Tagblts. Die Unteroffiziere und Soldaten der ostastatischen Truppen werden als Invaliden wie die Angehörigen der oft- und westafrikanischen Schutz, truppen behandelt, und es finden auf sie nicht die Militär- Pensionsgesetze Anwendung, sondern sie werden auf Grund des Gesetzes für die Gchutztruppen vom Jahre 1896 und des ReichSbramtengesetzes pensioniert, wobei ihnen eine be- sondere Kriegszulage von jährlich 300^ gewährt wird. So erhält ein Soldat, welcher infolge von Verwundung oder von Krankheiten inv.lide geworden ist. eine Pension von jährlich 600 ein Unteroffizier eine solche von 700 ein Feldwebel 800 und jedes Jahr, welches er länger

als 10 Jahre dient, eine Erhöhung um 33^/, Hiezu kommen noch die Verstümmelungszulagen, welche für den Verlust eines Gliedes oder der Gebrauchsfähigkeit des­selben 216 ^ im Jahre betragen, so daß also ein einfach verstümmelter Soldat eineGesamtpension von 816 ^ er­halten wird. Das Gesetz vom Jahre 1871 gewährt den­jenigen Eltern, welche erwerbsfähig find und welchen die gefallenen Söhne die einzige Stütze waren, eine jährliche Beihilfe von 126 und diese Beihilfe sollen nun auch erwerbsunfähige Eltern der ostasiatischen Freiwilligen erhal­ten. Manche dieser jungen Männer find .wohl gegen den Willen der Eltern hinausgezogen; viele Väter und Mütter aber werden, wenn der Sohn nicht mehr zurückkehrt, den­selben im Erwerbe schwer vermissen, und diesen Eltern sollte alsdann, wenn sie darum nachsuchen, entschieden eine höhere Beihilfe gewährt werden. Wir wünschen daher im Inte­resse der ostasiatischen Krieger und ihrer Angehörigen, daß wie dies in der kaiserlichen Kabinetsordre vom 25. v. M. angedeutet ist, dem Reichstage bald ein neues Gesitz vor­gelegt werde, welches die etwaigen Invaliden aus dem Chinazug ausreichender versorgt, als dies durch die seitheri­gen Bestimmungen geschieht. Eine solche Sparsamkeit bei Versorgung unserer Krieger ist um so weniger am Platze, als die zur Versorgung der Invaliden u. s. w. nötigen Summen bei der endgültigen Abrechnung der Kriegslasten von China aufzubringeu find, wie dies früher von seiten der Engländer und Franzosen bei ihren Kriegen gegen China stets geschehen ist.

t. Vom Calwer Wald, 21. Aug. Zwischen 23 Uhr zog gestern ein heftiges Gewitter über den west­lichen Bezirk Calw. Leider riß der mit demselben verbun­dene heftige Sturm viel unreifes Obst von den Bäumen. Der tüchtige Regen dagegen war für unsere Gewächse, be­sonders das Kraut und die anderen Setzwaren eine große Wohlthat. Die Winterfrucht ist auch bei uns größten­teils eingeheimst. Mit der Oehmdernte wird nun auch begonnen.

Freudenstadt, 20. Aug. Die neueste imSchw. M." veröffentlichte Fcemdenltste des Höhenluftkurorts Freuden- stadt weist die hochersreuliche Gesamt; rhl von 3186 eine bis jetzt nicht annähernd erreichte Ziffer auf. (Gr.)

Stuttgart, 16. Aug. Zu den Landtags» rhlen schreibt die neueste Nummer desSchwäb. Landmann". Monats­blattes des Bundes der Landwirke in Württemberg:Die Stellung des Bundes der Landwirte zu den Neuwahlen ist zunächst eine abwartende. Wir werden je nachdem Kandi­daten der konservativen Partei unterstützen, sofern sie un- sere Forderungen anerkennen und unsere Vertrauensmänner damit einverstanden sind. In manchen Bezirken werden wir aber in die Lage kommen, selbständig voczugrhen und ei­gene Kandidaten aufzustellen. Darüber entscheiden einzig und allein die Vertrauensmänner des Bundes, die bei ge­gebener Zeit sich zusammenfinden und die nötigen Beratungen pflegen werden. Die endgültigen Entschließungen sollen erst nach der Ernte, Ende September oder Anfang Oktober er­folgen.

Stuttgart, 18. Aug. Eine bemerkenswerte Entschei­dung ist kürzlich von zwei württembergischen Amtsgerichten bezüglich der Zuständigkeit der Sparkassenbeamtrn

Ein chinesischer Rebellenkönig.

Alt ist die Geschichte gerade noch nicht, die wir erzählen wollen, und doch ist sie bei dem jetzigen Geschlecht halb ver­gessen.

1. Es war anno 1813, im Jahr der großen Völker­schlacht bei Leipzig, da wurde in China, in einem kleinen Dörfchen der Provinz Kanton ein Knäblein geboren, dem, als es groß war, Millionen seiner Mitbürger zufielen, durch den aber auch Millionen ihr Leben verloren. Sin-Asyen hieß der Knabe, sein Geschlechtsname war aber Hung. Sein Vater war ein wenig vermöglicher, aber sehr geachteter Dorf­schulze. Mit sieben Jahren schickte man den Knaben zur Schule oder vielmehr man sorgte ihm für einen Schullehrer. Denn in China ist das Sache der Eltern, wenn ihre Knaben etwas lernen sollen; die Mädchen läßt man überhaupt nichts lernen. Da thun sich also etliche Familien zusammen und dingen einen Schullehrer aus gegenseitige Kündigung. Bei unserem Sin-Asyen war das Geld nicht hinausgeworfen. Im Fleiß und in den Gaben thats ihm keiner gleich. Aber das ind merkwürdige Sache, die so ein Chinesenbüblein lernen oll. Zuerst muß es die Schriftzeichen abmalen lernen; das ind aber nicht 25 Buchstaben, sondern ein paar tausend Figuren, und was dieselben bedeuten, erfährt der Schüler erst, wenn er ein bischen größer ist; dann muß er ein Buch auswendig lernen, von dem er ungefähr so viel versteht, als wenn man dich aus deiner Bibel statt aller der schönen Sprüche nichts Hätte lernen lassen, als 1. Mose Kap. 10 und öann wieder die neun ersten Kapitel im 1. Buche der

Chronika. Nun ja, wenn ein Kind gut lernt und fleißig ist, kommt's besser und man kommt immer näher dem gro­ßen Ziel: die Menge der Schriften auswendig zu wissen und nach ihrem Vorbild auch Aufsätze über dies und das verfertigen zu können. Ja, wenn man so einen Stockchinesen hört, der meint wahrhaftig, was es auf der Welt Wissens­wertes gebe, was die Menschen je an Nützlichem und Gutem gefunden haben oder noch erforschen und erfinden können, das stehe alles und alles schon in den alten Büchern seiner Weisen, vorab in den Schriften des größten Weltweisen, des Tugend- u. Gesetzeslehrers Konfucius, der vor 2450 Jahren geboren wurde und vor 2378 Jahren, d. h. 478 vor Christi Geburt starb. Die Weisheit dieser Weisen zu wissen, das macht den Mann, und damit wird man nicht bloß Professor, und damit bekommt man nicht bloß den Magistertitel und den Doktorhut: sondern aus dem Stande der Gelehrten werden alle die Hunderttausende von Beamten im ganzen chinesischen Reiche genommen. Für jeden Grad und Titel, für jede Rangstufe und jedes Amt giebt's ein Examen, in dem man sich ausweisen muß, in wie weit man mit den alten Weisen und ihren Büchern auf dem laufenden ist. Und auch im Militär rückt man vor, je nachdem man in der mehr als 1000 Jahre alten Kricgswissenschaft,wie sie im Buch steht", beschlagen ist; nur daß man noch in wenigen praktischen Fächern", im Äesserfechten, Scheibenschießen mit Pfeil und Bogen rc. geprüft wird. Zum niedersten Examen kommen schon Knaben von 10 Jahren und noch Greise von 7080 Jahren, die bereits so und so oft durchgefallen sind und doch die Ehre einesGrades" erwerben möchten, ehe

sie ins Grab steigen. Das niederste Examen macht man in der Bezirksstadt, die höheren in der Kreisstadt, noch höhere in der Provinzstadt und im allerhöchsten examiniert der Kaiser selbst in der Reichshauptstadt Peking. Leicht sind diese Prüfungen nicht; wenn so alle 3 Jahre etwa 7000 strebsame Leute sich in einer Provinzstadt einfinden, so wer­den etwa 70 ausgenommen und die andern 6930 fallen eben durch.

2. Aber unser Sin-Asyen, der wird doch nicht durchfallen! Er ist der Stolz und die Hoffnung der ganzen großen Fa­milie, und da seine Eltern die Studienkosten nicht erschwingen können, treten reichere Verwandte ins Mittel. Schließlich macht man ihn zum Dorfschullehrer, damit er Muße habe, weiter zu studieren. Glänzend besteht er Prüfung um Prü­fung und mit 20 Jahren stellt er sich in Kanton zum Pro­vinzexamen ein und fällt durch! Nach ein paar Jahren probiert er's wieder und füllt wieder durch. Niedergeschla­gen geht er durch die Straßen der Stadt; da trifft er einen alten Mann, der langes Haupthaar trug, ganz anders als die heutigen Chinesen, die den Kopf kahl rasieren und nur auf dem Wirbel die Haare stehen lassen, um ihr Chinesen- zöpfchen zu flechten. Auch sprach der Mann nicht die Sprache des Volks, sondern hatte einen Dolmetscher bei sich. Der seltsame Fremde gab unserem Sin-Asyen ein Buch in neun kleinen Bändchen mit der Ueberschrift:Gute Worte zur Hebung unseres Geschlechts". Es war ein christlicher Trak­tat in chinesischer Sprache und der Fremdling war offenbar ein evangelischer Missionar.

(Forts, folgt.)