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noch auf längere Zeit hinaus nicht als notwendig erscheint, während man bei der periodischen Zu- und Abnahme, wie solche der Krankheit eigen ist und sich auch beim Kronprinzen zeigt, es bisher nicht für wahrscheinlich gehalten wurde, daß gegen Ende d. M. ein solches ärztliches Eingreifen erforderlich werden würde. Es war daher ein falsches, auch bereits widerlegtes Gerücht, daß der Assistent des Prof. Bergmann, Dr. Bramann, demnächst San Remo verlassen werde. Derselbe wird in seiner Eigenschaft als Operateur für die Dauer des dortigen Aufenthaltes in der Nähe des Kronprinzen bleiben müssen für den immerhin nicht unmöglichen Fall, daß unverzüglich ein Eingriff er- forderlich wird. Sollte ein solcher zwar notwendig werden, ohne unmittelbar erfolgen zu müssen, so wird bekanntlich Prof. Bergmann selber zur Ausführung desselben nach San Remo eilen, und es wurde bisher erwartet, daß dessen Reise bald erfolgen werde, was nun glücklicherweise nicht der Fall zu sein braucht.
- Fürst Bismarck gedenkt nach dem Weihnachtsfest nach Berlin zurückzukehren. Sein Befinden ist wieder vortrefflich.
Berlin, 19. Dez. Der Gesetzentwurf wegen Abänderung und Verlängerung des Sozialistengesetzes ist auch heute noch nicht dem Reichstage zugegangen. Die hier schon gemachten Angaben über Verschärfung des Gesetzes (Ausweisung bei gewissen Verschuldungen aus dem gesamten Reichs, gebiet) werden heute auch von der Nat.-Lib. Korr, bestätigt. — Der Bundesrat schloß heute seine Arbeitszeit vor dem Feste. Die nächste Vollsitzung soll erst in der 2. Januarwoche stattfinden. Bis dabin dürfte die Alters. Versorgung dem Bundesrate bereits zugegangen sein.
— Der Bundesrat stimmte heute der Getreidezollnovelle in der Fassung des Reichstages zu und beschloß, das Abkommen mit Oester- reich-Ungarn wegen Verlängerung des Handelsvertrags dem Kaiser zur Ratifikation vorzulegen.
Gages-Weuigkeiten.
Wildbad, 17. Dez. Die W. Ehr. schreibt: Gestern früh 5 Uhr wurden die hiesigen Einwohner durch Feuerlärm alarmiert. Es brannte in der außerhalb der Stadt gelegenen Funk'schen Brauerei. Das Feuer war in der Stallung ausgebrochen; es gelang indessen der rasch herbeigeeilten Feuerwehr, dasselbe auf seinen Herd zu beschränken. Heute morgen 6 Uhr ertönte zum zweitenmal der Ruf „Feuer" und zwar vom gleichen Ort. Das Feuer griff bei dem starken Wind rasch um sich und legte das Stallgebäude gänzlich in Asche. Die Entstehungsursache ist noch nicht näher bekannt. Der Eigentümer ist versichert.
Feuerbach, 18. Dez. Gestern wurde ein hiesiger Bürger verhaftet und ans K. Amtsgericht Stuttgart transportiert, der kürzlich einen friedlieben, den Mitbürger mit den Fäusten und schließlich mit einer Mistgabel auf die roheste Weise mißhandelte, so daß das Aufkommen des Schwerverwundeten bezweifelt wurde.
Feuerbach. 19. Dez. Heute abend kurz vor 8 Uhr rief die Sturmglocke die hiesigen Einwohner zur Hilfe. Eine Scheuer, dem Weingärtner Schwarz gehörig, stand in Flammen. Der alsbald erschienenen Feuerwehr gelang es, den Brand auf dieses eine Gebäude zu beschränken, welches gänzlich eingeäschert wurde. Der in nebenan befindlichem Wohnhaus schwer krank darniederliegende Besitzer wurde während des Brandes in ein Nachbarhaus gebracht. Ueber die Entstehung des Brandes ist nichts bekannt.
Ludwigsburg, 17. Dez. Man schreibt dem „St.-Anz.": Gestern abend wurde das durch Oberst v. Baurs unermüdliche Thätigkeit gründlich und geschmackvoll restaurierte Museum eingeweiht durch Aufführung lebender Bilder in dem feinen Namen jetzt mit Recht tragenden Festsaal, mit nachfolgendem Abendessen zu ca. 200 Gedecken und mit Tanz. II. KK. HH. Prinz und Prinzessin Wilhelm beehrten die Feier mit ihrer Gegenwart
und empfingen in dem letzten der lebenden Bilder, dem Christbaum, eine sinnige Huldigung durch die Muse, welche einigen Mitspielenden die Bilder des hohen Paares mit schönen Worten spendete. Der kommandierende General v. Alvens leben mit Gemahlin war ebenfalls der Einladung zu dem Feste gefolgt. Prof. Dr. v. Rüstige hatte die lebenden Bilder kunstvoll gestellt, auch Prolog und Text gedichtet. Der Weihnachtszeit entsprachen Anfang (Anbetung der Weisen aus dem Morgenland) und Schluß der Bilder. Der Verherrlichung der schwäbischen Kreise galten die anderen: Erntescene (Donaukreis), Eisenfchmiede (Jagstkreis), Flößer (Schwarzwaldkreis) und ein fiveler Weintrunk (Neckarkreis).
Urach, 19. Dez. Am gestrigen Sonntag wurde nach dem Vor- Mittagsgottesdienst in der hiesigen, von Frl. Bertha Rau ausgezeichnet geleiteten Frauenarbeitsschule die heurige Weihnachtsausstellung eröffnet und von Schaulustigen viel besucht. Die vielseitigen weiblichen Arbeiten vom einfachsten Erzeugnis bis zur wirklichen Kunstschöpfung waren in überaus reichhaltiger und geschmackvoller Anordnung vertreten. Ueber die Gediegenheit der Leistungen herrschte nur eine Stimme, und es ist schwer zu entscheiden, was mehr Bewunderung verdient, die seit 16 Jahren bethätigte unermüdliche Ausdauer der Schulvorsteherin oder ihre auf voller Höhe der Zeit stehende Kunstfertigkeit.
Ulm, 17. Dez. Das „U. T." berichtet: Von einem Handelsmann, der die letzte Messe hier besuchte, ist die Meldung bei der Polizei eingegangen, daß ihm in der Nacht vom letzten Sonntag auf Montag aus seinem verschlossenen Verkaufsstand verschiedene Gegenstände, darunter Armspangen in Gold und Silber, gestohlen worden seien. Da der mit der Meldung ausgesprochene Verdacht des Diebstahls sich in keiner Weise bestätigte, so muß angenommen werden, der Diebstahl sei nicht in der Nacht, fondern am Tage ausgeführt worden; doch hat man vom Dieb noch keine Spur. — Von einem anderen Messeverkäufer sind aus Achtlosigkeit zwei Kisten mit Goldwaren zurückgelassen worden, die erst beim Abbruch des Marktstandes entdeckt wurden.
Weingarten, 17. Dez. Heute abend Vs 4 Uhr kam die erste Lokomotive zur Freude von Jung und Alt hier angefahren. Am Donnerstag wird die Bahneröffnung in den beiden Städten festlich begangen werden.
Vom Bodensee, 15. Dez. Die badische Bodenseeflottille wird in Bälde einen sehr schätzenswerten Zuwachs erfahren durch den gegenwärtig beiMaffei in München im Bau begriffenen Salondampfer „Zähringen". In feiner äußeren Erscheinung wird der Dampfer dem Salonboot „Greif" ähnlich sein, wird dasselbe aber bei 54,2 Meter Länge, 13,4 Meter Breite über den Radkästen und 2,6 Meter Höhe an Größe übertreffen. Der Salon wird eine Länge von 12,6 und eine Breite von 6,2 Meter haben, und mit Hartholzvertäfelungen und Polstermöbeln ausgestattet, gewiß einen recht hübschen Eindruck machen. Eine Neuheit für den Bodensee ist die Maschine des Schiffes; dieselbe ist nach dem dreifachen Expansionssystem konstruiert, ein System, das sich durch sparsamen Kohlenverbrauch auszeichnet und dabei sehr leistungsfähig ist, denn der „Zähringen" wird ohne Ueberanstrengung 28 Kilometer in der Stunde zurücklegen. Das ganze Schiff wird elektrische Beleuchtung erhalten.
Hamm (Wests.), 18. Dez. (John Bull auf Reisen!) Er hieß Mr. Smith, durchquerte zu seinem Vergnügen den Continent und saß zur Zeit auf den weichen Polstern eines Koupees erster Klasse des Köln- Berliner Courierzuges. Sein Behagen wäre ein vollkommenes gewesen, hätte nicht die Heizanlage eine schweißtreibende Mohrentemperatur in dem Koupee verbreitet. Da mußte Abhilfe geschaffen werden. Aha! Das Ding da an der Wand kann nur die Klappe eines Luftrohrs sein! Ein kräftiger Zug, dann ein sekundenlanges ohrzerreißendes Kreischen und Knarren auf den
„Ach was, sein Hauptmann kann mir gestohlen werden", schrie der wütende Assistent, und nun mache er, daß er sich zum Teufel scheert, oder —"
Damit suchte der Assistent das getreue Faktotum zur Thür hinauszuschieben. Nach allem, was Friedrich aber nun bereits erlitten hatte, schwoll auch ihm die Zornes- Ader. Er drehte sich um, stürzte auf den Beamten los, ballte grimmig die Fäuste vor dessen Augen und schrie: „Sie lügen. Sie lügen, Sie wollen blos nicht sagen, was Herr von Berneck Ihnen aufgetragen!"
Das war dem Assistenten denn doch zu bunt; er packte Friedrich am Kragen und wollte ihn vor die Thür befördern. Das ging jedoch nicht so leicht, denn Friedrich verstand nun, besonders nachdem ihm der Assistent zu verstehen gegeben, daß ihm „ssein Hauptmann gestohlen werden könne", keinen Spaß mehr. Zuerst sich wehrend, wurde Friedrich zum Angreife.- und im Nu waren Burschen und Assistent im schönsten Ringkampfe. Da erschallte es auf dem Perron „Einsteigen, Einsteigen, Richtung Eisenach-Erfurt-Eorbetha-Leipzig!" Jetzt wollte sich Friedrich losreißen, aber nun ries der Assistent: „Polizei, der Bursche muß festgehalten werden, er hat sich erlaubt, mich anzugreifen."
Zwar versuchte Friedrich auf dem Perron sich loszureißen, aber der Assistent hielt ihn fest, im Nu sammelten sich die Beamten um die Beiden. „Unerhört — Beamtenbeleidigung - der Kerl muß ins Loch — Hiebe muß er haben — er ist verrückt!" so schwirrte es durcheinander. Friedrich war bereits halbtot vor Schreck und Aufregung; schon sah er sich zurückgehalten und „seinen Hauptmann" ohne seinen Burschen im Zuge davonrollen, da packte ihn die Verzweiflung und brüllend wie ein Stier, der zur Schlachtbank geführt wird, schallte es von seinen Lippen: „Herr Haupt' mann, Herr Hauptmann!"
Eine bange Minute verging, dann zeigte sich des Hauptmanns schlaftrunkenes Gesicht am Fenster. Krampfhaft winkte er der Gruppe, näher zu kommen, und wenn auch nicht vollständig, so doch ungefähr von dem Sachverhalte aufgeklärt, suchte er die „Dummheiten" seines Burschen zu entschuldigen, versprach jede Art der Genug- thuung, und so gelangte denn Friedrich gerade mit knapper Not, als sich der Zug bereits in Bewegung setzte, aus den Armen seiner Peiniger in das schützende Koupee.
Wieder mußte er erzählen, und finstere Wolken lagerten sich auf des Haupt
manns Stirn, während drin im Schlafkoupee Zelten seinen Kameraden Wiedenbrück mit einigen freundschaftlichen Rippenstößen vermahnte, zu hören, aber gefälligst zu schweigen.
„Du bist das vollendetste Rhinozeros, das auf der Erde herumläuft," sagte der Hauptmann, als Friedrich geendet.
„Zu Befehl, Herr Hauptmann."
„Eigentlich müßte ich Dir jetzt die Ohren abschneiden."
„Ach nein, Herr Hauptmann," flehte Friedrich, „lassen Sie es noch einmal."
„Es würde auch nichts helfen. Bleibe jetzt nur immer ruhig im Koupee und warte ab, bis Jemand kommt."
Damit entfernte sich der Hauptmann, und in das Schlafkabinet tretend, murmelte er: „Es wird vielleicht nun zu Ende sein, er ist vielleicht eine andere Tour gefahren. Ich will sehen, ob ich einschlafe."
Und es war zu Ende; Freund Berneck, der bekanntlich mit dem Nachmittagszuge gereist war, hatte, nachdem er Station auf Station seine Grüße in Auftrag gegeben, mit Station Hersfeld geendet, weniger aus Rücksicht gegen seinen Freund Esebeck, als deshalb, weil er, nachdem sein Zug nunmehr auch bereits in die Nacht hineinfuhr, selbst schlafen wollte. So konnte denn der arme Hauptmann ruhig schlafen. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten — das sollte unser Hauptmann nun noch erfahren; denn war es bisher kein Unglück gewesen, beständig in seiner Nachtruhe gestört zu werden, so wollte cs nunmehr das Schicksal, daß ihn ein größeres Unglück traf, weil er eben nicht mehr gestört wurde.
Mit Zittern und Beben saß Friedrich in seiner Ecke des Koupees, ängstlich der Dinge wartend, die da noch kommen sollten. Tief atmete er auf, als der Zug an der kleinen Station Hönebach vorüberflog, aber desto mehr klopfte ihm das Herz, als es hieß:
„Station Gerstungen."
Mäuschenstill saß er in seiner Ecke, kaum zu atmen wagend, und als der Zug nach wenigen Minuten die Station verließ, machte Friedrich einen Freudensprung, der dem seines Gebieters nichts nachgab. Dieser lag ruhig in seinen Federn und schlief den Schlaf des Gerechten. (Forts, folgt.)