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Indem ich für beide Briefe recht von Herzen danke, kann ich mit gutem .Gewissen die Mitteilung machen, daß die von den Aerzten angeordneten Mittel bald nach den Tagen der Konsultation den entzündlichen Teil völlig beseitigten und daß die fatalen Erscheinungen sich znrückbildeten, wobei ich mich körperlich wohl befinde, niemals von Kräften kam, stets den guten Appetit bewahrte, auch zum Erstaunen Aller, die mir begegnen, blühend aussehe. Absichtlich teile ich solche Einzelheiten Ihnen mit, weil es mir vorkommt, als sei die an sich gewiß ernste Erscheinung einer Neubildung und deren ungünstiges Aussehen mit Uebertreibungen ausgeposaunt worden, so daß man nicht recht an eine günstige Wendung glauben will. Der liebe Gott wird bestimmen, was für einen Verlauf das Leben nehmen soll, dessen Pflege nächst der Kronprinzessin den beiden Sachverständigen anvertraut ist, die trotz allen Anfeindigungen, denen sie ausgesetzt sind, mein volles Vertrauen besitzen. Ich ver­zage keineswegs und hoffe, wenn auch nach längerer Schonung, meine Kräfte dem Vaterland dereinst wieder in alter Weise widmen zu können. Tief gerührt von den zahllosen Beweisen der Teilnahme, die mir aus dem ganzen Reiche wie vom Aus­lande zugehen, erkenne ich mit aufrichtiger Dankbarkeit an, daß man mir Vertrauen schenkt, und daß auf meinen Charakter gebaut wird. Solche Erfahrungen unter solchen Verhältnissen sind ein wahrer Schatz für mich, den ich Zeit meines Lebens hoch in Ehren halten werde."

Berlin, 9. Dezbr. Der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Singer wird wegen der Behauptung, daß er durch eine verwerfliche Aus­beutung weiblicher Arbeitskräfte reich geworden sei, einen Strafantrag gegen den Stadtverordneten Dopp und diejenigen Zeitungen, die gleiches geäußert haben, stellen.

Frankreich.

Der Präsident Carnot hat Unglück mit seinen Versuchen, ein Ministerium der republikanischen Concentration" herzustellen. Gestern abend zirkulierte in Paris schon eine vollständige Mitgliederliste, in welcher Goblet der Posten eines Ministerpräsidenten und Ministers des Innern zu­gedacht war. Heute ist alles wieder in Frage gestellt und die Ablehnung der Kabinetsbildung durch Goblet wahrscheinlich geworden. In diesem Falle soll der Präsident auf das Ministerium Rouvier zurückgreifen wollen, d. h. mit anderen Worten: es bleibt Alles beim Alten. Daß dieser Ausgang der Ministerkrisis die Fortsetzung des Kampfes zwischen den republikanischen Gruppen bedeuten würde und die Wiederkehr aller Gefahren, die soeben kaum beschworen wurden, ist gewiß.

Paris, 10. Dez. Soeben wurde im V or s a a l e'jder Depu­tiertenkammer ein Attentat aufJulesFerry verübt, indem ein Mensch mit einem Revolver auf denselben schoß. Ferry wurde getroffen, ist aber zum Glück nur leicht verwundet. Der Attentäter wurde sofort verhaftet. (Dep. d. Frkf. I.)

Rußland.

Der russische Militär-Attachö in Wien, Oberst­lieutenant Zuleff, ist angeblich auf Berufung des Zaren nach Petersburg gereist. Der Gouverneur von Nowgorod, der sattsam bekannte General Baranoff, der im Sommer dadurch von sich reden machte, daß er Deroulede begeistert feierte, hat vom Zaren eine tadelnde Bemerkung erhalten. Ein großes Bild von Deroulede, welches am Newskiprospekt in Petersburg ausgestellt war, wurde auf Befehl der Polizei fortgenommen. Diese Maßnahmen sind unstreitig die Folge des jüngsten Auftretens des Nevancheapostels bei der französischen Präsidentenwahl und seiner Berufung aufrussische Depeschen".

Hages-Werrigkeiten.

Calw, 12. Dez. Am Montag, den 5. ds. ereignete sich inUnter- haugstett ein Unglückssall, der allgemeines Bedauern erregt. In der Wohnung des Fuhrmanns M. war Hanf, der am Ofen zum Trocknen ausgebreitet war, in Brand geraten, wodurch zwei im Bett beim Ofen be­findliche Kinder bedeutende Brandwunden erhielten. Noch mehr verletzt wurden die zur Hilfe herbeigeeilte Großmutter, die Mutter und eine Schwester. Die erster«, eine sehr bejahrte Frau, wird wohl kaum am Leben zu erhalten sein, das Gesicht ist derart verbrannt, daß der Anblick Schauder erregt.

Die Familie ist unbemittelt und sieht der nächsten Zeit mit Sorgen entgegen. Wenn irgendwo Mildthätigkeit am Platze war, so ist es hier der Fall. Gerne ist die Red. d. Bl. bereit, auch die kleinsten Beträge den so schwer Betroffenen zu übermitteln.

Leonberg, 8. Dez. Gestern ereignete sich hier folgender bedäüer- liche Unglücksfall. Einem Knecht, der mit Holzspalten beschäftigt war, wollte der 11jährige Knabe durch Auflegen von Holzstücken auf den Haublock behilflich sein. Er kam hierbei mit der rechten Hand dem Hieb des Beils zu nahe, wodurch der Zeig- und Mittelfinger so verletzt wurden, daß sie ab­genommen werden mußten.

Dem Frkf. I. schreibt man von Stuttgart: Die Cann- statter Reichstagswahl ist gestern vollzogen worden und hat gegen Erwarten mit einem glänzenden Siege des Kandidaten der deutschen Partei, des Oberbürgermeisters Nast von Cannstatt, geendigt. Er hat rund 3000 Stimmen erhalten, seine Gegner rund 1500 Stimmen, wovon zwei Drittel auf den parteilosen Kandidaten Stockmayer, ein Drittel auf den Sozialdemokraten Glaser entfallen. Das Wahlergebnis ist vor Allem durch die jämmerliche Niederlage der Sozialdemokraten bezeichnend, welche in dem arbeiterreichen Cannstatt auf eine stattliche Minderheit gerechnet hatten und nun als ein ebenso anmaßendes und lärmendes wie geringfügiges Frak- tiönchen sich entpuppt haben. Man kann es eigentlich nur bedauern, daß ein so tüchtiger und wirklich nationaler Mann wie Stockmayer den Halbmondsaal nicht betritt; und wir möchten ihn bei den in Jahresfrist stattfindenden Neu­wahlen gerne irgendwo untergebracht sehen. Daß er, trotzdem er in Unter­türkheim bei Cannstatt wohnt, doch so entschieden unterlag, hat vier Gründe. Zwei sind persönlicher Art: Nast hatte als Veteran von 1870 alle Krieger­vereine für sich, und ebenso die zahlreichen Pietisten, welchen Stockmayer als religiös freidenkend durchaus anstößig war. Zwei Gründe aber sind poli­tischer Natur. Stockmayer strauchelt über den eigenen Schatten; man hat ihn noch nicht am Werke gesehen, und so wollte man sich nicht mit ihm ein- laffen. Endlich aber und vor allem: Die Strömung, welche am 21. Februar z*r Wahl der dreizehn Reichsboten geführt hat, dauert noch in voller Stärke an. Das hat die Reichstagsersatzwahl am 9. September gezeigt, und das lehrt die Wahl vom 7. Dezember aufs Neue. Wenn es noch des Beweises bedurfte, daß die nationale Wahl am Anfänge des Jahres gewiß nicht aus einem Angstgefühl entsprang dieser Beweis wäre aufs Neue erbracht worden.

Ludwigsburg, 7. Dez. Die Ludw. Ztg. berichtet: Heute mittag ereignete sich wieder einmal einer der nicht seltenen Akts von Stromer- brutalität. Ein am Bettel betroffener, 20jähriger, schon viel bestrafter junger Mann widersetzte sich gegen den ihn verhaftenden Schutzmann mit dem Aufgebot seiner ganzen Kraft, indem er um sich schlug und ihn mit den Füßen stauchte, so daß der Beamte sich die Unterstützung Vorübergehender erbitten mußte. Diesen begegnete er in gleicher Weise und biß einen Mann von Kirchheim a. N. derart in beide Hände, daß er stark blutete; erst als weitere Hilfe kam, ließ der Wütende von seinem Widerstand ab und konnte nach langem Aufenthalt auf die Wache gebracht werden.

bas täglich mit Ausnahme des Montags erscheinende Unterhaltungsblatt des ,,frankfurter Journals" bringt auch in Zukunft in reicher Auswahl unterhaltende und belehrende Artikel aus der Feder der hervorragendsten Schriftsteller. Die nachfolgende Namenzusammenstellung mag zeigen, welche deutsche und ausländische Autoren von anerkanntem Ruf,u. a. in den letzten Monaten mit Arbeiten in der Didaskalia vertreten waren:

Frank Barrett, Friedrich von Bodenstedt, Marchese Kolombi, Lars Dillin g, Holger Drachmann, Marie Ebner-Eschenbach, Karl Frenzel, Alfred Friedmann,F erd. Groß, Hermann Hei- berg, Maurus Jokai, F. von Kapf-Essenther, Karl Kiesewetter, Detlev von Liliencron, Morell Mackenzie, Marke witsch, Fritz Mauthner, Geb r. Adolf und Karl Müller, I. Paulsen, Julius Stinde,A. G. von Suttner, Johannes Trojan, I. V. Widmann, Richard Wulkow. .

Für die Zukunft werden auch die rheinischen, pfälzischen, badischen und hessischen Schriftsteller und Dichter zahlreich mit Beiträgen in der Didaskalia vertreten sein.

Barmherziger Himmel, also doch!" Es war Alles, was der aus seinen Himmeln Gestürzte hervorbrachte, aber es war der qualvolle Schreckensruf einer ge­knickten Seele. Der Stationsvorsteher hatte den Mann am Fenster erblickt und den Ruf vernommen, aber nicht verstanden; er mußte annehmen, daß sich der Gesuchte gemeldet.

Herr Hauptmann von Esebeck? Entschuldigen Herr Hauptmann, ich hätte es beinahe vergessen. Ich habe die angenehme Pflicht zu erfüllen. Ihnen einen Gruß"

Weiter kam er nicht. Der Hauptmann streckte ihm beide Fäuste entgegen und schrie:Ich wünsche, alle Inspektoren wären, wo der Pfeffer wächst, und mein Freund Berneck dazu!"

Aber Herr Hauptmann ich habe doch -"

Herr, machen Sie mich nicht rasend, geben Sie das Abfahrtssignal, damit wir hier sortkommen, hören Sie, das Signal sollen Sie geben!"

Dem Inspektor mochten wohl, ob des Gebahrens Esebeck's, Zweifel darüber aufgestiegen sein, ob er an die rechte Persönlichkeit gekommen, er fragte deshalb:Sind Sie der Hauptmann von Esebeck?"

Ter Hauptmann schäumte vor Wut.

Herr, geben Sie das Abfahrtssignal, das Signal, oder ich schieße!"

Der Inspektor machte einen Satz zurück und führte unwillkürlich die Pfeife zum Munde, das Signal ertönte und der Zug dampfte in die Nacht hinaus. Der Hauptmann nahm sich nicht mehr die Mühe, das Fenster zu schließen; er taumelte in das Koupee zurück.

Ich sterbe, ich bin schon mausetot," wimmerte er.

Sagen Sie, Esebeck, sind die Zahnschmerzen gar so schlimm?" fragte Zelten, und ein Rippenstoß mahnte Wiedenbrück, sich ruhig zu verhalten.

Ich könnte die ganze Welt zermalmen, alles kurz und klein schlagen! Das übersteigt menschliche Kräfte. Kreuzhimmelschockschwerenot und tausend Dutzend Donnerwetter!" Und der Hauptmann hämmerte mft den Fäusten in ohnmächtiger Wut auf das Getäfel der Koupeewand.

Der Raum des Schlafkoupees war für die mächtigen Schritte, die der Haupt­mann machte, gar zu klein, deshalb setzte er sich wieder auf sein Bett und stützte den Kopf sinnend in die Hand. Gab es denn gar kein Mittel, kein einziges, das Unheil, wenn auch nicht abzuwenden, so doch zu mildern? Mit diesem Gedanken zermarterte der Hauptmann sein Gehirn, bis die nächste Station Neuhof in Sicht kam. Pünkt­lich war er an seinem Beobachtungsposten, am Fenster; denn darauf zu warten, daß der Beamte in das Koupee komme, dazu verspürte er nun keine Lust mehr, auch wollte er es möglichst vermeiden, daß die Kameraden von dem ihm gespielten Possen Kenntnis erhielten; wußte er doch, daß er dann nur neben dem Schaden den Spott werde tragen müssen.

Station Neuhof, eins halbe Minute."

Richtig, da kam auch schon die verhaßte Uniform, wie suchend den Zug ent­lang schreitend daher. Und dazu machte der Mann noch so eine unschuldige, beinahe vergnügte Miene, als wäre er sich bewußt, welche Schandthat er eben begehen wolle.

Ist in diesem Koupee vielleicht "

Der Teufel ist in diesem Koupee, und wenn Sie nicht gleich machen, daß Sie sortkommen, breche ich Ihnen das Genick; fort, sage ich, fort, oder ich ermorde Sie!" Und der Hauptmann wies dem verblüfften Mann noch die Faust, als der Zug schon im Rollen begriffen war."

Wiedenbrück, wenn Sie sich so umherwälzen und das Lachen nicht sein lassen, werden Sie aus dem Bette fallen", sagte der Oberstwachmeister drin im Schlaf- Koupee. Er machte eine gar zu komische Figur, wie er, im Bette sitzend, während der Hauptmann da draußen wetterte und zetterte, mit unerschütterlicher Ruhe seine Notizen auf derTafelrunde" machte. /

Der Hauptmann wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn und brummte knirschend vor sich hin:Wenn ich nur irgend etwas zum zerbrechen, zuin zerschlagen hätte, an dem ich meinen Zorn auslassen könnte, ich ersticke noch vor Wut.

(Fortsetzung folgt.)