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62 . Jahrgang
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Dienstag, äen 22. November !887.
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Haitische WcrcHrricHLen.
Deutsches Reich.
Berlin, 18. Nov. Der Kaiser und die Kaiserin von Rußland sind soeben eingesahren. Der Kaiser mit dem Prinzen Wilhelm in russischer Uniform im offenen vierspännigen Wagen, die Kaiserin mit der Prinzessin Wilhelm in geschlossenem Wagen.
Berlin, 18. Nov. Der Kaiser von Rußland machte bei dem Kaiser Wilhelm und den Prinzen des königlichen Hauses Besuche im offenen Wagen, wobei allgemein sein vortreffliches Aussehen bemerkt wurde. Auch die Kaiserin von Rußland machte verschiedentliche Besuche.
Berlin, 19. Nov. Bei dem Galadiner hatte Kaiser.Wilhelm zu seiner Rechten die Kaiserin von Rußland, zur Linken den Kaiser Alexander. Während des Diners erhob Kaiser Wilhelm sein Glas und trank dem Kaiser von Rußländ mit einigen Worten zu. Das Mufikkorp« des Alexanderregiments intonierte die russische Nationalhymne, während sich sich Gesellschaft erhob. Nach 6 Uhr wurde der Kaffee serviert; die Gesellschaft verließ 6>/z Uhr das Palais. Fürst Bismarck hatte bei der Tafel seinen Platz unmittelbar nach den höchsten Herrschaften. — Das russische Kaiserpaar mit Familie, welches sich bereits nach dem Galadiner vom Kaiser verabschiedet hatte, ist abends 9 Uhr 35 Minuten ab gereist. Die Prinzen Wilhelm, Heinrich, Albrecht und Leopold gaben ihm bis zum Potsdamer Bahnhof das Geleite, wo die zum Ehrendienst befohlenen Personen, die gesamte Generalität, die General- und Flügeladjutanten des Kaisers Wilhelm zur Verabschiedung anwesend waren.
— Wie verlautet, hat der Zar bei seiner Unterredung mit Bismarck sein tiefstes Bedauern über die Krankheit des Kronprinzen ausgesprochen. Für die Mannschaften des Kaiser Alexanderregiments spendete der Zar 4000
Berlin, 19. Nov. In diplomatischen Kreisen faßt man die U n t e r - redung des Zaren mit dem Kanzler dahin auf, daß auf jeden Fall Klarheit in die Situation kommen werde; die Mehrheit neigt sich zu einer optimistischen Auffassung.
— Bei der gestrigen Galatafel wurde sehr bemerkt, daß der Zar gegen Ende sein Glas erhob und dem Reichskanzler, der etwas entfernt saß, welchen er besonders darauf aufmerksam machen ließ, in aller Stille zutrank.
— Der Großfür st-T hronfolger besuchte gestern den Kanzler.
— Prinz Wilhelm mit seiner gesamten Familie und seinem gesamten Hofstaate wird in der allernächsten Zeit von Potsdam nach Berlin übersiedeln und seine Wohnung zunächst für den Winter im hiesigen Schlosse nehmen, da er für diese Zeit, wie gemeldet, die Vertretung des Kaisers bei allen größeren und anstrengenden Festlichkeiten des Hofes zu übernehmen hat.
— Unter Vorsitz des Fürsten Bismarck fand heute eine vertrauliche Besprechung des S t a a t s m i n i st e r iu m s statt. Die Nachricht, daß der Kanzler nach San Nemo reise, wird an unterrichteter Stelle als unbegründet erklärt.
Berlin, 18. Nov. Im Gegensatz zu den bisherigen Nachrichten über die vorgestrige Entleerung des Geschwürs im Hals des Kronprinzen meldet der Korrespondent des „Berl. Tagbl." aus San Remo, es habe sich gestern nach genauerer Untersuchung des Aurwurfs sowohl wie nach allen sonstigen Erscheinungen in und unter dem Kehlkopfe herausgestellt, daß die Sachlage materiell verändert sei. Die Prognose habe sich dadurch bedeutkn-d verschlimmert, indem jetzt zweifellos Krebs- erweichung vorliege. Die ausgeworfenen Teile seien nämlich Krebszellen schlimmer Natur und lassen auf den Charakter der anderen sichere Schlüffe ziehen. Es steht also auch schon die spezielle Gattung der vorliegenden Krebsnatur fest, es handle sich um den sogen, weichen Krebs. Alle unteren Gewebe, welche in der vorigen Woche entzündet oder angeschwollen erschienen, seien angegriffen und voll Krebszellen.
Berlin, 20. Nov. (11.40.) Privatdcp. d. Frkf. I. Die Nachrichten, welche in den letzten Tagen aus San Remo hier einliefen, lassezi leider einen Schluß auf eine günstige Wendung im Verlaufe der Krankheit unseres Kronprinzen nicht zu. Noch gestern wurde der „Voss. Ztg." aus San Remo telegraphiert, daß man glaube, die Notwendigkeit einer Operation könne bald und plötzlich eintreten. Gestern ist Dr. Bramann dort eingetroffen. Um so bewundernswerter ist der Mut, mit welchem der hohe Patient sein Leiden erträgt. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, in allen zivilisierten Ländern, bei Freund und Feind äußert sich die herzlichste Sympathie gegenüber dem schweren Geschick, welches unfern Thronfolger betroffen. Besonders ist dies in Oesterreich der Fall. Mit Bezug hierauf schreibt-heute die „Nordd. Mg. Ztg.": „Nachdem in der Presse Oesterreich-Ungarns Zeitungen aller Parteischattierungen mit herzlicher Sympathie über die schwere Heimsuchung sich geäußert, von welcher das Deutsche Reich in der Erkrankung unseres teuren Kronprinzen betroffen worden ist, sind nun auch an viel bedeutsamer und erhabener Stelle, in der Neichsver-
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Um Rang rm- Neichtum.
Dem Englischen frei nacherzählt von Ieo Sonntag.
(Fortsetzung.)
„Der Sterbende? Stirbt er wirklich Pattie?"
„Ja, gnädige Frau", schluchzte das Mädchen, „der Arzt giebt keine Hoffnung, er sagt, Mitchell werde den Morgen nicht mehr erleben."
Da erhob sich die schöne Frau mit schmerzverzogenem Antlitz, trat auf das Mädchen zu und legte ihre Hand schwer auf deren Schulter.
„Pattie", sagte sie in bebendem Ton, „Du bist mir schon einmal eine treue, hülfsbereite Freundin gewesen, sei es auch jetzt. Ich muß ihn sehen, ehe er stirbt, hörst Du, ich muß, und wenn es mich das Leben kostet. Aber wenn es möglich ist, daß ich ihn sehe, ohne daß es außer Dir Jemand erfährt, so ist es um so besser für mich. Also hilf mir, sehen muß ich ihn!"
„Er war Ihnen also doch nicht fremd, gnädige Frau?"
„Nein, er war mir nicht fremd. Und nun höre: Ich werde den Salon so früh wie möglich verlassen, und nachdem ich meinem Manne gute Nacht gesagt, zu Ro — zu Herrn Mitchell hinübergehen. Du mußt dann dafür sorgen, daß die Thüren offen bleiben, damit ich unbemerkt wieder herein kann."
„Das werde ich besorgen, gnädige Frau", versetzte Patte, die wohl begriff, daß hier ein schwerwiegendes Geheimnis obwaltete, die jedoch ihrer Herrin zu treu ergeben war, um sich hineinzudrängen.
Lady Ellerton begab sich in den Salon zurück; nie in ihrem Leben vergaß sie die Qualen, die sie in den schrecklichen Stunden gelitten, die sie ihren Gästen noch widmen mußte; es war ihr, als wolle der Abend gar kein Ende nehmen. Hier war Musik und Licht, blitzende Juwelen, blühende, duftende Blumen, das silberhelle Lachen von Frauenstimmen, und dort in dem Häuschen am Parkthore lag Robert sterbend.
Robert, ihr Gatte, der Mann, den sie liebte; der edle großmütige Mann, der einst die arme Waise an ihr Herz genommen; der treue, zärtliche Gatte, der sie auf Händen getragen! Er, den sie betrogen und verraten, und der ihr alles vergeben, er lag im Sterben, er war vielleicht schon tot, und sie konnte nicht zu ihm!
„Was fehlt Dir, Laura?" fragte da Lord Ellerton, „Du siehst heute Abend gar nicht wohl aus, liebes Kind."
„Ich fühle mich auch nicht wohl, Rudolf, ich habe furchtbare Kopfschmerzen und sehne mich nach Ruhe."
„Ich werde dafür sorgen, daß die Gäste bald gehen; aber wenn Du Dich früher zurückziehen willst, liebes Kind, so thue es nur, ich werde Dich schon entschuldigen."
Sie dachte einen Augenblick nach. Sie konnte doch nicht wagen, das Haus zu verlassen, ehe die Gäste weg waren und ihr Mann in sein Zimmer gegangen, und wenn sie hier blieb, sorgte Rudolf gewiß dafür, daß die Gesellschaft sich eher zerstreute.
„Ich will lieber bleiben, Rudolf", erklärte sie daher, „nur sieh zu, daß es nicht zu lange dauert."
Lord Ellerton hatte keine große Mühe, die Gesellschaft früher als gewöhnlich aufzulösen, denn Jedermann bemerkte, daß die schöne Wirtin sich leidend fühlte. So zog sich denn bald ein Gast nach dem andern zurück, Und endlich schlug die Stunde der Erlösung für das gequälte Weib.
„Gute Nacht, Rudolf", sagte sie und hielt ihm den Mund zum Küssen hin, „gute Nacht, ich werde gleich zu schlafen versuchen."
„Thu' das, Liebchen, ich störe Dich nicht mehr. Schlaf recht wohl, und mach, daß Du morgen früh wieder meine Rose bist. Heute Abend gleichst Du einer bleichen Lilie. Gute Nacht."
Und mit einem freundlichen Kusse entließ er sie.
Zitternd vor Ungeduld und Aufregung bettat sie das Zimmer, wo Pattie ihrer harrte.
„Rasch Pattie, rasch einen Mantel! Er stirbt, hörst Du, er stirbt, er ist vielleicht schon tot! Rasch!"