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Hingabe an seine ganze Berufsstellung. Einen Tag wie den andern, bei schwüler Sommerhitze wie in kalten stürmischen Zeiten, selbst bei eigenem ge» brechlichen Körper noch, konnte man ihn in raschen Schritten, oft ein stilles Gebet vor sich hinsprechend, den Stätten zueilen sehen, da Hilfsbedürftige aller Art sich befanden, um ihnen möglichst bald Rettung zu bringen in ihrer Not. Wie wird er deshalb auch vermißt werden an Sonn- und Markttagen, wo seiner viele in ihrer Bedrängnis harrten und ihn um Hilfe angingen. Daß seine Wirksamkeit, sein Wort wie seine allzeit offene Hand, im engeren Kreise ganz besonders geschätzt und in gerechter Weise gewürdigt wurde, beweist schon das, daß er im Laufe der Zeit viele Aemter bekleidete, und in letzter Stunde noch wiederholt in den Pfarrgemeinderat gewählt wurde. Sein durchaus anspruchloses Wesen, sein kluger Rat, seine rasche Entschlossenheit und energischer Wille bei Durchführung alles dessen, was er einmal als zweckmäßig und nutzbringend für dieses oder jenes Institut erkannt hatte, setzte ihm in liebenden und dankbaren Herzen einen Gedenkstein, der viele Stürme des Lebens überdauern wird. Und wer weiß ferner nicht, was dieser rastlos thätige Mann als Comiteemitglied, als Arzt, als eifriger und stiller Förderer alles leiblichen und geistigen Wohles unserer Rettungsanstalt gewesen ist, wie d i e s e a l l e i n ihm tausendfachen Dank schuldet für sein uneigennütziges Wirken. Betrachten wir aber auch noch unsere Kernnatur in ihrem häuslichen Regen und Bewegen! Wie waltet da Gottesfurcht, regsamer Sinn, stille Häuslichkeit, verbunden mit frommer Zucht und Ergebung in Gottes unbeugsamen Willen bei Freude wie bei Schmerz, wie trägt er alle Vorkommnisse des Lebens im Aussehen zu Gott mit größter Geduld und würdigem Sinn! Ein Trachten nach Ehre und Menschenlob lag ihm stets ferne. Und galt es, lebendiges Interesse zu bethätigen für das Bürger- wie Staatswohl, zu wirken für gedeihliche Entwicklung des großen deutschen Vaterlandes, wie verstand er da, den Nagel auf den Kopf zu treffen und dreinzuschlagen, wo finstere Geister ihr schlimmes Wesen zu treiben suchten. Deshalb wird auch von allen gutdenkenden Herzen sein Hingang tief empfunden. Ein Leben voll warmer Menschenliebe, ein treuerfülltes Herz, ein patriotisch gut gesinnter deutscher Mann, ein edler Bürger, ein geschätzter Berater, ein Freund aller Edelgesinnten, ein Hort der Armen und was noch mehr ist, ein echter Christ ist mit ihm schlafen gegangen. Unvergeßlich wird sein Andenken in der ganzen Bürgerwelt hier sein. Darum sei ihm auch seine Erde leicht und der Friede Gottes wohne in seiner Kammer. Was er hienieden an jeder Menschenseele Gutes gethan, was er als frommer Pilger im Segen gewirkt, das lasse ihn sein himmlischer Vater, mit dem er so gerne Umgang pflegte, reichlich ernten im Llchte froher Ewigkeit.
Stammheim, 16. Nov. Ein großartiger Leichenzug bewegte sich heute auf der Straße in Stammheim dahin. Galt es doch, dem ver- dicnstvollen Manne, Wundarzt Sattler, die letzte Ehre zu seiner Ruhestätte zu erweisen. Der Gesangverein bekundete seine Anhänglichkeit und Dankbarkeit an den Abgeschiedenen durch Absingung des Liedes: „Da unten ist Friede". Ein herrlich Lebensbild entrollte der Geistleche in der Kirche mit Hinweisung auf das Bibelwort: Wer mir dienen will rc. Ein selig Auferstehn sei der Lohn der vielen Werke dieses edlen Mannes.
Stuttgart, 17. Nov. Gestern abend kurz vor 7 Uhr entstand hier ein Brand, wie er an Großartigkeit seit Menschengedenken nicht mehr vorgekommen ist. Das Stadtmagazin, Seidenstraße 36 (Hopfenmarkthalle), stand in Hellen Flammen und verbreitete sich so rasch über das ganze Gebäude, daß es in wenigen Minuten in haushoher Lohe gegen den Himmel schlug und die Gegend mit seinem roten Schein weithin erleuchtete. Das Feuer ergriff auch das Treppenhaus des Verwaltungsgebäudes, in welchem eine bejahrte Verwandte und eine Magd anwesend waren, die keine Ahnung von dem Brand hatten und von den Nachbarn mittels Leitern durch das Fenster gerettet werden mußten. Inzwischen wurde auch das Magazin, in welchem ein Teil der Meßbuden aufbewahrt war, vom Feuer ergriffen, und
gebrachte Tragbahre betteten und ihn so rasch als möglich nach seiner Wohnung trugen. Auf dem ganzen Weg dahin ließ der Kranke seinen Sohn nicht von der Seite und hielt fortwährend die kleine, lebenswarme Hand mit der seinen umschlossen.
Der herbeigerufene Arzt schüttelte ernst und bedenklich den Kopf.
„Wäre sofort Hilfe zur Stelle gewesen, so hätte er möglicher Weise gerettet werden können, so aber ist es zu spät, er hat sich zum Tode geblutet und jede Hoffnung scheint ausgeschlossen."
Frau Chiltern war gekommen, den Sterbenden zu pflegen und nachdem der Arzt weggegangen, fragte sie Robert, ob er keine Verwandten habe, denen sie Mitteilung über seinen Zustand machen solle.
„Ich habe Niemand auf der ganzen weiten Welt!" versetzte er traurig.
„Wirklich gar Niemand, den Sie noch einmal sprechen möchten?"
Er antwortete nicht sogleich. Sollte er sie nicht doch bitten lassen, zu ihm zu kommen, damit er ihr liebes Antlitz noch einmal sehen könnte? Doch nein, er durfte es nicht wagen, er mußte einsam sterben und stumm, wie er ihr versprochen.
„Nein", sagte er deshalb nach einer kleinen Pause. „Ich habe wirklich gar Niemand, der an mir Anteil nimmt. Aber eine Bitte hätte ich, liebe Frau Chiltern, lassen Sie mir Hans hier, bis ich gestorben bin. Willst Du bei mir bleiben, mein Liebling?"
„Ja, lieber Herr Mitchell ich bleibe bei Dir."
„Wie lange glaubt der Arzt, daß es noch dauern kann, Frau Chiltern?"
„Er glaubt nicht, daß Sie den Morgen überleben werden!" versetzte die weinende Frau, die mit Bewunderung den zufriedenen, fast freudigen Ausdruck bemerkte, der sich bei dieser Nachricht über die Züge des Unglücklichen ausbreitete. Wurde doch durch seinen Tod die geliebte Frau frei und konnte ohne Sünde Lord Ellerton angehören, und um diesen Preis hätte er gerne zehnfach den Tod erlitten. Und so hielten seine langsam erstarrenden Finger die Hand seines Sohnes umklammert und in stiller Ergebung harrte er auf den erlösenden Tod. —--
An demselben Abend war im Herrenhause ein großes Diner und Lady Ellerton war immer die Krone des Festes. Sie sah wunderbar schön aus in einem blaß- rosa Brokat, halb von weißen Spitzen verdeckt und mit echten Perlen gestickt. Eine
bei Ankunft des mit dem Schlag 7 Uhr alarmierten II. Bataillons der freiwilligen Feuerwehr stand das ganze große Anwesen in Hellen Flammen. Es war ein überwältigender Anblick, wie die Fammen, vom Nordwind angefacht, turmhoch aufloderten, brennende Hopfen und Teile von Hopfensäcken mit sich führend, welche in der Luft herumtanzten und sodann die Nachbargebäude wie mit einem wahren Feuerregen überschütteten. Namentlich der städtische Latrinenstall war in großer Gefahr und brannte auch schon teilweise; er wurde aber von der Feuerwehr gut geschützt und blieb trotz der ungeheuren Hitze und trotzdem, daß er förmlich mit Feuer überschüttet wurde, erhalten. Gleich zu Anfang des Brandes ließ Herr Gustav Kurz seine Pferde und Wagen in Sicherheit bringen. Die Feuerwehr war den riesigen Flammen gegenüber in der ersten Zeit mit ihren kleineren Feuerspritzen beinahe machtlos, und erst als sämtliche Fahrspritzen und die Dampffeuerspritzen einige Zeit in Thätigkeit gestanden, konnte man ein Abnehmen des Feuers wahrnehmen und nach Verfluß von iVs Stunden war die Gefahr für die Nachbarschaft beseitigt. Die Arbeit der Feuerwehr wurde dadurch sehr bedeutend erschwert, daß bei dem großen Umfang des Brandobjekts, das von allen Seiten mit Wasser in Angriff zu nehmen war, sehr lange Schlauchlagen gemacht werden mußten, um sämtliche in der Umgegend befindliche Hydranten in Verwendung bringen zu können. Das städtische Magazin mit der Hopfenmarkthalle und eine Anzahl im Freien lagernder großer Bretterhaufen sind vollständig verbrannt. Das größe Verwaltungsgebäude ist zum größten Teil im Innern ausgebrannt und es stehen nur noch die massiven Umfaffungs- wände. Bauverwalter Löser, welcher bei Ausbruch des Brandes nicht zu Hause war, stieg mit einigen Feuerwehrmännern unter Anlegung einer Anstellleiter und Mitnahme eines Spritzenschlauchs mit Lebensgefahr in seine mit dichtem Rauch erfüllte Wohnung, um seine in einer Blechkassete befindlichen Wertpapiere zu retten, was nach zweimaligem Versuche glücklich gelang, ebenso wurde dessen Dachshund, der durch die Hitze und den Rauch schon betäubt war, noch lebend ins Freie gebracht. Auch einige Kleidungsstücke konnten geborgen werden, dagegen sind die Mobilien und sonstigen Fahrnisgegenstände zum Teil verbrannt. In der Hopfenhalle lagerten etwa 600 Ballen Hopfen und über tausend Zentner Haber, welch letzterer dem hiesigen K. Proviantamt gehört, das die dortigen Räume gemietet hatte, von all dem konnte nur ein kleiner Teil des Hopfens (30 Ballen) geflüchtet werden.
Kgk. Standesamt Halm.
Bom 10. bis 17. November 1887.
Geborene:
10. Nov. Karl Gustav, Sohn des Karl Wilhelm Maier, Bäcker.
12. „ Lydia Maria, Tochter des Johann Jakob Jenisch, Schirmfabrikanten. 14. „ Rudolf Wilhelm, Sohn des Gustav Linkenheil, Schreiner.
Getraute:
23. Okt. Georg Pfau, Bierbrauer von Römlinsdorf OA. Oberndorf, und Maria Charlotte Neutschler, von hier.
12. Nov. Karl Heinrich Essig, Flaschnermeister, und Luise Wilhelmine Feldweg, beide von hier.
Gestorbene:
16. Nov. Marie Elisabethe geb. Munzing, Witwe des Johann Andreas Weidler, gew. Leineweber, 82 Jahre alt.
Gottesdienste am Sonntag, den 20. November 1887.
Vom Turme: Nro 329. Vormittagspredigt um ^/-10 Uhr: Hr. Dekan Braun. Verpflichtung der Kirchenältesten. Christenlehre mit den Söhnen in der Kirche um 1 Uhr. Bibelstunde im Vereinshaus um 5 Uhr: Hr. Diakonatsverweser Vogt. Freitag, den 25. November 1887.
Vormittags 10 Uhr im Vereinshaus: Vorbereitungspredigt und Beichte, Hr. Diakonatsverweser Vogt.
Gott«»äieast« in äer M«tfloäiste»kap«lke am Sonntag, den 20. November 1887, morgens 1/-10 Uhr, abends 8 Ühr.
mehrfache Schnur kostbarer Perlen schlang sich um den schönen Hals, Perlen und weiße Blüten schmückten das goldene Haar.
Als nach dem Essen die Damen im Salon auf das Erscheinen der Herren warteten, betrachtete Lady Laura ein Büch mit wundervollen Stahlstichen, das ihr Lord Ellerton kürzlich geschenkt. Sie suchte ein Bild darin, das sie einer anderen Dame zeigen wollte und als sie dasselbe gefunden und das Buch über den Tisch hinüberreichte, fing sich die Perlenfranse ihres Kleides an der Tischkante und zerriß.
Zuerst gab sie nicht weiter Acht auf den kleinen Unfall, dann ärgerte es sie, daß bei jeder Bewegung Perlen zu Boden fielen, und sie ging in ihr Zimmer, nachdem sie sich bei den Gästen entschuldigt, um den kleinen Riß durch Pattie ausbessern zu lassen. Doch diese erschien erst nach wiederholtem Schellen und mit so verweinten Augen, daß Lady Ellerton ihr entsetzt entgegenrief:
„Um Gotteswillen, Pattie, was ist's? Ist Hans etwas zugestoßen?"
„Nein, gnädige Frau. Aber haben Sie noch nichts von dem Unfall gehört?"
„Nein, was ist geschehen?"
„Man hat Herrn Mitchell sterbend im Walde gefunden. Er soll sich zu Tode geblutet haben, aber ob er sich verletzt, oder ob er von einem Anderen verwundet worden, habe ich noch nicht erfahren können."
„Pattie war selbst so erregt, daß sie den furchtbaren Schrecken ihrer Herrin nicht bemerkte. Erst als diese halblaut aufstöhnte: „Großer Gott, Hab Erbarmen mit mir", ward sie aufmerksam.
Lady Ellerton war todenbleich in ihren Sessel zurückgesunken. Ein entsetzlicher Gedanke hatte sich ihrer bemächtigt, sie glaubte nicht anders, als Robert habe sich in seiner Verzweiflung selbst den Tod gegeben.
„Wo ist er, Pattie?" fragte sie hastig.
„In seiner Wohnung, gnädige Frau. Ich habe Chiltern gesehen, der gerade auf dem Wege zu ihm war, er sagte es mir. Er sagte mir auch, Herr Mitchell habe den kleinen Hans bei sich und wolle ihn gar nicht von sich lassen. Chiltern wollte Lord Ellerton benachrichtigen, aber der Sterbende hatte es nicht zugegeben, er wolle nicht, daß man den gnädigen Herrn störe."
(Fortsetzung folgt.)