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bieten wird; Deutschland hingegen kann dies nicht nach all den Verunglimpfungen, welches es seit der Regierung Alexanders IN. ausgesetzt worden. Wenn aber doch das Unglaubliche geschehen und der Zar seinen Besuch als ein? Annäherung an die Centralmächte betrachtet wissen wollte: Deutschland könnte sich gleichwohl nicht im Mindesten von seinen Verein, barungen mitOesterreich-Ungarn undJtalien trennen. Die russische Freunoschaft hat sich in der That in den letzten Jahren zu problematisch gezeigt, als daß Deutschland auch nur einen Augenblick daran denken könnte, für dieselbe das sichere Bundesverhältnis zu Oesterreich- Ungarn und zu Italien zu opfern. (Frkf. I.)
Amerika.
— Gestern sind vier von den Chicagoer Anarchisten gehängt worden. Damit ist dem Gerechtigkeitsgefühle Genüge gethan, welches die Ur- Heber des Massenmordes auf dem Heumarkt in Chicago nicht anders behandelt wissen wollte, als gemeine Mörder. Der Gouverneur von Illinois hat sich nicht von der sentimentalen Anschauung anstecken lassen, die sich zu Gunsten der Verurteilten vielfach auch in der deutschen Presse breit machte. Die Haltung der verurteilten Anarchisten und die Drohung ihrer Genossen mußten überdies die Erwägungen, welche aus falscher „Menschlichkeit" hergeleitet wurden, entschieden auch entkräften. In allen jenen Kreisen, wo man noch daran festhält, daß Gesetz und Recht zum Schutze der Gesellschaft gegen eine Horde menschlicher Bestien auch zur Anwendung kommen müssen, falls sie überhaupt gelten sollen, wird man die Justifizierung nur billigen können.
Gcrges-Weuigkeiten.
* Calw, 11. Nov. (Handels- und Gewerbekammer.) Der von der deutschen Reichsregierung aufgestellte Reichskommissär für die internationale Jubiläumsausstellung in Melbourne 1888/89 hat der Handelsund Gewerbekammer Programme und Anmeldebogen mit dem Ersuchen übersendet, auf eine rege Beteiligung an der gedachten Ausstellung hinzuwirken, da es von sehr großem Werte erscheine, die Erfolge, welche auf den früheren australischen Ausstellungen für den Ruf der deutschen Industrie gewonnen worden sind, zu wahren und zu vermehren, die in den letzten Jahren wesentlich gehobenen Handelsbeziehungen Deutschlanos zu Australien festzuhalten und auszubauen und die Hoffnungen, welche sich an die durch Reichshilfe erleichterten Verkehrsverhältnisse knüpfen, zu unterstützen. Die Bestreitung der durch die Aufstellung des Reichskommissärs, die allgemeine Ausschmückung und die Beaufsichtigung der deutschen Ausstellungsräume entstehenden Kosten wird aus Reichsmitteln erfolgen. Platzmiete wird nicht erhoben, für möglichst billig einheitlich zu benützende Transportgelegenheit wird der Reichskomnussär Sorge tragen. Programme und Anmeldungen wird die Handels- und Gewerbekammer Calw den Beteiligten auf Wunsch sofort zusenden und gewünscht werdende weitere Auskunft erteilen; die Anmeldungen sollten in möglichster Bälde, jedenfalls bis Mitte Dezember d. I. erfolgen.
Dobel, 9. Nov. Heute nacht hat sich der ledige, 21 alte Schuhmacher König von hier, höchst wahrscheinlich in einem Anfall von Schwermut, ganz in der Nähe des Orts erhängt, nachdem er sich vorher drei ganz bedeutende Stiche in die Brust und einen Schnitt gegen die Pulsader des linken Arms beigebracht hatte. Der unglückliche brave Mensch wird allgemein sehr bedauert.
— Der Stuttgarter Liederkranz hat der „Schwäb. Chr." zufolge beschlossen, im nächsten Sommer eine Sängerreise nach Berlin zu unternehmen. — Die H. Fink'sche Spinnerei in Pfullingen ist der „Schw. Krcisztg." zufolge in der Nacht vom 8. auf 9. d. bis auf die Stockmauern niedergebrannt. Das Kesselhaus wurde gerettet. Die in der Fabrik wohnende Familie Wolfensberger mußte durch die Rettungsleiter gerettet werden. Der Schaden ist bedeutend. — Bezüglich eines kürzlich berichteten Falls aus Tübingen meldet jetzt die „Tüb. Chr.": Wie sich bei der Sektion des
verunglückten Zimmermanns Steinhilber herausstellte, waren die infolge des Sturzes entstandenen Verletzungen keineswegs so erheblich, daß sie den Tod herbeizuführen vermochten. Der Tod ist vielmehr infolge eines Herzschlags eingetreten, dessen Beschleunigung vielleicht auf die durch den voraus gegangenen Sturz hervorgerufene hochgradige Erregung zurückzuführen ist. Nachdem somit kein Verbrechen, sondern ein Unglücksfall konstatiert ist, wurde der in Haft genommene Zimmermann Theurer sofort in Freiheit gesetzt.
Solitude, 11. Nov. Bei einer gestern tm Föhrichwald bei Weilimdorf abgehaltenen Hofjagd wurden 73 Hasen, 2 Rehböcke und 1 Fasan geschossen.
Reutlingen, 10. Nov. Vor ungefähr drei Wochen übergab der hiesige Gerichtsvollzieher einem Diener des Rathauses eine Summe Geldes zur Besorgung an einen Gläubiger. Statt dieses Geld an seine Adresse abzuliefern, entfernte sich der Diener mit demselben und niemand wußte mehr etwas über sein Verweilen. Heute nun wurde aus besonderer Veranlassung ein Archiv, das sich auf der Turmseite über einem Seitenschiff der Hauptkirche befindet, geöffnet, und dort fand man den Vermißten als Leich e. Er hatte sich, wie es scheint, den Schlüssel zu dem Archiv auf dem Rathause verschafft, dasselbe geöffnet, sich darin eingeschloffen und dann erschossen. In seinen Kleidern fand man noch 146 Der Unglückliche hinterläßt Frau und Kind, welche allgemein bedauert werden.
Bayreuth, 10. Nov. Wild aus Bernbach (Württ.), der Mörder des Zuchthausaufsehers Rüßler in Plaffenburg, wurde heute morgen >/z8 Uhr hingerichtet. Er starb ohne Reue und mit beispielloser Kaltblütigkeit.
Wevnrifchtes.
Ein Wort des Kaiser-Erben. An der Bildung von Legenden, die sich gleich einem Schleier um die Häupter hervorragender Menschen weben, hat es zu keiner Zeit gefehlt. In Berlin kennt man eine solche Legende auch vom deutschenKronprinzen. Fast möchte es erscheinen, daß der edle, von allen hochgeschätzte und geliebte Fürst selber eine leise Kunde davon erhalten habe. So ließe sich ein Wort schmerzlichster Art erklären, das der Wiener Deutschen Zeitung berichtet wird. Sie schreibt: „Kürzlich machte in engeren Kreisen Deutschlands ein Wort des Kronprinzen die Runde, welches von der rührenden Entsagung des Kaiser-Erben Zeugnis ablegt. „Wer der Sohn eines so großen Vaters und zugleich der Vater eines so tüchtigenSohnes (Prinz Wilhelm) ist", soll der Kronprinz geäußert haben, „der ist, wenn es sein muß, für sein Volk überflüssig." Welch ergreifende Selbstverleugnung weht durch dieses Fürstenwort und welch edle Hingebung der eigenen Persönlichkeit klingt aus demselben hervor!" — Die ganze Nation hofft aber in diesen trüben Stunden zu Gott, daß dieser ernsten, hohen Resignation der tatsächliche Anhalt entzogen werde. Frkf. I.
Undankbar. Aus London schreibt man: Der Baronet Arthur Fanton, der in Wales Besitzungen von unermeßlichem Werte hat, vermählte sich im Jahre 1865 mit einem reizenden und reichen Mädchen, einer Nichte des berühmten Ministers Brougham. Im ersten Jahre der Ehe hatte der Baronet das Unglück, auf der Jagd zu stürzen, das Gewehr ging los und Fanton büßte das Augenlicht ein. Seit dieser Zeit lebte er mit seiner Gemahlin von aller Welt zurückgezogen. Vor einigen Wochen entschloß sich der Baronet auf das Zureden des Mr. Brest, einen deutschen Augenarzt zu konsultieren. Dieser erklärte, eine Operation sei möglich, und wirklich gewann Sir Fanton die verlorene Sehkraft wieder. Vor drei Tagen nun hat der Baronet trotz allen Einspruchs der Freunde die Scheidungsklage gegen seine Frau, die ihm seit mehr als 20 Jahren in aufopferndster Weise ihr ganzes Dasein gewidmet, eingereicht, und zwar aus dem Grunde, weil er sich jetzt überzeugt habe, dieselbe sei „verblüht und nicht schön genug für seinen Geschmack".
Lord Ellerton war entzückt über die Verbesserungen.
„Es war einer meiner glücklichsten Gedanken", sagte er, „diesen Mitchell zu engagieren. Ich sage Dir, Laura, der Mann hat schon Wunder gethan."
Sie lächelte, es war ihr unmöglich zu antworten, denn die Erwähnung von Mitchell's Namen hatte die ganze gestrige Unterredung mit Robert wieder in ihr wach gerufen.
„Wenn er wüßte!" dachte sie, in das stolze Antlitz ihres Gatten blickend. „Wenn er nur ahnte!"
Doch Lord Ellcrton hatte ihre momentane Verlegenheit nicht bemerkt; er war zu sehr mit seinen Plänen beschäftigt.
„Ich möchte wissen", sagte er jetzt, „ob Mitchell in der Nähe ist? Ich hätte gerne mit ihm gesprochen. Meinst Du nicht auch, daß sich hier noch Manches verschönern ließe?"
„Gewiß", versetzte sie in gleichgiltigem Ton, „aber es muß doch nicht gerade jetzt sein."
„Doch! Ich möchte ihm meine Ideen gleich mitteilen. Ich will ihn holen lassen."
Sie machte noch einen Versuch, sich und Robert das unendlich Peinliche eines solchen Zusammentreffens zu ersparen.
„Laß' es für jetzt, Rudolf", bat sie. „Du weißt, Lilly hat nicht gern Fremde."
Er lachte.
„Das heißt, Laura hat nicht gern, wenn man mit ihr über den Garten redet. Aber wirklich, wenn es Dir nicht sehr unangenehm ist, so möchte ich ihn gleich kommen lassen. Ich habe jetzt gerade Zeit und es interessiert mich, seine Meinung zu hören."
Sie wagte nicht länger zu widerstreben, aus Furcht, ihr Gatte könne Verdacht schöpfen. Er würde eine Qual für Robert, eine doppelte Qual sein, aber es muß getragen werden.
„Dann laß ihn nur holen, Rudolf. Warum sollte es mir unangenehm sein? Ich brauche ja nicht zuzuhören, wenn Ihr Eure Pläne macht."
Und Lord Ellerton gab einem in der Nähe arbeitenden Gärtner den Auftrag, Herrn Mitchell herbeizuholen.
Die junge Frau wußte nicht, wie viel Zeit verging, bis er kam. Sie nahm ein Buch vor, um ihre Auflegung zu verbergen; aber sie konnte nicht lesen. Die kleine Lilly brachte ihr Blumen, doch ihre Mutter sah sie gar nicht; Lord Ellerton sprach mit ihr, doch ihre Antworten waren so verwirrt, daß er glaubte, sie sei ganz in ihr Buch vertieft und sie nicht weiter störte.
Da endlich hörte sie die tiefe Stimme, die sie gestern zum ersten Mal seit Jahren wieder gehört, die Stimme, die ihren früheren freudigen Klang so ganz verloren hatte. Noch verbarg das Rebengelände den Herannahenden ihren Blicken, da sagte Lord Ellerton:
„Kommen Sie hierher, Mitchell. Lady Ellerton ist da mit meiner kleinen Tochter. Hier herüber!"
Sie erkannte die Gefahr; im nächsten Augenblick mußte er vor ihr stehen und eine unbedachte Bewegung konnte Alles verraten. Sie schaute auf und sah ihn mit einem kalten, festen Blick an, ihr Auge, der ganze Ausdruck ihres Gesichtes sagte deutlich: Schweig'! Verrat' mich nicht! Er verstand sie. Er zog die Mütze und verbeugte sich tief und Niemand hätte ahnen können, welcher Schmerz ihm das Herz durchzuckte. Lord Ellerton sprach mit ihm über seine Pläne, aber Robert hörte nichts, sah nichts, als das schöne Weib, das ihm gehörte und dem er entsagen sollte. Er hätte sich in diesem Augenblick schrecklich an ihr rächen können, indem er in ihrer Gegenwart dem Aristokraten, den sie auch betrogen, Alles erzählt hätte, aber er wollte es nicht. Er wollte sie nicht verderben, lieber wollte er in den Tod gehen.
Meine Pläne scheinen Ihnen nicht einzuleuchten, Mitchell?" meinte Lord Ellerton. Sehen Sie sich um, und sagen Sie mir dann, was Sie vorschlagen würden."
Robert ließ seine Augen über das Gras und die Blumen schweifen und bemerkte Lilly. In diesem Augenblick vergaß er alles, er wußte nur, daß er Lauras Kind vor sich sah. Rasch ging er zu der Kleinen hinüber, nahm sie in seine Arme und schaute lange in das süße kleine Gesicht. Hätte ein Anderer das gethan, so wäre Lord Ellerton wahrscheinlich ärgerlich geworden, doch Mitchell stand in seiner ganz besonderen Gunst.
(Fortsetzung folgt.)