Aro. 134.
62. Jahrgang.
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Die EinrückungSgebühr beträgt 9 ^ p. Zeile im Bezirk, sonst 12
Haitische Wcrchvichten.
Deutsches Reich.
Berlin, 12. Nov. Nach den Nachrichten aus San Remo ist leider kein Zweifel mehr darüber möglich, daß das Leiden des Kronprinzen thatsächlich krebs- artigerNatur ist. Ueber dieweitereBehandlung wird eine zuverlässigeNachricht erst dann möglich sein, nachdem der auf allerhöchsten Befehl nach San Remo geschickte Dr. Moritz Schmidt hier mündlichen Bericht erstattet haben wird.
Berlin, 12. Nov. 8 Uhr abends. (Privattelegramm des Neuen Tagblatts.) Die Nationalzeitung, die heute früh günstige Nachrichten enthielt, konstatiert auf Grund weiterer Meldungen, daß die ärztliche Beratung ein trauriges Ergebnis aufgewiesen habe. Die deutschen Aerzte haben konstatiert, daß das k r e b s a r t i g e L e id e n immer weiter um sich gegriffen, wovon sie den Kronprinzen unterrichteten, der aber entschied, daß die Operation unterbleiben solle. Wahrscheinlich hat der Kronprinz auch veranlaßt, daß die Berichterstatter über den Stand der Dinge nicht unterrichtet werden, um Belästigungen zu entgehen; kompetente Stellen scheinen aber davon unterrichtet zu sein, der Kaiser, wie die Nationalzeitung sagt, sicherlich, und ebenso auch die Mitglieder des Staatsministeriums und Fürst Bismarck. Die Hierherkunft des Kronprinzen wird für nächsten Dienstag erwartet. Im Palais lachte man bitter über die günstigen Meldungen der hiesigen Morgenzsitungen und nannte sie Portiernachrichten. Der Kaiser hat nach Empfang seiner Depesche gestern hiesige ärztliche Autoritäten zu sich berufen und mit ihnen stundenlang konferiert. Der heutige NachmittagShos- bericht schwieg gänzlich über den Kronprinzen. Die Nationlzeitung sagt: Leider reicht die Wahrheit über die Befürchtungen hinaus, die man hegen müßte. Dr. Schmidt ist auf dem Weg hierher, um, wie schon gemeldet, Bericht zu erstatten. Im kaiserlichen Palais glaubt man auch, daß der Kronprinz auf jeden Fall bald zurückkehren werde.
— Von der Kronprinzessin wird gemeldet, daß sie neuerdings sehr angegriffen sei und an Schlaflosigkeit leide. — Ein Berliner Blatt berichtet, daß vorgestern Prinzessin Wilhelm bei dem Professor v. Bergmann vorgefahren sei, um über den Zustand des Kronprinzen und die Lage der Dinge Erkundigungen einzuziehen. Die Prinzessin sei in tiefer Erregung gewesen, die sich in Thränen Luft machte. — Der Kronprinz setzt selbst
Feuilleton.
(Nachdruck verboten.)
Am Rang und Reichtum.
Dem Englischen frei nacherzählt von Leo Sonntag.
(Fortsetzung.)
„Willst Du mich anhören, Robert?" bat sie leise.
„Ja, ich will hören, was Du zu sagen hast; aber erst beantworte mir das eine. War es recht, mir das Kind vorzuenthalten?"
„Nein, gewiß nicht. Ich bin ein schlechtes, verachtungswürdiges Weib, Robert! Aber höre mich an und habe Mitleid mit mir! Wenn Du erst weißt, wie groß die Versuchung gewesen, dann wirst Du begreifen, wie ich unterlag."
Ununterbrochen stoßen jetzt die Worte von ihren Lippen, während er schweigend zuhörte und auch nicht die kleinste Bemerkung dazwischen warf.
Sie erzählte ihm alles, ohne den Versuch zu machen, sich zu entschuldigen, — von ihrer Flucht, ihrer Reue, ihrem Entschluß, jzu ihm zurückzukehren, — von ihrem Stolz und ihrer Freude über den hohen Rang, den sie einnahm, von ihrem Entsetzen und ihrer Angst, als sie endeckte, daß sie Mutter werden würde; sie erzählte ihm, wie sie mit Patties Hilfe die Geburt des Kindes verheimlicht, und wie sie später nach langem Sträuben dem oft wiederholten Wunsch ihres Onkels nachgegeben und Lord Ellerton geheiratet.
„Aber Du vergiebst mir, Robert?" rief sie angstvoll.
„Ich vergebe Dir! Möge Gott dasselbe thun, Du hast es nötig!"
„Und Du wirst Erbarmen mit mir haben?"
„Ja", versetzte er kurz.
„Du wirst mich nicht verraten?" drängte sie weiter.
In dumpfer Verzweiflung blickte er auf.
„Erinnerst Du Dich, Laura, was ich Dir einst geantwortet, als Du mich fragtest, was ich thun würde, wenn Du mich verließest? Ich antwortete Dir, ich würde Dir
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Telegramme an seine kaiserlichen Eltern auf; in einem Telegramm des Prinzen Wilhelm an den Kaiser heißt es: „Papa sieht gut aus."
Darmstadt, 13. Nov. Prinz Wilhelm von Preußen traf heute nachmittag, von San Remo kommend, zum Besuche des Groß- Herzogs hier ein und setzte nach mehrstündigem Aufenthalte die Reise nach Berlin fort.
— Je näher der Zeitpunkt rückt, welcher den Zaren zum Besuche des Kaisers Wilhelm nach Berlin bringt, desto häufiger werden die Nachrichten und Commentare zu dieser Reise. Dabei scheint es die Meinung der größeren Mehrzahl der deutschen Blätter ^u sein, daß die Bedeutung dieser Reise nur nach einer mehr oder weniger negativen Richtung liegen könne, zumal man demjenigen Moment, welcher in dieser Beziehung eine Aenderung anzudeuten vermöchte, einer Teilnahme des deutschen Reichskanzlers und des Herrn v. Giers an der Kaiserzusammenkunft die Wahrscheinlichkeit auf das Bestimmteste bestreitet. Herr v. Giers befindet sich noch in Petersburg und die Nachricht, daß er nach Kopenhagen zum Zaren reisen werde, um mit diesem gemeinschaftlich über Berlin nach Petersburg zurückzukehren, ist bisher ohne jede Bestätigung geblieben. Kommt Fürst Bismarck in den nächsten Tagen nach Berlin, so wird das wohl nur mit dem Befinden des deutschen Kronprinzen in Verbindung zu bringen sein. Trotz dieser Aussichtslosigkeit der Kaiserbegegnung bezüglich positiver Resultate und trotz der berechtigten Bitterkeit, mit der man deutscherseits Rußland und sein Treiben betrachtet, bemüht sich die gesamte deutsche Presse, zu versichern, daß man dem Gaste unseres Kaisers mit der schuldigen Achtung, wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung begegnen werde. „Nicht die unzarten Einleitungen der russischen Presse zu dem bevorstehenden Besuche Kaisers Alexanders >!>.", versichert die „Kreuzztg.", „nicht die ungeschickte, für unseren Hof fast beleidigende Erklärung eines dem dänischen Hofe nahestehenden Blattes, wonach diese Rückreise des russischen Kaisers lediglich infolge der schlechten Jahreszeit und in Beobachtung einer äußerlichen höfischen Sitte über Berlin erfolge, — nicht diese auf der Oberfläche liegenden Betrachtungen bedingen die veränderte Stimmung, sondern die tiefer wurzelnde Ueberzeugung, daß Alexander III. unter dem Einflüsse seiner Umgebung allmälig von unfreundlicher Gesinnung gegen Deutschland erfüllt worden und selbst mit der Vergangenheit gebrochen hat, auf welcher die innigen Beziehungen zwischen seinen Vorfahren und uns beruhten. Deshalb steht man der bevorstehenden Begegnung der beiden Kaiser auch politisch mit voller Gleichgiltigkeit gegenüber, denn es steht nicht im Entferntesten zu erwarten, daß es Rußland ist, welches bei dieser Gelegenheit die Hand zu weiterer Sicherung des europäischen Friedens
folgen bis an's Ende der Welt und zu Deinen Füßen sterben. Ich wiederhole die Worte. Ich werde sterben und Dein Geheimnis mit mir."
Sein geduldiges Leiden, seine Verzweiflung rührte sie; aber die Zeit drängte, Lord Ellerton konnte jeden Augenblick zurückkommen und durfte Robert nicht in dieser Verfassung bei ihr finden. Sie sah ängstlich nach der Uhr.
„Du wünscht, daß ich gehe, Laura. Gut, ich gehe, aber ich muß mehr über meinen Sohn erfahren? Wo und wann kann ich Dich wieder sprechen?"
„Morgen. Kennst Du das kleine Thal im Park hinter der Wiese? Dort wirst Du mich morgen nachmittag um drei Uhr finden."
„Ich werde dort sein!" mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
Kurz darauf trat Pattie ein:
„Sie haben Mitchell abschlägig beschieden, gnädige Frau?" fragte sie. „Er sah so verstimmt aus." —
„Nicht ganz!" erwiederte Lady Ellerton. „Ich muß noch einmal mit ihm sprechen."
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Am nächsten Morgen nach dem Frühstück forderte Lord Ellerton seine Frau auf, ihn in den Garten zu begleiten. Er wollte ihr die Veränderung zeigen, die dort unter Mitchells Leitung bereits getroffen worden waren. Die kleine Lilly sollte mit- nommen werden, und ein Lakai wurde beauftragt, Stühle und alles sonst Nötige nach dem großen Springbrunnen zu tragen. Letzterer befand sich inmitten eines kleinen Rasenplatzes, der ringsum von einem Rebenspalier umgeben war. Lord Ellerton las hier oft seine Zeitung und auch Lady Laura zog den Platz allen anderen im Park vor.
Es war ein hübsches Bild, das goldene Sonnenlicht, die glitzernde Wasserfarbe des Springbrunnens, die mit anheimelndem Rauschen in die Höhe schoß, das weiche, grüne und kurzgehaltene Gras, in dem das liebliche, blondlockige Kind spielte, der stattliche, aristokratische Mann, der so stolz und liebevoll auf das schöne Weib an seiner Seite schaute, welches in dem weißen, eleganten Morgenkleide reizender aussah, als je. Niemand, der dies schöne Familienbild iah, konnte ahnen, welch' einen düsteren Hintergrund von Sünde und Schande es hatte.