Englisch-italienische Zusammenarbeit in Afrika
Von Arthur Zmarzly.
In Madrid herrscht starke Verstimmung gegen Paris, das die Verhandlungen über Marokko verschleppt und den spanischen Ansprüchen hestigen Widerstand entgegensetzt. Auf die Berechtigung oder Nichtbcrechttgung der Forderungen, die Spanien tn Marokko erhebt, soll hier nicht näher eingegaugen werden. Bald nach Chamberlains Zusammentreffen mit Primo de Riocra erschienen in der spanische» Prelle Meldungen, wonach Madrid, falls Frankreich nicht genügendes Entgegenkom.nen zeige, sich ganz aus Marokko zurückztehen werde. Mag nun diese Drohung ernst gemeint setn oder nicht, ein derartiger Schritt Spaniens mühte dtc ganze Marokko-Angelegenheit noch verwickelter gestalten, als sie es ohnehin schon ist. England würde nie zugebcn, daß Frankreich allein Marokko beherrscht. Träte aber Italien an die Stelle Spaniens, so wäre die Lage Frankreichs in Marokko mindestens stark geschwächt. Inzwischen bebenutzte Mussolini den französisch-spanischen Streit und lieb in Madrid sondieren, welche Aussichten ein span-f-h-italteni- sches Bündnis hätte. Die Antwort scheint wenig hoffnungsvoll gewesen zu setn. Spanten braucht nach den marokkanischen Verlusten eine lange Zeit des Friedens und ist nicht geneigt, sich durch ein Bündnis mit Italien tn eine gefähr- liche Abenteurerpolitik zu stürzen. Eine solche enge Verbindung würde auch auf englischen Widerstand stoßen. Die Mittelmeerpoltttk Großbritanniens, die Anltegermächte gegeneinander auSzuspielen, ist immer noch die alte. Die freundschaftlichen Beziehungen zu Rom gehen nicht so weit, das Streben Italiens nach einer beherrschenden Stellung tm Mittelmeer zu unterstützen. Die Sicherung des Weges nach Indien liegt London näher, und Spanien hat keinen Grund, England zu beunruhigen.
Die Grenzen, die der englisch-italienischen Zusammenarbeit gesteckt sind, lassen aber einen weiten Spielraum frei. Der AusdehnungSLrang Italiens auf kolonialem Gebiet wird von London gebilligt, da er sich tn der Hauptsache gegen Frankreich richtet. Dadurch verpflichtet England Italien, und Mussolini konnte bisher immer davon abgehaltcn werden, das ganze Kolonialproblem aufzurollen. Großbrtt» ^ ^ sk - 7 - ?^ , küiöpuische d-nrirr VS2 gen fernzuhalten, denn es steckt gegenwärtig tn umfangreichen Vorarbeiten, die in Afrika vollendete Tatsachen schaffen sollen. Die südafrikanische Union wird politisch und wirt- schaftlich bald eigene Wege gehen. Deshalb baut England rechtzeitig ein neues Fundament auf, das die ostafrtkaut» scheu Besitzungen Kenya, Uganda, Nyassa, Nordrhodesien und das Mandatsgebiet Deutsch-Ostafrika umfassen soll. Die neue Marokkokrise kommt also London nicht ungelegen. Sie bindet die Aufmerksamkeit an einen Punkt, wo die eng- lische Politik keine Ueberraschungen zu befürchten hat. Das Foreign Office scheint vielmehr an der italienischen Kreuzerfahrt nach Tanger stärker beteiltgt gewesen zu sein, als eS zugeben will. Der Anspruch Mussolinis, bet den französisch-spanischen Verhandlungen ein Wort mltzusprechen, ist wenig berechtigt. Italien hat, als es Tripolis besetzte» tatsächlich die Zustimmung Frankreichs zu diesem Vor. gehen mit seiner Interesselosigkeit an Marokko erkauft und seit 1812 sich von jeder Einmischung in die marokkanischen Angelegenheiten zurückgehalten. Das Tangerstatut von 1923 das jetzt Spanten zu seinen Gunsten abgeändert sehen will, ist ohne Beteiligung der italien. Regierung zustande gekommen und tn Kraft getreten. Wenn Italien jetzt erklärt, daß jede Neuabgrenzunh der Machtverhältntsse tn Marokko nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werben öürfe, so handelt es sich dabei nicht um irgendwelche Befitzabfichten, sondern um den Wunsch, ein Pfand tn die Hand zu bekommen, das Frankreich an anderer Stelle etnlösen soll. Diese Stelle liegt zwar auch in Afrika, aber mehr an der Ostküste und grenzt an den Sudan. ES ist Abessinien. Hier treffen auch die politische» Wege Großbritanniens und Italiens zusammen.
Es ist bekannt, baß England tm Sudan mit Hilfe des Wassers aus dem Blauen Nil ein mächtiges Wirtschaftsgebiet aufbaut, das ihm in der Baumwollerzeugung eine führende Stellung zurückgewinncn soll. Die Staudämme bei Seunar und die projektierten bei Chartum bedrohen aber Aegypten. Alle Bemühungen Englands, mit den ägyptischen Nationalisten zu einem besseren Verhältnis zu kommen, müssen an dieser Gefahr scheitern. England unterschätzt die Kraft der ägyptischen Freiheitsbewegung nicht. Dieser Staat von Englands Gnaden hat seine Armee seit 1822 von 4808 Mann ans 510 880 Mann erhöht und die Zahl der angestellte» englischen Offiziere von 172 ans 8 herabgesetzt. Dazu planen die Nationalisten, die Wehrmacht mit modernen Waffen ausznrnsten und durch Flugzeuge und eine eigene Marine zu verstärken. Der bestimmende Faktor der britischen Politik in Aegypten ist die Sicherung des Weges nach Indien durch den Suez-Kanal. Die Verhandlungen, die mit der Londvn-Neise König Fnads und des Ministerpräsidenten Sarvat Pascha im Juli begannen und gegenwärtig fortgesetzt werden, bezwecken, Aegypten eine ähnliche Stellung innerhalb des britischen Reiches zuzuwei- se» wie etwa einem Dominium. Große Fortschritte nach 'dieser Richtung hin sind aber bisher noch nicht zu verzeich- gewesen. Die Erregung in Aegypten über die englischen Stauüämme im Sudan ist »och zu groß. Die Wasser des blauen Nils reichen nicht aus, im Falle einer Trockenperiode das Land des Ntldeltas vor einer wirtschaftlichen Katastrophe bewahren, da nur SötzO Millionen Kubik
meter aufgespetchcrt weroen rönnen. Der Blaue Nil wird vom Tsana-See im Hochlande Abessiniens gespeist. Die Wassermenge, die er abgibt, läßt sich auf 8800 Millioncu Kubikmeter erhöhen. Die Ausslußstelle deö Blauen Nils aus dem See müßte aber dann um fünf Meter vertieft werden. Die Kosten der notwendigen Wasserbanarbeiten sind bc- trächtuch; sie betragen mit dem Ban einer Bahn vom Sudan bis zum See etwa eine halbe Milliarde Mark. Abessiniens Eulwiüignna zur Ausführung dieser Arbeiten war aber bisher nicht zu erreichen, da sie gleichbedeutend ist mit der Uebertragung der politischen Oberhvheitsrechte über das Gebiet auf England.
Italien hatte bereits 1813 England eine Regelung zu zweie» vorgeschlagcn. Danach sollte Großbritannien das Recht erhalten Kunstbauten am Tsana-See zu errichten, Straßen, und Bahnkanten auözufjihren. Italien beanspruchte dafür daö Handelsprivileg in Westabesslnten und Recht, eine Bahnlinie von Erythräa westlich AddiS-Abeba nach Jtalienisch-Sow.altland anzulegen. Die Verhandlungen zogen sich mit Unterbrechungen bis 1925 hin. Frankreich erhielt davon Kenntnis und erhob Einspruch. Es berief sich dabei auf den Londoner Vertrag von 1900, den es dahin auslegt, baß selbst mit Zustimmung Abessiniens ohne Einwilligung aller Stanatarmächte keine Vertragsänderungen vorgenommen werden dürfen. Gestützt auf diesen Einspruch erhob auch Abessinien Protest beim Völkerbund, dessen Mitglied es ist, und Englanü und Italien sahen sich zu der Erklärung gezwungen, jedes Abkommen von der Zustimmung Frankreichs und Abessiniens abhängig zu machen.
Die italienische Marokkofahrt mutet wie eine Parallele zu dem französischen Einspruch gegen das englisch-italienische Geschäft in Abessinien an. Die Quittung ,die Mussolini jetzt Frankreich erteilt ist zwar nicht ganz einwandfrei, aber sie trägt die stillschweigende Billigung Englands, das Italien als Mittel benutzt, um aus Umwegen zu seinem Ziele zu gelangen.
So billig dürfte aber London diesmal den Handel nicht abschließen. Frankreich schätzt seine Zustimmung zur Abänderung des Londoner Vertrages sehr hoch ein, da es weiß, baß erst die Besitzrechte über den Tsana-See England die Macht über den Nil und damit über Aegypten sichern. Aber auch Abessinien scheint nicht willens zu sein, nur als Objekt der Diplomatie -er Großmächte W bienen. Wxnn hje.gns^ Amerika kommende» Nachrichten, daß eine amerikanische Gesellschaft von Abessinien eine Baukonzession am Tsana- See erhalten hat, sich bewahrheiten sollten, wäre die ganze Sachlage verändert. Diese sehr bestimmt, austretcnden Meldungen haben ln London große Verlegenheit hervorgerufen. Man klammert sich hier an angeblich vertraglich gesicherte .Vorrechte. Jedenfalls dürste oer Schachzug Abessiniens und der amerikanischen Baumwollinteressenten die englische Abesstnien-Politik aus ihrer Zurückhaltung her- airslocken. Was dabei für Großbritannien auf dem Spiele steht, besonders im Hinblick auf die Verhandlungen mit Aegypten, braucht nicht näher erläutert zu werden.
Die französisch-italienischen Beziehungen
iDe Znsammenknnst Briaud-Chamverlain-Scialoja» Graham.
TU. Genf, 12. Dez. Im Lause des Sonntags hat die vorgesehene Zusammenkunft zwischen Briand, Chamberlain, Scialoja und Graham stattgefunden. Das Eintreffen des englischen Botschafters in Rom, Graham, in Genf hat allgemein die bereits in der letzten Zeit viel erörterte Frage bxr italienisch-französischen Beziehungen und vo; gll^n Dingen die MögtichleÄ einer Zusammenkunft Zwischen Briand und Mussolini in den Vordergrund des all- gemeinen Interesses gerückt. Nach Mitteilungen von gut informierter englischer nnd französischer Seite ist hierzu zunächst in den gegenwärtigen Verhandlungen der Gedanke einer Zusammenkunft zwischen Briand und Mussolini zurückgestellt worden. Eine derartige Zusammenkunft werde erst als zweckmäßig erachtet, wenn über die Grundlagen einer Verständigung zwischen Italien und Frankreich in großen Linien eine Einigung erzielt worden sei. Die Verhandlungen, die jetzt tn Genf zwischen Briand, Chamberlain und Scialoja eingcleitet worden sind, werden durch den französischen Botschafter in Nom, de Beaumarchais, fortgesetzt werden. Hierbei soll der englische Botschafter Graham weiterhin die vermittelnde Tätigkeit der englischen Regierung fortsetzen.
Der gegenwärtige Stand der französisch-italienische« Verhandlungen
ist kurz folgender: Die italienische Negierung ist bisher der Auffassung gewesen, daß die bisherige Orientierung der französische» Politik auf dem Balkan tm Südosten Europas der Entwicklung der italienischen Interessen auf dem Balkan entgegengewirkt habe. Die italienische Regierung legt zunächst Wert darauf, daß die iUrientierung vor allem der französischen Valkanpolitik eine Aenderung erfährt und zwar wünscht die italienische Regierung, baß Frankreich von einer aktiven Politik auf dem Balkan Abstand nimmt. Italien verlangt, daß die italienische« Interessen auf dem Balkan keine Einschränkung durch die französische Politik erfahren nnd daß vor allen Dingen die Ausdehnung des politische« Einflusses Italiens im östliche« Mittel- meergebiet von Frankreich nicht gestört werde. Die italienische Regierung betrachtet den Balkan und das östliche Mittelmeergebiet als eine natürliche Sphäre für die Entwicklung der italienischen Interessen.
j Bon ttallenischer Seite soll nunmehr, wke weiter mitgeteilt wird, folgender Attionsplan vorgesehen sein:
1. Einberufung einer Viermächtckonferenz zwischen Frankreich, England, Italien und Spanien zur Revision des Tangerstatuts. In der Taugersrage soll Italien den übrigen beteiligten Mächten gleichgestellt werden. 2. Revision der Rechtslage der Italiener in Tunis. Die Kinder der italienischen Bevölkerung sollen in Zukunft nicht gezwun- gen werden, französische Staatsbürger zu werden. 3. Frei- heit der italienischen Auswanderung nach Tunis. 4. Grenz- rezelung zwischen Tunis nnd Syrenaika zugunsten Italiens. 5. Völlige Bewegungsfreiheit für Italiener in Abessinien.
Hierzu wird der französische Standpunkt folgender, maßen gekennzeichnet: 1. Frankreich ist bereit, an einer ita- lien.-jugoslawischen Verständigung mitznwirken. 2. Frank- reich lehnt zunächst die Einberufung einer Vlermächtckon- ferenz zur Revision des Tangerstatuts ab, ist aber bereit, nach Abschluß der Verhandlungen mit Spanien die Teilnahme Italiens an der Verwaltung des Tangerstatnts zu berücksichtigen. In Bezug auf Abessinien wird eine Ver- stündigung mit Italien für möglich erachtet. Die übrigen italienischen Forderungen werben vorläufig noch abgelehnt. Trotzdem vorläufig zwischen der französischen und der italienischen Auffassung in einer Reihe von entscheidende» Fragen grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten bestehen, neigt man in Genf doch der Auffassung zu, daß tm Laufe der nächsten Zeit eine Verständigung wird herbeige- führt werden können. Man weist hierbei insbesondere auf die vermittelnde Tätigkeit der englischen Regierung hin, die gegenwärtig großen Wert auf dte Herbeiführung einer solchen Verständigung legt.
Chamberlain mit dem Verlauf der BölkerbnnbStagung zufrieden.
TU. London, 12. Dez. In einem Interview mit dem Reuter-Vertreter In Genf sprach sich Chamberlain sehr befriedigt darüber aus, daß alle in der geenwärtigen Völker- bundsratstagung vertretenen Mächte mit gleichem Nachdruck für die Lösung des litauisch-polnischen Konfliktes ein- getreten seien. Chamberlain betonte, daß auch Rußland tn diesen Kreis einzubeziehen sei. Obwohl der polnisch- litauische Konflikt in der Unterredung zwischen ihr» und Mipinojv Nicht. LrräLrt K ^
winow seinen Einfluß geltend gemacht habe, um dem . Kriegszustand ein Ende zu machen. Auf die Frage, ob der Genfer Aufenthalt des englische» Botschafters tn Nom Mit der Entwicklung der französisch-italienischen Beziehungen oder mit der gerüchtweise änacktindigten Zusammenkunft zwischen Briand und Mussolini'zusammenhänge, erwiderte Chamberlain, daß von dem Besuch des Botschafters keine besonderen Ereignisse erwartet werden dürften. Chamberi latn fügte hinzu, daß die Schwierigkeiten zwischen Frankreich und Italien nicht überschätzt werde» dürften,
Untersuchungen,im polnisch-litauischen ^ Grenzgebiet
TU. Kowno, 12. Dez. Wie der Sonderberichterstatter der Telegrapheu-Union berichtet, haben sich zwei Gruppen diplomatischer Bertreter von Kowno nach der litauisch-polnische» Demarkationslinie begebe». Gleichzeitig ist eine dritte Kommission von Warschau abgereist, dte sich mit der erstgenannte» Kommission an der Demarkationslinie zu gemeinsamer Arbeit trifft. Die drei Gruppen sollen sich tm Aufträge ihrer Regierungen über die Verhältnisse an der litauisch-polnischen Demarkationslinie genau unterrichten und feststellen, pH tatsächlich von polnischer oder litauischer Gelte militärische ÄöL. bereitungen getroffen sind. Sie sind ferner angewiesen worden, ihren Negierungen unverzüglich Bericht zu erstatte».
Die Militärattachees an der litauischen Grenze abgewiese«.
Wie ein Morgenblatt aus Warschau berichtet, sah sich eine interalliierte Militärkommission, die sich am Samstag nach der polnisch-litauischen Grenze begeben hatte, um von dort aus weiter nach Kowno zu fahren, genötigt, unverrichteter Sache wieder nach Wilna zurückzukehren. Der Kommandant der litauischen Grenzwache weigerte sich, dte alliierten Diplo- matcn, die noch in Begleitung polnischer Offiziere waren, ohne ausdrückliche Anweisung seiner Vorgesetzten Dienststelle tn Kowno über dtc Grenze zu taffen.
Warschan zur Völkerbnndsratsentschcidnug im polnisch- litauische« Konflikt.
TU. Warschau, 12. Dez. Die Nachricht über die unerwartet schnelle Entscheidung des Völkerbundsrates tm polnisch-litauischen Konflikt ist hier ziemlich überraschend gekommen. Da die Nachricht erst in später Nachtstunde eintraf, konnten die'Sonntagsblätter noch nicht dazu Stellung nehme». Allgemein wird aber die Entscheidung des Rates als ein vollständiger Sieg Polens gegenüber den An- sprüchen Litauens bezeichnet. Jnnerpolittsch dürfte die Siel- lung Ptlsudskis, dem man diesen Erfolg in erster Linie zu- schreibt, besonders für die nächsten Wahlen wieder eine bedeutende Verstärkung erfahren haben. In der Wilna-Frage wird man in Warschau in der nächsten Zeit vermutlich eine gewisse Zurückhaltung üben und die in der letzten Zeit aus- schließlich gegen die Person Woldemaras' konzentrierte Pressepolemik nach und nach wieder abblasen. Schon heute ist es aber ein offenes Geheimnis, daß man die gegen die litauische Negierung eingenommenen Emigrantenführer tn Wilna wird weiter gewähren lassen und ek vielleicht nicht ungern sehen wird, wenn dadurch dte innerpolitiichen Gegensätze in Litauen weiterhin akut bleiben.