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Kamstag, äen 22. Oktober 1887.

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Wochenschau.

L6. Das Geburtsfest des Deutschen Kronprinzen hat viele' herzlich gemeinte Sympathiebeweise in und außer Deutschland hervorgerufen, namentlich hat die italienische Presse den hochverehrten Kaisersohn gefeiert. Das Befinden des Kronprinzen soll durchaus nicht den düsteren Anschauungen entsprechen, welche in so manchen Kreisen von dem Halsübel des hohen Herrn beharrlich gehegt werden, namentlich hat Dr. Mackenzie neuerdings dasselbe für nicht bösartig erklärt. Der Aufenthalt in San Nemo, wohin der Kron­prinz nächstens übersiedeln wird, soll ferneren Erkältungen Vorbeugen. Am Geburtstag des Kronprinzen wurde Prinz Heinrich vom Kaiser zum Kor­vettenkapitän und Major ü la suite der Garde ernannt. Mit dem Prinzen Wilhelm war Prinz Heinrich am 18. in Baveno anwesend. Die Repräsen­tationsaufgaben des Berliner Hofes wird im bevorstehenden Winter Prinz Wilhelm teilweise übernehmen. Fürst Bismarck hat mit Minister von Bötticher die Vorlage wegen der Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter in den Grundzügen festgestellt.

Die Landtagswahlen in Sachsen sind vorwiegend konservativ aus­gefallen, doch wählte der Landkreis Leipzig den Sozialdemokraten Bebel neuerdings in die Kammer. In Baden war es die nationalliberale Partei welche durch zahlreiche Wahlsiege den Einfluß der demokratischen und ultra­montanen Partei beträchtlich reduzierte.

In Paris, wohin Präsident Grevy zurückgekehrt ist, bildet die Skandalaffaire Caffarel l-A ndlau-Wilson fortwährend den Mittel­punkt aller Gespräche. Die Schuld Caffarels hat sich durch die Untersuchung als minder groß herausgestellt, wie man anfangs meinte, und auch Wilson scheint sich von den schwersten Anklagen, die ihm ins Gesicht geschleudert wurden, reinigen zu können; dagegen bleibt der entflohene General D'Andlau schwer graviert. General Boulanger hat seine Arreststrafe angetreten und will nicht sein Kommando aufgeben, um, wie seine radikalen Freunde wünschen, sich in die Kammer wählen zu lassen. General Ferron bereist die Ostgrenze, läßt dieselbe militärisch verstärken und fördert mit allen Kräften die Ver­teilung der Lebelgewehre an die französische Armee. Die Ministerveränder­ungen in Frankreich, von welchen viel Widersprechendes geschrieben wurde, sind noch nicht definitiv bestimmt.

In Oesterreich stürmten die Czechen ohne Erfolg gegen den Minister von Gautsch an, der nicht nur einige Mittelschulen unterdrückt hat, sondern zu den Ministern gehört, die ein Hätscheln der Czechen auf Kosten der Deut­schen nicht mehr für oportune Regierungspolitik halten. Der Reichsrat hat,

gleichwie der ungarische Reichstag die Wahlen zu den Delegationen vorzu­nehmen, ferner spielen in beiden Parlamenten die neuen Gewehre eine be­deutende Rolle. Die Ungarn verlangen in ihrer Adresse auch Justizreformen zu Gunsten des prompteren Verfahrens und der Mündlichkeit der Verhand­lungen. Der Kaiser hat eine Huldigung des bosnischen Mohamedaner ent­gegen genommen. Zwischen Serbien und Rumänien sind Handelsvertrags- Verhandlungen angegnüpft.

Die Nachrichten aus Bulgarien lassen eine friedliche Lösung der Landes­verfassungsfrage hoffen, da selbst Russenfreunde, wie der Metropolit Klement, sich dem Fürsten Ferdinand nähern. Rußland zahlte auch keine Unter­haltsmittel mehr an die bulgarischen Flüchtlinge. Die Türkei fährt fort, die ihr von Rußland angesonnenen Maßregeln gegen Bulgarien zu verweigern, da die andern Mächte solche Maßregeln wiederraten, und die neuen So- branjewahlen zu Gunsten der bestehenden bulgarischen Regierung ausgefallen sind. Uebrigens ist der Kaiser von Rußland (dessen Zusammenkunft mit dem deutschen Kaiser angekündigt aber sofort dementiert wurde) durch zahlreiche Erkrankungen an den Masern, die in der Familie seiner dänischen und eng­lischen Verwandten in Fredensburg sich ereigneten, in Besorgnis um seine eigenen Kinder versetzt worden. Manche Anzeichen deuten darauf hin, daß Rußland im fernen Asien und nicht in Europa seine nächste Aktion be­ginnen wird.

Aus England kommen fast täglich Nachrichten über Zusammen­rottungen von arbeitslosen Sozialisten und Stromer-Horden, welche auf Trafalgare-Square und in den Parken von London stattfinden. Der Polizei gelang es bis jetzt den drohenden Unruhen Herr zu werden.

KotttifcHe WcrcHvicHterr.

Schweiz.

Als Protest gegen die Hinrichtung der Chicagoer Anarchisten hielten die Berner Anarchisten eine Versammlung ab. Ein deutscher Buch­drucker Michaelsen führte den Vorsitz, und ein Deutscher Namens Martin hielt das Hauptreferat über das TagesthemaDie Verurteilung und Hin­richtung der Anarchisten in Chicago". Die zweite Rede hielt der Schweizer Schriftsetzer Kachelhofer, der kürzlich in derBerner Zeitung" ausdrücklich bestätigte, er sei ein Anarchist. Natürlich fehlten die russischen Nihilisten nicht, die in Bern studieren. Die große Mehrzahl in der Versammlung bildeten Arbeiter, die sich den Spaß machten, die furibunden Reden mit anzuhören. Martin schilderte die Chicagoer Verbrecher als Märtyrer, ihre Richter als Mörder. Er las Briefe mehrerer Genossen vor und verherrlichte den Todes«

Feuilleton. «Nachdruck verboten..

Am Rang rmd Reichtum.

Dem Englischen frei nacherzählt von Leo Sonntag.

(Fortsetzung.)

Zwei Jahre waren vergangen, seit der Marquis und seine schöne Nichte die Reise angetreten, die Lauras Erziehung vollenden und sie für die Welt ausbilden sollte, der sie fortan angehören würde. Aus dem einen ursprünglich beabsichtigten Jahr waren zwei geworden; denn der Marquis hatte sich an Lauras regem Eifer so sehr gefreut, daß er ihr jede Gelegenheit bieten wollte, ihren Fleiß zu bethätigen, ihre Talente zu verwerten. Er nahm deshalb in allen größeren Städten längeren Aufenthalt, engagierte Lehrer und überwachte selbst das stetig fortschreitende Werk der Erziehung mit liebevollem Auge. Und Laura? brachte die höhere Bildung ihr größeres Glück? Je mehr sie lernte und dachte, desto klarer wurde ihre Erkenntnis der großen Sünde, die sie begangen; je höher und verfeinerter ihre Anschauungen wurden, desto mehr entsetzte sie sich vor dem, was sie gethan, aber der Gedanke einer Rückkehr zu Robert kam ihr nie mehr. Dazu war es zu spät. Sie war an Eleganz, Luxus und Reichtum zu sehr gewöhnt, um das Leben der Armut, Entbehrung und Demütigung an Roberts Seite, je wieder ertragen zu können. Die Stimme des Gewissens war ruhig geworden, sie hatte ihr Unrecht eingesehen, sie sah es täglich klarer, aber sie mußte jetzt vorwärts, eine Rückkehr war unmöglich.

Als sie mit dem Marquis nach England zurückkehrte, da war sie ein ver­ändertes Wesen. Niemand hätte in ihr die Dorfschöne erkannt, die vor einigen Jahren so spurlos verschwunden. Wohl war sie damals eine reizende Mädchenknospe ge­wesen, jetzt aber war sie eine prächtig entfaltete Blüte, eine Zierde jeden Salons. Ihre schlanke Figur war voller und runder geworden, die Schönheit ihrer Züge war verklärt durch den Geist und die veredelte Seele, die aus den Augen leuchtete. Es

war ihr fast gänzlich gelungen, die unangenehmen Gedanken zu verdrängen; wollten sie sich ihr doch aufdrängen, so suchte sie sie mit Sophismen zu verdrängen.

Eines aber vergaß sie nie, das war ihr Kind. Pattie hatte den Kleinen zwei­mal besucht und jedesmal die besten Nachrichten über ihn gebracht, er gedieh in jeder Beziehung. Wie oft sehnte sich Lady Laura nach dem Kinde, wie wünschte sie die Zeit herbei, wenn mit einem festen Aufenthalt die Möglichkeit gekommen, den Plan auszuführen, den Pattie ausgedacht! F

So war der April gekommen, und der Marquis mar mit seiner schönen Nichte nach London gegangen, !um sie in die große Welt einzusühren und bei Hofe vorzu­stellen. Wie vorauszusehen, feierte sie einen glänzenden Triumph, und am Tage nach der Kour bei Hofe deutete der Marquis lächelnd auf alle die Karten und Ein­ladungen, die auf den Tischen umherlagen.

Siehst Du, Laura", sagte er erfreut,das Alles sind Zeugen Deines Triumphes."

Sie lachte; es gefiel ihr, sich so bewundert zu sehen.

Noch wenige Tage, und sie war die erklärte Königin in der Saison, die sich nur in den höchsten, auserlesensten Cirkeln bewegte, gefeiert, umworben, siegreich! Wie sie so, in den prachtvollsten Toiletten, mit den köstlichsten Juwelen geschmückt, von Anbetern umgeben, von Soiree zu Soiree, von der Oper zu den glänzendsten Bällen fuhr, da fragte sie sich oft: war sie dieselbe Laura, die Robert's Frühstück bereitet und den halben Tag mit Hausarbeit zugebracht? Was würden die Leute, unter denen sie sich strahlend schön und unnahbar stolz bewegte, wohl sagen, wüßten sie, daß sie Mann und Kind verlassen?

Der Marquis zählte oft lachend ihre Anbeter, doch meinte er, der Rechte sei noch nicht dabei. Auch ihr selbst gefiel Keiner davon, denn heimlich verglich sie die­selben immer mit Robert, und Keiner konnte den Vergleich aushalten. Dem Einen fehlte es an Geist, dem anderen an Männlichkeit, an jedem hatte sie etwas auszu­setzen, und der Marquis lächelte oft, wenn sie alle die Fehler aufzählte.

Es ist schwer. Dir zu gefallen, Laura", bemerkte er dann.Der Mann, der Dich heimführt, wird fast vollkommen sein müssen."