82. Jahrgang.
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Deutsches Reich.
Berlin, 18. Okt. Der „Rnchsanzeiger" teilt mit: Sir Morell Mackenzie hat vor seiner Rückkehr nach England Se. kaiserliche und königliche Hoheit den Kronprinzen in Baveno nochmals besucht und abermals die fortschreitende Besserung des Halsleidens Sr. kaiserlichen und königlichen Hoheit bestätigt, hielt aber größte Schonung im Sprechen, sowie behufs Vermeidung von Erkältungen einen Winteraufenthalt in einem warmen Klima für unbedingt notwendig. Seine kaiserliche und königliche Hoheit der Kronprinz wird daher zunächst noch in der sehr zweckmäßen und bequem eingerichteten Villa Clara zu Baveno verbleiben und dann voraussichtlich an der Riviera Aufenthalt nehmen. — Der Reichstag wird in der zweiten Hälfte des November zusammentreten. Die Grundzüge derAlters - und Jnvalidenversorgung werden sowohl dem Volkswirtschasts- als dem Staatsrat zur Begutachtung vorgelegt. Das preußische Staatsministerium wird demnächst über die Frage der Berufung beider Körperschaften verhandeln. Die wichtigste Entscheidung wird über den Punkt zu treffen sein, ob das Gesetz sofort auf sämtliche Arbeiter, also circa 12,000,000 ausgedehnt oder nur, wie bei dem Unfallgesetz, schrittweise vorgegangen werden soll.
— Der „Neichsanzeiger" veröffentlicht jetzt die Note, welche der deutsche Botschafter bei der französischen Republik, Graf zu Münster, am 7. d. M. dem französischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn Flourens, überreicht hat. Sie lautet .
„Herr Minister! Nachdem die Kaiserliche Regierung ihrem lebhaften Bedauern über den Vorgang von Do non Ausdruck gegeben und sich bereit erklärt hat, den durch die Folgen desselben unmittelbar Betroffenen eine Entschädigung zu gewähren, erlaube ich mir den Betrag derselben — 50,000 „L (fünfzig Tausend Mark) — Ew. Exzellenz hiermit zur Verfügung zu stellen. Ob die bei jenem beklagenswerten Vorfall diesseits beteiligten Militärs und Beamten ein Verschulden trifft, wird die sofort eingeleitete Untersuchung ergeben. Immerhin steht so viel schon jetzt fest, daß die bedauerlichen Vorgänge einerseits kein Ergebnis des bösen Willens unserer Beamten, andererseits aber die Folge der diesseitigen Institutionen sind, unter denen französische Staatsangehörige ohne ihr Verschulden zu leiden gehabt haben. In Folge dessen glauben wir, daß dem deutschen Reich die moralische Verpflichtung obliegt, für die durch seine Organe und seine Gesetze angerichtete Beschädigung französischer Privatintereffen einzntreten, und, wenn auch das Geschehene nicht ungeschehen zu machen ist, doch die Versorgung der Hinterbliebenen sicher zu stellen. Zu diesem Be- hufe ist die Kaiserliche Botschaft ermächtigt, eine Summe zu zahlen, deren Zinsen
den Hinterbliebenen des re. Brignon dasjenige Einkommen gewährt, welches Letzterer seiner Familie bei seinen Lebzeiten verschaffen konnte. Genehmigen Ew. Exzellenz die Versicherung meiner ausgezeichnetsten Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe zu verbleiben, Herr Minister, Ihr gehorsamster und ergebenster Diener Münster."
Die „Köln. Ztg.", welche die Note im Ganzen billigt und darin einen hohen Beweis deutscher Friedensliebe und deutschen Billigkeitsgefühls sieht, vermißt darin immerhin den Hinweis auf die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, daß auch die französische Jagdgesellschaft durch unbedachtes Vorgehen ein Verschulden auf sich geladen haben möge.
— Der seit Monaten von der belgischen Presse im Interesse der belgischen nationalen Industrie mit Leidenschaft geführte Kampf gegen die Uebertragung der Kanonenlieferungen an die Krupp'schen Werke endet mit dem Siege Krupps. Das ministerielle Brüff. Journ. erklärt in einem den ganzen Streit eingehend beleuchtenden Artikel, die Kammern hätten die Gelder für Militärzwecke nicht im Interesse der Lütticher Industriellen oder zur Errichtung nationaler Werkstätten, sondern zur Herstellung einer wirksamen Landesverteidigung bewilligt. Zu kostspieligen Versuchen in Belgien sei keine Zeit; die Kanonen würden das fünffache kosten, ohne daß ihr System und ihre Ausführung gewährleistet werden könne. Die jüngst in Belgien gebauten nationalen Postdampfer zeigen das Verkehrte solcher Versuche. Die Regierung hat die Pflicht, die besten und bewährtesten Kanonen anzukausen, und das seien die Krupps, der überdies sehr pünktlich liefere. „Aus Fürsorge für die industriellen Interessen Lüttichs," so heißt es am Schluffe, „die wirksame Verteidigung des Landes, die Zuverlässigkeit der Armee und das Vertrauen in ihre Waffen, das Blut der Diener des Vaterlandes gefährden, wäre nicht nur unverständig, sondern strafbar!" Damit ist der ganze Streit erledigt. Nicht wenig erbittert wird die französische Presse sein, die in diesem Streite nach Kräften aufreizend für die belgischen Werke Partei genommen hat und die von ihr gerühmten Bangeschen Kanonen zurückgesetzt sieht. Was ihren Unmut noch erhöhen wird, ist das abfällige Urteil des Regierungsblattes über die Bangeschen Kanonen. Dasselbe hebt hervor, daß die berühmte Bangesche 34 Centimeterkanone, die vor 2 Jahren auf der Antwerpen«! Ausstellung so viel angestaunt wurde, schon bei dem ersten in Calais stattgehabten Schießversuche zersprungen ist.
England.
London. 18. Okt. Gestern früh fand in Trafalgar Square abermals ein Meeting Arbeitsloser statt, woran gegen 4000 Personen teil- nahmen; sie entsandten eine Deputation an den Lordmayor. In Abwesen-
Feuilleton. <Nachdruck v-rbot-n.»
Am Rang und Reichtum.
Dem Englischen frei nacherzählt von Leo Sonntag.
(Fortsetzung.)
Und es war die höchste Zeit gewesen; denn Madame Duvent war noch nicht sehr lange in Colombier, da sehen wir sie eines Abends blaß und angegriffen auf ihrem Lager liegen, in ihren Armen ein kleines Wesen, auf das sie mit strahlenden Augen schaut. Wie lieb sie es hat! Sie hatte geglaubt, sie werde es hassen, griff es doch so störend, in ihre Zukunftspläne ein; aber jetzt, da sie es in den Armen hielt, da regte sich das Muttergefühl in ihr, und zärtliche Liebe für den kleinen Weltbürger erfüllte ihr Herz. Das Kind hatte ihre Augen, aber es hatte Roberts Stirn und Lippen, Roberts lockiges Haar. Es schien ihr das reizendste Baby, das die Erde je gesehen, und die getreue Pattie bewunderte es nicht minder, als ihre Herrin. Und wenn der Kleine die Augen schloß, wenn friedlicher Schlummer das rosige Wesen umfing, dann saß die Mutter an der Wiege und betrachtete ihren Sohn mit Thränen in den Augen. Ihren Sohn! — Und Roberts! Und das Kleinod hatte sie dem Vater geraubt. Wie würde Robert ihn geliebt haben, wie hätte er sich gefreut über die Erfüllung seines Herzenswunsches; war es doch immer seine höchste Sehnsucht gewesen, einen Sohn zu haben! Und nun hatte der Aermste weder Weib noch Kind, sie hatte ihm Alles, alles geraubt! Und das Kind hatte weder Vater noch Mutter; denn sie mußte es ja verlassen, sie durfte ihrem Onkel nichts gestehen, er würde sie sonst unbarmherzig verstoßen, und dann hatte sie die ganze Schuld umsonst auf sich geladen! Und selbst wenn sie zu Robert zurückkehren wollte, würde er sie aufnehmen? Ja, es überkam sie wie eine Gewißheit, er würde sie willkommen heißen, wenn sie ihm das Kind brachte, das Kind sollte der Schlüssel zu seinem. Herzen sein, durch den Sohn wollte sie den Gatten wieder gewinnen, den sie so gekränkt! Sie konnte das Kind nicht verlassen, sie liebte es zu sehr, und es sollte auch die Liebe des Vaters nicht entbehren, sie wollte dahin zurückkehren, wohin die Pflicht sie rief; sie wollte ihrem Onkel alles gestehen, und dann Hinellen zu dem
Vater. Leise, leise wollte sie auf die Schwelle des Häuschens treten, das Kind im Arme und ihn anrufen.
„Robert!" unwillkürlich hatte sie es laut gerufen und Pattie eilte herbei.
„Fehlt Ihnen etwas, gnädiges Fräulein?"
„Ich dachte an meinen Gatten Pattie! O, wenn er das Kind hätte sehen können!"
„Sie riefen Robert! War das der Name Ihres Gatten?"
„Ja", versetzte Lady Laura leiie."
„Dann muß auch das Kind so heißen, es muß den Namen seines Vaters tragen."
„Ich habe auch scbon daran gedacht, aber ich konnte es nicht ertragen, ihn so nennen zu hören; er soll Hans heißen, Hans Robert."
Und sie küßte das Kind, küßte die kleinen Hände, das rosige Gesichtchen. Der Entschluß stand fest, und es war ihr völliger Ernst damit; sie wollte das Kind nicht verlassen, nichts auf Erden sollte sie dazu bewegen. Sie wollte Rang und Reichtum entsagen, um ihrem Sohne den Vater wiederzugeben!
Da kamen Briefe von ihrem Onkel, der seinen Prozeß gewonnen hatte und binnen Kurzem wieder in Paris eintreffen wollte. Er bedauerte, daß sie unwohl gewesen und hoffte, daß die Landluft sie soweit hergestellt, daß er bei seiner Rückkehr sie wieder in Paris treffen werde. Was sollte sie thun? Sie mußte dem Marquis schreiben, ihm ihre Schuld gestehen, ihm zugleich sagen, daß sie sich nie entschließen würde, ihr Kind zu verlassen oder von sich zu geben. Er würde sie dann sicher empört von sich weisen; doch sie wollte zu Robert gehen, mit dem Kinde auf den Armen wollte sie seine Verzeihung erflehen, und er vergab ihr gewiß, vergab ihr gewiß um des Kindes willen. Sie saß und dachte mit der Feder in der Hand, sie überlegte, wie sie es wohl anfangen solle. Nie seit sie den verhängnisvollen Schritt gethan, war sie so nahe daran gewesen, ihn ungeschehen zu machen und reumütig zu dem verlassenen Gatten zurückzukehren.
Da siel ein Schatten zwischen sie und die Sonne. Pattie stand vor ihr.
„Gnädiges Fräulein", sagte sie, „es ist die höchste Zeit, daß Sie beschließen, was mit dem Kleinen geschehen soll, wenn der Marquis schon so bald zurückkehrt."
„Ich kann mein Kind nicht verlassen", rief Laura leidenschaftlich; „eben bin ich im Begriff, es meinem Onkel zu schreiben."
„Sie wollen dem Marquis also Alles gestehen?" fragte Pattie betreten.