Eine Reichsverwallungsslelle für Ostpreußen

LU. Berlin, 11. Dez. Amtlich wirb mitgeteilt: Nach überelnstiinmenücn Entschließungen der Reichsre.sterunj-. und der preußischen Siaatsregierung ist im Ne;hc wne:.- Ministerium eine Verwaltungsstelle ei ngerichiet worden, die unter der Leitung des Ministerialdirektors Dr. Tammann steht. Sie hat tm engsten Einvernehmen mit den sonstigen sachlich zustündigen Ressorts namentlich auch den preusufchen Dienststellen, die einheitliche und beschleunig!; Behandlung aller auf Ostpreußen und die übrigen östl chr.r Grcnzvrovin- zen bezüglichen Fragen sicherzustelle». D°e Verwaltungs­stelle hat ihre Arbeiten in gemeinsame» Beratungen mit den zuständigen Reichs- und preußischen Neis-tts auf wich­tigen Gebieten bereits soweit gefördert, daß voraussichtlich alsbald maßgebliche Entscheidungen getroffen werden können

Die Kriegsjchuldfrage

GS dämmert!

Langsam aber sicher breitet sich i» den Bereinigten Staa­ten die Erkenntnis ans, baß die Teilnahme am Weltkrieg auf selten der Franzosen und Engländer sich nicht mehr in daSmoralische" Mäntelchen hüllen läßt, sie sei erfolgt, um die Demokratie der Welt zn retten". Nicht nur aus öffent­lichen Kundgebungen namhafter Politiker ergibt sich die neue Einstellung, sondern auch aus weniger beachteten inner- politischen Vorgängen. Wenn beispielsweise kürzlich das demokratische StaatSkomttee Missouris den Senator JamcS A. Reed einstimmig als demokratischen Präsidcntschastökan- dldaten aufgestellt hat, so ist das ein sehr bezeichnendes Er­eignis. Reed wurde nämlich vor 7 Jahre» aus der Partei auögestoßen, weil er die Politik Wilsons bekämpfte und gegen den Versailler Schmachfrtedeu sowie de« Humbug des Völkerbundes in seiner damaligen Gestalt auftrat. Seine tetztge Ausstellung spricht also für einen Umschwung in der Stellungnahme der Demokratischen Partei des Staates Mis­souri zur Wtlsonjchcn Politik. Wenn dieser Stimmungs­wechsel wohl auch in erster Linie dem Umstand zn verdanken ist, daß trotz des Riesengeschäftes nicht alle Blütentrüume der Bankers reiften, weil sich die ehemaligen Alliierten zu­meist als faule Schuldner zeigen, so kann er doch einer ge­schickten deutschen Politik mancherlei Möglichkeiten bieten. Daher verdienen solche außenpolitisch scheinbar unerheblichen Ereignisse Beachtung.

Der polnisch-litauische Konflikt

Die Bespre ^:>zen der Staatsmänner in Genf.

Genf, 11. De». Der Freitag Nachmittag war mit einer Reihe von Besprechungen ausgefnllt, denen man erhebliche Bedeutung betmißt. Der polnische Außenminister hatte, wie bereits gemeldet, Brtand und Chamberlain zu einem ge­meinsamen Esten bet Pilsudski gebeten, an dem jedoch Cham- berlain, der infolge einer früheren Verabredung mit Reichs- mtulster Dr. Streseman» das zweite Frühstück nahnr, erst zum Kaffee gegen S Uhr kommen konnte. Nach einem kur­ze» Zusammensein der vier Staatsmänner hatte dann der englische GtaatSminister des Äußere» eine auderthalbstün- dtge Unterredung mit Pilsudskt. Weitere Besprechungen mit dem polnischen Ministerpräsidenten waren abends 6 Uhr rroch nicht festgesetzt. Es gilt aber als sicher, daß er noch eine Reihe der hier weilenden Staatsmänner empfangen wird, darunter auch RetchSmtnister Dr. Stresemann.

Der litauische Ministerpräsident Woldemaras stattete kurz nach 5 Uhr dem französischen Außenminister Brianb einen längeren Besuch ab. ES wird davon gesprochen, daß der pol­nisch-litauische Konflikt bereits in der nächsten öffentlichen

Die gläserne Welt

87 Roman von Otfrid v. Haustein.

Der Redakteur ist müde. Aber seine Pflicht ist eS. gier noch zu wachen. Jeder Augenblick kann irgendwoher ein Telegramm ooer einen drahtlosen F'inkspruch bringen, der noch zu berücksichtigen ist. Aber er hat nichts zu tun.

Er gähnt und raucht eme Zigarre. Ta fällt ihm ein, er ivar ja an diesem Nachmittag auf der Generalver­sammlung der Hölderlinwerke. Von dem glänzenden Sieg des Kommerzienrats und seiner begeisterten Ncde hat er schon berichtet. Jetzt fällt ihm ein. von zwölf bis eins ist das Nundfunkkonzert. Warum soll er nicht lauschen, um sich die Zeit zu vertreiben. Er sieht nach der Uhr. Es ist ein Viertel nach zwölf. Er rückt den laut- vcrstärkcnden Trichter zurecht und schaltet den Apparat nn. Leise schmeichelnde Musik tönt herüber. Felix Ro­bert Mendelssohn, der geniale Cellospieler, von dem kon­genialen Walter Meissner begleitet, spielt ein Konzertstück.

Kommerzienrat Hölderlin bietet seinen Aktionären in der Tat ein herrliches Schlummerkonzert. Der Redakteur beschließt, diese Mitternachtsmusik morgen noch besonders zu rezensieren. Die Töne verklingen. Eine Pause »ein keine Pause, ganz laut und vernehmlich tönt auS dem Rundfunk eine menschliche Stimme.

Das Unglaubliche ist Severin MagnuS gelungen. Ge- danken direkt wieder in tönende Worte umzusehen. Wie genau muß er die Schallwellen studiert haben, die Kam- merzieiirat Hölderlins Stimme hervorbringt. daß deutlich d esc Stimme in den Worten seht zu erkennen ist, in den Worten, die die Gedanken in alle Welt jetzt hinausschreien, di; Reinhold Hölderlin im einsamen Zimmer an seinem Schreibtisch denkt, nicht ahnend, daß der Nadio-Cerebrator an diesem Stuhl befestigt ist.

Ratssitzung, vle auf Samstag vormittag 10,30 Utzr angesetzt ist» zur weiteren Behandlung kommen soll.

Die Stimmung in Kowno.

Wie der Sonderberichterstatter der Tel.-U. aus Kowno meldet, verfolgt die litauische Oesfcntlichkeit den Ver­lauf der Genfer Verhandlungen mit wachsender Spannung. Während ein Teil der Oesfenttichkeit die Ueberzcugung ecr- tritt, daß Wvldemaras in Genf fest bleiben und sich .>.f k.ü> Kompromiß elnlafse» werde, befürchte» auoere K.eisi, daß Waldemaras gezwungen sein werde, mit Polen Vereinba­rungen zu treffen. I» diesen Kreisen wird jed.^ durch Woldemaras abzufchlleßcnöe Kompromiß als eine Nieder­lage Litauens anfgesaßt. Die über den Gang der Verhand­lungen in Genf durch die hiesigen Zeitungen nur sehr spär­lich orientierte Oefsentlichkcit nur eine einzige litauische Zeitung ist in Genf vertreten wartet mit Spannung auf das Eintreffen ausländischer Zeitungen mit den ausführ­lichen Berichten über den Verlauf der Genfer Verhandlun­gen. Dte von Warschau aus verbreiteren Nachrichten über eine Konzentration litauischer Truppen an der Grenze oder sonstige Sicherheitsmaßnahmen über Einbruch und Doku­menten biebstahl bei Woldemaras, über Massenverhailnttgen irsw. entsprechen nicht den Tatsachen. Verhaftet wurden viel­mehr lediglich 7 Studenten, die in einer Veri»m-",'»ng m der Universt.üt erklärten, Woldemaras würde in Genf Wilna an die Polen verkaufen. Von Truppenbewegungen und sonstigen Alarmberettschajren ist nichts bekannt und das tägliche Leben nimmt seinen normalen Gang. Die Ruhe in der Bevöllerung und in den polittjchrn Kreisen ist ans die allgemein vertue,leie Ansicht zurückzvsühren, daß Polen nicht in Litauen einfallen werde, solange die Verhandlungen in Genf nicht beendet seien. Mit einer solchen Gefahr wird etst für den Fall gerechnet, daß die Genfer Verhandlungen scheitern und PilsudSki den Entschluß faßt, seine Drohungen gegen Litauen wahrznmachen, doch herrscht auch in dieser Hinsicht gewisse Ruhe, weil inan der Ansicht ist, daß ei» solches Vorgehen Polens die Existenz deS Völkerbundes ge­fährden würde.

Neue polnische Nebcrgrksfe in Obeifchlesie».

TU. Kattowitz, 11. Dez. Bon der Kattowitzer Polizet- direktion ist der Antrag des Verbandes der deatschg iinnten Kriegsbeschädigten und Kriegerhimerblieüeaeil in Pvlnisch- Oberschlcsien wegen Veranstaltung einer Sammlung z:> einer Weihnachtsbescherung abgelehnt worden. Tie Ab­lehnung dürfte zweifelsohne auf politijchc Momenie znrüst- zuführen sein, zumal der deutsche Kricgsdc.chädigtenierba d schon früher bet Verteilung von Geldmitteln nicht bedacht worden ist. Hierüber liegt bereits eine Be>chwerbc be »> Minderheiteuamt vor.

Die italienische Frage

Italienische Mahnnng an Frankreich «ub England.

TU. Paris, 11. Dez. Eine italienische Persönlichkeit, die sich von dem französischen Botschafter BeSnard bet seiner Ab­reise auf dem Bahnhof in Rom verabschiedete, gab dem Ver­treter von HavaS eine Erklärung ab, in der sie die jüngsten Ereignisse als für dte französisch-italienischen Beziehungen günstig bezeichnet«. Es sei dabei jedoch notwendig, besonders auf dte Tatsache hinzuweifen, daß die allgemeine italienische Frage, die nach dem Kriege entstand, unabhängig sei von den Streitfragen, die Frankreich und Italien vorübergehend trennen könnte«. Wenn diese Streitfragen einmal gelöst seien, würde die italienische Frage tu vollem Umfang be­stehen bleiben, so wie sie aus dem Versailler Vertrag hervor- ging. Italien werde nur dann ein Frleöcrrsfaktor und ein Element des Gleichgewichts in der Welt werden könne», wenn setne Regierung auf Grund konkreter außenpolitischer

Auch der Redakteur weiß nichts davon. Er glaubt, den Kommerzienrat selber zu hören:

Ich habe gelogen. Ich, Neinhold Hölderlin, ich. der ich sechzig Jahre ein makelloses Leben geführt, ich habe gelogen, ich habe wiver mein besseres Wissen die Aktio­näre betrogen. Ich habe ihnen nicht gesagt, daß schon heute vormittag die definitive Ablehnung des amerika­nischen Konzerns kam. Ich habe ihnen nicht gesagt, daß unsere Kassen vollkommen leer sind. Daß Wechsel laufen, die ich nicht zahlen kann. Daß nur das neue Geld, was sie morgen einschießen sollen, uns vorläufig über Wasser hält. Und weiß ich. ob dieses Geld uns rettet, war es nicht eine Torheit, noch gutes neues Geld dem verlorenen alten nachzuwerfen? Wird es uns helfen, kann es uns helfen? Ich glaube es selbst nicht. Ich habe wie ein Schurke an unseren Aktionären gehandelt."

Der Redakteur steht entsetzt und starrt in de» Apparat. Die Worte sind verstummt. Wle ein Hohn ist es. daß in diesem Augenblick eine lustige Lperettenrveise ans dem Schalltrichter ertönt. Der Redakteur hat fieberhaft die Worte auf Papier geworfen. Nun rast er in die Druckerei hinunter:

Die Maschinen aufhalten, den Druck unterbrechen. Eine Sensationsnachricht, die notwendig hinein muß!"

Sensationelle Enthüllungen. Die Hölderlinwerke vor dem Konkurs. Die Generalversammlung düpiert. Widerruf und schreckliche Enthüllungen, die Kommerzien­rat Hölderlin macht"

Und wie auf dieser Redaktion, ist es auf den anderen. Alle Zeitungen waren ja angeschlossen an diesen Spezial- timdfunk der Hölderlin werke, an dieses mitternächtige Sonderkonzert. Ueberall stehen die Druckmaschinen, über­all fliegen die F^derck der Redakteure über das Papier.

Ergebnisse die Gegenwart und Zukunft des Landes konsoli. diert habe. ES sei an Frankreich und England, zu überlegen, ob diese Länder nicht ein Interesse daran hätten, durch alle Maßnahmen dte Erreichung dieses Zieles zu erleichtern. Die französisch-italienischen Probleme seien nicht die ganze italienische Frage. Sie könnten jedoch den Ernst dieser Frage vermehren oder ihn zu bedauerlichen Mißverständnissen in einer mehr oder weniger nahen Zukunft umfälschen.

Aus den Parteien

Tagung der deuischnationalen Partcivcrtretet

TU. Berlin, 11. Dez. Nachdem Parteileitung und Par- teivorstand getagt hatten, trat die üeutschnationale Partei­vertretung zusammen. Mehr als AM Vertreter auS dem ganzen Reiche waren erschienen, so daß der große Festsaal des Landtags überfüllt war. Zunächst wurde bas Thema BerfassungS- und Verwaltungsreform" besprochen. Be- rtchterstatter waren die NrtchStagSabg. Berndt und Geüetm- rat Hngenberg. Im Anschluß an diese beiden Vorträge ent- vickelte sich eine ausgedehnte Aussprache, in die n. a. Netchs- tnnenminister v. Keudell, Wallraf und der Vorsitzende der Landtagsfraktton, Winkler, eingriffen. Die Aussprache er­gab vollständige in einer Entschließung zum Ausdruck kom­mende Einmütigkeit. Später wurden Finanz- und Orga» nisationdsragen besprochen. Hieran schloß sich eine Erörte­rung über die gegenwärtige politische Lage.

Aus aller Welt

Zum Tode verurteilt.

Das Schwurgericht in Frankfurt a. O. verurteilte den polnischen Schnitter Skoczylar wegen Mordes" znm Tode. Der Verurteilte gehörte einer vielköpfigen Räuber­bande an, von der zwei Mitglieder bereits htngerichtet sind, während Skoczylar und der vierte zu lebenslänglichen Zucht­hausstrafen verurteilt wurden wäre». Nachdem man Skoe-, zylar nun eine weitere Mordtat in der Nähe von Münche­berg nachgewiesen hatte, wurde auch er zum Tvde verurteilt.

Keine Todesstrafe in Oesterreich.

Wie dte Abendblätter aus Wien melden, wurde im Ju- stizansschuß des Nationalrates ein Antrag auf Einführung der Todesstrafe mit allen gegen dte Stimmen der Antrag­steller abgelehnt.

Schweres Bergwerknnglück in Zen trat rußland.

Wie aus Moskau gemeldet wird, wurden in einem Berg­werk in Zentralrußland 73 Arbeiter verschüttet. 20 der Verschütteten konnten nur noch als Leichen geborgen w«» den. Dte Bergungsarbeiten werden noch fortgesetzt. AIS Ursache des Unglücks werden heftige Schneestürme angegeben Kapitän Lalors noch tn PiratenhSnde«.

Dte für Mittwoch erwartete Freilassung des in die Ge­walt chinesischer Piraten gefallenen englische« Kapitäns LalorS ist »och n'cht erfolgt, da die Piraten nunmehr ein höheres Löfegeld verlangen. Nach Mitteilungen der engli­schen Admiralität stehen bestimmte Mitteilungen über das Schicksal Lalors noch ans. Die Nachforschungen nach dem Gefangenen sind seit Mittwoch im Gange und banern zur Zeit noch an. Unbekümmert um die zn ihrer Bekämpfung eingcleiteten Maßnahmen setzen dte Piraten ihr Unwesen tn den Küstengewässern fort. Gestern wurde nur 20 Mellen von Kanton entfernt ein 1885 Tonnen großer Dampfer, der jedoch entkommen konnte, von den Seeräubern beschossen.

Vier Opfer eines FlngzengzusammenstoßeS.

Nach einer Meldung aus Tokio sind 2 japanische Marine­flugzeuge bet Nachtflügcn über dem Flugplatz von Uuura zusammengestoße». Beide Maschinen stürzten ab und wur, de» zertrümmert. Pilot und Beobachter beider Flugzeuge wurden gelötet.

Ueberall arbeiten die Setzmaschinen in fiebernder Eile. Im Hotel Exzelsior herrscht wildester Aufruhr. In zweihun­dert Zimmern lauschten zweihundert Ohren dem Geoan- kengestäiidiiiS des Generaldirektors der Hölderlinwerke. Türen werden aufgerissen, Herren stürzen heraus. Ein­zelne schon nn Phjama, andere wieder in Mantel uno Hut, so wie sic gerade kamen. Lächerlich ist es, wie zwei­hundert Schalltrichter fröhliche Operettenmelodien in leere Zimmer hineinschmettern. In der großen Halle sammelt sich alles."

Haben Sie gehört?"

Die Hölderlimverke sind pleite."

Der Kommerzienrat hat uns belogen/.

Schwindel war alles."

Habe ich es nicht immer gesagt?"

Unser Geld ist verloren."

Wie aus der Börse, wenn um zwölf Uhr mittags die pekulationswütigen Spieler durcheinanderschreieu, ist's ctzt in der großen Halle deS stillen Hotels. Der Direktor ucht vergebens zu beruhigen. Gruppen beraten. Andere ammern und schreien. Wieder andere rennen an die Telephone. Rechtsanwälte werden aus ihrem Schlummer geschreckt. Wildestes Tohuwabohu. Wie der Morgen kommt und noch ehe die Zeitungen die neue Sensations­nachricht hinaustragen in alle Welt, ist das Schicksal der Hölderlimverke, das Schicksal des Kommerzienrats Neinhold Hölderin schon besiegelt.

Oben in seinem Amtszimmer liegt Hölderlin, bas Haupt in die Hände gelegt und schläft den Schlaf voll­kommener Erschöpfung. Er weiß nicht er ahnt nicht« was in diesen Stunden geschehen.

tForttetzung folatä