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daß die von den beiden Staatsmännern getroffenen Vereinbarungen, namentlich betreffs der in der b u l g a r i s ch e n F r a g e zu befolgenden Politik, einen durchaus friedlichen, ja selbst auf Entgegenkommen gerichteten Charakter tragen. Die öffentliche Meinung in Rußland hat diese Symptome einer günstigeren Gestaltung der allgemeinen Lage mit Gefühlen tiefer Befriedigung ausgenommen. Ein Umschwung, inmitten einer durch die unabsehbare Verlängerung der bulgarischen Krise hervorgerufenen allgemeinen Verstimmung, erscheint selbstverständlich in russischen Regierungs- kreisen als eine glückliche Wendung. Die politischen Kreise Rußlands, welche sich, durch Unmut und Ungeduld getrieben, vielfach in undurchführbaren Kombinationen ergingen, beginnen wieder sich zu beruhigen, um die Erfolge der auf die Lösung der bulgarischen Frage gerichteten Bemühungen der Diplomatie abzuwarten, und es befestigt sich wieder die Einsicht, daß, wenn jene Lösung ohne jede Gefährdung des europäischen Friedens erreicht werden soll, dies am sichersten auf dem Wege diplomatischerVerständig- ung zwischen den Mächten geschehen kann.
Gages-Weuigkeiten.
* Calw, 3. Okt. Am gestrigen Sonntag nachm, wurde in der Stadtkirche von I. Graf, Organist an der St. Kilianskirche und Orgelbaurevident in Heilbronn unter Mitwirkung des hiesigen Kirchenchors ein Konzert veranstaltet. Die Ausführung war wohl gelungen und es wäre eine größere Beteiligung seitens der Einwohnerschaft sehr angezeigt gewesen, umsomehr da ein Orgelkonzert seit einer Reihe von Jahren hier nicht stattfand. Daß die Orgel die Königin der Instrumente und von keinem andern übertroffen wird, davon konnte sich jeder überzeugen, der den prächtigen Vorträgen des Konzertgebers aufmerksam folgte. Hr. Graf hatte 5 Nummern des Programms übernommen und außerdem noch einige Begleitungen zu den Gesangseinlagen. Von I. S. Bach kam eine Toccata und Fuge in v-moll und ein Trio über „Schmücke dich, o liebe Seele", von Mendelssohn ein Adagio und Allegro aus der II. Sonate, von M. G. Fischer ein Trio in 6-äur und von Thiele die großartige chromatische Phantasie zum Vortrag. Hr. Graf zeigte sich als ein sehr gewandter Spieler mit eminenter Technik und vorzüglichem Anschlag. Sein Spiel läßt in allen Stücken, besonders auch in der Registermischung, die in den beiden vorkommenden Trios recht entsprechend war, den tüchtig geschulten Künstler erkennen. Die vom Kirchengesangverein gesungenen Chöre waren abgesehen von dem hauptsächlich der Präzision entbehrenden Choral „Wachet auf" gelungen, besonders erwähnen wir den schönen, einfachen und wirklich klangvollen Chor von Sauer: „Flehend heben wir die Hände", der mit anmutender Innigkeit zum Ausdruck kam. Als Solisten traten noch auf die HH. Fr. Gundert und Major v. Klett in dem Duett „So sind wir nun Botschafter" und in der Arie „Gott sei mir gnädig" aus dem Oratorium „Paulus"; Hr. Organist Vinqon hatte die weiteren Orgelbegleitungen übernommen.
Stuttgart, 24. Sept. (Vortrag über Südbrasilien.) Gestern sprach auf Einladung des handelsgeographischen Vereins Pfarrer Rotermund aus Südbrasilien über die Einwanderung der Deutschen nach Südbrasilien. Derselbe, zugleich Redakteur einer deutschen Zeitung daselbst, empfiehlt die 3 Südprovinzen Brasiliens, aber auch nur diese, als für Deutsche geeignet, sowohl hinsichtlich des Klimas, als der politischen und religiösen Verhältnisse wegen. Redner empfiehlt die hier gebildete Aktiengesellschaft zum Ankauf von Land in Rio grande do Sul und schildert das Leben der deutschen Kolonisten in diesem Landstrich. Es sind bis jetzt 100,000 Deutsche dort, der 7. Teil der Bevölkerung; der 3. Teil des ganzen Wertes der Provinz ist in deutscher Hand; der deutsche Handel hat hauptsächlich die Frequenz von 23 Dampfern in Porto Allegro hervorgerufen. Porto Allegro macht den Eindruck einer deutschen Stadt, auf den Straßen hört man viel deutsch sprechen. Die Deutschen haben auch in religiöser Be
ziehung freie Bewegung; das Gesetz, wonach die Nicht-Katholiken ihre Gottesdienste nicht in Kirchen und kirchenähnlichen Gebäuden halten dürfen, ist zwar nicht aufgehoben, aber nicht angewendet. Es sei Pflicht der Protestanten Deutschlands, für die Glaubensbrüder in Brasilien ebenso einzutreten, wie die Katholiken dies für die ihrigen dort thun. Reicher Beifall lohnte den Redner.
Cannstatt, 30. Sept. Gestern Abend nach Schluß der Rennen des Württ. Rennvereins gab der Präsident desselben Se. K. H. Prinz Wilhelm von Württemberg, den Ausschußmitgliedern, sowie den Siegern ein feierliches Mahl im Gasthof zu den 4 Jahreszeiten, bei welchem Se. K. Hoh. den.einzigen Toast auf Se. Maj. den König ausbrachte, welcher von der Versammlung mit Begeisterung ausgenommen wurde. Unter den Anwesenden befand sich insbes. auch Se. Hoh. Prinz Herrmann von Sachsen- Weimar. Von hier hatten zu dem Festesten Einladungen erhalten und an demselben Teil genommen Präsident Werner, Reg.-Rat Rath und Oberbürgermeister Nast. Speisesaal und Tafel waren prächtig verziert und alles Gebotene war vorzüglich, so daß Gastgeber Wieland die vollste Zufriedenheit ausgedrückt wurde. — Das Volksfest hat mit einem Reingewinn für die Stadt von gegen 2500 ^ seinen Abschluß erreicht. Der Abbruch der Schaugerüste und Buden ist in vollem Gange.
Tübingen, 27. Sept. Vor den Schranken des Schwurgerichts wurde heute ein Fall verhandelt, der zu den grausigsten gehört, welche die neue Kriminalstatistik aufweist. Franziska Langheinz, Ehefrau des Bauern Langheinz in Kiebingen, O.A. Rottenburg, 30 I. alt, war des Mordes ihrer 8 jährigen Stieftochter angeklagt. Vorsitzender war Land- gerichtspräs. v. Häcker, Richter die Landgerichtsräte v. Reuß und Kohlhund, als k. Kommissär war anwesend Landgerichtsrat Weizsäcker vom k. Justizministerium in Stuttgart. Die Angeklagte, 2 I. verheiratet, faßte einen unüberwindlichen Groll gegen die Stieftochter. Nach ihrem eigenen Geständnis wußte sie ihren Mann am 30. Aug. nach Rottenburg, ihre 16jährige Schwester mit einem kleinen Kinde auf den Acker zu entfernen, dann habe sie die Stieftochter ins Haus genommen, mit Weingeist und Erdöl begossen, dasselbe angezündet, und dieselbe noch, um ihr Ende zu beschleunigen, mit einem Holzscheit geschlagen. Zu der Zeit sei ihre Schwester nach Hause gekommen, habe das Opfer in der Küche gesehen, sei mit dem Ruf: „i werd narret, i bleib net do" die Stiege hinabgestürzt und habe ihrer Schwägerin Mitteilung gemacht. Die Aussage der Gerichtsärzte vr. Bisinger und Kieferle in Rottenburg lautete dahin: Nach ihrem Ersund war Vs der Körperoberfläche, Kopf, Brust und Rücken teilweise bis zur völligen Verkohlung verbrannt; zahlreiche Wunden, beigebracht durch ein scharfes und stumpfes Werkzeug, finden sich im Gesicht und Hinterkopf; diese Verletzungen gingen der Verbrennung voraus ; der Tod wurde nur durch die leztere herbeigeführt. Der Verbrennungsprozeß habe 10—15 Minuten gedauert. Das Kind sei Vs Stunde nach dem Herbeieilen der Nachbarn gestorben. Die Einzelheiten der Verhandlung gaben ein schauerliches Bild von Vertierung, wie auch die Angeklagte den Eindruck einer gefühllosen und geistig beschränkten Person machte. Nachdem I. Staatsanwalt Scheurlen auf Mord, R.A. Bierer auf Annahme geistiger Unzurechnungsfähigkeit plaidiert hatten, zogen sich die Geschworenen in ihr Beratungszimmer zurück. Schon nach 10 Minuten verkündigten sie durch ihren Obmann Forstmeister Graf Uxküll den Wahrspruch: desMordes schuldig. Die Angeklagte näherte sich ruhig dem Gerichtspräsidenten und sagte: Gnädiger Herr, i bitt um eine gnädige Straf. Auch bei der bald erfolgten Verkündigung des Todesurteils blieb sie stumpf, gleichgiltig; sie wurde mit einem Wagen durch die dichtgedrängte Menschenmenge in das Gefängnis zurückgeführt.
Tübingen, 29. Sept. Die T. Chr. berichtet: Der ledige Josua Braun von Unterjesingen machte gestern auf dem Schulheißenamt dorten die Anzeige, er habe in der Frühe seinen Vater tot in der Scheunentenne aufgefunden; derselbe müsse vom Garbenloch heruntergefallen sein. Der
ursacht mir Kopfschmerzen; Kleinigkeiten, die ich sonst nie bemerkte, erregen mir Schwindel und Uebelkeit. Ich hoffe nur, ich werde nicht krank werden."
„Ich hoffe es auch nicht, gnädiges Fräulein!" aber die Stimme des Mädchens klang hart und kalt.
„Warum siehst Du mich so merkwürdig an, Pattie?" fragte Lady Laura ungeduldig.
„Ich bitte um Verzeihung, gnädiges Fräulein, ich dachte nur, es wäre besser, wenn Sie einen Arzt zu Rate zögen, wenn Sie sich nicht bald besser fühlen."
„Ja, ich dachte es auch schon", entgegnete die junge Dame, „aber mein Onkel ist so ängstlich besorgt um mich, daß ich nicht gerne mit ihm darüber reden möchte."
„Es könnte leicht geschehen, ohne daß der Herr Marquis belästigt würde, gnädiges Fräulein, wenn Sie es wirklich wünschen."
„Warum sollte ich es wirklich nicht wünschen? Was für merkwürdige Dinge Du redest, Pattie, und wie sonderbar Du mich immer ansiehst!" Was willst Du nur? Uebrigens fühle ich mich heute viel wohler, als die ganze Zeit. Jetzt aber muß ich mich rasch anziehen, denn um zehn Uhr kommt Monsieur George zu meiner Zeichenstunde."
Monsieur George kam, und nachdem die Zeichenstunde vorüber war, kam die Comteffe, um der jungen Dame beizubringen, wie man sich benehmen müsse, wenn man bei Hofe vorgestellt werde. Nach beendigtem Unterricht fühlte sich Lady Laura sehr müde und angegriffen und schellte Pattie.
„Bringe mir ein Glas Orangeblütenwasser, Pattie, ich fühle mich abgespannt."
Als Pattie zurückkehrte, stand ihre Herrin gegen den eleganten Kamin gelehnt. Sie nahm das Wasser aus ihrer Hand, trank es aus und dann plötzlich, ohne ein Wort, ohne einen Schrei, sank sie zu Boden. Das erschrockene Mädchen eilte auf sie zu, hob sie auf und legte sie auf das Sopha. Dann rang sie verzweiflungsvoll die Hände.
„Ich wußte es", sagte sie zu sich, „ich war sicher, daß es so sei. Was soll ich jetzt thun? Wäre ich nur nicht hierhergekommen! Und doch, das arme Fräulein wird jetzt eine Stütze nötig haben. Ich will sie nicht verurteilen; ich kenne ja ihre
Lebensgeschichte nicht. Ich glaube, es ist manche dunkle Stelle darin, die selbst der Herr Marquis nicht kennt.
Nach einigem Bemühen gelang es ihr, die junge Dame wieder zu sich zu bringen.
„Ich bin wohl sehr unwohl gewesen, Pattie?" fragte sie.
„Ja sehr, gnädiges Fräulein."
„Ich begreife gar nicht, was mir fehlt", fuhr Lady Laura fort.
„Wenn ich Ihnen raten darf", meinte Pattie, „so gehen Sie heute nicht zum zweiten Frühstück hinunter, sondern nehmen es in Ihrem Zimmer ein und dann ruhen Sie ein Wenig. Ich werde dem Herrn Marquis sagen, daß Sie sich übermüdet haben und der Ruhe bedürfen."
Laura fühlte sich zu angegriffen, um irgend welchen Widerspruch zu erheben, und so geschah es, wie Pattie vorgeschlagen.
Gegen Abend, als der Marquis ausgegangen, trat Pattie in das Zimmer ihrer jungen Herrin. Lady Laura lag auf dem Sopha, ein Buch in der Hand, das Bild des Luxus und der Behaglichkeit. Sie sah viel bester aus, als am Morgen, und Pattie wußte nicht recht, wie sie ihre Unterhaltung beginnen sollte. Endlich trat sie leise an Lady Lauras Seite.
„Gnädiges Fräulein", sagte sie, „wollen Sie ausführen, wovon wir heute morgen sprachen und einen Arzt zur Rate ziehen?"
„Ja Pattie, das will ich, die Ohnmacht erschreckte mich; gewiß, ich will einen Arzt befragen."
Aber Pattie war noch nicht zufrieden.
„Fräulein", fuhr sie fort, würden sie es mir sehr übel nehmen, wenn ich Ihnen einen Vorschlag machte?
„Durchaus nicht, rede nur."
„Es giebt viele englische Aerzte in Paris; ich glaube es wäre bester, wenn sie zu einem von diesen gingen."
„Natürlich, ich kann ja gar nicht genug Französisch, um mich einem Franzosen verständlich zu machen."
(Fortsetzung folgt.)