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und nach Baden-Baden zu begeben. — Die Post schreibt: Die Meldung, datz der Direktor der Diskontobank in Petersburg gegenwärtig in Paris wegen Unterbringung der in Portefeuille der russ. Reichsbank befindlichen 125 Millionen 5pro;entigee Staatseisenbahnenrente unterhandelt, hat die lebhafte Aufmerksamkeit unserer Finanzkreise und namentlich unserer Börsenblätter erregt. Es scheint fast, daß die Nachricht mehr Befriedigung als Bedenken hervorruft. Ein Börsenblatt meint, daß die Erweiterung des Marktes für russische Papiere und namentlich die Aufnahme solcher Papiere durch den Pariser Markt nur die Folge haben könnte, den Kursstand der- selben zu heben. Dadurch werde der Abfluß russischer Schuldtitel nach Frank- reich erleichtert, eine Hoffnung, die völlig unfern Wünschen entspricht. Auf der andern Seite grämt man sich bereits, daß das schöne russische Geschäft dem deutschen Kapitalmarkt entzogen werden konnte, tröstet sich indes einstweilen noch mit der Annahme, daß die Aufnahmefähigkeit Frankreichs für russische Werte zur Zeit nicht bedeutend sein dürfte. Beide Blätter gehen von der als ganz feststehend betrachteten Annahme aus, daß Rußland mit der in Paris zu bewirkenden Unterbringung von Eisenbahnrententiteln nur die Bedürfnisse seiner laufenden Verwaltung zu decken beabsichtige, daß aber Ausgaben für Rüstungen, kriegerische Kundgebungen oder gar Handlungen gänzlich ausgeschloffen seren. Es wäre recht wertvoll, zu wissen, aus welchen Quellen jene Blätter solche Zuversicht schöpfen. In Konstantmopel hegt man, wie der Polit. Korresp. unrerm 13. Sept. geschrieben wurde, großes Mißtrauen, weil russ. Stimmen ganz offen von der Möglichkeit der zeitweisen Beschlagnahme Erzerums sprechen. Mit militärischen Vorbereitungen Rußlands an der russisch-türkischen Grenze in Asien treffen schon seit längerer Zeit Meldungen ein, denen noch niemals widersprochen worden ist.
— In London ist ein Brief von Stanley aus Jambuya am Aruwimi eingelroffen. Er teilt mit, daß ein Teil der Sklavenhandel treibenden Araber bei der Stanley Falls Station am Kongo sich geweigert habe, Tippu Tib, welcher vom belgischen Könige zum Gouverneur der Station ernannt worden ist, Gehorsam zu leisten. Tippu Trb verlangt, daß ihm Truppen zugesandt werden, damit dieselben ihm seine Autorität als Gouverneur des Kongostaates unterstützen. — Stanley meldet ferner, daß die Dampfer, sowie genügendes Heizmaterial für dieselben beschafft sein werde, abfahren würden; das sei seine letzte Gelegenheit, Europa Nachrichten zu geben; dann werden einige Monate vergehen, ehe man man wieder von ihm hören könne.
Htages-Weirigkerten.
* Calw, 24. Sept. Das hiesige Theater eröffnete am Freitag die Serie seiner Vorstellungen mit R. Kneisels Lustspiel „Die Tochter der Hölle". Dieses Stück ist vom Hoftheater in München mit dem ersten Preise ausgezeichnet worden und seither an den meisten Bühnen ständiges Repertoir- stück. Wer Gelegenheit hatte, dasselbe schon vom Personal eines größeres Theaters aufgeführt zu sehen, mußte am gestrigen Abend bedauern, daß die Aufführung etwas überhastet wurde. Recht befriedigend fand sich Hr. Chandelier mit der Rolle des Freiherrn v. Kostau ab, die Rolle der Dorothea v. Bernack war durch Frl. Mina Müller angemessen besetzt. Frau Schorer spielte die Klara Wallfried mit feinem Verständnis, während Hr. Egon als Kandidat der Theologie seiner Aufgabe vollständig gerecht wurde; dasselbe Lob verdient Hr. Mannhart als Neffe des Freiherrn. Hr. Direktor Scho rer hatte Mühe, sich bei seiner undankbaren Rolle die nötige Reserve aufzuerlegen, was ihm auch gelang. Das Zusammenspiel war, von einigen kleinen Unebenheiten und Kunstpausen abgesehen, ganz befriedigend und können wir jedermann den Besuch des Theaters empfehlen.
-j- Calw, 26. Sept. Fahnenweihe des „Liederkranzes Calw" und Feier seines 50jähr. Bestehens. Obwohl es am
Samstag nicht den Anschein hatte, als wollte der Himmel ein gnädiges Einsehen bezügl. des nahenden Festes haben, war denn am Sonntag Morgen doch eine Aenderung zum Besten eingetreten und als die Abgeordneten des „Calwer Liederkranzes", die mit dem Frühzuge um V 28 Uhr ankommenden Gäste abholten, war schon das beste Wetter für den Tag vorauszusehen. Von '/ 2 II Uhr ab spielte die im Laufe des Tages stark in Anspruch genommene Stadtmusik im Saale der Bierbrauerei von Jul. Dreiß, woselbst sich allmählig eine große Zahl von Gesangvereinen, teils vom Bahnhofe, teils zu Wagen ankommend, eingefunden hatte. Nachdem schon 71/4 Uhr morgens die Vereine von Pforzheim und dem unteren Nagoldthal, auch der „Gutenbergverein" von Stuttgart, in einer Anzahl von 12 Mitgliedern mit ihrer prächtigen, beispiellos schönen, mit vielen beim PreiSwettsingen erworbenen Medaillen gezierten Fahne, die nebenbei gesagt 2200 gekostet haben soll, eingetroffen waren, brachte der Zug 11 ,^ noch weitere Gäste, unter ihnen die Deputierten des Stuttgarter Liederkranzes, die HH. Oberpostmeister Steidle und Fabrikant Schremps.
Um 12 Uhr sammelten sich im „badischen Hof" die Festteilnehmer zur Mittagstafel. Der Saal war prachtvoll dekoriert und mit die Candelaber verbindenden Guirlanden geziert. Im Hintergründe waren die Trophäen des Liederkranzes, 2 Pokale, aufgestellt, die Wand über denselben zierte die alte, ehrwürdige Fahne, die nun trotz ihres für ihr Alter noch recht guten Aussehens der neuen weichen soll. Von der letzteren waren in Zeichnung die Vor- und Rückseite an den beiden Seiten angebracht, während das Ganze vielfarbige Flaggenstoffe drapierten.
(Fortsetzung in nächster Nummer.)
Stuttgart, 24. Sept. Heute nacht ist Seine Hoheit der Prinz Herr mann zu Sachsen-Weimar mit hoher Familie vom Seeaufenthalt an der englischen Küste hier wieder eingetroffen.
Stuttgart, 23. Sept. (Landgericht.) Gestern vormittag saß der Schriftsetzsrlehrling, welcher im Sommer mittelst Couponsausschuß« bögen Fälschungen und Betrügereien verübt hatte, auf der Anklagebank. Robert Haug, 15 Jahre 'von Ofterdingen, bei Göltz und Rühling in der in der Lehre, hatte auf die weggeworfenen Unterdruckausschußbögen hiesige Firmen mit den Couponsbeträgen 15 und 10 vlL eingedruckt und einen Coupon ä 15 ^ ausgegeben, einen ä 10 auszugeben versucht. Er wurde zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt, die mit Abzug von 14 Tagen Untersuchungshaft in der Anstalt für jugendliche Gefangene zu verbüßen sind. — Am Nachmittag hatte sich der 33jährige Präzeptor Chr. Höchst e t t e r von Eßlingen im Amt zu verantworten. Derselbe, Lehrer an der IV. Klasse des Lyceums zu Eßlingen, war von dem Vater eines seiner Schüler beschuldigt, den letzteren an den Haaren gezogen, ihm einen Schlag auf den Hinterkopf gegeben und ihn so am Ohr gerissen zu haben, daß es blutete. Der Angeklagte erinnert sich nur des dritten Falles, in dem er jedoch den Knaben nur am Ohr genommen habe, um ihn daran aus der Bank zu führen. Es müsse hierbei sein Fingernagel sich in das Ohrläppchen eingedrückt haben, daher wohl die Blutung. Der Knabe selbst giebt den Vorgang ebenso an. Der Lehrer wurde zu 10 Geldstrafe verurteilt.
Stuttgart, 24. Sept. Die automatischen Verkaufskästen zum Absatz von Naschwaren, welche neuerdings hier an einzelnen Geschäftslokalen angebracht werden, haben bis jetzt etwa die Zahl 7 erreicht. Die Aufstellung weiterer solcher Apparate soll beabsichtigt sein. Dem Vernehmen nach werden die städtischen Behörden die Benutzung des Luftraums der öffentlichen Straßen zum Aushängen solcher Kästen aus pädagogischen und verkehrspolizeilichen Gründen, sowie der Konsequenzen halber nicht weiter Massen, Kästen außerhalb des Luftraums dagegen vorläufig nicht beanstanden.
Ludwigsburg, 23. Sept. Seine Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm begaben sich gestern abend zur Abhaltung einer Hirschjagd in den Schönbuch und kehrten heute nach Marienwahl zurück.
„Ich danke Dir, Onkel", war die Antwort, und Laura drückte einen Kuß auf seine Hand.
„Ich kann Dir nicht sagen, Kind, wie ich mich über Deine Ankunft freue", fuhr er fort. „Seit Jahren habe ich nach Dir geforscht, jetzt bin ich für meine Mühe belohnt. Willst Du denn meine Tochter sein? Wie alt bist Du Laura?"
Sie sah schüchtern zu ihm auf. „Ich bin achtzehn Jahre alt, Onkel."
„Achtzehn, das poetische Alter. - Und die Welt steht Dir offen, mein Kind. Du bist doch noch frei, nicht verheiratet?"
Einen Augenblick zögerte sie mit der Antwort. Dann antwortete sie leise, mit harter, kalter Stimme:
„'Nein, Onkel, ich bin nicht verheiratet."
„Wie ich mich freue, Dich hier zu haben, mein Kind. Dein Anblick macht mich wieder jung.
Es war ihr in diesem Augenblick, als ob sie außer der seinen noch eine andere Stimme hörte, vie sprach:
„Ich würde Dir folgen bis an das Ende der Welt und stumm zu Deinen Füßen sterben."
Nachdem noch einige unbedeutende Worte gewechselt worden, bemerkte der Marquis zu Herrn Rodway gewandt:
„Während meine Nichte ihre Reisetoilctte ablegt, wollen wir unsere kleine geschäftliche Angelegenheit ordnen."
Er klingelte einer Zofe, die Laura in ihre Zimmer führte, während die beiden Herren sich in die Bibliothek begaben. Laura wußte, daß Herr Nodway seine fünftausend Pfund erhalten werde. Und für was wurde diese Summe bezahlt? Für die Liebe und die Ehre eines Weibes, für das Herz und das Leben eines Mannes. Dieser Gedanke flog ihr durch den Sinn, als sie dem Mädchen durch die Korridore folgte, aber sie machte sich nicht lange damit zu schaffen; es blieb ihr keine Zeit, gab es doch so viel Herrlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Sie hatte nie auch nur im Traume eine Ahnung gehabt, daß es etwas so Schönes auf Erden geben könne, wie dieses alte Schlnß. Die prachtvolle Besitzung Lord Cardins versank dagegen in nichts.
Als sie die prächtigen Räume betrat, die der Marquis zu ihrer speziellen Benutzung bestimmt hatte, wuchs ihr Erstaunen. Hohe Spiegel, wertvolle Bilder, gediegene Möbel, das feinste Porzellan, Kristall und Silber auf den Toilettetischen, weiche Teppiche, wallende Vorhänge und alle die tausend Kleinigkeiten, die ein Zimmer reizend erscheinen lassen, waren hier zu sehen. Waren diese wundervollen Gemächer wirklich für sie bestimmt? Die hohen bis zum Boden reichenden Fenster führten hinaus auf eiserne Balkone, die mit den köstlichsten Erzeugnissen der Gärten und Treibhäuser geschmückt waren, die Aussicht nach dem Park und dem Fluß war prachtvoll, und der Preis — — ?
Sie mußte ihn vergessen, dann war alles gut. Während die Zofe ihr beim Ankleiden behilflich war, gab es wieder neue Gelegenheit zum Bewundern. Wann würde sie lernen, alle Flaschen und Fläschchen von einander zu unterscheiden und zu begreifen, wozu man diese Dinge brauchte, mit denen ihr Mädchen so betraut schien? Wann würde sie sich hier in der prächtigen Umgebung so heimisch fühlen wie dort in der kleinen Kammer, wo die Rosen zum Fenster hereingrüßten und die Vögel unter dem Dache sangen?"
Unter dessen war der Marquis mit seinem Agenten in die Bibliothek zetteten.
„Ich hoffe, Herr Marquis", begann Rodway, „daß Sie zufrieden sindN
„Zufrieden?" rief der alte Herr, „O, ich bin mehr als zufrieden, ich bin entzückt! Ich muß gestehen, daß die Wirklichkeit alle meine Erwartungen übertrifft. Ich hatte nicht gehofft, eine so vollkommene Schönheit zu sehen."
„Ich bin sehr glücklich, Herr Marquis, daß ich Ihnen diesen Dienst leisten konnte."
„Nein, ich bin glücklich, Rodway", entgegnete der Marquis in liebenswürdigem Tone. „War es sehr schwer", fuhr er dann sott, sie von dort wegzubringen? War Jemand da, von dem sie sich ungern trennte?"
„Nein, es war nicht sehr schwer; sie hatte nicht viele Freunde."
„Mit wem wohnte sie zusammen?" Oder war sie allein?"
„So viel ich bemerken konnte, lebte Fräulein Knowles in einem kleinen Häuschen ganz allein. Ich sah wenigstens Niemand bei ihr."
(Fortsetzung folgt.)