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englische Fahrzeuge, der Dampfer Lamberton und die beiden Schaluppen Violet und Expreß, mit dem Ergebnis ihrer Fischereifahrt im Ostender Hafen an. Schon seit mehreren Jahren sind die Beziehungen zwischen belgischen und englischen Fischern sehr gespannt, und es vergeht kein Monat, wo das Ostender Bezirksgericht nicht mehrere dortige Fischer verurteilt, weil sie die Netze ihrer Mitbewerber während der Fahrt durchgeschnitten. In der letzten Zeit stieg die Aufregung in Ostende deshalb, weil von England ziemlich be­deutende Ladungen von gesalzenem Stockfisch ankommen. Der Hauptgrund mag der sein, daß die belgischen Fischer bei der Löschung in englischen Häfen Gebühren im Verhältnis von 24 für 100 Kilogr. zahlen müssen, während die Engländer hier freie Einfuhr haben. Nun hatte ein Ostender Fischerei, reder, ein gewisser Dofsaert, nicht weniger als sieben englische Fahrzeuge unterwegs, zu welchen auch die drei genannten gehörten. Deshalb entstand auch gleich bei der Ankunft der letzteren Unruhe im Hafenviertel; die Fischer welche seit Jahren keine eigene Fahrzeuge mehr besitzen und auch zu arm sind, um Genossenschaften zu bilden der Wochenlohn für die harte Arbeit beträgt 8 und 10 Fr. mahnten die Engländer unter Drohungen, nur ja nicht die Fische nach der Verkaufshalle zu bringen. Gestern früh nun brachte die Bemannung desLamberton" ihren Fang auf den Staden; die Fische wurden sofort von den in Menge herbeigeeilten Ostendern zurückgeworfen. Ebenso erging es den beiden anderen Fahrzeugen. Polizei war zwar an Ort und Stelle, aber nicht stark genug, und als auch bald darauf Gen­darmen an Ort und Stelle kamen und einige der Ruhestörer festnehmen wollten, wurden diese von ihren Genossen befreit. Nun machten Gendarmen und Polizisten von ihren Waffen Gebrauch und die Engländer konnten aus- laden. Bald aber kam die Menge zurück, durchbrach den Ring der Schutz- mannschasten, zerstampfte die Fische oder warf dieselben den Gendarmen ins Gesicht, wobei sich auch die Frauen hervorthaten. Ein Fischer wurde bei dem Angriff tödlich, ein anderer leicht verwundet. Auch auf andere Fahr­zeuge wurden Angriffe versucht, von den Gendarmen, die dreimal in die Luft schaffen, aber abgewiesen. Nun durchzog die Menge mit einer belgischen Fahne unter Absingen der Brabanconne und vlämischer Lieder die Stadt. Da die Aufregung sich mehrte, wurde die Bürgerwehr aufgeboten und eine Abteilung Reiterei von Brügge verschrieben. Heute früh erfolgten weitere Angriffe. Zwei englische Schaluppen wurden zu Wasser und zu Land ver­folgt. Der Befehlshaber der Bürgerwehr forderte die Friedensstörer drei­mal auf, abzulassen, und ließ dann in die Luft schießen. Die Fischer ent- blößten ihre Brust und riefen:Schießt nur, damit ihr die Farbe des Blutes eines vlämischen Fischers kennen lernt!" Nun wurde auf das Fahrzeug, in dem sie sich befanden, gefeuert, zwei blieben tot, viele andere wurden ver- mundet; auch wurde unfern davon ein Unschuldiger getroffen. Bald darauf mußte am Staden wiederum gefeuert werden, und wiederum gab es Ver­wundete. Heute nachmittag herrschte heillose Verwirrung. Das Geschäfts­haus Doffaerts wäre beinahe geplündert worden; alle Fensterscheiben wurden von der wütenden Menge eingeworfen, der Besitzer verließ mit seiner Familie die Stadt. Auch viele Badegäste sind zurückgereist. Das Badeviertel und der Hafen sind übrigens zwei gesonderte Städte und in ersterem mag man nur wenig von dem, was in letzterem vorgeht, erfahren. Man hat es hier mit keiner sozialistischen Verirrung zu thun, sondern mit einem Verbrechen aus Elend. Die Verwahrlosung des armen Ostender Fischervolkes, welches wirklich bis aufs Blut ausgebeutet wird, ist groß. Es muß daher an das heutige Ereignis ein milderer Maßstab angelegt werden als an die Ruhestör­ungen, die sich unter den gewerblichen Arbeitern Belgiens ereignen.

Unterm 25. bringt dieKöln. Ztg." folgendes Telegramm aus Ostende: Die Ruhe ist wieder hergestellt. Das Fischerviertel ist einst­weilen noch mit Reiterei besetzt. Die Bürgerwehr hat durch voreiliges und unüberlegtes Schießen viel zum Unglück beigetragen. Heute weigern sich die Hafenarbeiter, die Ladung zu löschen. Damit ist der Widerstand gegen die englischen Fischer in die Bahn der Gesetzlichkeit zurückgekehrt.

Rußland.

Man schreibt derKöln. Ztg." aus Petersburg: In hiesigen gutunterrichteten Kreisen ist es bekannt, daß Zar Alexander sehr un­zufrieden mit dem Verhalten der Türkei ist und diese Unzufriedenheit auch dem Botschafter Schakir Pascha ausgesprochen hat. Neulich fand nun im Lager bei Kraßnoje-Selo bei der Feier des Namenstages des ältesten russischen Garderegiments ein Vorfall statt, welchen viele mit jener ungün­stigen Stimmung des Kaisers gegen die Türkei in Zusammenhang brachten. Die erwähnte Feier wurde durch einen Feldgottesdienst eingeleitet, dem alle Anwesenden mit entblößtem Haupt beiwohnten. Plötzlich bemerkte der Zar den türkischen Militärbevollmächtigten mit dem Fez auf dem Kopfe. Sofort befahl er dem Großfürsten Wladimir, den Offizier auf das Ungehörige seiner Haltung aufmerksam zu machen. Der Großfürst schickte den dienstthuenden Generaladjutanten zu dem Türken mit dem Befehl, entweder den Fez abzunehmen oder den Gottesdienst zu ver­lassen. Der Militärbevollmächtigte zog, sehr bestürzt und verlegen, das letztere vor und führte als Entschuldigung an, er habe ja doch, wenn auch bedeckten Hauptes, wie ihm sein Glaube gebiete, die Hände zum Gebet gefaltet gehabt.

Bulgarien.

Sofia, 26. Aug. Der Prinz hatte gestern alle höheren Offiziere zu Tafel geladen und brachte einen Trinkspruch auf das Heer aus, auf welchen der Kriegsminister antwortete. Nach dem Essen unterhielt sich der Fürst mit mehreren Offizieren, die als besondere Freunde des Fürsten Ale­xander bekannt sind.

Hcrges-Weuigkeiten.

In Altbulach brannten in der Nacht vom Freitag auf Sams­tag das Wohnhaus und Scheuer des Schultheißen Rupps total nieder. Ein in der Nähe des Hauses gelegener Weiher erleichterte die Rettung der anstoßenden Gebäude. Das Feuer war im Holzschuppen ausgebrochen und vermutet man absichtliche Brandstiftung.

* Nagold. In vergangener Nacht vom Sonntag auf Montag brach um 11 Uhr mitten in der Stadt in einem in der Nähe der Apotheke gelegenen Hause Feuer aus, das bis zum Morgen 2224 Häuser in Asche legte. Details sind noch nicht zu melden.

Renningen, 24. Aug. Heute nachmittag ist der Feuerwehrmann Steiger Kienle, welcher schon 20 Jahre der freiwilligen Feuerwehr an­gehört. bei einer durch den Bezirksfeuerlöschinspektor vorgenommenen Uebung durch Bruch eines mit dem Einfallhaken der Schiebleiter belegten SprossenS 8 Meter hoch herabgestürzt und blieb auf der Stelle tot. Derselbe hinter­läßt eine Witwe und 3 jüngere Kinder, wenig bemittelt. Die Leiter und der Sprosse waren vorher in gutem Stande, letzterer auch nicht angefault.

Stuttgart. Dem Vernehmen nach ist unter den Dienstpferden des Dragoner-Regiments Königin Olga Nr. 25 seit einigen Wochen die Brust­seuche (Influenza) ausgebrochen. Obwohl von der Krankheit nur immer einzelne Pferde befallen werden, dieselbe auch sehr gutartig auftritt, ist doch höheren Orts angeordnet worden, daß das Regiment um eine weitere Verbreitung der Krankheit thunlichst zu vermeiden und zur Schonung des kostbaren Pferdematerials am Manöver nicht teilzunehmen, sondern in der Garnison zu verbleiben hat. Das Brigade-Exerzieren der 26. Kavallerie- Brigade findet demzufolge nicht statt. Nachdem alle Truppenteile die Gar­nison Ludwigsburg verlassen haben, wird das Regiment in der Zeit vom 29. August bis 10. September das Regiments-Exerzieren auf dem dortigen großen Exerzierplatz abhalten, am 13. September die ausgedienten Leute ent­lassen und am 14. die überzähligen Pferde verkaufen.

Stuttgart, 27. August. Der Wochenmarkt zeigt heute wieder ein erfreuliches Bild in Handel und Wandel. An Produkten ist zwar

geben vermocht. Fast instinktiv hat sie Augen und Ohren gegen jede störende Ein­wirkung der Außenwelt abgeschlossen um sich um so ungestörter dem Versuche hin­geben zu können, Ordnung in die ihr ganzes Denken und Sein hoch überflutende Ge­dankenmasse zu bringen, denn des Einen wenigstens war sie sich klar bewußt; sie mußte vor allen Dingen den Aufruhr ihres Innern vor dem klaren Auge ihres Gatten zu verbergen suchen.

Noch hatte sie die ganze Tragweite des soeben Gehörten nicht erfaßt; noch war es fast ausschließlich das Neue, das Wunderbare, das an's Unglaubliche streif­ende von Rodway's Mitteilungen, das sie verwirrte, das ihren an einfache, klare Verhältnisse gewöhnten Geist mit sich selbst in Zwiespalt brachte. Noch hatte die Versuchung mit ihrer ganzen diabolischen Gewalt sich ihrer nicht bemächtigen können, denn noch behielten die Zweifel an diesen unerwarteten Eröffnungen die Oberhand.

Es war aber auch zu schwer zu fassen, daß sie die einfache Tochter der armen Torfschullehrerin, sie, die angetraute Frau des herrschaftlichen Obergärtners Roden, so au einmal ohne jedes Zuthun ihrerseits eine hochadelige Dame, die Erbin eines immensen Vermögens geworden war. Es war ja nicht denkbar; es war einfach lächerlich!

An den Preis, den sie für diesen schimmernden, berauschenden Glanz bezahlen solle, dachte sie noch gar nicht; und es war gut, daß dem so war. Denn nur dadurch wurde es ihr möglich, ihre Auflegung wieder langsam niederzukämpfen und das ge­wohnte heitere Gleichgewicht, mit dem sie sonst ihrem Manne entgegenzutreten pflegte, wenigstens äußerlich in so weit wieder herzustellen, daß sie im Stande war, ihrem eintretenden Gatten ein scheinbar ruhiges Gesicht zu zeigen, obgleich es ihr noch immer nicht gelingen wollte, sich zu erheben, um ihm entgegen zu gehen.

Roden, der am Abend noch die Blumentische im Schlosse zu erneuern hatte, kam etwas früher wie gewöhnlich von der Arbeit zurück. Er war rasch gegangen, denn er hatte sich heimlich gefreut, sein Weibchen bei der Zubereitung der einfachen Mahlzeit zu überraschen; wie liebevoll hatte er es sich in Gedanken ausgemalt, wenn die reizende Herrin seines Heims und seines Herzens ihm mit schmollendem Gesicht- chen, aus dem die heimliche Freude über sein frühes Kommen trotzdem unverkennbar hervorleuchtete, Vorwürfe machen würde, daß es ihm immer Vergnügen bereite, ihre

liebsten Freuden zu vereiteln; sie habe sich so darauf gefreut, ihm etwas recht Gutes vorzusetzen und jetzt sei sie noch lange, lange nicht damit fertig.

Mit dem freudigen Lächeln, das der Gedanke an sein häusliches Glück hervor­gerufen, noch auf den Lippen, öffnete er die Thüre des Zimmers, blieb jedoch fast er­schrocken auf der Schwelle stehen, als er in das blasse, gedankenvolle Angesicht blickte, das so ganz verschieden war von demjenigen, welches er zu sehen erwartet hatte.

Allein sein Erschrecken war nicht lang von Dauer, denn ein schwaches Lächeln erleuchtete matt die Züge der jungen Frau, und ein leises Rot färbte Ihre Wangen beim Erblicken des geliebten Mannes, der bis vor Kurzem ihr ganzes Sein und Denken allein ausgefüllt hatte. Mit einem frischen, von Herzen kommenden und zum Herzen gehenden Lachen trat jetzt Roden über die Schwelle, und nachdem er sich durch einen raschen Blick durch das Zimmer überzeugt hatte, daß auch noch keine Spur von Vorbereitungen zum Essen zu sehen war, rief er in heiter scherzendem Tone, dem jedoch einige Verwunderung anzuhören war:

Ei, ja, das muß ich sagen! das ist mir eine schöne Haushaltung mein Schatz! Da kommt der Mann hungrig und durstig von der Arbeit und sein exemplarisches Hausflauchen sitzt tief in Gedanken verloren und grübelt über irgend ein unlösliches Problem nach. Was hat es denn gegeben, mein Herz?"

Jetzt war die Reihe zu erschrecken an ihr, hatte sie doch über all dem Uner­warteten ganz vergessen, ihre häuslichen Pflichten zu erfüllen; mit keinem Gedanken hatte sie daran gedacht, daß Robert seine Mahlzeit bereit zu finden erwarten könnte, ja an ihn selbst hatte sie kaum mehr gedacht, und die Röte der Scham stieg ihr in die Wangen; der Preis den sie für Reichtum und einen adeligen Namen bezahlen sollte, war ihr wieder eingefallen.

Aber eben dieses Gefühl der Beschämung gab ihr auch die jugendliche Ela­stizität zurück. Lebhaft von ihrem Stuhle aufspringend, eilte sie auf Roden zu, schlang beide Arme fest um seinen Nacken und verbarg ihr glühendes Gesicht an seiner Schulter.

Oh, Robert, wie vergeßlich ich bin! Zanke mich nur recht tüchtig aus; ich habe gar nicht darauf geachtet, daß es schon so spät ist!"

(Fortsetzung folgt.)